IMI-Standpunkt 2023/012

Wo ist eigentlich die „Combat Cloud“?

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 20. März 2023

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Seit Jahrzehnten wird in militärischen Fachkreisen über Revolutionen diskutiert, genaugenommen über „Revolutionen in militärischen Angelegenheiten“, von denen immer wieder eine zumindest vorübergehende absolute Überlegenheit über andere Armeen erwartet wird. In einem weiteren Sinne werden darunter auch logistische oder taktische Innovationen besprochen, doch im Kern dreht sich die Diskussion um technische Innovationen, insbesondere informationstechnische Innovationen, die eine „Informationsüberlegenheit“ gewährleisten sollen. Die damit verbundenen Erwartungen, das zu lichten, was seit Clausetwitz 1823 als „Nebel des Krieges“ bezeichnet wird, reichen bis dahin, die Zukunft antizipieren zu können, wenn nur genug Daten über die Gegenwart gesammelt und in Echtzeit verarbeitet werden – was natürlich ein gewaltiger Vorteil auf dem Gefechtsfeld wäre.

Revolution Digitalisierung

Im Mittelpunkt steht entsprechend seit Jahrzehnten das Sammeln, Übertragen und die Verarbeitung von Daten und wiederholt wurde immer wieder konstatiert, dass die Revolution bereits stattgefunden habe oder zumindest unmittelbar bevorstünde. Auf den realen Schlachtfeldern in Afghanistan und anderswo haben sich die erwarteten Vorteile einer High-Tech-Armee jedoch bislang nicht materialisiert. Mit den Diskursen um „Revolution“ und technisch hergestellter Überlegenheit sind zugleich – unabhängig von der Realisierung – enorme Transformationen und Profite der Rüstungsindustrie verbunden, die mit den permanenten Upgrades und Updates der Kommunikationstechnologie in Panzern, Flugzeugen etc. oft mehr Geld verdient, als mit deren ursprünglicher Auslieferung. Damit haben sich verschiedene Rüstungsunternehmen auch zunehmend zu Digitalisierungs-Dienstleistern auf zivilen Märkten etabliert, wo entsprechende Innovationen mit geringeren Ansprüchen an Geheimhaltung und Robustheit oft schneller und einfacher umzusetzen sind.

Auch das Versprechen, Künstliche Intelligenz (KI) in Militärtechnologie zu integrieren und dadurch Überlegenheit herzustellen, ist fast so alt wie der Begriff selbst – während damit verbundenen Erwartungen seither in der Summe enttäuscht wurden.

Datenwolken im Entstehen

Aktuell aber vollziehen sich verschiedene Entwicklungen, welche tatsächliche Durchbrüche realistisch erscheinen lassen und es scheint auch in Rüstung, Militär und Forschung eine erhöhte Nervosität spürbar, welche Konsequenzen die nun womöglich tatsächlich bevorstehende Revolution noch mit sich bringen könnte. Zu diesen Entwicklungen gehören Fortschritte bei der Datenverabeitung durch Künstliche Neuronale Netze (KNN), massiv gesteigerte Kapazitäten zur Datenspeicherung und -verarbeitung und die zunehmende Verfügbarkeit von unbemannten und autonomen Systemen, vor allem Luftfahrzeugen. Diese Drohnen werden in der öffentlichen Diskussion bislang v.a. als Träger von Raketen und Bomben diskutiert, mit denen u.a. sog. gezielte Tötungen durchgeführt werden. In der militärischen Praxis jedoch dienen auch größere Drohnen bereits seit Jahren v.a. der abbildenden und elektromagnetischen Aufklärung sowie – zunehmend – als Knotenpunkte eines „Informationsverbundes“ – also eines Netzwerkes, über das Daten unterschiedlicher Art (Geodaten, Videos, Text, …) ausgetauscht und verarbeitet werden. In den letzten Jahren hat sich für solche Informationsverbünde der Begriff der Combat Cloud (Gefechtswolke) etabliert.

Vom massenhaften Einsatz v.a. kleinerer Drohnen in selbst-organisierenden Schwärmen erwartet auch die Bundeswehr, künftig ein „gläsernes Gefechtsfeld“ herstellen zu können und hat hierzu 2019 eine „Studie“ in Auftrag gegeben, welche entsprechende Informationsverbünde zunächst in kleinerem Maßstab für Spezialkräfte einführen und erproben soll. Hauptauftragnehmer ist der französische Konzern Atos, der für Schwarmsteuerung und Netzwerkarchitektur zuständig ist.

In der Ausschreibung der Studie hieß es: „Die Bundeswehr braucht für die mobile Gefechtsfeldaufklärung viele unbemannte fliegende Systeme (UAS), die ein gläsernes Gefechtsfeld aufspannen können“. Ziel war u.a. das „taktische Teaming“, also die Zusammenarbeit zwischen Gefechtsstand, Bodentruppen (die selbst ebenfalls als Sensoren wirken) und Drohnenschwärmen im „Multirobotereinsatz“. Dabei sollten „auf allen Ebenen regelbasierte, Deep Learning oder andere Arten von KI eingesetzt werden, um Soldaten effektiv zu entlasten“ und mit „Handlungsempfehlungen“ zu unterstützen.1 Atos hat sich für die Software „Fire Weaver“ des israelischen Softwareunternehmens Rafael entschieden, die bereits von israelischen Spezialkräften genutzt wird, um „ein 3D-Bild von mobilen Operationen in Echtzeit zu erstellen“. Auf diesem werden „Ziele, Blue Forces, sensible Standorte und andere interessante örtliche Gegebenheiten …

sofort und präzise in einer gemeinsamen Lage auch auf den Helmdisplays angezeigt. Dies ermöglicht es den Soldaten, gegnerische Standorte von jedem Aussichtspunkt und jeder Entfernung aus wahrzunehmen, unabhängig von ihrer eigenen Position“. Dabei nutze Fire Weaver „die fortschrittlichen Algorithmen von Rafaels künstlicher Intelligenz, verarbeitet die Gefechtsdaten, analysiert sie und priorisiert die Feuerzuweisung“. Diese erfolge „auf der Grundlage von Parametern wie Standort, Sichtlinie, Wirksamkeit, aktuellem Munitionsstatus usw.“.2

In einem öffentlichen Positionspapier des Amts für Heeresentwicklung über „Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften“ vom Herbst 2019 wird diese Art der Kriegführung als „Hyperwar“ bezeichnet, wobei bereits angedeutet wird, dass „der Einsatz KI-basierter Entscheidungsunterstützungssysteme“ es ermögliche und erfordere, künftig mit der Geschwindigkeit von Maschinen zu kämpfen („Fight-at-Machine-Speed“).3 Auf der Homepage der Bundeswehr wird die „Digitalisierung im Heer“ für ein etwas breiteres Publikum so begründet: „Im Gefecht der Zukunft besteht … nur derjenige, der binnen kürzester Zeit die richtige Entscheidung trifft und mit seiner Truppe die richtige Wirkung erzielt“.4

Auf allen Ebenen

Während das „gläserne Gefechtsfeld“ als kleiner, experimenteller Informationsverbund erprobt wurde, wurden zugleich unter dem Kürzel D-LBO die Voraussetzungen geschaffen, um entsprechende Konzepte im Heer künftig zu skalieren und in deutlich größerem Maße umzusetzen. D-LBO steht für die „Digitalisierung Landbasierter Operationen“ und das Ziel, einen „durchgängigen Informationsverbund“ zu schaffen, „der auf der untersten taktischen Ebene beim abgesessenen Soldaten beginnt und auf der Ebene des verlegefähigen Gefechtsstands endet. Insgesamt bis zu 25.000 Fahrzeuge und bis zu 155.000 Soldaten sollen dann untereinander vernetzt kommunizieren können“.5

Im Rahmen von D-LBO werden auch Teile des niederländischen Heeres in den deutschen Informationsverbund und damit zugleich in eine gemeinsame Führungsstruktur eingebunden. Bei den Luftstreitkräften werden entsprechende Entwicklungen im europäischen Maßstab aktuell v.a. im Rahmen des Mega-Projekts FCAS (Future Combat Air System) vorangetrieben, dessen Gesamtkosten auf 500 Mrd. Euro geschätzt werden. Im Kern handelt es sich dabei um die Entwicklung eines „Kampfflugzeugs der nächsten Generation“ (NGF), das jedoch von unbemannten „Remote Carriers“, Drohnen mit unterschiedlichen Spezifikationen und Fähigkeiten, begleitet werden soll. Mit diesen und Satelliten wird es ebenfalls über eine Combat Cloud verbunden sein, während KI in die Missionsplanung und Entscheidungsunterstützung auf verschiedenen Ebenen eingebunden sein soll. Statt des „taktischen Teamings“ beim Heer wird hier vom „Manned-Unmanned-Teaming“ (MUM-T) gesprochen, um die Zusammenarbeit zwischen Menschen und unbemannten Systemen zu bezeichnen und weiter zu entwickeln.

Mit der Entwicklung der Combat Cloud für FCAS wurden zunächst Airbus und Thales beauftragt, für das „Mission System“ haben sich die großen Player der deutschen Rüstungsindustrie, Hensoldt, Diehl Defence, ESG und Rohde & Schwarz gemeinsam in Stellung gebracht. Atos wird als zentraler Dienstleister französischer und deutscher Militär-IT am Ende sicher ebenfalls eine Rolle spielen.

Zivil-militärische Datenwolken

Auch wenn es sich bei einigen der Remote-Carrier-Drohnen bei FCAS durchaus auch um „fliegende Rechenzentren“ handeln dürfte, übersteigt der Flächen- und Energiebedarf von KI und Big Data deren Kapazitäten um Dimensionen. Ein Großteil der Datenverarbeitung der Combat Clouds wird in fensterlosen Gebäuden mit den Ausmaßen von Logistik-Zentren stattfinden, wie sie gegenwärtig auch für zivile Anwendungen relativ unauffällig aber großflächig in alten Industriegebieten und an den Rändern von Metropolen, Großstädten und neuen Verkehrsknotenpunkten aus dem Boden sprießen.6 Auch die Bundeswehr und die für deren IT gegründete, bundeseigene BWI GmbH bauen, u.a. in Wilhelmshaven, Strausberg und Bonn bzw. Köln-Wahn ihre Rechenzentren seit Jahren kontinuierlich aus, werden jedoch absehbar mit dem wachsenden Bedarf und der Geschwindigkeit und Notwendigkeit von Nachrüstungen nicht mitkommen. Auch aus Gründen der Geheimhaltung ist es letztlich naheliegend, dass die Combat Clouds materiell wesentlich von privaten Unternehmen und Dienstleistern bereitgestellt werden.

In den USA sind u.a. Amazon, IBM und Oracle als Cloud-Dienstleister des Militärs (und der Geheimdienste) bekannt und relativ offen wird eine Debatte darüber geführt, ob geheime militärische Daten in den gleichen Rechenzentren verarbeitet werden dürften, wie weniger gesicherte zivile Daten. Das Pentagon und die NSA verfügen über bekannte, hoch-gesicherte Rechenzentren, die aber – das liegt in der Natur der Sache – an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen werden und wahrscheinlich längst sind. In Deutschland ist die Sache in kleinerem Maßstab deutlich undurchsichtiger. ESG, Rohde & Schwarz, Airbus, Atos und andere bieten der Bundeswehr Cloud-Lösungen an, aber nur Atos tritt selbst nennenswert als Betreiber von Rechenzentren in Erscheinung, v.a. auch für gewerbliche und zivile Anwendungen z.B. im Bereich der „Smart Citys“.

Natürlich gibt es Rechenzentren bei Airbus in München (nahe der Bundeswehr-Uni und dem BND), bei ESG und der BWI GmbH bei Bonn und im Berliner Speckgürtel. Von der Dimension und Skalierbarkeit werden sie jedoch für die kommende „Revolution in Military Affairs“ ebenso wenig ausreichen, wie für die Digitalisierung des Alltags. Dass beides künftig in denselben fensterlosen Hallen neben Autobahnkreuzen am Rande von Metropolen gleichzeitig stattfinden wird, ist abzusehen.

Anmerkungen

Ein ähnlicher, aber kürzerer Beitrag des Autors erschien in der Ausgabe vom 13. März auf der Themenseite der Tageszeitung „Neues Deutschland“ (online), gemeinsam mit dem lesenswerten Artikel von René Heilig: „Im Ukraine-Krieg kämpfen Algorithmen von Palantir – Mit Künstlicher Intelligenz ist die Ukraine dem russischen Angreifer voraus„.

1 Zitiert nach Thomas Wiegold: Studie fürs „gläserne Gefechtsfeld“: Drohnen & KI, Blogeintrag vom 16.4.2019, https://augengeradeaus.net/2019/04/studie-fuers-glaeserne-gefechtsfeld-drohnen-ki/.

2 „Fire Weaver – IDF beschafft neues Sensor-to-Shooter-System“, Meldung bei ESUT (Europäische Sicherheit und Technik) vom 3.2.2020, https://esut.de/2020/02/meldungen/ruestung2/18390/fire-weaver-idf-beschafft-neues-sensor-to-shooter-system/.

3 Amt für Heeresentwicklung: Künstliche Intelligenz in den Landstreitkräften, https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/aktuelles/kuenstliche-intelligenz-in-den-landstreitkraeften-156226.

4 Bundeswehr.de: „Digitalisierung im Heer“ (20.3.2023), https://www.bundeswehr.de/de/organisation/heer/organisation/faehigkeiten/digitalisierung.

5 Thales: „D-LBO (Digitalisierung Landbasierter Operationen)“ (20.3.2023), https://www.thalesgroup.com/de/europe/deutschland/d-lbo-ten.

6 Versuch einer fotografischen Dokumentation der Ausbreitung von Rechenzentren und Technologieparks: https://concreteclouds.tem.li/.