IMI-Standpunkt 2020/061 - in: AUSDRUCK (Dezember 2020)
Wille zur Macht
Von studierenden Reservisten zu studierten Lobbyisten
von: Bernhard Klaus | Veröffentlicht am: 1. Dezember 2020
Unter dem Titel „Vom Mythos der Reife“ hat Charlotte Wiedemann kürzlich in der taz anschaulich darauf hingewiesen, dass im Bereich „Sicherheitspolitik“ die öffentliche Meinung und die veröffentlichte Meinung der Leitmedien, des Parlaments und der vermeintlichen Expert*innen weit auseinander klaffen. Während eine klare Mehrheit der Wahlberechtigten Auslandseinsätze ablehne, kenne „die begleitende öffentliche Beschallung nur eine Richtung: Wer ernst genommen werden will, muss zu auswärtigen Einsätzen der Bundeswehr stehen, das beweise Pragmatismus und einen als ‚gesund‘ apostrophierten Willen zur Macht“.
Wiedemann spricht in diesem Zusammenhang von einem „außen- und sicherheitspolitischen Establishment“, andere etwas selbstbewusster oder neutraler von einer „sicherheitspolitischen Community“. Durchforstet man das Internet nach diesem Begriff, stößt man schnell auf einige Institutionen, die sicherlich dazugehören (wollen), darunter die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) oder das Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel (ISPK). Andere Organisationen, die zweifellos dazugehören, wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der German Marshall Fund (GMF) oder die Münchner Sicherheitskonferenz, benutzen den Begriff zurückhaltender. Besonders gerne sprechen der Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH) und dessen Hochschulgruppen von der „sicherheitspolitischen Community“, für deren informelle Mitgliedschaft sich die Beteiligten ganz offenbar bewerben wollen.
Der BSH ging aus der „Bundesarbeitsgemeinschaft studierender Reservisten“ hervor, die 1985 noch unter dem deutlich militärischer anmutenden Kürzel BAGStudRes gegründet wurde. Hintergrund war damals offenbar der NATO-Doppelbeschluss, die damit erstarkte Friedensbewegung und die vermeintliche linke Hegemonie in den Hochschuldebatten. Nachlesen kann man das gut in der Ausgabe 3/2015 des „ADLAS“, dem „Magazin für Außen- und Sicherheitspolitik“, herausgegeben vom BSH. Es handelt sich dabei um eine Jubiläumsausgabe zum 30-jährigen Bestehen des BSH (bzw. des BAGStudRes), die einige Rückblicke bis in die Zeit der Gründung enthält. Einer der Beteiligten von damals berichtet unter dem Titel „Ein Anfang im Streit“ (mit der Friedensbewegung), wie der Verband seinerzeit tatsächlich auf die Initiative studierender Reservisten zurückging, jedoch von Anfang an vom Reservistenverband und auch vom Verteidigungsministerium unterstützt wurde. Für seinen Beitrag zur Gründung erhielt der Autor von Manfred Wörner, Verteidigungsminister bis 1988, das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze.
Einen großen Raum nimmt in der Jubiläumsausgabe auch die Umbenennung 2005 und die damit einhergehende Öffnung für „Ungediente“ ein, die wohl auch einen tiefer greifenden Kulturwandel in der Institution einleitete. Ein Autor beschreibt recht anschaulich, dass sich die Hochschulgruppen zunächst auch unter dem neuen Namen als Teil der Reservistenkameradschaft verstanden, „im Schwerpunkt der militärischen Aus- und Weiterbildung widmete[n]“ und sich in Kasernen fernab der Uni „[b]ei Schnitzel und Bier“ trafen. „[M]it dem sicherheitspolitischen Diskurs an Hochschulen hatte dies wenig gemein“, so der Autor rückblickend, der auch beschreibt, was sich in der Folge geändert habe: „Wir veranstalteten Vorträge und Diskussionsrunden in Seminarräumen der Universität und suchten den Kontakt zu Fakultäten, Uni-Verwaltung und anderen Institutionen“. Mittlerweile entstünden „neue Gruppen […] wie selbstverständlich aus der Mitte der Studierenden“.
Tatsächlich weckt die Außendarstellung des BSH heute kaum noch Assoziationen mit der kämpfenden Truppe. In Sachen „Gender-Balance“ scheint der BSH besser aufgestellt als viele Organisationen der Friedensbewegung. Auf der Homepage finden sich v.a. Gruppenfotos von jungen Menschen in Anzügen und Kostümen, die im Verhältnis zum Alter der Abgebildeten wahlweise ambitioniert oder albern wirken. Die Fotos stammen von regelmäßig durchgeführten Veranstaltungen wie der „Aufbauakademie Sicherheitspolitik“, dem Seminar „Wirtschaft & Sicherheit“ und der „Simulation UN Mission HQ“. Bei den Grund- und Aufbauakademien werden in Berlin Denkfabriken und Regierungsinstitutionen besucht, die UN-Simulation („Wie plane ich eine UN-Mission?“) findet im Rahmen der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und also gemeinsam mit zukünftigen Stabsoffizieren statt. Darüber hinaus organisiert der BSH Exkursionen. Die erste „internationale sicherheitspolitische Exkursion“ führte im April 2019 für einige Tage ins Baltikum, wo u.a. das NATO-Exzellenzzentrum Cyber in Tallinn und die deutsche Luftwaffe in Ämari (Estland) besucht wurden. Eine zweite internationale Exkursion war 2020 nach Albanien, Kosovo und Serbien vorgesehen, fiel jedoch Corona-bedingt aus. Für die An- und Abreise hätten die Beteiligten selbst aufkommen müssen, weitere Kosten mussten sie jedoch nicht tragen. Die Exkursionen veranstaltet der BSH gemeinsam mit dem Reservistenverband und den Jugendoffizieren der Bundeswehr, die vom BSH und seinen Hochschulgruppen gerne auch auf Veranstaltungen an der Universität oder anderswo eingeladen werden.
Die formellen Beziehungen zum Verband der Reservisten der Bundeswehr (VdRBw) scheinen nebulös. Während die BAGStudRes durchaus als studentischer Flügel des Reservistenverbandes bezeichnet werden konnte, wird vom BSH zwar oft von „Kooperation“ mit dem VdRBw gesprochen, dieser wird aber in der Satzung des BSH nicht erwähnt. Wenn der BSH eine Postadresse angibt, so ist dies die Geschäftsstelle des VdRBw in der Zeppelinstraße 7A in Bonn. Weiteren Aufschluss gibt die bereits genannte Jubiläumsausgabe des ADLAS, die auch ein Interview mit Marc Cieszewski enthält, Organisationsleiter Sicherheitspolitische Hochschularbeit des VdRBw und „damit Unterstützer, die gute Seele und das Gedächtnis des BSH“. Aus dem Interview geht hervor, dass er regelmäßig Finanzanträge des BSH und seiner Hochschulgruppen bearbeitet. Das weckt durchaus den Eindruck, als würde der BSH – der an vielen Stellen den ehrenamtlichen Charakter seiner Tätigkeit betont – wesentlich von der Geschäftsstelle des VdRBw aus geführt. Dieser jedenfalls bezeichnet seine „Kooperation“ mit dem BSH als zentrales Element seiner „sicherheitspolitischen Hochschularbeit“.
Wenn also „sicherheitspolitisch interessierte“ und „ehrenamtlich engagierte“ Studierende des BSH an den Hochschulen die „sicherheitspolitische Debatte“ vorantreiben wollen oder Kommiliton*innen zu Exkursionen einladen, ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Anträge über einen Schreibtisch in der Geschäftsstelle des VdRBw gehen, dem gegenüber das BMVg weisungsbefugt ist. Da diese Veranstaltungen dann wiederum häufig Jugendoffiziere und andere Bundeswehrangehörige als Referent*innen vorsehen, erscheinen die engagierten, mittlerweile überwiegend „ungedienten“ Studierenden des BSH eher als zivile Camouflage eines letztlich vom Verteidigungsministerium und der Armee selbst in die Hochschulen getragenen Diskurses. Das erklärt auch, wo eigentlich die Finanzmittel herkommen, mit denen der BSH die Gründung und Arbeit der Hochschulgruppen anschiebt. „Materielle und immaterielle Ressourcen“ erhält der BSH – bei dem die Mitgliedschaft kostenlos ist – außerdem vom „Netzwerk Außen- und Sicherheitspolitische Bildung“ e.V., über den er regelmäßig in seinem Newsletter („BSH-News“) unter der Rubrik „Förderverein“ berichtet. So auch in der Ausgabe III/2019: „Das Vorstandsteam besteht aus dem Vorsitzenden Dr. Michael Seibold (Volkswagen Financial Services AG) und den Stellvertretenden Vorsitzenden Fabian Fischbach (PricewaterhouseCoopers GmbH), Jan Fuhrmann (Deutscher Bundestag), Sebastian Nieke (Bundesakademie für Sicherheitspolitik) sowie dem Schatzmeister Sebastian Hoffmeister (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat)“.
Denn dass sich „neue Gruppen wie selbstverständlich aus der Mitte der Studierenden“ gründen, scheint zumindest nur ein Teil der Wahrheit zu sein. Auf der Homepage des BSH jedenfalls sind die „vier Schritte“ zur Gründung solcher Gruppen beschrieben, es wird eine Mustersatzung angeboten, „Bereitstellung von Werbematerial, IT-Struktur und generelle Unterstützung durch den Bundesverband“ sowie finanzielle Unterstützung bereits der ersten Veranstaltung in Aussicht gestellt. Mit Stand vom September 2020 gibt der BSH die Zahl der Hochschulgruppen mit 26 an, in fünf weiteren Städten gäbe es Initiativen zur Gründung. Allerdings scheinen einige Gruppen schon vor der Pandemie nicht mehr sehr aktiv gewesen zu sein. Es ist durchaus anzunehmen, dass auch BSH-Gruppen unter verkürzten Studienzeiten und Bologna-Reformen leiden und das „Engagement“ deshalb manchmal nur kurz währt. Die letzte Ausgabe des ADLAS jedenfalls erschien mit der Nummer 1/2018 mit einem Schwerpunkt zu Atomwaffen unter dem Titel „Strahlende Zukunft“.