IMI-Standpunkt 2024/005 - erschienen als Themenseite der jungen Welt am 22.02.2024

DR Kongo und der »Afrikanische Weltkrieg« ohne Ende

Ruanda befeuert Konflikt in Provinz Nordkivu. Milizen finanzieren sich durch Schmuggel von für Energiewende kritischen Rohstoffen. Der Westen schaut zu.

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 28. Februar 2024

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(Die folgenden Artikel erschienen am 22.02.2024 in gekürzter Form als Themenseite (S.3) der Tageszeitung junge Welt unter den Titeln: Das arme reiche Land (nur Print), Gefährliche Nachbarschaft und »Afrikanischer Weltkrieg« ohne Ende.)

Das arme reiche Land

Im Gegensatz zu den Sahelstaaten der nördlichen Hälfte Afrikas, ist der Kongo mit einer reichen Natur gesegnet. Der Regenwald im Kongobecken ist der weltweit zweitgrößte nach dem Amazonas und der Fluss Kongo – gemessen am Volumen – ebenso weltweit nur dem Amazonas unterlegen. Gold und Diamanten sind in der Demokratischen Republik Kongo (DRḰ) wie in vielen Ländern Afrikas zu finden, aber auch für Elektrotechnik und Energiewende wichtige seltene Erden wie Kobalt und Koltan gibt es dort wie in keinem anderen Land der Erde.

Trotzdem, oder genau deswegen, war dem Land seit Jahrzehnten kein dauernder Frieden vergönnt. Direkt nach der Unabhängigkeit unter dem antikolonialen Revolutionär Patrice Lumumba, rief die Belgien und den USA nahestehende Provinzregierung der rohstoffreichen Region Katanga die Unabhängigkeit aus. Das antikoloniale Lager unterlag in dem Konflikt wegen Verrat aus eigenen Reihen, Lumumba wurde in Zusammenarbeit mit dem belgischen Geheimdienst ermordet und Mobutu Sese Seko errichtete ab 1965 eine westlich gestützten Diktatur im in „Zaire“ umbenannten Kongo. Während sich das Land zum Milleniumswechsel in eine formelle Demokratie verwandelte, und kritische Rohstoffe vom Uran für das Atomprogramm der USA damals zu seltenen Erden heute wechselten, änderte sich wenig an der Gewalt und der Armut unter der die Menschen dort leben.

Das für Batterien von Handys bis E-Autos essentielle Kobalt ist das zweitgrößte Exportprodukt der DRK nach Kupfer. Wohl rund 90% der weltweiten zugängliche Reserven sollen in der südöstlichen Provinz Katanga lagern. Die DRK kam in den letzten Jahren über rund 70% der weltweiten Exporte des Minerals. Ein weiteres für die Elektrotechnik wichtiges Erz ist Koltan, aus dem hauptsächlich in Asien das Mineral Tantalum gewonnen wird. Der Kongo hält rund 80% der weltweiten Reserven, die größtenteils in der östlichen Provinz Nordkivu lagern, und kommt zurzeit für rund 60% der weltweiten Produktion auf. Nach der DRK und Brasilien ist das Nachbarland der DRK, Ruanda, der drittgrößte Exporteur, wobei die UN nachwies und allgemein bekannt ist, dass es diese Stelle auch durch die Ausbeutung und Schmuggel der Vorkommen in der Provinz Nord-Kivu im Osten der DRK einnimmt. Das Mineral wird meist unter Zwang und gesundheitsschädlichen Bedingungen durch Handarbeit zu einem Lohn von rund einem Euro am Tag abgebaut.

Gefährliche Nachbarschaft

Die Lage im Ostkongo bleibt kritisch. Über 100.000 Menschen sind aus der mittlerweile eingenommenen Stadt Sake in die Hauptstadt der Provinz Nordkivu, Goma, geflohen, deren Zufahrtswege mittlerweile auch alle durch die Rebellengruppe M23 kontrolliert und blockiert sind, die berüchtigt für ihre Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, Massaker und Vergewaltigungen, sowie die Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten ist. In der an Ruanda angrenzenden Region gibt es große Gold- und Koltan Vorkommen, mit deren Schmuggel sich die über 100 bewaffneten Gruppen finanzieren.

Nachdem die Vereinten Nationen (UN) Ruanda und Uganda schon mehrfach beschuldigten, den Bürgerkrieg im Osten des Kongos zu befeuern und durch Rohstoffraub an ihm zu profitieren, wurden die USA, eigentlich ein Verbündeter Ruandas, am Samstag, 17. Februar, explizit wie nie zuvor, verurteilten Ruandas Unterstützung der gegen die kongolesische Regierung rebellierenden Gruppe M-23 und forderte es auf, unverzüglich alle Soldaten sowie seine Luftabwehrsysteme aus dem Kongo abzuziehen. Diese bedrohten Zivilisten, UN-Mitarbeiter und andere internationale Sicherheitskräfte. Letzte Woche filmte eine Aufklärungsdrohne der UN-Mission ein solches System, von welchem sie angegriffen, aber nicht getroffen wurde. Ruanda lehnte die Aufforderung der USA, abzuziehen, ab und wurde damit implizit selbst explizit wie nie zuvor.

Bisher kamen aus der Hauptstadt Kigali nur Dementis, was die M23 angeht: Man habe keinen Einfluss auf die Gruppe. Nun scheint die Regierung Paul Kagames sogar eigene Truppen im Kongo nicht bestreiten, sondern legitimieren zu wollen. Sie verteidigten ruandisches Territorium im Angesicht der „dramatischen Militärmassierung“ des Kongos im Osten. Die nationale Sicherheit würde durch eine bewaffnete Gruppe bedroht, „die vollständig in die kongolesische Armee integriert sei,“ wobei es sich selbstverständlich um die Hutu-Miliz Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) handelt, die Ruanda regelmäßig als vom Kongo kommende Bedrohung bezeichnet. Dass nun jedoch ausgerechnet die in die staatlichen Streitkräfte integrierten FDLR-Kämpfer als Bedrohung genannt werden, ist schon eine gewisse Eskalation und Konfrontation. Zumal der Kongo entschieden gegen Militärs vorgeht, die an der Seite der FDLR oder zu ihren Gunsten handeln. Erst am 30. Dezember 2023 wurde sogar ein Verfahren gegen einen General, Bruno Mpezo Mbele, für ein solches Vergehen eingeleitet, wie einem Post der Streitkräfte auf X zu entnehmen ist.

Was die USA nun bewog, den strengeren Ton gegenüber Ruanda anzuschlagen, kann man spekulieren. Einerseits hat Ruanda die völkerrechtliche Etikette mit der Entsendung eigener Truppen und besonders schweren Geräts eindeutig überschritten. Zu dem mindestens einen Flugabwehrsystem auf kongolesischen Boden kommt eine Drohne, die am Samstag auf dem internationalen Flughafen in Goma einschlug, einen Kampfjet zwar verfehlte jedoch zivile Flugzeuge zerstörte, und laut kongolesischer Armee von ruandischem Boden gestartet sein soll.

Andererseits könnten auch die Proteste der Kongelesen vor der französischen und englischen Botschaft in Kinshasa sowie vor dem dortigen UN-Büro einen gewissen Handlungsdruck bzw. Druck, sich zu distanzieren, geschaffen haben. Immerhin zeigten, im Gegensatz zu ähnlichen Demonstrationen in anderen afrikanischen Ländern, keine Finger auf Russland wegen angeblicher Desinformation. Die Regierung ließ die Demonstranten, im Gegensatz zu den Aktionen der Opposition wegen der letzten Wahlen im Dezember, gewähren, wohl in der Hoffnung, dass genau das passiere: dass westliche Länder ihren Augenmerk auf die Krise im östlichen Kongo richten und Druck auf Ruanda ausüben.

Denn, wie Kristof Titeca, Professor für internationale Entwicklung der Universität Antwerpen in The Conversation, schreibt, ist es „bemerkenswert, wie still die internationale Gemeinschaft gegenüber Ruanda bleibt“, obwohl die Unterstützung Kigalis für die, schlimmen Menschenrechtsverletzungen bezichtigte M23 seit langem bekannt und durch die UN dokumentiert ist. Erst im Dezember 2022 bekam Ruanda 20 Millionen Euro für einen Militäreinsatz in Mosambik, der letztendlich die Ölquellen des französischen Totalkonzerns dort schützen soll.

Doch Proteste gegen die M23, Ruanda und die westliche Unterstützung, zeigen nicht immer gangbare Alternativen auf. So bewirkten Demonstrationen gegen die Stabilisierungsmission der UN im Kongo (MONUSCO), dass der kongolesische Präsident Felix Tshisekedi die UN im letzten Jahr aufforderte, die Mission nach 25 Jahren Dienst bis April 2024 abzuziehen. Die Demonstrierenden beklagten ähnlich wie in Mali, dass die MONUSCO Zivilisten nicht ausreichend schütze und zahnlos sei. Das Hashtag #MONUSELESS trendete. Doch die MONUSCO verfügt über ein robusteres Mandat als die MINUSMA in Mali und half mehrfach das Vorrücken der M23 zu verhindern.

Nun soll eine andere internationale Eingreiftruppe es besser machen. Im Rahmen einer Mission der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) kommen seit Dezember 2023 Truppen aus Südafrika, Malawi und Tanzania in der östlichen Gegend Nord-Kivu an, um dort die M23 zu bekämpfen. Eine andere Mission der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), der neben der DRC auch Ruanda angehört, wurde im Dezember von Kinshasa beendet, weil ihr defensives Mandat der DRC nicht helfe. Kurz nachdem Südafrika letzte Woche ankündigte 2900 weitere Soldaten in die SADC-Mission zu senden, hatte es die ersten zwei Gefallenen zu beklagen – sehr schnell für einen solchen Einsatz. Derweil beschwerte sich Ruandas Außenminister in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat. Dass die MONUSCO nun an der Seite der SADC-Mission offensiver zu Kämpfen plane, könnte den Konflikt eskalieren. Die DRC wolle den Konflikt liebe militärisch statt diplomatisch lösen. Doch ein Treffen im Rahmen des von Angola geleiteten Friedensprozess von Luanda während dem jährlichen Gipfel der Afrikanischen Union am vergangenen Wochenende in Addis Abeba blieb erfolglos, genauso wie eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats am 20. Februar.

Postkoloniale Konflikte: europäisch definierte Ethnien ohne Grenzen
( Erschienen als »Afrikanischer Weltkrieg« ohne Ende.)

Schon seit den 1990er Jahren kommt der Osten des Kongo kaum mehr zur Ruhe. Im angrenzenden Ruanda hatten zuerst die deutschen und, nach dem ersten Weltkrieg, die belgischen Kolonialherren die dort herrschende Elite anhand phänotypischer, hauptsächlich jedoch materieller Marker (mehr als zehn Rinder im Besitz) zur Ethnie der Tutsi kategorisiert und dieser, in guter Teile-und-herrsche-Manier, ein „afrikanisches Herrenmenschentum“ zugeschrieben.

Nach der Unabhängigkeit übernahmen jedoch die über 90% der Bevölkerung ausmachenden Hutu die Macht, unterdrückten die Tutsi und verübten 1994 einen Völkermord an ihnen. Die vom heutigen Präsidenten Ruandas, Paul Kagame, angeführte Ruandische Patriotische Front (RPF) der Tutsi eroberte das Land von Uganda aus zurück und viele Hutu und besonders die Vertreter der genozidalen Regimes und der paramilitärischen „Interhamwe“ flüchteten in den Kongo, wo sie sich mit lokalen Hutu-Milizen verbündeten, lokale Tutsi-Dörfer terrorisierten und eine Rückeroberung Ruandas planten.

Doch das kleine Ruanda und Uganda kamen diesen zuvor, rüsteten Tutsi-Milizen im Kongo auf und griffen zumindest im Falle Ruandas auch mit eigenen Truppen ein. Dem ersten Kongokrieg von 1995 bis ‘97, bei dem Diktator Mobotu fiel, folgte der zweite von 1998 bis 2003, der auch als Afrikanischer Weltkrieg bezeichnet wird. Denn, nachdem der mit Ruandas und Ugandas Unterstützung übernehmende Präsident, Laurent-Désiré Kabila, dem Druck der Bevölkerung nachgeben musste und Tutsi, Ugander und Ruander langsam aus seiner Regierung zurückdrängte, wandten sich diese wiederum gegen ihn und unterstützten zusammen mit Burundi eine weiter Tutsi-Rebellengruppe, den Kongolesischen Zusammenschluss Demokratischer Kräfte (RCD), während Kabila jedoch weiterhin von Angola, dem Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und anderen afrikanischen Ländern unterstützt wurde.

Von den östlichen Städten Goma und Bukavu ausgehend eroberten die Milizen bzw. aus Tutsi und kongolesischen Banyamulenge (einer „Ethnie“, die die Sprache spricht, die in Ruanda Tutsi wie Hutu sprechen) bestehende, abtrünnige Militäreinheiten große Gebiete, bis die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (SADC) eine Einmischung an Seiten Kabilas beschloss und besonders angolanische Soldaten die Rebellen in den Osten zurückdrängten. Auf Seiten der Regierung und der Rebellen kämpften bald mehr Soldaten anderer Nationen als Kongolesen. Eine Aufsplitterung des RCD, das Aufkommen neuer Rebellengruppen und das Auseinanderdriften ugandischer und ruandischer Interessen führten letztlich zum von Südafrika vermittelten Frieden von Pretoria.

Dieser galt jedoch nicht für die östlichste Provinz der DRK, Kivu, wo die aus Tutsi bestehende Rebellenorganisation Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) bis in die letzte Dekade Regierungstruppen bekämpfte, die sie bezichtigt, nichts gegen die aus geflohenen ruandischen Hutu bestehende Rebellengruppe Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) zu tun oder sogar mit diesen zusammen zu arbeiten. Die mittlerweile von UN-Truppen unterstützten Regierungstruppen verbündeten sich tatsächlich kurz mit dem CNDP gegen die FDLR, woraufhin Teile des CNDP am 23. März 2012 in die Armee integriert wurden – und dort vielleicht Seite an Seite mit vorher integrierten FDLR-Teilen kämpften. Die Bewegung 23. März, bekannt als M23, sind die übrig gebliebenen Teile des CNDP, die unterstützt durch Ruanda weiterhin die Zentralregierung bekämpfen und die noch im Kongo verbliebenen, vorgeblich am Genozid beteiligten Hutu-Kämpfer zurück nach Ruanda drängen möchte.

Obwohl es keine gesichterten Zahlen gibt, kommt eine Schätzung des International Rescue Committees von 2008 auf rund 5,4 Millionen Tote durch den Krieg und die daraus folgende humanitäre Katastrophe, was ihn zum tödlichsten seit dem Zweiten Weltkrieg machen würde. Eine Waldfläche so groß wie Belgien sei dabei zerstört worden.