IMI-Standpunkt 2022/051
Sanktionen als Weg aus dem Krieg?
von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 5. Dezember 2022
Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurden von Seiten der EU, USA sowie anderen NATO- und G7-Staaten eine Reihe von wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland verhängt. Parallel findet auch in linken Strukturen eine teils erbitterte Debatte über den politischen Sinn und die tatsächliche Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen statt. Dabei geht es besonders um die Frage, ob Sanktionen tatsächlich die Fähigkeit Russlands zur Kriegsführung maßgeblich beeinflussen und wie hoch der Preis ist, den die Bevölkerung Russlands aber auch die der westlichen Staaten und im Globalen Süden für die Sanktionen bezahlt.
Gezielte oder allgemeine Sanktionen?
Der LINKE Parteitag in Erfurt hat am 27. Juni 2022 das folgende beschlossen: „Statt Rüstungsexporten und Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete (…) müssen nichtmilitärische Möglichkeiten erweitert werden: Sanktionen müssen sich gegen Putins Machtapparat und den militärisch-industriellen Komplex und damit gegen die Fähigkeit zur Kriegsführung richten. Sanktionen, die sich vor allem gegen die Bevölkerung richten oder zur Verarmung im Globalen Süden beitragen, lehnen wir ab.“ Damit spricht sich die Partei im Kern für gezielte Rüstungssanktionen und Sanktionen gegen Putins Machtapparat aus und gleichzeitig gegen allgemeine Sanktionen – zumindest, wenn diese sich gegen die Bevölkerung richten. Die große Zurückhaltung bei allgemeinen Sanktionen ist auch eine Folge der Erfahrungen mit dem allgemeinen Handelsembargo gegen die Irak in den 1990er Jahren. Dieses Embargo führte zum Tod von mindestens einer halben Million Menschen.
Alternativ werden deswegen heute sogenannte gezielte oder „smarte“ Sanktionen diskutiert. Diese richten sich zum Beispiel gegen Einzelpersonen (Regierungsmitglieder, führende Militärs oder andere Schlüsselpersonen des jeweiligen Machtapparats).
Das Verbot von Rüstungsexporten nach Russland ist ein klassisches Beispiel für eine gezielte Sanktion. Ein solches Verbot gilt in der EU seit 2014. Dennoch wurden auch danach noch Rüstungs- und Dual Use Güter im Wert von mindestens 346 Millionen Euro aus der EU nach Russland geliefert. Mit Abstand die meisten der militärisch einsetzbaren Güter kamen aus Frankreich (152 Mio. €) und Deutschland (122 Mio. €).
Rüstungsexportverbote sind aus linker Perspektive in jedem Fall sinnvoll. Ebenso gibt es wenig Gegenrede zur Beschlagnahmung von Luxusjachten, Villen oder anderen Vermögensgegenständen von Oligarchen. Wobei sich hierbei zeigt, wie wenig dies in Deutschland umsetzbar ist, weil es nach wie vor kein zentrales Immobilienregister gibt. Dieses Register wäre auch grundsätzlich sinnvoll, um Geldwäsche besser bekämpfen zu können.
Problematischer wird die Situation bei Sanktionen die sich zwar gezielt gegen einzelne Industriezweige wie Kohle, Öl und Gas richten, die aber massive gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben.
Eskalationsspirale, Sanktionen und Gegensanktionen
Sanktionen – egal ob wirksam oder nicht – signalisieren häufig nicht das Ende einer Konfrontation, sondern führen zu einer weiteren Eskalationsspirale. Auf Sanktionen folgen Gegensanktionen (zum Beispiel die Drosselung von Lieferungen bei Gas oder Weizen) und diese treffen auf einen globalen Markt, der nach neoliberalen Regeln funktioniert. Knappe oder möglicherweise zukünftig knappe Güter werden durch Spekulation und Panikkäufe immer teurer. Einzelne Unternehmen (zum Beispiel im Bereich der Energieversorgung oder der Lebensmittel) steigern ihre Gewinne massiv, während sich die Ärmsten im Globalen Süden aber auch in den westlichen Ländern fragen müssen, ob sie sich Lebensmittel oder Wärme noch leisten können.
Wichtig ist deswegen die Spekulation im Bereich der lebensnotwendigen Güter zu unterbinden und Gewinne aus den Spekulationen vollständig abzuschöpfen. Es ist ein Skandal, dass nach wie vor mit Lebensmitteln an den globalen Börsen spekuliert werden kann.
Nicht zufällig kommt aus dem globalen Süden massive Kritik gegen das westliche Sanktionsregime und dies, obwohl die Mehrheit dieser Staaten ebenfalls den russischen Angriffskrieg klar verurteilt.
Beispielhaft sei hier nur ein Mechanismus genannt, unter dem der globalen Süden massiv leidet: Die EU-Länder haben mit Hamsterkäufen von LNG-Gas viele Entwicklungs- und Schwellenländern vom Markt gedrängt. Es gab mehrere Fälle, in denen Schiffe mit Flüssiggas, die Pakistan oder Indien versorgen sollten, nach Europa umgeleitet wurden. Schließlich waren dort die Preise deutlich höher. In Bangladesch folgten Strom-Blackouts und Indien hat wegen teurer Gasimporte Kohlekraftwerke hochgefahren.
Die stärkste Sanktion ist der Krieg selbst
Was ist jedoch mit dem eigentlichen Ziel der Sanktionen? Die politischen Äußerungen schwanken in der Tonlage zwischen Vergeltung, Regimechange und Ächtung Russlands. Auffällig ist, dass keine der EU-Sanktionen an klare Bedingungen für deren Aufhebung geknüpft ist. So würde man naiv vermuten, wenn die russische Regierung konkrete Forderungen wie „Waffenstillstand“ oder „Rückzug aus den besetzten Gebieten“ erfüllt, dass dann auch automatisch die entsprechenden Sanktionen ganz oder schrittweise aufgehoben werden. Doch dies ist nicht der Fall. Die Sanktionen wurden unkonditioniert und auf unbestimmte Zeit beschlossen. So kann auch immanent gedacht wenig Motivation zur Erfüllung von konkreten Zielen entstehen.
Zusätzlich ist ganz deutlich festzustellen, dass die Sanktionen gegen den Import von fossilen Energien aus Russland durch das Umlenken vor allem von Ölexporten zu Mehreinnahmen geführt hat, die das Wegbleiben von Teilen der Gaseinnahmen mehr als ausgleichen. In den EU-Staaten haben diese Sanktionen jedoch gesamtwirtschaftlich massive Auswirkungen, steigende Kosten für Privathaushalte und viele Unternehmen müssen durch staatliche Maßnahmen abgefedert werden.
Die Konsequenz der bereits erwähnten Wirtschaftssanktionen sowie der Sanktionen gegen große Teile des russischen Bankensektors wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine langfristige Umstrukturierung der Wirtschaftsverflechtungen sein. Die russische Wirtschaft orientiert sich noch stärker als bisher in Richtung seiner asiatischen Nachbarn einschließlich Chinas, während die west- und mitteleuropäischen Länder sich noch stärker transatlantisch ausrichten. Das wird vermutlich auch das internationale Bankensystem verändern. Chinas Alternative zu Swift das CIPS (Cross-Border Interbank Payment System) ist bereits jetzt im Aufwind.
Schwächen die Sanktionen Russland? Ja und nein. Im Mai sprang die Inflation in Russland auf 17 Prozent, doch durch die hohen Energiepreise und die Umlenkung von Handelsströmen stabilisierte sie sich schnell. Internationale Prognosen gehen von einer Inflation im Gesamtjahr 2022 von drei bis vier Prozent aus. Noch halten Löhne und Renten in Russland ungefähr Schritt mit der Inflation und die Rüstungsindustrie ersetzt die durch Sanktionen betroffenen Hightech-Komponenten durch einfachere Komponenten wie sie auch in normalen Konsumgütern zum Einsatz kommen.
Die verheerendsten Auswirkungen auf die russische Wirtschaft entstehen perspektivisch durch die (Teil-)Mobilmachung, die hunderttausende Arbeitskräfte abzieht. Weit über Hunderttausend werden wegen ihres Todes oder starken Verletzungen dauerhaft fehlen. Dazu kommen in ähnlicher Größenordnung junge Menschen, die das Land verlassen, um dem Kriegsdienst zu entgehen.
Es sieht alles danach aus, dass die stärkste Wirtschaftssanktion der Krieg selbst ist.
Die wichtigste Aufgabe: den Krieg beenden!
Selbst wenn es auf dem Schlachtfeld nun Gewinne für die ukrainische Seite gibt, so bleiben am Ende in der ukrainischen und russischen Bevölkerung nur Verliererinnen und Verlierer übrig, die Toten, die Verwundeten und Traumatisierten, ihre Angehörigen, die Vertriebenen und Geflüchteten, die teils auf Jahre nicht in ihre zerstörte Heimat zurückkönnen. Zu den wahrscheinlich etwas hunderttausend toten oder verwundeten Soldaten auf ukrainischer und russischer Seite kommen laut OHCHR fast 7.000 bestätigte Opfer unter der ukrainischen Zivilbevölkerung, US- Angaben gehen von bis zu 40.000 Opfern (tot oder verwundet) in der Zivilbevölkerung aus. Die Wirtschaftssanktionen und Gegensanktionen tragen wenig oder gar nichts zur Beendigung des Krieges bei, sie schaffen im Gegenteil nur weitere Opfer. Deswegen bleibt der einzige Weg aus dem Krieg eine diplomatische Aufgabe: Verhandeln, internationale Gesprächsformate und mögliche Lösungsschritte anbieten. Bis dahin gilt es den Menschen, die sich dem Krieg verweigern, alle erdenkliche Unterstützung zu gewähren: Schutz für Flüchtlinge, für russische, belarussische und auch ukrainische Deserteure, Saboteure und Oppositionelle. Keine Rüstungsexporte und Kriegsprofiteure zur Rechenschaft ziehen.