Angesichts des verschobenen deutsch-französischen Ministerrates wird derzeit viel über das angespannte Verhältnis beider Länder berichtet. Dass eine Ursache in der deutschen Aufrüstungspolitik liegen könnte, wird hierzulande kaum wahrgenommen. Wenn Kanzler Scholz stolz verkündete, durch das Bundeswehr-Sondervermögen werde Deutschland bald über die „größte konventionelle Armee“ in Europa verfügen“, hätte klar sein sollen, dass dies in Frankreich nicht unbedingt allenthalben auf Begeisterung stoßen würde.
Das gut vernetzte französische Nachrichtenportal Bruxelles2 wirft einen besorgten Blick auf das sich verändernde militärische Mächtegleichgewicht (übersetzte mit deepl.com): „Deutschlands strategische Neupositionierung und sein Wunsch, die Führung in der europäischen Verteidigung zu übernehmen, belasten schwer das Verhältnis zwischen Paris und Berlin. […] Deutschland hat damit begonnen, seinen Verteidigungshaushalt und seine Investitionen schrittweise zu erhöhen.“
In dem Artikel findet sich eine Auflistung vieler militärischer Bereiche, in denen sich die Balance beider Länder in den letzten Jahren deutlich zugunsten Deutschlands verschoben habe: Haushalt, Ausstattung und Personal. Dies habe dann wiederum auch zur Folge, dass Deutschland forscher auftrete und bei gemeinsamen Rüstungsprojekten inzwischen deutlich mehr Anteile abbekommen oder diese aufkündigen würde: „Neben diesem zugrunde liegenden Trend will Deutschland nun Gewinne aus seinen Investitionen erzielen, ohne von seinem französischen Nachbarn abhängig zu sein.“
So habe sich Deutschland bereits von einer Reihe geplanter Gemeinschaftsprojekte verabschiedet und selbst die geplanten deutsch-französischen Großprojekte Kampfflugzeug (FCAS) und Kampfpanzer stünden zur Disposition. Ergänzend dazu wurde gestern in der FAZ auf Äußerungen des Bundeswehr-Generalinspekteurs verwiesen: „In Paris hat man aufmerksam verfolgt, wie Generalinspekteur Eberhard Zorn bei der Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie durch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) im September in Berlin europäischen Zukunftsprojekten eine Absage erteilte. Zorn sagte bei der DGAP-Podiumsdiskussion anlässlich der Grundsatzrede Lambrechts: ‚Jetzt keine Experimente mit Entwicklungslösungen in der EU.‘ Der Generalinspekteur führte aus, wie die 100 Milliarden ausgegeben werden sollen: ‚Wir wollen Sachen haben, die fliegen, die fahren und die auf dem Markt da sind. Keine europäische Entwicklungslösung, die hinterher nicht läuft. (. . .) Es gibt auf dem Markt alles, was wir brauchen‘.“
Interssant ist auch ein Aspekt bei Bruxelles2, weshalb die deutsche Ankündigung einer “European Sky Shield Initiative” in Frankreich kritisch beäugt werde: „Auch die Ankündigung eines zwischen ost- und nordeuropäischen Staaten konzipierten Raketenabwehrschirms entspringt einem strategischen Willen: Sie verdeutlicht die zentrale Rolle Deutschlands in Europa und bekräftigt eine Alternative für die Länder, die gegen nukleare Abschreckung sind (Französisch und Amerikanisch).“ Auch hier liefert die FAZ ergänzend noch einen weiteren Grund: „Geplant ist die gemeinsame Beschaffung und Nutzung von Luftverteidigungssystemen aus Israel (Arrow 3) und Amerika (Patriot). Für Frankreich kommt die Entscheidung einer Absage an den Rüstungsstandort Europa gleich. Denn Berlin hätte auch das von den Rüstungskonzernen MBDA und Thales im Rahmen der französisch-italienischen Zusammenarbeit entwickelte Luftverteidigungssystem SAMP/T (in Frankreich: Mamba) sowie Aster-Raketen in Betracht ziehen können.“ (jw)