IMI-Standpunkt 2023/028
Erste Einschätzungen zum Putsch in Niamey
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 27. Juli 2023
Nachdem die Lage in Niamey am Mittwoch, den 26. Juni 2023, lange unklar war, scheint sich am folgenden Donnerstag zu bestätigen, dass dort ein erfolgreicher Putsch stattgefunden hat. Ersten Berichten zufolge war es ausgerechnet die Präsidentgarde, welche am Mittwoch den amtierenden Präsidenten Mohamed Bazoum arettiert und die Zugänge zu zentralen Regierungsgebäuden in der Nachbarschaft blockiert hatte. Dieser allerdings konnte den Tag über noch mit der Öffentlichkeit kommunizieren und hat offenbar noch gegen Abend mit dem US-Außenminister Blinken telefoniert, der daraufhin öffentlich den Putschversuch verurteilt hat. Zwischenzeitlich waren weitere Teile des Militärs ins Regierungsviertel gezogen und hatte Bazoum angekündigt, diese wären bereit, die Präsidentengarde anzugreifen. Doch dann kam es offenbar anders. Am Abend verkündeten zehn Militärs um den Oberst Amadou Abdramane die Machtübernahme durch den „Nationalen Rat für die Rettung des Vaterlandes“ (Conseil national de sauvegarde de la patrie, CNSP). Am folgenden Vormittag stellten sich in einer getrennten Erklärung führende Figuren aus anderen Teilen der Streitkräfte hinter die Putschisten. Bereits die internationalen Stellungnahmen über Nacht hatten zuvor angedeutet, dass der Putsch wohl erfolgreich war. Auch die von den Putschisten angeordnete Sperrung des Luftraums scheint umgesetzt und international geachtet zu werden. Dies bestätigte wohl auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam.
Die Bundeswehr unterhält gemeinsam mit Frankreich ein Luftdrehkreuz auf dem Flughafen in Niamey. Außerdem hat sie Ende April das Mandat erhalten, sich mit bis zu 60 Kräften an der EU Military Partnership Mission in Niger (EUMPM Niger) zu beteiligen, ist in diesem Rahmen aber bislang wohl nur mit drei Stabsoffizieren vor Ort. Insgesamt war für die EUMPM ein Umfang von etwa 120 ständig vor Ort stationierten Kräften anvisiert, hinzu kommen sollten kurzfristige Kontingente für einzelne Ausbildungsgänge und Aufgaben. Außerdem ist die EU u.a. mit einer zivilen Mission zum Kapazitätsaufbau mit etwa 120 Angehörigen vor Ort.
Die Aufgaben der EUMPM (zu deutsch: militärischen Partnerschaftsmission zur Unterstützung des Kapazitätsaufbaus der nigrischen Streitkräfte in Niger) umfassten u.a. den Aufbau eines Ausbildungszentrums für die Techniker der Streitkräfte und eines Führungsunterstützungsbatallions. Daneben war allgemeiner die „Fachausbildung für Spezialisten der nigrischen Streitkräfte“ vorgesehen sowie eine Abstimmung „mit den laufenden oder zukünftigen bilateralen Initiativen, Bemühungen und Tätigkeiten der Mitgliedstaaten in Niger“. Diese bilateralen Initativen betrafen im Falle Deutschlands in der Vergangenheit v.a. nigrische Spezialkräfte. Sie erfolgte u.a. durch Spezialkräfte der Marine zunächst ohne offizielles Mandat des Bundestages und anschließend im Rahmen der Ausbildungsmission EUTM Mali, die im benachbarten, eigentlichen Einsatzland nur noch eine Pseudo-Präsenz unterhält (s. IMI-Analyse 2022/46), seit die dortige Putschregierung mit Deutschland und den meisten anderen westlichen Staaten sehr grundsätzlich gebrochen hat.
Dass gerade auch die Führung der Spezialkräfte sich hinter den Putsch gestellt hat, dürfte insofern ganz besonders schmerzen. Unter dem Titel „Einsatz in der Todeszone – Mit deutschen Kampfschwimmern in Afrika“ hatte die ARD im Februar letzten Jahres noch eine ziemlich propagandistische Dokumentation zu deren Ausbildung durch die Bundeswehr ausgestrahlt. Nach Mali hat sich nun innerhalb weniger Jahre unter den Augen deutscher und europäischer Militärausbilder*innen erneut ein Putsch vollzogen – auf den man offenbar nicht vorbereitet war und auf den man auch keinen Einfluss nehmen konnte. Wie zuvor Mali galt anschließend Niger als „Stabilitätsanker“ und rückte in den Fokus der deutschen und europäischen Afrikapolitik. Im Mai erst hatte die Bundesregierung eine „Neubestimmung und Anpassung des Sahel-Engagements der Bundesregierung“ vorgenommen, darin ihr Scheitern in Mali weitgehend anerkannt (s. IMI-Standpunkt 2023/018) und sich vorgenommen: „Insbesondere in Niger wird die Bundesregierung ihr Engagement daher ausbauen“. Das Auswärtige Amt hatte die Region bereits zuvor als „geostrategisches Vorfeld Europas“ bezeichnet, in der Neuausrichtung hieß es dann: „In einer Zeit zunehmender Multipolarität und systemischer Rivalität hat Afrikas geostrategische Bedeutung für Deutschland zugenommen“.
Bei Tagesschau.de heißt es entsprechend am Tag nach dem Putsch in Niger: „Für Ulf Laessing, Sahel-Leiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Malis Hauptstadt Bamako, ist der Putsch eine Katastrophe… Mit dem Putsch in Niger könnte auch der letzte Sahelstaat des sogenannten Dreiländerecks Mali, Niger, Burkina Faso in die Hand einer Militärjunta geraten.“ Zu ergänzen wäre noch, dass auch im Tschad, dem zentralen Partner Frankreichs in der Region, eine Militärführung an der Macht ist und im April 2021 kurzerhand den Sohn des amtierenden Präsidenten Déby zum Staatsoberhaupt erklärt hatte. Das sind vier der fünf G5-Sahel Staaten, auf die man sich bei der Stabilisierung der Region gestützt und deren Aufrüstung man nun für über zehn Jahre umfangreich vorangetrieben hat. Zumindest Mali und Burkina Faso haben sich danach sehr nachdrücklich Russland zugewandt und dasselbe wird nun natürlich auch für die Putschregierung in Niger befürchtet, die zumindest in den ersten Stunden das Drehbuch aus Mali und Burkina Faso weitgehend zu kopieren scheint.
Ob das tatsächlich und auch mittel- bis langfristig deren Plan ist, lässt sich aktuell nicht absehen. Eine grundlegende Dynamik könnte davon unabhängig dazu führen. Denn die westlichen Staaten sind quasi gezwungen, den Putsch zu verurteilen und irgendwelche Sanktionen zu erlassen. Dasselbe gilt für die Regionalorganisation ECOWAS, die aus amtierenden, tw. selbst putschgefährdeten Regierungen besteht und deren Sanktionen vor Ort auch unmittelbarer wahrgenommen werden. Die ECOWAS lässt sich in dieser Konstellation gut als Statthalterin westlicher Interessen diffamieren. Eine Isolation durch die ECOWAS und den Westen wiederum könnten absehbar einen Anreiz für die nigrische Putschregierung bilden, enger mit Mali und Burkina Faso und damit zumindest indirekt auch Russland zu kooperieren.
Vor diesem Hintergrund ist durchaus kritisch, dass in Niger selbst deutsche Kräfte stationiert sind und v.a., dass das Luftdrehkreuz der Bundeswehr in Niamey eine zentrale Rolle beim Abzug der verbliebenen etwa 800 Kräfte der Bundeswehr aus Mali spielen soll. Entsprechend schreibt Thomas Wiegold auf seinem Blog augengeradeaus.net: „Sollte diese Drehscheibe nicht mehr genutzt werden können, wäre zwar ein Ausfliegen des Materials direkt nach Deutschland möglich. In der Region würde aber ein vergleichsweise naher Flughafen als Operationsbasis auch für die Rettungskette zur Evakuierung Verwundeter fehlen“.
Für die Putschregierungen in der Region besteht durchaus die Möglichkeit, die Bundeswehr in gewisse Schwierigkeiten zu bringen, was Russland sicher recht wäre. Regierung und Militärführung in Deutschland haben auf entsprechende Nadelstiche bislang zwar mit harschen Worten (sekundiert durch eine Presse, die da gerne noch einen draufsetzte), in der Praxis aber eher diplomatisch und besonnen reagiert. Es besteht aber die Gefahr, dass NATO, EU oder auch nur einzelne Staaten zu dem Schluss kommen, dass Russland bzw. die von ihm unterstützten Militärregierungen den Bogen langsam überspannen. Auch abgesehen davon ist zu befürchten, dass die als „Vorfeld Europas“ definierte Region „in einer Zeit zunehmender Multipolarität und systemischer Rivalität“ noch tiefer in den Malstrom derselben gezogen wird.