Dokumentation - in: junge Welt (14.12.2022)

Skandale schaden »Zeitenwende«

Informationsstelle Militarisierung legt Broschüre zu rechten Soldaten und Netzwerken vor

von: 14. Dezember 2022

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Die Tageszeitung „junge Welt“ veröffentlichte in ihrer heutigen Ausgabe einen Bericht zur neuen IMI-Broschüre „Keine Einzelfälle“ (Download hier), den wir im Folgenden dokumentieren:

Skandale schaden »Zeitenwende«
Informationsstelle Militarisierung legt Broschüre zu rechten Soldaten und Netzwerken vor

Von Kristian Stemmler, in: junge Welt (14.12.2022)

Das Timing hätte kaum besser sein können: Nur wenige Tage nach der Razzia gegen eine Gruppe um den Immobilienkapitalisten Heinrich XIII. Prinz Reuß sowie die Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die Umsturzpläne ausgearbeitet haben soll, hat die Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) eine neue Broschüre herausgegeben. Die bereits vor Bekanntwerden der Verschwörerclique fertiggestellte Schrift trägt den Titel »Keine Einzelfälle! Wie der Staat mit rechten Soldat*innen und ihren Netzwerken umgeht«.

In der jetzt aufgeflogenen Gruppe spielten Soldaten eine nicht unerhebliche Rolle. Nach Informationen des Spiegels waren unter den Festgenommenen ein aktives und mehrere ehemalige Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, außerdem ein ehemaliger Fallschirmjäger und ein Polizist. Für Luca Heyer, der gemeinsam mit Alexander Kleiß und Martin Kirsch die Broschüre zusammenstellte, ist das keine Überraschung. Beim KSK und beim rechten »Hannibal«-Netzwerk hätten die Behörden jahrelang nicht so genau hingeschaut, erklärte Heyer am Montag gegenüber junge Welt. Durch diese »sehr zahnlose Reaktion« des Staates hätten sich »Reichsbürger« und Neonazis zu Umsturzplänen ermutigt gefühlt.

Dass die Gruppe um Reuß und Malsack-Winkemann in Teilen der bürgerlichen Medien als Spinnertruppe verharmlost wird, von der keine Gefahr ausgegangen sei, kann Heyer nicht nachvollziehen: »Man muss diesen Vorgang sehr ernst nehmen, gerade weil aktive und ehemalige Soldaten beteiligt waren, Beamte von Polizei und Justiz, Personen aus der parlamentarischen Sphäre um die AfD.« Das habe dieses Netzwerk so gefährlich gemacht. Und dass die Gruppe vermutlich keinen Staatsstreich habe in Szene setzen können, sei dabei nicht entscheidend. »Sie hätten großen Schaden anrichten, Menschen verletzen oder töten können«, so Heyer.

Warum also schaut der Staat bei rechten Netzwerken in der Bundeswehr nicht so genau hin? »Das KSK wird, wie die gesamte Bundeswehr, für die von Kanzler Olaf Scholz Ende Februar 2022 ausgerufene Zeitenwende gebraucht«, heißt es im Editorial zur Broschüre. Skandale um rechte Soldaten und Fragen nach nötigen Reformen kämen daher derzeit äußerst ungelegen. Deshalb sei das alte Narrativ der »Einzelfälle« wieder im Zentrum der politischen Kommunikation. Die inflationäre Verwendung dieses Begriffs stehe im offenen Widerspruch zur »Realität in der Armee«. Es dränge sich die Erkenntnis auf, dass es sich eben nicht um ein »einmaliges Ereignis« handelt, »wenn rechte Chatgruppen aufgedeckt werden, Waffendepots bei rechten Soldat*innen gefunden werden, wenn ganze Bundeswehr-Kompanien Rechtsrock hören oder gemeinsam Adolf Hitlers Geburtstag feiern«.

Die Autoren der Broschüre blicken auf die vergangenen fünf Jahre zurück, befassen sich mit der Rolle des Militärischen Abschirmdienstes und der Frage, warum die Justiz bei der Verfolgung des rechtsterroristischen »Hannibal«-Netzwerkes versagte. Ein Beitrag beschäftigt sich mit rechten Strukturen bei der Polizei, ein anderer mit der Rolle, die die AfD für rechte Soldaten spielt. Mehrere Sätze der Broschüre klingen wie Kommentare zur Razzia vom 7. Dezember, von der die Autoren beim Verfassen der Texte noch nichts wissen konnten. So heißt es im Editorial, es sei erschreckend, »mit welcher Blindheit diverse staatliche Institutionen auf Versuche, bewaffnete staatliche Institutionen von rechts zu unterwandern, reagieren«. Durch die »neue Aufrüstungsdynamik« und die »fortschreitende Organisierung von Faschisten auf den Straßen und in den Parlamenten« erhalte die Thematik neue Dringlichkeit.

Mehr zur IMI-Studie 2022/8, „Keine Einzelfälle! Wie der Staat mit rechten Soldat*innen und ihren Netzwerken umgeht“: https://www.imi-online.de/2022/12/08/keine-einzelfaelle/