IMI-Analyse 2024/30 - in: AUSDRUCK (Juni 2024)
Soldat*innen und Polizist*innen in rechten Netzwerken
Geteilte Erlebniswelten – gemeinsame Radikalisierung?
von: Luca Heyer | Veröffentlicht am: 3. Juli 2024
Aktuell stehen mehrere Personen in Stuttgart, Frankfurt und München vor Gericht, die der sogenannten „Patriotischen Union“ zugeordnet werden, einer Gruppe von Reichsbürger*innen um den mutmaßlichen Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß, die allem Anschein nach den Umsturz und die Ermordung politischer Gegner*innen plante. Dem Netzwerk werden zahlreiche (Ex-)Soldat*innen und (Ex-)Polizist*innen zugeordnet.
Doch springen wir zwei Jahre zurück. Anfang Juni 2022 im baden-württembergischen Eutingen im Gäu: Mehrere rechte (Ex-)Soldat*innen der sogenannten „Patriotischen Union“ treffen sich mit anderen Soldat*innen, um diese für ihre Pläne zu gewinnen. Es geht um nichts Geringeres als den Aufbau paramilitärischer Strukturen und die Erstürmung des Reichstags. Im August folgen drei weitere Treffen in Horb am Neckar – gezielt angesprochen wurden vor allem Angehörige der Bundeswehr-Spezialeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK).[1]
Am 10. November desselben Jahres: ein weiteres geheimes Treffen mit rund 15 Personen in Norddeutschland – viele von ihnen Polizist*innen. Eingeladen hatte ebenfalls die „Patriotische Union“. Auch die Polizist*innen sollten für den militärischen Arm der rechten Gruppierung gewonnen werden.
Polizist*innen und Soldat*innen in rechten Netzwerken
Ihre Pläne konnten die Verschwörer*innen glücklicherweise nicht verwirklichen: Rund einen Monat später, am 7. Dezember 2022, geht die Polizei mit einer bundesweiten Großrazzia gegen die Gruppe um den Reichsbürger Heinrich XIII. Prinz Reuß vor und nimmt einige Personen vorläufig in Untersuchungshaft. Die Justiz ermittelt nun wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens.
Mehrere aktive und ehemalige Soldat*innen und Polizist*innen werden dem Netzwerk zugerechnet. Die meisten von ihnen radikalisierten sich während der Corona-Pandemie. Dies betrifft z.B. den Ex-Polizisten Michael F. aus Niedersachsen und die Kriminalpolizistin Ivonne G. aus Nordrhein-Westfalen. Beide fielen bei Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen auf. F. wurde im August 2020 vom Dienst suspendiert, weil er sich bei Corona-Protesten staatsfeindlich geäußert hatte. Auch der Staatsschutz-Polizist Thorsten B., zuständig für politisch motivierte Kriminalität, wird der „Patriotischen Union“ zugerechnet.[2] Der Pensionär Frank H. – ebenfalls Teil des Netzwerks – war früher beim Spezialeinsatzkommando (SEK) der niedersächsischen Polizei.[3]
Auch mehrere ehemalige und mindestens einen aktiven Soldaten rechnen die Behörden der Gruppierung zu. Der Stabsfeldwebel Andreas M. war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung aktiver Soldat beim KSK im Bereich Logistik. Ein anderer Beschuldigter, Peter W., war früher ebenfalls beim KSK. Der ehemalige Oberst im Generalstab, Maximilian E., war ebenfalls zwischenzeitlich beim KSK eingesetzt. Rüdiger von P., einer der mutmaßlichen Rädelsführer, kommandierte in der Vergangenheit das Calwer Fallschirmjägerbataillon, die Vorgängereinheit des KSK. Bereits damals stahl er mutmaßlich Waffen und wurde deshalb entlassen. Maximilian E. soll zudem versucht haben, den ehemaligen KSK-Soldaten Daniel K. zu rekrutieren. Dieser war 2019 wegen seiner Nähe zur Reichsbürger-Szene aus dem KSK geflogen.[4]
Welche Rolle spielen sie?
Insgesamt fällt auf, dass viele der Verschwörer*innen einen Dienst bei der Polizei oder der Bundeswehr durchlaufen haben. Das ist kein Einzelfall. Auch bei anderen rechtsterroristischen Gruppierungen wie Nordkreuz, Uniter oder der Gruppe S. waren Polizist*innen und Soldat*innen beteiligt.
Durch die Beteiligung von Soldat*innen und Polizist*innen werden diese rechten Netzwerke besonders gefährlich. Oft übernehmen sie in den jeweiligen Netzwerken zentrale Funktionen. Polizist*innen haben durch ihren privilegierten Informationszugang (dies betrifft u.a. den Zugang zu Polizeicomputern), oft die Aufgabe Informationen über potenzielle Opfer, häufig politische Gegner*innen, zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Dies war z.B. bei Nordkreuz, der „Patriotischen Union“ oder dem NSU 2.0 so. Es gilt auch zu bedenken, dass Polizist*innen durch ihren privilegierten Informationszugang auch von Ermittlungen oder Razzien gegen die Netzwerke selbst frühzeitig erfahren könnten und diese dadurch gewarnt sein könnten. Einen Fall, in dem dies bei einem rechten Netzwerk erwiesenermaßen so war, gab es in der jüngeren Vergangenheit jedoch nicht. Die restlichen Aufgaben, die Polizist*innen in rechten Netzwerken übernehmen, ähneln weitgehend denen von Soldat*innen: Beide Berufsgruppen sind häufig für die Beschaffung von Waffen und Munition zuständig, da beide sehr guten Zugang dazu haben. Außerdem sind Soldat*innen und Polizist*innen häufig dafür zuständig, Gruppenmitglieder ohne Vorerfahrung mit Waffen militärtaktisch auszubilden, Schießtrainings zu geben oder generell Wissen und Erfahrung weiterzugeben.
Gemeinsame Trainings
Vor allem Spezialeinheiten der Polizei und der Bundeswehr trainieren regelmäßig gemeinsam.[5] Ein Beispiel hierfür war der (bis einige Jahre nach dem Auffliegen von Nordkreuz) jährlich stattfindende Special Forces Workshop in Mecklenburg-Vorpommern. Militärische und polizeiliche Spezialeinheiten trainierten hier gemeinsam auf einem Schießplatz in Güstrow und traten miteinander in einen Wettstreit. Auf diesem Schießplatz lernten sich einige Akteure des militanten, rechten Hannibal-Netzwerks kennen und von hier wurden mutmaßlich zehntausende Schuss Munition entwendet, die einige Jahre später auf dem Grundstück des Administrators der Chatgruppe Nordkreuz bei mehreren Razzien wiedergefunden wurden.[6]
Geteilte Erlebniswelten
Dass radikal rechte Polizist*innen und Soldat*innen häufig in militanten rechten Netzwerken aufeinandertreffen, ist auch der Tatsache geschuldet, dass beide Gruppen ähnliche Lebensrealitäten und Erlebniswelten teilen. Die Institutionen Bundeswehr und Polizei zeichnen sich beide durch sehr stark ausgeprägte Hierarchien und das Prinzip von Befehl und Gehorsam aus. Und sowohl bei der Bundeswehr, als auch bei der Polizei ist das Erlernen, Perfektionieren und Ausüben von Gewalt ein nicht wegzudenkender Teil des Berufsalltags. Dadurch haben sowohl Polizist*innen als auch Soldat*innen Zugang zu Waffen und Munition und wissen diese einzusetzen. Außerdem ist davon auszugehen, dass das Verhältnis zu Gewalt ein grundsätzlich anderes ist als im Rest der Gesellschaft, da es das Privileg dieser beiden Gruppen ist, im Namen des Staates Gewalt ausüben zu dürfen. Es ist grundsätzlich von einer höheren Gewöhnung an und Bereitschaft zur Gewalt auszugehen, da diese bei Bundeswehr und Polizei alltäglich ist. Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Gefühl, selbst (trotz der Ausübung von Gewalt) zu „den Guten“ zu gehören, was auch der Soziologe und Kriminologe Rafael Behr betont: „Das Selbstbild lautet: Wir sind die Guten, wir halten die Bösen in Schach“.[7] Bei Soldat*innen ist das ähnlich. Das hängt damit zusammen, dass es für beide Berufsgruppen zum Selbstbild gehört, Deutschland gegen Feinde zu verteidigen: die Polizei gegen innere und die Bundeswehr gegen äußere Feinde. Dies wiederum führt bei beiden Institutionen zu einem zunehmend populären Selbstbild als Krieger. Auch Rafael Behr sieht die „Krieger-Männlichkeit“ als „Grundlage der Handlungsmuster in der Cop Culture“.[8] Beim Militär ist ein positiv empfundenes, männliches Krieger-Selbstbild ebenfalls weit verbreitet, was gewissermaßen in der Natur des Berufs liegt. Eine weitere Gemeinsamkeit vieler Polizist*innen und Soldat*innen ist das Gefühl, von „der Politik“ und der Mehrheitsgesellschaft im Stich gelassen zu werden, den eigenen Kopf hinzuhalten und dafür vermeintlich keine oder zu wenig Anerkennung zu bekommen, was wiederum Frust auslöst. Dies führt bei vielen Polizist*innen und Soldat*innen zu einer „Identitäts- und Sinnkrise, die sich mittels Befragungen bestätigen lässt.“[9] Der individuell empfundene Mangel an Anerkennung führt jedoch auch dazu, dass sowohl Polizist*innen als auch Soldat*innen enger zusammenrücken und einen gefährlichen Korpsgeist entwickeln. Eigenes Fehlverhalten und das Fehlverhalten von Kolleg*innen wird entschuldigt oder „übersehen“, schlimmstenfalls wird es irgendwann als vermeintlich normal empfunden. Um disziplinarrechtliche Konsequenzen oder Kritik von außen abzuwehren, werden Fehlentwicklungen geleugnet und vertuscht, vermeintliche „Nestbeschmutzer*innen“ werden ausgegrenzt und bestraft. Ob im Auslandseinsatz in Afghanistan oder in deutschen Großstädten auf Streife: man ist auf den Kameraden oder die Kollegin angewiesen – zum Teil vertraut man sich gegenseitig das eigene Leben an. Daraus folgt: Fehlverhalten zu problematisieren oder gar anzuzeigen, kann nicht nur unbequem, sondern auch gefährlich sein. Eigenes Fehlverhalten wird schlimmstenfalls unter Verweis auf das Selbstbild, zu „den Guten“ zu gehören, entschuldigt und Kritiker*innen von außen werden zur Aufrechterhaltung dieses Selbstbildes zu „den Bösen“ erklärt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass es für einen Teil der Soldat*innen und Polizist*innen nahe liegt, in der Gesellschaft „aufzuräumen“ und die Verhältnisse wieder der eigenen Realität anzupassen. So ist beispielsweise die Aussage des Ex-Soldaten Maximilian E. zu verstehen, man „sollte das KSK mal nach Berlin schicken und hier mal ordentlich aufräumen“.[10]
Zuletzt sei noch bemerkt, dass sowohl die Polizei als auch die Bundeswehr keineswegs ein Spiegelbild der Gesellschaft sind. Beide sind überwiegend weiß, deutsch und von einem männlichen Habitus geprägt. Auch was die politischen Einstellungen betrifft, sind beide Institutionen eher rechts geprägt. So sind in der Polizei z.B. muslimfeindliche, rassistische und wohnungslosenfeindliche Einstellungen deutlich weiter verbreitet als im Rest der Gesellschaft.[11]
Häufung wegen Militarisierung der Polizei
Die im vorangegangenen Absatz genannten Gemeinsamkeiten und geteilten Lebenswelten sind in den jeweiligen Institutionen grundsätzlich angelegt. Durch die zunehmende Militarisierung der Polizei wird dieser Effekt jedoch noch verstärkt: z.B. durch gemeinsame Trainings, teilweise zunehmend ähnliche Ausrüstung und eine Normalisierung von Gewalt bei der Polizei. Insofern stellt die Militarisierung der Polizei zumindest einen Baustein für eine Erklärung dar, weshalb sich Polizist*innen und Soldat*innen immer häufiger in militanten rechten Netzwerken treffen. Andere Erklärungen wie z.B. der andauernde Rechtsruck, der Aufstieg der AfD oder die Corona-Pandemie mit ihren Begleiterscheinungen dürfen dabei natürlich auch nicht vernachlässigt werden. Dennoch verstärkt auch die Militarisierung der Polizei die Einbindung von Polizist*innen in rechtsterroristische Netzwerke, an denen auch Soldat*innen beteiligt sind.
Anmerkungen
[1] Jörg Diehl, Matthias Gebauer, Roman Höfner, Sven Röbel: Wie die mutmaßlichen Rechtsterroristen weitere Soldaten und Polizisten rekrutieren wollten, spiegel.de, 8.12.2022.
[2] Ebd.
[3] Karl Doeleke, Katharina Kutsche: Mutmaßlicher Putsch. Wie die „Reichsbürger“ um Prinz Reuß in Niedersachsen den Umsturz planten, haz.de, 19.2.2024.
Frank H. war Zeuge, als sein Streifenpartner 1994 am Steintor in Hannover den 16-jährigen Kurden Halim Dener erschoss.
[4] Jörg Diehl et. al., a.a.O.
[5] Siehe auch: Artikel von Alexander Kleiß im selben Heft.
[6] Christina Schmidt, Sebastian Erb, Natalie Meinert, Daniel Schulz: Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Die Spur nach Güstrow, taz.de, 4.4.2020.
[7] Hannes Leitlein: Rassismus in der Polizei: Good Cop, bad Cop, zeit.de, 7.7.2020.
[8] Rafael Behr: Risiken und Nebenwirkungen von Gefahrengemeinschaften. Ein Beitrag der Polizeikulturforschung zur Theorie der Praxis der Polizei, in: Enke, Thomas/Steffen Kirchhof (Hrsg.): Theorie und Praxis polizeilichen Handelns. Wie viel Wissenschaft braucht die Polizei? 2012.
[9] Clemens Louis: Neueren Entwicklung im Bereich polizeilicher Kriminalitätskontrolle. Veränderung im Selbstbild und Fremdbild der Polizei.
[10] Herbert Reichgruber, Miochael Lukaschik: Umsturz geplant: Ex-Oberst Maximilian E. aus dem Bayerwald festgenommen, pnp.de, 17.9.2023.
[11] Deutsche Hochschule der Polizei: Projekt MEGAVO. Zwischenbericht 2023. Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten, bmi.bund.de, 4.4.2023.