IMI-Analyse 2022/59 - in: Ausdruck Dezember 2022

Rüstung – Klima – Krieg

Ein kursorischer Überblick

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 13. Dezember 2022

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Die Themen Rüstung, Klima und Krieg stehen auf verschiedenste Arten miteinander in Verbindung. Die nachfolgenden Abschnitte erheben nicht den Anspruch, diese komplexen Zusammenhänge tiefgreifend aufarbeiten zu können, sondern sie sollen einen Einstieg und einen ersten groben Überblick über die Thematik liefern.

Klimaneutrales Kriegsgerät?

Die Armeen der Welt, allen voran die US-Armee, sind die größten institutionellen Ölverbraucher auf dem Globus, was wesentlich damit zusammenhängt, dass insbesondere Großgeräte regelrechte Spritfresser sind: Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 verbraucht satte 500 Liter Treibstoff auf 100km, ein Eurofighter-Kampfflugzeug verbrennt in nur einer Stunde rund 3.500kg Treibstoff (siehe Ausdruck, März 2022). Vor diesem Hintergrund erklärt zum Beispiel NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg vollmundig, bis 2030 wolle die Militärallianz ihre CO2-Emissionen um 45 Prozent reduzieren und bis 2050 strebe sie die komplette Klimaneutralität an.

Allerdings stellt sich der Übergang zur „E-Armee“ über bloße Absichtsbekundungen hinaus deutlich schwieriger dar als zumeist getan wird, worauf u.a. ein Beitrag im Reservistenmagazin „loyal“ (27.5.2021) recht ungeschminkt hinwies: „Die NATO-Streitkräfte, auch die Bundeswehr, sind gefordert, zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen. Doch gerade in ihrem Kerngeschäft, den mobilen Operationen, haben es umweltschonende Energieträger und Antriebe schwer. […] Die sich im Zivilen ausbreitende emissionsfreie Elektromobilität sehen die Bundeswehr-Planer nur für Fahrzeug-Typen bis maximal 7,5-Tonner als nutzbar für die Streitkräfte […]. Hinzu kommt, dass insbesondere Flugzeuge Treibstoffe mit hoher Energiedichte benötigen, was Batterie- und Brennstoffzellen-Technik nicht bietet. Die Luftwaffe zu einem sauberen Energieträger zu entwickeln, ist somit besonders schwierig.“

Die loyal weist in diesem Zusammenhang auch noch auf ein weiteres Problem hin, den rapide steigenden Energieverbrauch des Militärs: „Die künftige Art der Kriegsführung verlangt nach immens viel zusätzlicher elektrischer Energie. Ob digitale Vernetzung der Kampfeinheiten, Hochenergielaser, die geladen werden müssen, Hilfsroboter, die Soldaten begleiten, oder deren eigene Ausrüstung. Bis jetzt braucht ein Bundeswehr-Soldat mit seiner Ausrüstung schmale 25 Watt. Doch über neue Rüstsätze wie beim ‚Infanterist der Zukunft‘ nimmt der Bedarf zu. Für kommende Technologien wie aktive Tarnung und Exoskelette gehen Forscher des Fraunhofer-Instituts von 500 bis 2.000 Watt aus.“

Allerdings handelt es sich beim Energie- und Treibstoffverbrauch ohnehin leider nicht um das Hauptproblem. Es ist die Produktion, die nicht nur immense Ressourcen verschlingt (siehe den Beitrag von Karl-Heinz Peil), sondern auch für den Löwenanteil der militärisch verursachten Treibhausgase verantwortlich ist.

Klimawandel und Rüstungsproduktion

Für die USA liegen inzwischen einige recht brauchbare Schätzungen über die Emissionen der Treibhausgase (THG) des Militärs vor – für Deutschland und einige andere EU-Länder existieren zwar Schätzungen in der Studie „Under the Radar: Europe’s military sectors dodge scrutiny under European Green Deal“, diese sind allerdings sehr grob und deshalb nur bedingt aussagekräftig. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass die diesbezüglichen Angaben der Bundesregierung, vorsichtig formuliert, sehr unvollständig ausfallen. Die tatsächlichen Emissionen liegen deutlich über den 1,71 Mio. Tonnen CO2-Equivalent, die für das Jahr 2021 angegeben wurden (2019: 1,45 Mio.). So enthalten die Nationalen Inventarberichte zum Beispiel weder die vor- noch die nachgelagerten Emissionen militärischer Liegenschaften. Ferner werden keinerlei Emissionen erfasst, die bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr anfallen. Am schwersten wiegt jedoch, dass die bei der Rüstungsproduktion verursachten Treibhausgase ebenfalls keine Berücksichtigung finden. In ihrer viel beachteten Studie „Pentagon Fuel Use, Climate Change, and the Costs of War” wies die US-Professorin Neta Crawford darauf hin, dass die bei der Produktion in den USA anfallenden Treibhausgase um das fünf- bis sechsfache über denen im Betrieb liegen. Insgesamt gelangte sie zu der Schätzung, allein bei der Rüstungsproduktion würden 15 Prozent der gesamten in den USA industriell verursachten Treibhausgase anfallen.

Nun ist mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass diese Werte im Falle Deutschlands und der Bundeswehr deutlich niedriger ausfallen dürften – als größte institutionelle Arbeitgeberin des Bundes ist die Bundeswehr jedoch mit ihren Emissionen alles andere als vernachlässigbar. Die Forderung, endlich für eine adäquate Erfassung der Emissionen zu sorgen, liegt insofern nahe. Dies gilt umso mehr, als der Großteil des Sondervermögens der Bundeswehr in die Neuanschaffung von Rüstungsgütern fließen wird – wir es also mit einer Erhöhung um mindestens den Faktor drei zu tun haben, der dementsprechend auch die Klimabilanz noch weiter drastisch negativ beeinflussen wird. Insgesamt ist die Rolle des Militärs in diesem Bereich in jedem Fall alles andere als zu vernachlässigen: Die am 10. November 2022 erschienene Studie „Estimating the Military’s Global Greenhouse Gas Emissions“ der Scientists for Global Responsibility schätzt den gesamten militärischen CO2-Fußabdruck auf etwa 5,5 % der weltweiten Emissionen.

Klima – Armut – Krieg

Auch die sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels drohen gravierend zu werden, wie unter anderem der US-Politikprofessor Michael Klare in seinem 2019 erschienenen Buch „All Hell Breaking Loose“ warnte: „Misslingt die Begrenzung der CO2-Emissionen, steht eine weitere Katastrophe, von der allerdings weitaus weniger die Rede ist, ebenso fest: Auf lange Sicht würde das Versagen nicht nur Klimaschocks bewirken, sondern auch weltweit Instabilität, Aufruhr und Kriege.“

Vor allem in den USA, aber zunehmend auch in Deutschland, beschäftigt sich deshalb das Militär mit den sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels. Hier geht es einmal darum, wie Kollateralnutzen wie durch das Abschmelzen der Polkappen freiwerdende Rohstoffe und Handelswege „gesichert“ werden könnten. Auf der anderen Seite gefährdet der Klimawandel auch Logistikketten und Militärbasen (von denen viele in Küstennähe liegen). Und schließlich müssen klimabedingte Konflikte gegebenenfalls auch militärisch „befriedet“ werden – zumindest dort, wo dies aus Sicht der westlichen Interessenslage geboten erscheint (siehe Ausdruck, März 2020).

Vor allem im Zusammenspiel mit Armut und Hunger droht der Klimawandel dabei zum „Brandbeschleuniger“ zu werden, warnte auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS-Arbeitspapiere 3/2020). Berechnungen des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) zufolge würde es lediglich eines zusätzlich von den Entwicklungsländern aufgewendeten Betrages von 11 bis 14 Mrd. Dollar jährlich bedürfen, um die Zahl der Hungernden um eine halbe Milliarde Menschen zu verringern. Um den Hunger ganz aus der Welt zu schaffen, wären 39 Mrd. bis 50 Mrd. Dollar jährlich erforderlich.

Hier handelt es sich angesichts der – nicht nur in Deutschland – losgetretenen Aufrüstungswelle um vergleichsweise sehr überschaubare Beträge. Doch Pandemie und Ukraine-Krieg haben zu einem drastischen Anstieg von Armut und Hunger geführt, während es die weltweiten Entwicklungshilfetöpfe immer schwerer haben, in den Verteilungskämpfen mit den Militärausgaben nicht den Kürzeren zu ziehen. Mit „Sparen auf Kosten des globalen Südens“ betitelte die Frankfurter Rundschau einen Beitrag, der die ernüchternde Richtung des im Sommer 2022 vorgelegten Bundeshaushaltes 2023 beschreibt: „Die Bundeswehr bekommt mal eben 100 Milliarden Euro zusätzlich, während der Etat für Entwicklungspolitik 2023 um ein Fünftel auf knapp elf Milliarden Euro gekürzt werden soll. […] Viele Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika registrieren mit wachsendem Unbehagen, dass der Westen zwar Gefolgschaft gegen Russland von ihnen wünscht, sich aber wenig um ihre Interessen und ihre Vorschläge zur Bewältigung der Kriegsfolgen kümmert.“