IMI-Standpunkt 2023/038
Drohnenforschung und Drohnenkrieg
Beitrag zum Science Slam „Technologies 4 Peace“ am 20.10.2023 in der Frauenkirche Dresden
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 23. Oktober 2023
Wir wurden gebeten, uns am Science Slam „Technologies 4 Peace“ in der Frauenkirche Dresden zu beteiligen, um auch auf Gefahren hinzuweisen, die von Technologien für den Frieden ausgehen können. Dem kamen wir gerne mit einem Beitrag nach, den wir im folgenden dokumentieren.
Der Titel meines Beitrages lautet: Drohnenforschung und Drohnenkrieg.
Das wird nicht lustig, stellt Euch schon einmal darauf ein.
Ich möchte damit anfangen, wie ich als Sozialwissenschaftler eigentlich dazu kam, mich mit Drohnen zu beschäftigen.
Schon 2006 war die illegalisierte Migration über das Mittelmeer ein Jahre altes Thema.
Seit dem wurden unglaubliche technische „Fortschritte“ gemacht,
Am Sterben im Mittelmeer aber hat sich nichts geändert.
Ich recherchierte damals für meine Magisterarbeit auf Lampedusa, Sizilien und dem italienischen Festland zu dieser illegalisierten Migration. Natürlich konnte ich dabei nur mit Überlebenden sprechen, Menschen, die den Wunsch nach einem besseren Leben nicht mit diesem, ihrem Leben bezahlt haben.
Erst später, da hatte ich schon meinen akademischen Titel und die Befragten schon wieder aus den Augen verloren, verstand ich überhaupt, warum mein Thema – Lampedusa, eine kleine Insel zwischen Italien und dem afrikanischen Kontinent – überhaupt mein Thema geworden war.
Der Grund war u.a. eine technische Angelegenheit. Die Installation eines multisensoriellen Systems mit der Abkürzung SIVE entlang der spanischen Küste.
Mit Radar, Wärmebild und anderen Kameras, in Echtzeit vernetzt mit Lagezentren der Guardia Civil, war die Überfahrt zwischen Marokko und Spanien schwierig geworden und verlagerte sich zunehmend nach Libyen und Lampedusa.
Und noch etwas geschah 2006. Die „Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ – bewusst martialisch FRONTEX abgekürzt – nahm langsam ihre Tätigkeit auf.
Das war dann auch meine erste Lohnarbeit als Sozialwissenschaftler, FRONTEX zu beforschen. Ich fokussierte mich dabei schnell auf die Rolle von FRONTEX als technologiepolitischen Akteur.
Frontex war und hat sich schnell eingebunden in ein Netzwerk aus Rüstungsunternehmen, mir bis dato unbekannten EU-Institutionen, nationalen Sicherheitsbehörden und Forschungsprogrammen.
Und da ging es sehr viel um Drohnen, insbesondere unbemenschte Luftfahrzeuge –
Unmanned Aerial Vehicles. Unmanned Aerial Systems, UAV, UAS.
Das war damals ziemlich neu. Ziemlich neue Abkürzungen waren das.
Natürlich gab es schon ferngesteuerte Hobbyflugzeuge und Raketen mit Suchkopf.
Doch plötzlich fräst sich das Thema UAV/UAS durch die Institute, Forschungsanträge und Drittmittelprojekte. Da ging es viel um sehr kleine Flugzeuge, oft mit vier oder acht Rotoren. Das waren umgangssprachlich „Drohnen“
Umgangssprachlich „Drohnen“ waren auch die großen Dinger, die damals über Pakistan, Afghanistan, Somalia oder Jemen geflogen sind und dort Terroristen oder Hochzeitsgesellschaften liquidiert haben.
Was hat beides eigentlich miteinander zu tun?
Mit den kleinen Drohnen kann man tolle Aufnahmen machen, und Gebiete überblicken, die landwirtschaftlich genutzt, von einer Katastrophe heimgesucht oder politisch umkämpft sind.
Man kann damit in entlegenen Gebieten Menschen in Notlage finden, Rehkitze vor Mähmaschinen retten, Unfälle dokumentieren und Verbrecher*innen verfolgen – und jetzt auch Zieldaten an die Artillerie senden. Man kann damit und macht damit auch Werbung und Propaganda.
Mit den größeren Drohnen kann man ähnliche Dinge machen, mit einer größeren Reichweite. Oder man kann sie als Trägersysteme für Marschflugkörper verwenden. In der Ukraine setzt man sie auch als Kamikaze-Drohnen ein, als bessere Marschflugkörper. Beide Seiten tun dies, täglich.
Warum aber waren unbemennschte mobile Systeme vor gut fünfzehn Jahren plötzlich so ein Renner?
Da gab es auf der einen Seite Frontex und das Netzwerk drumherrum. Früher hätte man das militärisch-industrieller Komplex genannt.
Da gab es aber auf der anderen Seite richtig spannenden Fragen.
Und einen riesigen Bedarf an Informatiker*innen, Ingenier*innen und so weiter. Und es gab viel Geld, neue Studiengänge, Institute und Cluste und viel Zusammenarbeit mit der Industrie.
Und da gab es eben auch spannende Fragestellungen:
– wie kann ich einem Quadrokopter beibringen, allein zu landen?
– wie kann ich einem Oktokopter beibringen, allein auf einem fahrenden Fahrzeug zu landen?
– wie kann ich einem Quadrokopter beibringen, mir zu folgen?
– wie kann ich einem Quadrokopter beibringen, anderen zu folgen?
– wie kann ich einem Quadrokopter beibringen, mir zu folgen und dabei anderen Objekten auszuweichen?
– wie kann ich einem Quadrokopter beibringen, Feuer in einem Waldgebiet zu klassifizieren?
– wie kann ich einem Oktokopter beibringen, ein Rehkitz zu erkennen und die Mähmaschine rechtzeitig zu stoppen?
– welche Sensoren mit welchem Gewicht kann ein Quadrokopter wie lange tragen und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus?
Das sind verdammt spannende Fragen. Das sind Fragen, zu denen Hunderte, vermutlich Tausende in Deutschland in den letzten zehn Jahren ihre Abschlussarbeit geschrieben haben. Wie einst die Ratten im Labyrinth, wurden Drohnen zum Paradigma für alle möglichen mathematisch-informationstechnischen Fragestellungen.
Ein gutes Dutzend Menschen hat im gleichen Zeitraum dazu geforscht, wie man diese Fragen verfolgen kann, ohne militärisch verwertbar zu werden: wie kann ich einem Oktokopter beibringen, niemals andere zu töten? Ab wann ist die Übertragung von Zieldaten eine Tötungsentscheidung, was weis das eine System über das andere und was können wir wissen?
Jetzt, 2023, sind wir in einem Abnutzungskrieg angekommen – führende westliche Thinktanks sagen das so ganz klar. Am Rande des Klima-Kollapses werden Unmengen an Menschen, Artilleriemunition und Drohnen in die Schlacht geworfen. Nicht die Frühjahrsoffensive, die aktuelle Gegenoffensive oder irgendeine andere Offensive wird den Sieg der einen Seite über die andere bringen. Der Abnutzungskrieg entscheidet sich dadurch, dass einer Seite die Menschen ausgehen oder das Material.
Drohnen haben ihren Nimbus als unangreifbare High-Tech-Waffe verloren. Sie sind ein Abnutzungsgegenstand geworden – möglichst billig, aus möglichst einfachen Bauteilen für die einmalige Verwendung. „Fliegende Rasenmäher“ nennt man die iranischen Shahed-Drohnen spöttisch in der Ukraine. Terror verbreiten sie trotzdem.
Zehntausend jeden Monat – der älteste Militär-Thinktank der Welt, das angesehene britische Royal United Services Institute, schätzt alleine die Verluste ukrainischer Drohnen auf 10.000 im Monat. Das ist kein Schreibfehler, das ist realistisch.
„Natürlich verdienen wir am Krieg“ – mit diesen Worten zitiert das ZDF den Gründer des Startups Quantum Systems aus München. Trotzdem sieht man sich dort nicht als Teil der Rüstungsindustrie. Eigentlich wollte man Drohnen für zivile Anwendungen bauen. Dann überfiel Russland die Ukraine und der ukrainischen Konsul in München fädelte die privat finanzierte Lieferung von Drohnen an die ukrainische Armee ein. Mittlerweile kauften auch das US-Militär und die Bundeswehr Drohnen von Quantum Systems.
Das Unternehmen ist kein Einzelfall, das ist der Lauf der Dinge.
Im Januar schrieb das Unternehmen in einer Pressemitteilung:
„Being able to further equip Vector with combat proven features and capabilities … is crucial for us as a manufacturer and the operators of our systems, from which all of our Vector customers will profit.“ „Alle unsere Kunden werden profitieren“, von den Erfahrungen, die man im Krieg gemacht hat – und macht.
Russische Drohnen terrorisieren die Bevölkerung im Westen der Ukraine, ukrainische Drohnen fliegen bis nach Moskau. Von beiden Seiten der Front gibt es Berichte, wie die Drohnen auch die Soldat*innen in ihren Schützengräben terrorisieren:
Wenn eine Drohne, vielleicht auch nur ein handelsübliches Modell, über den Soldaten auftaucht, dann wissen sie, dass wahrscheinlich gleich die feindliche Artillerie losschlägt – dass man vielleicht gleich in Stücke geschossen wird. Und die Bilder der Drohne werden dann als Teil der Propaganda ins Internet gestellt, um den Terror zu dokumentieren, den sie auslösen.
10.000 Drohnen, die nur eine Konfliktpartei pro Monat verliert – es ist klar, dass diese nicht alle einzeln gesteuert werden. Jeden Tag werden Fortschritte in Sachen Autonomie und Schwarmverhalten gemacht – und sofort auf dem Schlachtfeld erprobt.
Und deshalb macht es mir Angst, dass z.B. nur vier Kilometer von meinem Wohnort entfernt, am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme – wie an vielen vielen anderen Orten in Deutschland solche Forschung stattfindet: Schwarmverhalten von Microdrohnen mit Maschinellem Lernen und Personenerkennung.
Lapidar heißt es in der Einleitung zum Forschungsinteresse: „Multicamera tracking of humans and animals in outdoor environments is a relevant and challanging problem“. Das ist mir zu lapidar, zu desinteressiert an den militärischen Potentialen, an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen diese Forschung stattfindet.
Und deshalb weis ich nicht – ich weis es wirklich nicht – ob es reicht oder was man anderes machen könnte, als an die Verantwortung der Forschenden zu appellieren, wie es einst Wolfgang Borchert getan hat:
Vielleicht sollten wir mehr tun.
PS: Kommendes Wochenende, am 28./29. Oktober 2023 findet in Kassel ein Kongress zu Zivilklauseln statt – Selbstverpflichtungen, welche Universitäten und Forschungseinrichtungen auf friedliche Ziele beschränken (https://zivilklausel-kongress.dfg-vk.de/).