IMI-Standpunkt 2024/031
Vergessene Stimmen des Sudans
Interview mit der Regisseurin von Forgotten Voices – Filmvorführung Montag, 2.12. Kino Atelier
von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 2. Dezember 2024
Die Hungersnot und Vertreibungskrise im Sudan wurde kürzlich von den Vereinten Nationen als aktuell schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt eingeordnet. Trotzdem schafft es der Konflikt kaum in die Schlagzeilen.
Am heutigen Montag, 2. Dezember 2024, zeigen wir um 18 Uhr zusammen mit der linken humanitären und Entwicklungsorganisation Kurve Wustrow und der sudanesischen Frauenrechtsorganisation Bana den Dokumentarfilm Forgotten Voices.
Er erzählt eindringlich die leidvollen Geschichten von Menschen, die durch den anhaltenden Krieg im Sudan aus ihrer Heimat vertrieben wurden, von den enttäuschten und doch noch brennenden Hoffnungen der Revolution im Jahr 2019 und dem Leben in den Geflüchtetenlagern in den Nachbarstaaten.
Als Einstimmung darauf veröffentlicht die IMI heute ein Interview mit Mai Shatta, Regisseurin und Produzentin des Films und Gründerin der Frauenrechtsorganisation Bana. Das Interview wurde schon im Hochsommer auf Englisch geführt. Einige zeitkritische Aussagen wurden nun nach der Übersetzung noch aktualisiert. So hat sich das von den Rapid Support Forces kontrollierte Gebiet, ursprünglich hauptsächlich in ihrer Herkunftsgegend Darfur, aber ebenso sehr schnell Gebiete in und um die Hauptstadt Khartoum umfassend, nun auch in die südlich an die Hauptstadt angrenzende Region Al-Dschasira, die auch als Brotkorb des Landes gilt, und weiter nach Sennar ausgedehnt. Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in Ägypten und der Schweiz, in die zur Zeit des Interviews viele Fachkundige mehr oder aber, wie Mai, weniger Hoffnungen hatten, wurden ohne nennenswerte Ergebnisse eingestellt.
Nach über anderthalb Jahren Krieg sind im Sudan nun über 12 Millionen Menschen, also über ein Viertel der Bevölkerung von ihrer Heimat vertrieben worden – mehr als in irgendeinem anderen Konflikt der Welt derzeit. Zudem herrscht die wohl größte Hungersnot der Welt in dem Land. Schon im April litten laut dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) über 17 Millionen Menschen, also ein Drittel der Bevölkerung an akuter Nahrungsunsicherheit, knapp 5 Millionen sind von einer akuten Hungersnot betroffen.i Besonders schlimm ist der Zustand in den belagerten Städten und Geflüchtetenlagern. So konnten Nahrungslieferungen humanitärer Hilfe beispielsweise im Flüchtlingslager Zamzam in der Region Norddarfur zehntausende nicht erreichen, die ihr Mägen teils mit Erdnussschalen gegen den Hunger füllen mussten.ii
Zudem seien viele der Tote bisher ungezählt, wie die London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) mit statistischen Methoden nachwies. Allein in der Hauptstadt Khratoum müssten die Kriegstoten anhand der Übersterblichkeit die 60.000 überschreiten. Rund die Hälfte davon sei durch direkte Gewalteinwirkung, andere durch Folgeschäden wie Krankheit und Unterernährung gestorben.iii
Der Konflikt ist zudem von immensen Kriegsverbrechen bis hin zu Massenerschießungen von Zivilist*innen und Massenvergewaltigungen geprägt. Als die RSF kürtlich Al-Dschasira einnahmen, soll diese dort innerhalb von drei Wochen 1.237 Zivilisten getötet haben.
Die RSF sind die institutionalisierten Einheiten der Dschandschwid-Milizen, die um das Jahr 2003, unter der Führung sowohl des heutigen Chefs der RSF, Mohamed Hamdan Dagalo aka Hemedti („Der Schlachter“) wie auch des nun die Sudanesische Armee (SAF) leitenden Generals al-Burhan, auf Staatsebene, einen Genozid an der nicht-arabischen Bevölkerung und besonders den, damals gegen die Herrschaft des islamistischen Diktators Omar al-Bashir aufbegehrenden Ethnien Fur und Zaghawa verübten. Diese beiden Generäle und ‚Brothers in War Crimes‘ putschten während der Revolution Ende 2018 und Anfang 2019 gegen al-Bashir, übernahmen dann jedoch selbst die Macht und bekriegen sich seit April 2023.
Interview mit Mai von Bana – sudanesische Frauen-&Menschenrechtsorganisation
Pablo: Hallo und willkommen Mai. Die von dir koordinierte Organisation „Bana“ kümmert sich um marginalisierte Frauen im Sudan. Wie ist die Organisation entstanden und was genau macht ihr?
Mai: Bana begann als Traum, als ich 2012 im berüchtigten Foltergefängnis Totsha saß. Ich fragte mich, wie man all die verletzten und gedemütigten, ungehörten Frauen vereinen könnte. Ich hatte das riesige Glück, weil ich vorher für ein Praktikum in Deutschland war, dass ich auf internationalen Druck hin, den deutsche Freunde zusammen mit der NGO Front Line Defenders aufgebaut hatten, freigelassen wurde und mit einem Stipendium zurück nach Deutschland kommen konnte. Hier brauchte ich dann fünf Jahre um ein Netzwerk aufzubauen und Geld zu sammeln und 2017 begannen wir dann mit einem Treffen im Süden Ägyptens – denn ich kann ja nicht zurück in den Sudan, wo ich auf der Schwarzen Liste stehe und mindestens sechs politisch motivierte Anklagen habe.
Doch mein Traum wurde wahr. Über die Zeit entwickelte sich Bana zu einer feministischen Graswurzelorganisation, die sich durch den ganzen Sudan zog, mit Büros in El Fasher, der Hauptstadt von Darfur, und Khartoum. Kontakte, Visibilität und Aktivitäten gibt es auch an anderen Orten Darfurs, in Port Sudan, in der Region Nuba Berge, um die meisten Provinzhauptstädte und sogar in Südkordofan, wo sonst niemand hinkommt.
Nach unserem Masjid-al-Dalai-Ansatz arbeiten wir mit den Communities dadurch, dass wir in Kontakt mit Frauen aus den Communities kommen und diese trainieren und vernetzen. Dies ist auch notwendig, da wir so multikulturell im Sudan sind. Wir sprechen viele verschiedene Sprachen, auch wenn vieles davon regionale Dialekte des Arabisch sind. Die Frauen aus unterschiedlichen Gegenden kommen immer wieder zusammen, um sich auszutauschen, zu monitoren und zu evaluieren, was wurde getan, was hat geklappt und was wird nötig sein. Wir arbeiten viel mit Frauen, die Gewalt erfahren haben, gerade auch sexualisierter Art, Belästigung, Vergewaltigung, Kinder- und Zwangsheirat. Und wir arbeiten mit reproduktiver Gesundheit, versuchen die weibliche Genitalverstümmelung zu stoppen. Und für all dies arbeiten wir auch mit den Community Leadern zusammen. Wir sind auf sie angewiesen, da wir sonst den Zugang zur Community verlieren können und unsere Frauen gefährden. So arbeiteten wir schon während der alten Regierung, Omar al-Bashirs islamistischer Diktatur, unter der Übergangsregierung und auch nun im Krieg und weiterhin werden wir uns einsetzen, dass Frauen eine Stimme bekommen, gehört werden und mitbestimmen können.
Von Anfangs 17 Frauen haben wir nun über 500 freiwillige Helferinnen. Nun haben wir mit dem Krieg unser Büro in Khartoum verloren und die Gruppe ist zerstreut. Zwei Monate nach Ausbruch stellten wir unsere Arbeit kurz komplett ein, doch nun sind wir wieder aktiv, als vielleicht einzige NGO dieser Größe und Ausrichtung. Viele internationale aber auch lokale Organisationen sind gegangen. Bana blieb, um sich um die Frauen zu kümmern.
Pablo: Wie hat sich die Arbeit seit Ausbruch des Kriegs verändert? Wie geht es deinen Kolleginnen? Sind sie noch im Sudan?
Mai: Viele unserer Mitglieder sind immer noch im Land. Manche werden vertrieben oder müssen von Ort zu Ort flüchten. Sie kämpfen. Doch, wo sie ankommen, beginnen sie erneut zu planen und zu arbeiten, oft innerhalb der Camps für Binnenvertriebene.
Auch in Darfur geht unsere Arbeit weiter, trotz des Angriffs auf Darfur. Nun sind sie weitergezogen nach Mellit, 65km weiter. Und direkt kümmerten sie sich um andere Binnenvertriebene.
Auch in Khartoum, Port Sudan und Kassala sind noch Leute von uns. Je nur noch vier bis fünf. Doch sie halten den Spirit hoch und machen weiter. Neue Strukturen wachsen, denn die Bedürfnisse sind natürlich viel größer als unsere Kapazitäten. Doch wir verteilen die Leute so, dass unsere Erfahrungen und Netzwerke gut genutzt werden. Wir konzentrieren uns nun sehr auf psychosoziale Unterstützung für die Frauen, die ganze Familie, auch gerade die Kinder, welche oft vergessen werden in solchen Konflikten.
Viele mussten auch flüchten, gingen nach Ägypten, in den Tschad und viele sind auch in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Dort haben wir nun auch ein kleines Büro und arbeiten in den Flüchtlingslagern. Kürzlich bekamen wir die Bestätigung von der Regierung Ugandas, die uns ein Stück Land zur Verfügung stellt, auf dem wir ein kleines Zentrum für die Community bauen können, das wir Friendly Space nennen wollen. Dort sollen die Leiden und Bedürfnisse der Frauen gehört werden. Es wird viel Unterstützung im für Flüchtlinge relevanten rechtlichen Bereich geben, psychosoziale Arbeit, reproduktive Gesundheit. [Nachtrag: Wir brauchen allerdings noch mehr Finanzierung für das Projekt.]
Da es besonders seit dem Krieg viel Hass in den sozialen Netzwerken gibt, von Darfurern gegen die Leute aus dem Norden, und viel Hass gegen Darfurer, möchten wir dagegen was machen. Es gibt ja so viele Gruppen in all diesen Gegenden und allen, die für Frieden arbeiten, ist dieser Hass im Weg. Deswegen schauen wir nach Modellen, wie das verhindert und gewaltfreie Kommunikation gefördert werden kann. Wir haben so sechs, sieben neue Projekte, die nun in Kampala ausgearbeitet werden, aber auch in Darfur und Khartoum.
Pablo: Ihr arbeitet also immer noch in Darfur und in Khartum, Staaten die beiden größtenteils von der RSF kontrolliert werden und ebenso in den von der sudanesischen Armee kontrollierten Gebieten. Wie ist es, wenn man die Arbeit unter diesen zwei verschiedenen Verwaltungen vergleicht? Mischen sie sich ein, versuchen sie, Sie an Ihrer Arbeit zu hindern oder stehen Sie bei beiden nicht so sehr im Fokus der Behörden?
Mai: Ich möchte keinen Vergleich anstellen, denn in Darfur, in Al-Fashir, ist die Situation sehr hektisch, da die Dschandschawid, also die RSF das Gebiet übernommen haben. Aber unsere Gruppe, die dort arbeitet, kommt aus der Gegend, kennt die Sprache, weiß, wie man die Stadt verlässt und wie man seine Arbeit macht. Natürlich mit unserer Unterstützung. Wir haben diese Sicherheitsmanagement-Planungstreffen und -Reflexionen, wir machen Richtlinien für sie. Im Moment arbeite ich an einem Buch mit dem Titel „Sicherheitsleitlinien für den Krieg“, das bald veröffentlicht wird. Darin geht es um Tipps, wie man mit dem Sicherheitsdruck umgehen kann, wenn man sich in eine Gefahrenzone begibt; was man tun kann, was man nicht tun sollte, was man vermeiden kann, welche Art von Code-Sprache wir verwenden können. Dann wissen sie, was sie vermeiden können und wann genau sie aus dem Thema aussteigen müssen.
Wir besprechen das und dann geben wir ihnen das mit, sagen ihnen „dieses Gebiet ist sehr gefährlich, ihr müsst dorthin gehen, diese Aktivitäten könnt ihr nicht machen wegen des Titels der Veranstaltung – es könnte Aufmerksamkeit erregen“. Und natürlich haben wir auch einen Pfad namens Evakuierung. Die meiste Zeit arbeite ich daran, Tipps und Anleitungen zu geben, wie man seine Leute evakuiert und wie man sich selbst von bestimmten Orten evakuieren kann. Das ist meine Aufgabe als Sicherheitstrainer. Und das hilft den Freiwilligen im Feld sehr, zu wissen, dass sie nicht einfach zurückgelassen werden, um die Arbeit zu erledigen und sich selbst in Gefahr zu bringen.
Dazu müssen wir Ihre Bewegungen und die der bewaffneten Gruppen verfolgen und kartographieren.
Ja, insgesamt haben wir eine wirklich gute Sicherheitskommunikation aufgebaut. Das ist vor allem für unsere Mitglieder in Darfur wichtig, somit sind sie an kritischen Orten in gewisser Weise sicherer, was die Arbeit angeht. Aber für die körperliche Unversehrtheit kann man wegen der Bombenangriffe natürlich nicht garantieren. Wir können das nicht vermeiden, aber wir versuchen, ihnen Tipps zu geben, wie sie ihre Arbeit verbessern können.
Bei den Gruppen in Khartum ist es anders, weil sie dort in der Mitte zwischen der RSF und dem Militär stehen. Das hängt von der Gegend ab, in der sie leben. Das Gebiet liegt immer noch im Aktionsradius der Dschandschawid, der RSF, aber wir kommen immer noch mit der Situation zurecht. Sie haben die gleiche Sicherheitsunterstützung.
Somit versuchen wir stets abzuschätzen, und die Bedrohungslage für ein Gebiet auf einer Skala von null bis zehn darzustellen. Wächst das Risiko, müssen die Leute weiter ziehen.
Und sie sind von Omdurman nach Madeni, von Madeni nach Jezira gezogen. Und jetzt planen wir, auch weil die RSF so nah ist, dass eines unserer Mitglieder auf die andere Seite von Al-Dschasiera umzieht, wo es [zum Zeitpunkt des Interviews] noch freie Dörfer [gab].
Pablo: Sie haben gerade gesagt, dass Darfur so etwas wie der heißeste Ort der Gewalt ist, der riskanteste Ort auch für Gewalt gegen Zivilisten, aber es gab Kämpfe im ganzen Land, besonders auch in Al-Dschasira, das Sie gerade erwähnt haben.
Wie ist die Lage? Ist die Situation immer noch angespannt oder ist Al-Dschasira bereits eingenommen?
Mai:Einiges wurde eingenommen: Sinjar wurde erobert und auch, Sinar. Und sie kündigen sogar an, in den Norden zu gehen bis nach Port Sudan. Sie wollen das ganze Land. Und das ist auch einer der großen Indikatoren dafür, dass dieser Krieg nicht bald enden wird.
Denn ja, wir hatten eine Menge Initiativen von Seiten der Politiker und der Zivilgesellschaft.
Aber ich denke, das ist das Beste, was sie sehen, dass diese Verhandlungen mit diesen Leuten aufhören, denn wir haben viele Menschen verloren – mehr als 15 oder 20 Millionen sind geflohen außerhalb und innerhalb des Sudans. Aber auch in den Nachbarländern gibt es Probleme, zum Beispiel in Ägypten oder Äthiopien geflohen. Beispielsweise werden sie aus Ägypten zurück in den Sudan deportiert. Und in Äthiopien werden sie im Wald zurückgelassen. Einige werden erschossen und sterben. Denn in Äthiopien gibt es auch politische Konflikte zwischen zwei Ethnien, den Amhara und den Tigrina, die sich gegenseitig bekämpfen. Ah und da bringst die Flüchtlinge hin? Ja, und manchmal entführen sie sie, manchmal zwingen sie sie, in ihren militärischen Gruppen zu kämpfen.
Pablo: Was denkst du, wie kommt das, also du hast im Grunde gesagt, dass die RSF jetzt die Oberhand hat und die Armee nur noch verteidigt?
Mai:Immer mehr Orte gehen an die RSF, in der letzten Woche wurden drei Orte von der RSF eingenommen, wie z.B. Singa und die Provinzhauptstadt Sennan [und zuletzt Al-Dschasira]. Wir wissen auch nicht genau, was das Militär macht.
Pablo: Hemedti wird, wie es scheint, von den Emiraten unterstützt, manchmal mit Waffen und mit dem Kauf von Gold. Wie kommt es, dass keine Drittstaaten, die Nachbarländer beispielsweise, die auch die Last der Flüchtlinge und all das tragen, nicht mit Diplomatie eingreifen?
Ebenso: wie kommt es, dass keine der regionalen Organisationen eine Truppe unterhält, um zumindest irgendwo im Sudan sichere Räume zu haben? Es scheint nicht so, dass vonseiten der Nachbarländern etwas passiert, um den Konflikt zu befrieden.
Mai: Es gibt diese Konferenzen, die [Ende Juli] in Ägypten stattgefunden haben, und die Konferenzen mit Taqaddum [einer vom ehemaligen Premierminister Abdallah Hamdok angeführten, zivilen Koalition], die in Assyrien [Äthiopien] stattfanden. Aber ich kann nichts sehen, was sich bewegt. Die Leute kommen einfach und geben viel Geld aus, um darüber zu reden, wovon sie träumen, wie sie den Krieg gerne beendet sähen. Aber dieses Gerede hat nichts bewirkt.
Man schaue sich nur an, wer daran beteiligt ist: Die gleichen Gesichter, immer die gleichen Leute. Währenddessen sterben die Menschen. Und sie sitzen in ihren Hotels und schreiben nette Erklärungen. Aber sonst wird nichts unternommen und das Land ist völlig am Ende. Und die RSF muss nur noch ein paar kritische Orte einnehmen, dann erobert sie das ganze Land..
Der Schaden hat viele Familien und viele Menschen betroffen. Viele Menschen haben ihre Kinder verloren. Es gibt je eine Liste von Menschen, welche in einer Woche neu vermisst werden. Die meisten von ihnen sind Kinder, die beispielsweise auf der Flucht vor fallenden Bomben verloren wurden. Der enorme Schaden, der bei den Menschen entstanden ist, kann kaum geheilt werden.
Der Schaden ist hier enorm, auch im Bereich psychische Gesundheit. Kürzlich hatten wir eine Gruppe, die aus verschiedenen Ländern, in denen sudanesische Flüchtlinge leben, berichtet hat.
Die meisten der Sudanesen dort sterben nicht an Krankheiten, sondern an ihrer Wut. Oder sie kommen mit dem Ort nicht zurecht. Oder sie haben einfach nur hohen Blutdruck und am nächsten Tag einen Herzinfarkt.
Pablo: Du meinst in den Lagern?
Mai: Ja, in den Lagern, in den Wohnungen und überall. In Addis Abeba sterben manchmal an 22 Personen in einer Woche an Mangel an Medikamenten, Mangel an Krankenhäusern, Mangel an Geld, Mangel an Möglichkeiten zu gehen. Die Depressionen sind hoch. Es gibt auch viele Suizide. Ich habe eine Cousine, die hat sich in Ägypten das Leben genommen. Sie konnte nicht mehr. Sie hatte ihre Kinder verloren.
Sobald sie aber endlich diesen Vertrag zwischen ihnen haben und sich durchringen können, den Krieg zu beenden, ist unsere Frage als Aktivisten immer noch: was ist danach?
Wir sind gerade dabei, uns zu versammeln und nachzudenken. So habe ich im Dezember 2023 die Zivile Plattform für Advocacy gegründet, in der sich Menschen aus verschiedenen Ländern hier in Europa als Aktivisten, die sich mit dem Sudan solidarisieren, zusammengefunden haben.
Es geht darum eine Strategie zu entwickeln. Wenn der Krieg vorbei und der Schaden angerichtet ist – was kommt danach?
Nun wollen wir eine starke zivile Bewegung aufbauen. Nur Zivile. Wir brauchen keine Armee, wir brauchen keine Leute mit Waffen oder einem gewalttätigen Hintergrund. Wir können nicht zulassen, dass diese Leute und die Politiker, die das Land zerstört haben, es danach wieder tun.
Pablo: Du hast über das Buch gesprochen, aber du arbeitest auch an einem Film und einer App für Menschen im Sudan.
Mai: Nun in der Endphase steckt unser Dokumentarfilm Forgotten Voices. Das ist eine Sammlung von Stimmen von doppelt ausgegrenzten Menschen, die während des Krieges von Ort zu Ort fliehen. Der Film verfolgt ihre Geschichten, zeigt ihr Leben vor und nach dem Krieg. Wir haben vor einem Jahr angefangen und die letzten Dreharbeiten fanden [im August] im Tschad statt.
Und die App soll ein Archiv für all diese Kriegsverbrechen werden, die von beiden Seiten passieren, vom Militär und von der RSF. Artikel oder Beiträge aus dem Internet und von sozialen Medien wie TikTok sammeln wir nun mit kleinen Gruppen und archivieren sie. Auf TikTok und in den sozialen Medien dokumentieren Milizionäre der RSF selbst viele ihrer Taten. Später sollen Leute von überall im Sudan auch selbst Content hochladen, wenn Grausamkeiten passieren, um danach eine, vielleicht auch internationale Strafverfolgung zu ermöglichen. Ein Archiv in Echtzeit, auch für die Planung der Fluchtroute. Dafür sollten auch offizielle Daten des Militärs und der RSF oder von Organisationen wie Human Rights Defender, die auch dokumentieren, welche Infrastruktur zerstört wurde, darauf zu sehen sein, um zu sehen wo noch medizinische und andere Versorgung möglich oder Fluchtwege frei sind.
Anmerkungen:
1 OCHA: Sudan: One Year of Conflict – Key Facts and Figures (15 April 2024) unocha.org
2 Sudan: Tausende hungern in Norddarfur. jungewelt.de 27.11.2024
3 Saskia Jaschek: Unsichtbares Sterben. jungewelt.de 21.11.2024