IMI-Analyse 2022/18 - in: AUSDRUCK (März 2022)

Wege an die Front

Logistik für Übung und Ernstfall in EU und NATO

von: Victoria Kropp | Veröffentlicht am: 22. März 2022

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Die „Militärische Mobilität“ soll dafür sorgen, dass innerhalb der EU militärische Truppen, Fahrzeuge und Geräte ungehindert Landesgrenzen passieren können. Momentan scheitert ein reibungsloser Transport an nicht geeigneter Infrastruktur – zum Beispiel sind Straßen nicht breit genug oder Brücken haben keine ausreichende Tragfähigkeit – und an bürokratischen Formalien, zum Beispiel umständliche und uneinheitliche Zoll- und Genehmigungsverfahren. Nach dem Willen der EU sollen mit dem Konzept der Militärischen Mobilität physische und rechtliche Hindernisse abgebaut werden, damit militärische Truppen und Ausrüstung ohne große Probleme innerhalb der EU transportiert werden können. Die Vereinheitlichung und Vereinfachung der Genehmigungsverfahren und anderer Formalien sollen bis 2024 abgeschlossen werden. Zusätzlich soll bis dahin geprüft werden, ob die vorhandene Infrastruktur für zivile und militärische Zwecke genutzt werden kann, und wo nicht, soll sie so ausgebaut werden, dass auch eine militärische Nutzung möglich ist. Ziel ist die Schaffung eines militärisch nutzbaren europaweiten Transportnetzwerkes, das gezielt zivile Kapazitäten in eine militärische Nutzung einbindet.[1]

Ständige Strukturierte Zusammenarbeit

Grundlage für die Militärische Mobilität ist die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, im Englischen mit PESCO abgekürzt (Permanent Structured Cooperation). PESCO wurde 2017 im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gegründet und die teilnehmenden Staaten haben sich auf 20 verbindliche Verpflichtungen geeinigt, um ihre militärischen Fähigkeiten auszubauen.[2] Militärische Mobilität ist eine von den 20 Verpflichtungen. An PESCO nehmen alle EU-Staaten außer Dänemark und Malta teil und an der Militärischen Mobilität alle PESCO-Staaten außer Irland.

Derselbe Ratsbeschluss, mit dem PESCO eingerichtet wurde, sieht auch die Möglichkeit vor, dass Drittstaaten, die nicht der EU angehören, an PESCO-Projekten teilnehmen können. Im Mai 2021 gab der Rat den Anträgen Kanadas, Norwegens und der USA auf Teilnahme am Projekt Militärische Mobilität statt. Auch die Türkei bekundete ihr Interesse. In welchem Umfang und mit welchen finanziellen Zuwendungen die drei Staaten teilnehmen werden, ist noch unklar.[3]

Zusammenarbeit von EU und NATO

Mit der Militärischen Mobilität möchte die EU ihre Zusammenarbeit mit der NATO stärken. Die NATO kritisierte bereits öfters, dass Straßen, Brücken und Schienen nicht nach militärischen Gesichtspunkten gebaut wurden. Die NATO forderte von der EU, dass sie mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen solle. Die NATO selbst sagt, dass geopolitische Veränderungen seit 2014 dazu geführt hätten, dass die NATO wieder ihre „ursprüngliche Aufgabe der territorialen Abschreckung und Verteidigung“ wahrnehmen müsse. Aus diesem Grund hat die NATO auch 2014 den Readiness Action Plan beschlossen, mit dem sie ihre Präsenz im Osten des Bündnisgebietes verstärken will.[4] Mit dem Plan wurde die NATO Response Force aufgestockt und als Ergänzung die Very High Readiness Force beschlossen. Die Very High Readiness Force im Unfang von insgesamt 20.000 Soldat*innen soll für NATO-Operationen innerhalb von 48 bis 72 Stunden einsatzbereit an jedem Ort des Bündnisgebietes sein. Dafür braucht es die entsprechende Infrastruktur und vereinfachte Verfahren, die durch Militärische Mobilität ermöglicht werden sollen. Die NATO will mit dem Readiness Action Plan vor allem die Präsenz im Osten verstärken.[5]

Ein weiterer Grund ist, dass die EU sich selbst sicherheits- und außenpolitisch besser aufstellen möchte. In einem Bericht des Europäischen Parlaments über Militärische Mobilität wird die EU als „verlässlicher globaler Sicherheitsgarant und Friedensakteur“ beschrieben, der in der Lage sei „den Frieden zu sichern.“ Dazu sollen mittels operativer Maßnahmen physische, verfahrenstechnische und rechtliche Hindernisse abgebaut werden, „um eine effektiver, reaktionsschneller und geschlossener handelnde Union zu schaffen, die in der Lage ist, die gemeinsamen Interesse und Prioritäten der EU bei der Förderung des Friedens und der Gewährleistung der Sicherheit ihrer Bürger und Hoheitsgebiete zu verfolgen.“[6]

Dazu sagte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, in ihrer Rede zur Lage der Union 2021: „[D]ie Europäische Union [sorgt] in einzigartiger Weise für Sicherheit. Es wird Missionen ohne die Beteiligung der NATO oder UNO geben – hier sollte die EU Präsenz zeigen. […] Wir können militärische und zivile Aspekte miteinander verbinden, zusammen mit Diplomatie und Entwicklungspolitik. […] Die gute Nachricht ist, dass wir in den letzten Jahren begonnen haben, im Sicherheitsbereich europäische Strukturen aufzubauen. Doch was wir brauchen, ist die Europäische Verteidigungsunion. In den letzten Wochen gab es viele Debatten über schnelle Reaktionskräfte. Welche Art brauchen wir und wie viele? Verbände, die rasch eingesetzt werden können, oder eine EU-Interventionstruppe.“[7]

Bezüglich der EU-NATO-Zusammenarbeit bei der Militärischen Mobilität sagte der stellvertretende NATO-Generalsekretär Mircea Geoană: „Eine enge Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU im Bereich der militärischen Mobilität ist wichtig für die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft und der kollektiven Sicherheit. […] Die militärische Mobilität ist für die Abschreckung und die Verteidigungsposition der NATO von wesentlicher Bedeutung. […] Die Fähigkeit der NATO, Streitkräfte und Ausrüstung schnell über den Atlantik und über die europäischen Grenzen hinweg zu verlegen, untermauert die Fähigkeit des Bündnisses, Frieden und Sicherheit zu wahren. […] Eine rasche Verlegung in ganz Europa erfordert nicht nur das Militär, sondern einen gesamtstaatlichen Ansatz, der auch den Wirtschaftssektor sowie zivile und militärische Akteure einbezieht.“[8]

In einem Entwurf des Strategischen Kompasses der EU vom 9.11.2021 heißt es, dass gemeinsame Übungen der EU und NATO im Rahmen der Militärischen Mobilität eine Triebkraft für eine verstärkte Zusammenarbeit und ein Weg zur Vertrauensbildung und Vertiefung der Partnerschaft seien.[9] Das heißt, die Militärische Mobilität soll auch über gemeinsame militärische Übungen als Schnittstelle für die EU-NATO-Zusammenarbeit dienen.

Es wird deutlich, dass die Militärische Mobilität mehr ist als nur der Umbau von Straßen und die Vereinheitlichung von Zollverfahren. Es geht nicht nur darum, im Falle des Falles schnell Truppen und Ausrüstung transportieren zu können, sondern es geht auch um aktive Provokation und Abschreckung. Denn mit Provokation und Abschreckung könne aus Sicht der NATO und der EU Frieden und Sicherheit garantiert werden. Gleichzeitig sollen zivile Strukturen und Akteure in ein militärisches Konzept eingebunden werden. Es geht also darum, eine Militarisierung (v.a. im Osten des NATO-Bündnisgebiets) mit einem zivilen Label zu versehen, um damit auch öffentlichen Protest so gering wie möglich zu halten.

Finanzierung

Eine Finanzierungsquelle ist der Mehrjährige Finanzrahmen der EU von 2021-2027.[10] Im Bereich Strategische Investitionen gibt es den Posten Connecting Europe Facility for Transport, mit dem die europäische Infrastruktur finanziert wird. Darüber kann dann finanziert werden, was unter dem Deckmantel „zivile Infrastruktur“ so umgebaut wird, dass es auch militärisch nutzbar ist.[11] Zudem gibt es im Mehrjährigen Finanzrahmen in dieser Förderperiode zum ersten Mal den Bereich Sicherheit und Verteidigung und dort gibt es für die Militärische Mobilität einen eigenen Posten. Wie viel über die Connecting Europe Facility für die Militärische Mobilität finanziert wird, kann im Voraus nicht seriös eingeschätzt werden. Über den Posten Militärische Mobilität im Bereich Sicherheit und Verteidigung werden es von 2021 bis 2027 insgesamt knapp 1,7 Milliarden Euro sein.[12]

Eine weitere Finanzierungsquelle bietet der Wiederaufbaufonds NextGenerationEU18, mit dem eigentlich die europäischen Volkswirtschaften nach der COVID-19-Pandemie wieder gestärkt werden sollen. Aber im dritten Fortschrittsbericht zum Aktionsplan Militärische Mobilität von Oktober 2021 heißt es: „Zusammen mit dem langfristigen EU-Haushalt für den Zeitraum 2021-2027 hat die EU das Aufbauinstrument NextGenerationEU18 angenommen, mit dem die Aufbau- und Resilienzfazilität finanziert wird. Im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität werden 672,5 Mrd. EUR an Darlehen und Zuschüssen zur Unterstützung von Reformen und Investitionen auf nationaler Ebene bereitgestellt. Die Mitgliedsstaaten können ihre Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität auch für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, einschließlich der Infrastruktur mit Doppelnutzung, verwenden.“[13] Diese erwähnte Doppelnutzung meint die zivile und militärische Nutzung. Das heißt, über den Wiederaufbaufonds können auch Projekte der Militärischen Mobilität finanziert werden.

Schluss

Zum Schluss stellt sich die Frage, was bisher mit der Militärischen Mobilität erreicht wurde. Bisher ist das noch nicht viel Konkretes. Im dritten Fortschrittsbericht von Oktober 2021 steht, dass Vorschläge zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten mit ziviler und militärischer Nutzung eingereicht wurden und es gab Fortschritte bei den Verfahrens- und Regulierungsangelegenheiten sowie bei der technischen Umsetzung dieser Angelegenheiten. Zudem wurde ein digitales System für den sicheren und schnellen Austausch von Informationen entwickelt. Die Fortschrittsberichte erscheinen einmal im Jahr. Das heißt, im Herbst 2022 wird der nächste veröffentlicht. In dem Bericht werden dann wahrscheinlich konkretere Zahlen zur Finanzierung über NextGenerationEU18 und mehr über die Zusammenarbeit mit den USA, Kanada und Norwegen stehen.


[1] Europäisches Parlament: Bericht über militärische Mobilität, 21.11.2018.

[2] Bundesministerium der Verteidigung: PESCO.

[3] Schlitz, Christoph B.: Deutschlands zentrale Rolle in Europas neuem Bündnis zur Verteidigung. Artikel erschienen in WELT am 6.5.2021.

[4] European Parliament Research Service: Military mobility, PE 635.570, März 2019.

[5] Bundesministerium der Verteidigung: VJTF 2019: Jederzeit schnell einsatzbereit, 26.11.2019.

[6] Europäische Kommission: Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat über Aktionsplan zur militärischen Mobilität, 28.3.2018.

[7] Europäische Kommission: Rede der Präsidentin von der Leyen zur Lage der Union – 2021, 15.9.2021.

[8] NATO: Deputy Secretary General discusses NATO-EU cooperation at military mobility symposium. Pressemitteilung vom 6.5.2021.

[9] Europäischer Auswärtiger Dienst: A Strategic Compass for Security and Defence – For a European Union that protects its citizens, values and interests and contributes to international peace and security. Document EEAS(2021) 1169, 9.11.2021.

[10] Europäische Kommission: Multiannual Financial Framework 2021-2027.

[11] Europäische Kommission: Joint Report to the European Parliament and the Council on the Implementation of the Action Plan on Military Mobility from October 2020 to September 2021, 24.9.2021.

[12] Europäische Kommission: EU-Haushalt 2022: Den Wiederaufbau in Europa und Fortschritte in Richtung grüne, digitale und resiliente Zukunft beschleunigen. Pressemitteilung vom 8.6.2021 2021.

[13] Europäische Kommission: Gemeinsamer Bericht an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung des Aktionsplans zur militärischen Mobilität von Oktober 2020 bis September 2021, 24.9.2021.