IMI-Standpunkt 2022/005b (Update: 25.2.2022)

Münchner Sicherheitskonferenz & Goldesel Ukraine

Schamlose Bereicherung und fast 40 Mrd. Euro mehr für die Bundeswehr?

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 21. Februar 2022

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Zynisch gesagt hat sich nicht zuletzt die Ukraine-Krise als Segen für den deutschen Rüstungshaushalt erwiesen. Seit ihrem Ausbruch stieg das Budget von 32,5 Mrd. Euro (2014) auf 46,9 Mrd. (2021) steil an – und das sind nur die offiziellen Zahlen, hinter denen sich noch einmal etliche Milliarden versteckte Militärausgaben verbergen (siehe IMI-Standpunkt 2019/058). Auf der Münchner Sicherheitskonferenz vom 18. bis 20. Februar 2022 wurde ganz explizit unter Verweis auf die aktuelle Eskalation rund um die Ukraine für neuerliche Erhöhungen des Militärhaushaltes geworben. Der russische Angriff auf die Ukraine verleiht nun Forderungen aus dem Verteidigungsministerium zusätzlichen Rückenwind, die erheblich über dem liegen, was aus dem Finanzministerium derzeit eigentlich angedacht ist, während gleichzeitig bekannt wurde, dass der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, erheblich von Rüstungsdeals profitiert, die auf seiner Tagung angebahnt werden.

Wunschkonzert des Militärs

Noch unter Kanzlerin Angela Merkel gab die damalige Bundesregierung die ambitionierte Zusage, bis 2023 eine schwere Brigade (ca. 5.000 SoldatInnen), bis 2027 eine Division (15.000-20.000 SoldatInnen) und bis 2032 drei Divisionen in die NATO einzuspeisen. Die Ampel übernahm diese äußerst kostspielige Zusage in ihrem Koalitionsvertrag: „Die NATO-Fähigkeitsziele wollen wir in enger Abstimmung mit unseren Partnern erfüllen und entsprechend investieren.“

Allerdings klafft nun zwischen dem, was das Finanzministerium jüngst im Finanzplan bis 2026 für die Bundeswehr vorgesehen hat und dem, was das Verteidigungsministerium zu benötigen meint, um die NATO-Fähigkeitsziele umsetzen zu können, eine gewaltige Lücke – eine rund 38 Mrd. Euro schwere Lücke, um genau zu sein. Während für 2022 noch einmal eine saftige Erhöhung auf 50,33 Mrd. Euro vorgesehen ist, gehen anschließend die Vorstellungen von Finanz- und Verteidigungsministerium ganz erheblich auseinander, wie die Oldenburger Zeitung kürzlich berichtete: „Danach benötigt die Bundeswehr im Jahr 2023 statt der vom Finanzministerium bislang in der mittelfristigen Planung vorgesehenen 47,3 Milliarden Euro 53,7 Milliarden Euro. Dieses Delta wächst jährlich: 2024 werden statt 47,1 Milliarden Euro 55,4 gebraucht, 2025 57,2 statt 46,7 Milliarden. Und 2026 beträgt der Bedarf statt 46,7 stolze 59,1 Milliarden Euro. Der Fehlbetrag summiert sich insgesamt auf 37,6 Milliarden Euro. […] In einer ersten Reaktion hatte das Finanzministerium die Forderungen zurückgewiesen.“

Die anstehenden Verhandlungen dürften spannend werden – schließlich ermahnte der Staatssekretär im Finanzressort, Werner Gatzer, das Verteidigungsministerium Anfang Februar, es sei deutlich zu großzügig mit den sogenannten Verpflichtungsermächtigungen umgegangen. Was das heißt, erläutert der Blog Augengeradeaus: „Mit den so genannten Verpflichtungsermächtigungen kann das Verteidigungsministerium Verträge für Rüstungsgüter abschließen, deren Kosten erst in den nächsten Jahren fällig werden. […] Die Forderung nach realistischer Planung enthält den dezenten Hinweis, dass das Wehrressort in den vergangenen Jahren, laienhaft gesprochen, ungedeckte Schecks auf die Zukunft erhalten hat.“

Bekenntnis zur Aufrüstung

Damit die Schecks also nicht irgendwann platzen, muss dringend mehr Geld her. Vor diesem Hintergrund nutzte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht die Gunst der Stunde, um für mehr Gelder zu werben. Bei Zeit Online wird sie zB mit den Worten zitiert: „Unter Verweis auf die aktuellen Spannungen mit Russland fordert Verteidigungsministerin Christine Lambrecht eine Erhöhung des deutschen Verteidigungshaushalts. ‚Die bedrohliche Lage an den Grenzen der Ukraine hat uns erneut sehr deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine wirksame Abschreckung heute leider wieder ist‘.“ Auf der Münchner Sicherheitskonferenz selbst sagte Lambrecht recht unmissverständlich: „Wir werden kontinuierlich diese Verteidigungsausgaben auch erhöhen.“ Auch der FDP-Koalitionspartner zeigt sich demgegenüber aufgeschlossen, wenn Christian Lindner etwa im Bericht aus Berlin am 20. Februar 2022 forderte: „Wir müssen die Bundeswehr so ausstatten, dass sie ihrem Auftrag gerecht werden kann.“

Kanzler Olaf Scholz war ohnehin ab 2018 als Finanzminister maßgeblich für die massiven Ausgabensteigerungen der folgenden Jahre mitverantwortlich. Auch er bekannte sich auf der Sicherheitskonferenz zur Notwendigkeit steigender Militärausgaben. Dies war allerdings kaum eine Überraschung. Bereits vor einigen Wochen verkündete er unumwunden, er beabsichtige, die bisherige Tendenz fortzusetzen: „Und im übrigen ist es so, dass wir natürlich alles dafür tun, dass wir die Bundeswehr gut ausstatten. […] Die Verteidigungsausgaben Deutschlands sind in einer Weise gestiegen, wie das viele, viele Jahre nicht der Fall war. Das ist etwas auch etwas, das wir fortsetzen werden im Rahmen der Haushaltsmöglichkeiten, die wir haben.“

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde dann zum Beispiel Heeresinspekteur Mais in der Presse mit Worten zitiert, die wie zu befürchten steht so oder in ähnlicher Form nun den Diskurs dominieren könnten: „Heeresinspekteur Alfons Mais, einer der ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr, machte seinem Unmut am Donnerstag in ungewöhnlicher Offenheit Luft: Nun herrsche Krieg in Europa, „und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, sagte Mais. Die Bundeswehr sei kaputtgespart worden.“

Dies nahm zum Beispiel der CDU-Verteidigungspolitiker Jens Lehmann zum Anlass, um gleich besonders weit vorzupreschen: „Mit Blick auf die aktuellen Möglichkeiten der Bundeswehr, ihren Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung zu erfüllen, müssen wir feststellen, dass wir zu viele Abstriche machen müssen. Deshalb brauchen wir eine Verdoppelung des Wehretats, um unsere Streitkräfte für die Zukunft so zu ertüchtigen, dass sie ihren verfassungsmäßigen Auftrag wirksam erfüllen können“.

Wie weit sich die Haushaltsplanungen den Vorstellungen des Verteidigungsministeriums annähern werden, ist aktuell noch nicht abzusehen – dass sich die Zahlen aber zu seinen Gunsten verschieben werden, dürfte jetzt schon relativ sicher sein, Augengeradeaus schreibt etwa: „Am 9. März will das Bundeskabinett die Eckpunkte für die aktuelle Haushaltsplanung und für die Finanzplanung der kommenden Jahre festlegen. Absehbar scheint schon jetzt, dass die Forderungen aus dem Finanzministerium von Anfang des Jahres mit Einsparungen im Verteidigungshaushalt so nicht Bestand haben werden.

Schamlose Bereicherung

Kein Wunder also, wenn sich in den Chefetagen der großen Rüstungskonzerne aktuell die Hände gerieben wird. Eine Sache trübt allerdings die Freude ein wenig, nämlich dass die Anbahnung von Rüstungsgeschäften im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz aus Sicht der Branche zu einem (zu) kostspieligen Unterfangen geworden zu sein scheint.

So berichtete zuerst ein Artikel auf dem Portal Politico, der kurz vor Beginn der Sicherheitskonferenz veröffentlicht wurde, ihr Leiter, Wolfgang Ischinger, habe sich über die Tagung massiv bereichert. Dies wurde dann auch schnell in deutschen Medien aufgegriffen, u.a. schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung: „Unter anderem soll er [Ischinger] demnach über eine von ihm im Jahr 2015 mitgegründete Beratungsfirma – ‚Agora Strategy Group‘ – an der Sicherheitskonferenz verdient haben. Diese Firma habe Termine und Kontakte auf der Konferenz zum Verkauf angeboten. Beispielsweise habe sie einem Rüstungsunternehmen angeboten, gegen Honorarzahlungen Personen aus dem Teilnehmerkreis der Konferenz für ein sogenanntes ‚Side Event‘ auszuwählen sowie bilaterale Gesprächstermine zu vereinbaren. Laut Spiegel gehören Ischinger 30 Prozent an Agora.“

Noch einmal deutlich galliger äußerte sich ein Beitrag der Griephan-Briefe, die über gute Kontakte zur Rüstungsindustrie verfügen. Augenscheinlich hat es wohl Ischinger mit dem wirtschaften in die eigenen Taschen selbst nach den Standards der Branche deutlich übertrieben: „Leider ist die früher gediegene Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) unter dem langjährigen Leiter, Botschafter – so viel Zeit muss sein! – Wolfgang Ischinger, zu einem profitablen Beratungsunternehmen mutiert. So werden für bestimmte Kontaktanbahnungen Preise aufgerufen, die selbst abgebrühten Lobbyisten die Tränen in die Augen treiben. ‚Davos with Guns‘, so beschreibt das Nachrichtenportal Politico in einem – für Ischinger wenig schmeichelhaften – Beitrag die tiefen Verästelungen (‚Wolfgang’s World‘).“