IMI-Standpunkt 2024/18

We don’t need no militarization!

Gegen die Militarisierung der Forschung - auch am DESY

von: Hannes Jung (Sprecher Science4Peace, Emeritus DESY) | Veröffentlicht am: 1. August 2024

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“Die neue Zeit stellt neue Fragen. Und nicht alle Antworten finden wir in der Vergangenheit, nicht in den Routinen der letzten Jahrzehnte”, hat Bundespräsident W. Steinmeier zum Jahrestag des Überfalls der Truppen der Russischen Föderation auf die Ukraine gesagt. Wie wahr!

Allerdings sind die Schlussfolgerungen sehr unterschiedlich: Die Bundesregierung wie auch der Bundespräsident folgern daraus, man müsse mehr in die Rüstung investieren, man müsse wehrfähig, bzw. wie der Verteidigungsminister deutlicher sagt, “kriegstüchtig” werden. Er geht sogar noch weiter und verlangt, dass wir bis 2029 kriegstüchtig sind (Befragung im Bundestag vom 5. Juni 2024).

Und das Neue daran ist, dass ganz unverhohlen die Gesellschaft auf Krieg eingeschworen wird, bis 2029. Aber Kriege gibt es seit tausenden von Jahren, und immer wurden neue Waffen erfunden und mehr Waffen beschafft, nur hat all das nie Kriege verhindert. Diese Politik ist rückwärts gewandt, sie fällt (wieder) zurück in die düstersten Zeiten der kriegerischen Konfrontation.

Es war schon immer so, dass imperiale Mächte ihre Macht mit Gewalt, notfalls auch mit Krieg sichern und ausweiten wollten. Und es war immer so, dass sie ihre Macht nicht freiwillig abgeben wollten. Und zur Kriegsvorbereitung musste immer ein Feindbild aufgebaut und zelebriert werden. Was also bitte ist daran neu?

In einem Beitrag vom Juli 2024 zum Physik Journal der Deutschen Physikalischen Gesellschaft schreibt Wolfgang Maier, man müsse in Fragen der Rüstungsforschung umdenken, um die bedrohte freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen. Und er führt weiter aus, dass die in den meisten europäischen Staaten praktizierte Trennung von ziviler und militärischer Forschung zu überdenken und aufzulösen sei. Insbesonders solle man die “deutlich spürbare Tabuisierung der militärischen Forschung überdenken”. Das sind wahrlich keine neue Ideen: die Trennung von ziviler und militärischer Forschung wurde eingeführt auf Grund der schrecklichen Erfahrungen des letzten grossen Weltkrieges: das Science Council of Japan hat im Jahr 1950 beschlossen, sich niemals auf wissenschaftliche Forschung zu Kriegszwecken einzulassen. Beim CERN, wo 2012 das Higgs Boson gefunden wurde, steht in der Convention von 1954 verankert, dass “es keine Forschung für militärische Anforderungen geben darf“, und am Helmholtz-Forschungszentrum DESY, das ebenfalls übereinen Teilchenbeschleuniger verfügt, legen die Leitlinien fest, dass „… die Forschung ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dient“.

Die Bundesregierung versucht, die Kriegsfähigkeit nun auch in die Wissenschaft, die Forschungseinrichtungen und Universitäten zu tragen. Es wird unverhohlen die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Forschungseinrichtungen und die Schaffung von „Finanzierungsanreizen für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen ziviler und militärischer Forschung“ gefordert, wie ein „Positionspapier“ des Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vom März 2024 deutlich macht. Die EU Kommission hat in ihrem „Weißbuch“ vom Januar 2024 besondere Anstrengungen zur Förderung der Forschung mit zivilen und militärischen Zielen (Forschung mit Dual Use) gefordert, allerdings dafür deutliche Kritik von der Hochschulrektorenkonferenz erhalten. In ihrem Jahresbericht für 2024 schlug die deutsche Expertenkommission „Forschung und Innovation“ vor, die vorherige Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung aufzulösen. Es ist schon sehr makaber, dass in diesem Bericht ausgerechnet die israelische Militäreinheit “Unit 8200” als positives Beispiel erwähnt wird; diese Einheit spielt eine sehr unrühmliche Rolle im Gaza-Krieg (wie der Guardian berichtet): mit KI konnten signifikant mehr Ziele in kürzester Zeit identifiziert werden, als dies jemals vorher möglich war. Die vielen zivilen Toten in Gaza sind ein Zeugnis für die Konsequenzen. Noch verstörender ist es, dass Vizekanzler Habeck in einem Interview mit dem Handelsblatt eben diese Einheit als Vorbild beschreibt.

Bei DESY hat das Direktorium kürzlich eine Diskussion gestartet, ob die Beschränkung der Forschung auf zivile und friedliche Zwecke noch angemessen ist oder ob militärische Forschung im Labor erlaubt sein sollte. Und es wird in einem Rundbrief an die Beschäftigten weiter erläutert, dass es darum geht, ob Forschung auch “für Zwecke im Rahmen der Sicherheit, Wehrhaftigkeit und Verteidigungsbereitschaft” genutzt werden kann. Das hört sich zunächst relativ unverfänglich an, wenn man es allerdings mit der Aufforderung des Verteidigungsministers in Verbindung bringt, dass “wir” bis 2029 kriegstüchtig sein sollen, bekommt diese Neuausrichtung eine ganz andere Bedeutung.

Bei DESY regt sich massiver Widerstand gegen diese Bestrebungen, auch weil DESY als Institut der Grundlagenforschung eine Beispielfunktion zukommt: DESY war mit Wissenschaftsdiplomatie und internationalen Kooperationen das Paradebeispiel für die friedensstiftende Rolle der Wissenschaft; selbst in den Hochzeiten des Kalten Krieges wurde in gemeinsamen Kooperationen mit der damaligen Sowjetunion, Polen und der DDR an wissenschaftlichen Fragen von grundlegender Bedeutung geforscht.

Wir brauchen eine Zeitenwende !

In der Tat ist eine Zeitenwende notwendig. Die bisherige Politik der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung ist verfehlt und höchst gefährlich, sie führt uns direkt in den nächsten Krieg. Es ist schon etwas Neues daran, wenn eine grüne Aussenministerin ohne Bauchschmerzen die “geplante Stationierung weitreichender US-amerikanischer Raketen in Deutschland gegen Kritik verteidigt”.

Wir brauchen tatsächlich eine Änderung der Politik, wir müssen weg von immer mehr Aufrüstung, schon heute verschlingt das Militär einen zu grossen Anteil im Haushalt.

In der Diskussion um die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland in den 1980er Jahren wurde das Konzept der sozialen Verteidigung, des gewaltfreien Widerstandes wieder aufgegriffen und weiterentwickelt1. Selbst im Ukraine-Krieg wurde dieses Konzept erfolgreich angewendet, wie der Bericht “Ukrainian Nonviolent Civil Resistance in the Face of War sehr überzeugend darstellt. Gewaltfreier ziviler Widerstand als Form der Verteidigung ist die einzige Alternative zu Aufrüstung, Krieg und Militär.

Zugegeben, das ist nicht einfach und erfordert Vorbereitung. Die jungen Menschen der “Letzten Generation” machen uns vor, dass gewaltfreier Widerstand etwas bewirken kann. Anstatt sie als Kriminelle zu verteufeln, sollten wir ihnen eher Achtung und Respekt für ihren Einsatz entgegenbringen. Kriminell ist, wer einen Krieg vorbereitet und kriminell ist, wenn die Chefdiplomat*innen nach Waffen rufen, denn dann sind sie eine gefährliche Fehlbesetzung.

Forschung und Wissenschaft kann einen grossen Beitrag zum Erhalt von Frieden leisten: Nicht dadurch, dass man Militärforschung betreibt, sich neue, noch brutalere Waffensysteme ausdenkt, um mit KI das Töten noch effizienter zu machen und mehr Ziele in kürzester Zeit zerstören zu können, als es je von Menschen erreicht werden konnte; nicht dadurch, dass man sich auf Feindbilder einlässt, dass Friedensforschungsinstitute plötzlich Waffenlieferungen befürworten, und ihren Anspruch nach “Frieden” militärisch interpretieren. Stattdessen kann Wissenschaft einen grossen Beitrag leisten, indem internationale Kooperationen fortbestehen und ausgebaut werden, indem neue Kooperationen gegründet werden, indem sich alle am Ausbau von Schulen und Universitäten beteiligen, um allen Menschen, auch vor allem in Gebieten, die von Krieg und Zerstörung betroffen sind, wieder Hoffnung zu geben Und indem wissenschaftliche Einrichtungen und Schulen als Einrichtungen gesehen werden, wo friedliches Zusammenleben studiert und praktiziert wird, wo man sich gegenseitig schätzt und fordert und wo man die Narrative der anderen verstehen lernt.

In der Vergangenheit hat die Wissenschaft zu oft und zu sehr eine falsche und kriegerische Politik unterstützt. Wir brauchen keine Verknüpfung von ziviler mit militärischer Forschung. Wir brauchen eine Wissenschaft, die sich eindeutig dem Frieden verpflichtet fühlt, die Forschung zu friedlichen Zwecken betreibt, die einen Beitrag leistet, die grossen Menschheitsprobleme zu lösen (anstatt sie zu verschärfen). Wir brauchen Wissenschaften, die Feindbildern entgegen treten, die Brücken bauen und wir brauchen Wissenschaftler, die sich über alle Grenzen hinweg die Hände reichen und für eine gemeinsame und friedliche Welt eintreten.

Anmerkungen

1 Paradoxerweise steht in dem Wikipediabeitrag vom 13. März 2023: “Politische Relevanz erreichte das Konzept durch seine Rezeption in der Partei Die Grünen, in deren Partei- und Wahlprogramme es zeitweilig aufgenommen wurde.” Dies ist nun wohl endgültig vorbei.

Wir verweisen auf einen weiteren Beitrag des Autors zur umkämpften Zivilklausel am DESY unter: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/zeitenwende-a-la-olaf-scholz-schleichende-aufruestung.