IMI-Mitteilung

Manöver als Brandbeschleuniger

Bericht vom Kongress der Informationsstelle Militarisierung

von: IMI | Veröffentlicht am: 25. November 2021

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Zum inzwischen 25. Mal fand am Samstag, den 20. November 2021, der alljährliche Kongress der Informationsstelle Militarisierung statt. Pandemiebedingt auf mehreren Ebenen – in Präsenz, im Radiolivestream und im Internet – beschäftigten sich dabei durchgängig über 150 Interessierte mit dem Thema „Manöver als Brandbeschleuniger“. Durchgehend wurde dabei in den Beiträgen der Panels wie auch aus dem Publikum auf die von den zunehmenden Manövertätigkeiten ausgehenden Gefahren verwiesen, die aus diesem Grund verstärkt in den Fokus der Friedens- und Antikriegsbewegung rücken sollten.

Den Auftakt bestritt IMI-Vorstand Tobias Pflüger, der einen Einstieg in „Manöver als gefährliche Machtdemonstrationen“ bot. Er ging dabei auf verschiedene Manöverformen – vom Planspiel bis zur konkreten Gefechtsübung – ein, die auch im Umfang stark variieren würden: von wenigen SoldatInnen bis hin zu hohen fünfstelligen Zahlen. Geprobt würden dabei von der NATO u.a. Einsätze zur Rohstoffsicherung, aber auch Angriffsszenarien im Zusammenhang von Großmachtkriegen, die nichts mit Landesverteidigung zu tun hätten. Im Zuge dieser Manöver komme es immer häufiger zu Beinahe-Zusammenstößen zwischen westlichen und russischen Truppen. Dies sei besonders gefährlich, weil gleichzeitig viele der Kommunikationskanäle, die im Kalten Krieg eine Eskalation vermeiden helfen sollten – „rotes Telefon“, „heißer Draht“ usw. – heute nicht mehr existieren.

Im Rahmen des Panels „Logistik für Übung und Ernstfall“ zeigten Victoria Kropp (Friedensforscherin) und Alexander Kleiß (IMI-Beirat) aktuelle Schritte der EU und der NATO auf, die zusammen an einem Ausbau der logistischen Infra- und Kommandostrukturen arbeiten. Victoria Kropp erklärte, dass Militärische Mobilität den ungehinderten Transport von Truppen und Material über EUropäische Landesgrenzen hinweg ermöglichen solle. Auf EU-Ebene sei die Militärische Mobilität eine der Verpflichtungen von PESCO und es bestehe ein EU-Aktionsplan für Militärische Mobilität. Skandalös sei die Finanzierung des Ausbaus der Militärischen Mobilität in der EU, die u.a. durch den EU-Wiederaufbaufonds erfolge, der zur Bewältigung der Pandemie eingerichtet wurde. Die EU arbeite mit der NATO zusammen, die die Fähigkeit anstrebe, Truppen innerhalb von 48 bis 72 Stunden im gesamten Bündnisgebiet verlegen zu können. Die Verlegungen sollten provozieren, abschrecken oder die Kriegsbereitschaft demonstrieren. Alexander Kleiß stellte das Multinationale Kommando Operative Führung und das Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm vor. Ersteres sei für multinationale Einsätze der EU und der NATO zuständig. Das seit September 2021 voll einsatzfähige JSEC, im Grunde ein Mobilmachungszentrum für NATO-Einsätze und Manöver, sei u.a. für die Koordinierung der Truppenbewegungen in Europa, die Transportlogistik und im Rahmen des PESCO-Projekts Militärische Mobilität für die Planung wichtiger Doppelnutzungs-Infrastruktur zuständig. Proteste gegen das JSEC habe es bereits in Ulm gegeben, weitere seien wahrscheinlich.

Aaron Lye, Informatiker und Mitglied im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) stellte in seinem Vortrag „NATO-Manöver im Cyberraum“ zunächst kursorisch Akteure, Ziele und Methoden von Cyberangriffen vor. Dabei spielten als Akteure Staaten und als Ziel die Unterstützung militärischer Operationen eine wachsende Rolle. Ein Angriff erfolge immer in zwei Phasen: Die erste bestehe in der Analyse der anzugreifenden Systeme und der Ausspähung von Sicherheitslücken, die zweite dann in deren Nutzung. Anschließend stellte er drei Cyber-Übungen vor, die regelmäßig und in wechselnder Zusammensetzung von der NATO durchgeführt würden. Bei der Übung „Cyber Coalition“ würden v.a. Entscheidungsstrukturen eingeübt, bei „Locked Shields“ hingegen versuchen mehrere Teams mit insgesamt ca. 1.000 Teilnehmenden, Cyber-Angriffe abzuwehren. Sehr wenig sei hingegen über den Übungszyklus „Crossed Swords“ bekannt, wo auch offensive Cyber-Operationen zur Unterstützung von Spezialkräften eingeübt würden. Insgesamt wurde deutlich, dass Cyber-Operationen in großem Maßstab vorbereitet und seit 2008 systematisch im Manöver geübt werden. Besonders Phase 1 – das Ausspähen von Sicherheitslücken – ist bereits im Vorfeld militärischer Auseinandersetzungen längst Alltag.

Das „Säbelrasseln gegen Russland“ war Gegenstand des folgenden Panels. Claudia Haydt vom IMI-Vorstand ging dabei besonders auf das „Großmanöver Defender Europe 2022“ ein, bei dem es sich um eines der zentralen gegen Russland gerichteten Manöver handele. Im Jahr 2020 sei es dabei vor allem darum gegangen, die Logistik für die Verlegung einer US-Division (20.000 SoldatInnen) von den USA an die europäische Westküste und von dort quer durch Europa an die Grenze zu Russland zu trainieren. In diesem Jahr habe der Aufmarsch im Schwarzen Meer im Zentrum gestanden. Über das kommende Manöver Defender 2022 sei noch nicht alles bekannt – wahrscheinlich würden wohl 13.500 SoldatInnen teilnehmen, stattfinden werde es sich voraussichtlich zwischen Februar und Mai 2022. Klar ist aber schon jetzt, dass systematische Experimente zur Integration neuer Waffentechnologien in herkömmliche Manöver geben wird.

Wie Planspiele zu Rüstungsprojekten werden, war das Thema  in dem Beitrag „Bundeswehr: Vom Szenario zur Rüstung“ von Martin Kirsch (IMI-Vorstand). Wichtig seien hier vor allem drei Papiere des Heereskommandos aus dem Jahr 2017, insbesondere das unter Ägide von General Frank Leidenberger erstellte Dokument „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig“. In dem ins Internet gelangten Papier werde recht detailliert eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland durchgespielt und Defizite identifiziert, die für eine „siegreiche“ Absolvierung des Szenarios behoben werden müssten. Die Ergebnisse seien dann direkt in die „Konzeption der Bundeswehr“ (2018) und die „Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft“ (2021) eingeflossen, die unter anderem die Aufstellung eines gegen Russland gerichteten Großverbandes bis 2027 vorsähen.

Im fünften Panel „Manöver, Umwelt und der Sprit“ sprach Jacqueline Andres (IMI-Vorständin) zu den ökologischen Folgen von Militärmanövern. Sie zeigte die drastischen Umwelteinwirkungen militärischer Übungen durch verschiedene Formen von Emissionen, durch Unfälle, Explosionen, Brände und vieles mehr auf. Die Referentin griff zur Veranschaulichung mehrere Manöver weltweit heraus. Sie schloss den Vortrag mit Beispielen für erfolgreichen Widerstand gegen Militärübungen und Übungsplätze.

Um nicht den gesamten Kongress über bei der grauen (und trüben) Theorie zu verbleiben, bildete Jan Meyer mit seinem Beitrag „Militärtransporte blockieren: Ein Bericht aus der Praxis“ einen erfrischenden Abschluss.Manöver würden sich ideal für Protestaktionen eignen und zwar weniger in Form von Großdemonstrationen, sondern durch kleine Aktionen, die extrem effektiv sein könnten. Er beschrieb dabei beispielhaft eine Aktion gegen eine Militärübung in Husum, die auch dazu geführt habe, dass den AktivistInnen in der lokalen Presse breiter Raum für ihre Kritik gegeben wurde. Wichtig sei es ebenfalls, sich darüber im Klaren zu sein, dass Aktionen gegen Manöver schnell zu Repressionen führen können, diesen aber dann wiederum mit kreativen Aktionen am besten begegnet werden könnte. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gäbe es in Deutschland wenig direkte Proteste gegen Manöver, weshalb er seinen Beitrag mit einem Plädoyer beendete, diesen Umstand zu ändern.