IMI-Standpunkt 2023/048 - in: junge Welt 6.12.2023
Unabhängig und integriert
Mali, Burkina Faso und Niger entwerfen Konföderation, »G5 Sahel« löst sich auf.
von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 6. Dezember 2023
(Dieser Standpunkt ist die ungekürzte Fassung eines Artikels der heute unter dem selben Titel in der Tageszeitung junge Welt erschien.)
Die Außenminister der drei Staaten trafen sich Ende letzter Woche in Malis Hauptstadt Bamako und verabschiedeten ein Communiqué, in dem sie ihren Staatsoberhäuptern empfehlen, ihre Länder in einer Konföderation zu verbinden, um das „große Potential für Frieden, Stabilität, diplomatische Stärke und wirtschaftlicher Entwicklung“ zu nutzen, „das eine verstärktes politisches Bündnis bietet.“ Langfristig strebten die Minister an, die drei Länder in einer Föderation zu vereinen. Eine Woche zuvor hatten sich schon die Wirtschafts- und Finanzminister der Länder getroffen und einen gemeinsame Stabilitätsfonds, eine Investmentbank und weitere Anstrengungen im Richtung einer wirtschaftlichen und monetären Einheit empfohlen.1
Mit der Ende August verkündeten Verteidigungsunion Allianz der Sahelstaaten (AES) rückten die drei seit Putschen in den letzten Jahren durch Militärs regierten Länder schon enger zusammen. Damals stand eine Militärintervention der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft im Niger im Raum, die den dortigen Putsch vom Juli 2023 rückgängig machen und den damals abgesetzten, demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum wieder einsetzen sollte. Doch die auch unter dem englischen Kürzel ECOWAS bekannten Regionalorganisation sah letztendlich von der Intervention ab. Neben dem Verteidigungsbündnis, das die geplante Operation zu einem regionalen Krieg eskalieren hätte können, spielte die Ablehnung der Bevölkerung und Senatoren in den an den Niger grenzenden Provinzen Nigerias und eine starke Ablehnung Algeriens, ebenfalls ein Nachbarland des Nigers und größte Militärmacht des Kontinents, eine Rolle. Algerien hatte damals auch verkündet, eine Überflugsanfrage Frankreichs abgelehnt zu haben. Frankreich dementierte damals, den Plan gehabt zu haben, sich selbst an der Intervention zu beteiligen. Jedoch hatte es, wie auch andere europäische Spitzenpolitiker*innen, der ECOWAS materielle und finanzielle Unterstützung für die Intervention zugesagt.
Frankreich, das als ehemalige Kolonialmacht der drei Länder historisch – oft auch durch Putsche gegen unliebsame Regierungen – einen großen Einfluss auf diese ausübte, sah seine Interessen wie den exklusiven Zugang auf das nigrische Uran bedroht. Zudem hatte der Niger, wie zuvor auch schon die Übergangregierungen der beiden anderen Staaten, die Militärkooperation mit Frankreich beendet. Seit der Gründung der G5-Sahelgruppe konnten sich die Truppen der französischen Antiterrormission Operation Barkhane frei im Bündnisgebiet bewegen, wozu neben den drei Ländern der heutigen Allianz der Sahelstaaten auch Mauretanien und der Tschad gehörten. Mali ist schon länger kein Teil mehr der G5 und am Samstag, 2. Dezember 2023 verkündeten nun auch Burkina Faso und der Niger den Austritt aus der Organisation „die Schwierigkeiten habe, ihre Ziele zu erreichen.“ Diese würden durch „Belastungen aus einem anderen Zeitalter konterkariert“ und „ausländischen Interessen auf Kosten der Interessen der Völker der Sahelzone“ dienen.2
Von den neuesten Plänen hat zumindest die Verlautbarung, sich auf eine monetäre Einheit hinzubewegen, das Potential, Frankreich weiter zu verärgern. Denn alle drei Länder sind schon Teil der Zentralbank der Westafrikanischen Staaten (BCEAO), einer Währungsunion der außer Guinea alle ehemaligen französische Kolonien in der ECOWAS angehören und deren Währung, der Westafrikanische Franc, seit der Kolonialzeit an den Franc und dann den Euro gebunden ist. Bis Mai 2020 mussten die Mitgliedsländer die Hälfte ihrer Reserven in der französischen Zentralbank einlagern, womit diese Geld erwirtschaftete, und französische Offizielle hatten ein Vetorecht bei Entscheidung der BCEAO.
Als Provokation an die ganze EU kann zudem auch die Entscheidung des Übergangspräsidenten des Nigers gelten, der am 28. November per Dekret ein Gesetz außer Kraft setzte, dass den Transport und die Beherbergung und Bewirtung von undokumentierten Migranten mit schweren Strafen sanktionierte. Das Gesetz war sehr unbeliebt in dem Wüstenland, wo traditionell viele Bewohner vom Transport von Waren und Menschen durch die Wüste leben. Doch die EU hatte zu dem Anti-Schleusergesetz gedrängt und, damit verbunden, die nigrischen Grenzschutzbehörden finanziell und materiell unterstützt. Nebenbei brach das Gesetz auch mit dem Recht auf Freizügigkeit im ECOWAS-Gebiet und ließ die Zahl der im Niger verunglückten Migranten auf das Achtfache steigen.3
Fünf Tage bevor Tchiani das Gesetz außer Kraft setzte, verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, in der Sanktionen von Seiten der EU gefordert werden. Dies ist wahrscheinlich eine Racheaktion, denn der Niger, eines der fünf ärmsten Länder der Welt, hat Zahlungsschwierigkeiten und leidet extrem unter den Sanktionen der ECOWAS. Hilfslieferungen internationaler Organisationen kommen nicht ins Land. Es fehlt an Strom, da Nigeria diesen abgestellt hat. Ob die Nachbarn das richten können, während die EU ihre unmenschliche Machtpolitik durchzieht?
Anmerkungen:
1 Déclaration issue de la première réunion des Ministres des Affaires étrangères de l’AES. malijet.com 01.12.2023
2 Le Burkina Faso et le Niger quittent la force antijihadiste G5 Sahel. france24.com 02.12.2021
3 Siehe auch: IMI-Standpunkt 2023/044: Blüten des Eurozentrismus. Nigers Junta kippt von der EU erkauftes Schleusergesetz. 29. November 2023