IMI-Standpunkt 2022/018
Anfeindung
Wer Frieden wünscht, ist naiv?
von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 21. April 2022
Die FDP konnte noch nie so wirklich viel mit dem Frieden anfangen – eindrucksvoll belegten dies jüngst Alexander Graf Lambsdorff, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Johannes Vogel. Die FDP als „Kalte-Kriegs“-Partei stemmt sich gegen den Abstieg des Westens, gegen die Aufgabe des „European Way of Life“ indem transatlantische Verbindungen wieder verstärkt werden und die „großen“ Demokratien des Westens enger zusammenrücken. In ihrer Perspektive müssen „wir“ ein Bollwerk bilden, gegen die Autokratien im Osten und dem Rest der Welt, die gar nicht anders können, als „uns“ anzugreifen! Die Notwendigkeit einer weiteren Aufrüstung darf dabei nicht in Frage gestellt werden – wenn „wir“ nicht gegen Russland rüsten (das hätte man ja bald geschafft), so müssen „wir“ uns auf China als Endgegner einstellen.
Das Interessante ist weniger der unbedingte Kriegsreflex, dessen Kritik angesichts des Leids des aktuellen Kriegs in der Ukraine schnell als zynisch diffamiert wird – interessant ist vielmehr die zugrunde liegende Analyse der Problemlage. Gruselig auf den Punkt gebracht hat dies jüngst der letztgenannte Johannes Vogel, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, in einem Beitrag für die Welt des Springerverlags.[1] Ganz traditionell wird hier im Sinne der Schocktherapie (Naomi Klein) empfohlen, die Zeitenwende dafür zu nutzen, uns nicht nur militärisch und energiepolitisch neu aufzustellen, sondern auch mental neu zu orientieren. Demnach ist es unausweichlich, dass Ziel von 2% des BIP für Rüstung strikt einzuhalten, dass Schiefergas uns eine Brücke in die Dekarbonisierung baut, dass wir aber auch ein neues – positives – Verhältnis zum Militärischen aufbauen müssen, um der „historischen Falle des Appeasements“ zu entkommen, die uns hat in diese Situation kommen lassen. Nach seiner Meinung müssen wir zu einem „holistischen Verständnis von Sicherheitspolitik“ kommen und uns eng mit den USA verbinden und eine „demokratische Allianz“ bestehend aus Europa, (Nord-?)Amerika und „solcher Länder“ wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland bilden.
Mögliche Brüche in dieser Forderung werden weggewischt – bis hin zu Geschichtsklitterei. Demnach war die Entspannungspolitik der 1970er nur aufgrund der militärischen Stärke und der Abschreckung erfolgreich – nicht dass diese überhaupt erst notwendig wurde, weil sich Supermächte in ideologischer Konfrontation befanden? Demnach waren die „deutschen Menschheitsverbrechen“ nicht die einzigen Konflikte, die man nur mit Waffengewalt lösen konnte – wobei seine Aufzählung „von Ruanda über Jugoslawien bis zu den Vororten Kiews“ geradezu zynisch ist, angesichts der weltweiten Kriege seit 1945: Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen, Mali, … Vietnam? Hier könnte man aber auch die grundlegende Relativierung der deutschen Schuld monieren, die ihre Bedingung gerade im (hier ja neu-reformiert geforderten) deutschen Militarismus gefunden hat. Auch die Perspektive auf „Abhängigkeiten“ wird keiner wirklichen historischen Analyse unterworfen und beschränkt sich bei näherem Besehen auf die Abhängigkeit von Russland (Gas) und China (5G?, Gott bewahre!). Das bildet nicht die realen gegenseitigen (!) Abhängigkeiten ab, sondern offenbart eine überaus koloniale Sicht auf „Abhängigkeiten“, die am besten nur gegenüber denen bestehen, mit denen man sich gut versteht, oder die man im Zweifel militärisch in ihre Schranken weisen kann – es ist eine „westliche“ Sicht auf die Globalisierung. Den „desaströsen Zustand der Republikanischen Partei“ in den USA erachtet Vogel als gefährlich und „zwingt uns zum Engagement“ – wobei der Autor sich nicht zu einer Analyse dieses Zustandes berufen fühlt, sondern ihn letztlich als Ausrutscher abtut – dass dieser vielleicht auch seine Ursachen in einem Politikverständnis findet, wie es die FDP vollmundig vertritt, kommt ihm nicht in den Sinn. Es ist eine der vielen Leerstellen in seiner Analyse. Dass Autokratien nicht einfach aus dem Nichts entstehen, sondern sich auch aus den historischen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ergeben, die der „Westen“ mit seiner Ausbeutung und Gewinnmaximierung weltweit schafft, ist ihm ebenso wenig eine Überlegung wert, wie der Punkt, dass die Auflösung der durch die Globalisierung geschaffenen Interdependenzen Folgen auch für das Sicherheitsempfinden weltweit nach sich zieht. Immerhin ist man so ehrlich, uns die neuen Feinde namentlich zu präsentieren: Volksrepublik China, Russland.
Dass das FDP-Sample akzeptabler Demokratien keine 13% der Weltbevölkerung umfassen wird und mit Polen und Ungarn Demokratien enthält, die kaum als Vorbild taugen (worüber man auch im Falle der USA im Zweifel sein kann – womit weitere 4,2% entfallen würden), ändert nichts an der FDP-Idee, einer globalen Führerschaft. Allein die zwei als Gegner Identifizierten kommen auf über 20%, von all den anderen Staaten weltweit mal ganz zu schweigen.[2] Man könnte argumentieren, dass die Aufrechterhaltung des „European Way of Life“ nicht ohne die Akzeptanz dieses Ungleichgewichtes und seiner militärischen Absicherung funktioniert, wobei es sich aus FDP-Sicht wohl sozusagen um eine Petitesse zu handeln scheint.
Die Diffamierung all derjenigen, die zum Teil seit Jahrzehnten, für Frieden, Abrüstung, Völkerverständigung und wirtschaftliche Gerechtigkeit auf der Welt auf die Straße gehen, als 5. Kohorte oder im „Vulgärpazifismus“ verhaftet zu beschreiben, ist dabei nicht nur als dumm abzutun, sondern in seiner zynischen Gefährlichkeit herauszustellen. Mit FDP und Grünen haben wir zwei ausgewiesene Kriegsbefürworter an der Regierung. Sie leiten hin zu einer Polarisierung der Gesellschaft und zu verstärkter Ab- und Ausgrenzung – mit Aufrüstungsprogrammen beenden wir keinen Krieg, wir führen ihn herbei.
[1] Johannes Vogel, Solange unsere Soldaten bei uns angefeindet werden, haben wir ein Problem, Welt 19.4.2022 (online).
[2] Jeweils gemessen an den Wikipedia-Zahlen, https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Staaten_und_Territorien_nach_Einwohnerzahl.