IMI-Studie 2020/05
Zivile Logistik für den Krieg
Praxis und Probleme von Outsourcing in der Bundeswehr
von: Emma Fahr | Veröffentlicht am: 10. September 2020
Zivile Logistik für den Krieg
Praxis und Probleme von Outsourcing in der Bundeswehr
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Einleitung: Was ist private Logistik?
Der Begriff der Logistik kann alles und nichts bedeuten. Im Volksmund wird er zumeist synonym mit Transport und Lagerung verwendet – siehe Paketdienste oder Speditionsunternehmen. Im professionellen Rahmen wird zunehmend der präzisere Begriff ‚Supply Chain Management‘, also ‚Lieferketten-Management‘, verwendet. Die wirtschaftliche Sichtweise auf Logistik und die Eigendefinition der deutschen Bundesvereinigung Logistik umfasst jedoch „alle arbeitsteiligen Wirtschaftssysteme, in denen es auf die zeit-, kosten- und mengenoptimierte Verteilung von Gütern und Dienstleistungen“ ankommt.[1] Es geht also um ein möglichst effizientes und vollumfängliches Management von Waren und Dienstleistungen.
Interessanterweise stammt der Logistikbegriff historisch aus dem Militär – da Kriege, Feldzüge etc. schon immer einen außergewöhnlichen logistischen Aufwand darstellten, um die Versorgung der Truppen, „Verwaltung, Lagerung sowie die Transportsteuerung kriegsnotwendiger Güter“ strukturiert und zuverlässig zu organisieren und zu gewährleisten.[2] Bis heute definiert sich die militärische Logistik derart weitgreifend: „Planung, Bereitstellung und Einsatz der für militärische Zwecke erforderlichen Mittel und Dienstleistungen zur Unterstützung der Streitkräfte“.[3] Damit umfasst sie also mehr oder weniger alles, was nicht der unmittelbare militärische (Kampf)einsatz ist – von der Wartung der Leopard-Panzer bis zur Wasserflasche in Camp Marmal.
So verwundert es auch wenig, dass die Logistik das größte Fähigkeitskommando der Bundeswehr ist und mit etwa 16.000 zivilen und militärischen Mitarbeitenden etwa die Hälfte der gesamten Streitkräftebasis stellt.[4] Das sind eine ganze Menge gebundener Kapazitäten für eine Streitkraft am Rande ihrer maximalen Auslastung. Denn besonders für die Logistik macht der Paradigmenwechsel von einer Verteidigungsarmee zu einer Armee im faktisch permanenten Einsatz einen eklatanten Unterschied in den qualitativen und quantitativen Leistungsanforderungen. Und so liegt der Gedanke scheinbar gar nicht fern, die fehlenden oder benötigten Leistungen auszulagern, um die vorhandenen Kapazitäten der Bundeswehr möglichst ‚effizient‘ einsetzen zu können.
Dieses Argument, den Soldat*innen ‚den Rücken frei zu halten‘, damit diese sich gänzlich auf die ‚militärischen Kernaufgaben‘ konzentrieren könnten, stammt trotz seiner ungebrochenen Aktualität schon aus den 1950er Jahren. Sowohl die Art und Weise als auch das schiere Ausmaß dieser Praxis hat sich über die Jahrzehnte jedoch stark gewandelt. Bereits in den 1970er Jahren wurde einige Projektideen der zivil-militärischen Zusammenarbeit geboren, welche die Bundeswehr bis heute kennzeichnen. Zum Beispiel jene, Menschen mit zivilen Berufsausbildungsmöglichkeiten zur Armee zu locken, wodurch sich die Bundeswehr in der Gesellschaft und der Wirtschaft besser verankern und vernetzen will und sich gleichzeitig Zugriff auf ziviles Fachpersonal sichert.[5] Diese Projekte wurden weitergeführt, als mit dem Ende des Kalten Krieges die zuvor sprunghaft angestiegenen Wehretats schrumpften, und mit ihnen auch die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber und des Soldat*innenberufes.[6] Aufgrund einer konsequenten Umstrukturierung hin zu den ‚militärischen Kernaufgaben‘ der Bundeswehr sank die Anzahl der aktiven Soldat*innen seit 1970 um fast Zweidrittel.[7] In diesem Umfeld intensivierte sich die Praxis des Outsourcings all jener Aufgaben und Kompetenzen, die über den ‚militärischen Kern‘ hinausgehen – was in besonderem Maße die Logistik betrifft.
Wie und in welchem Kontext das passierte, soll im Folgenden betrachtet werden. Im Hinblick darauf werden die ersten großen ÖPP-Projekte des Verteidigungsministeriums beleuchtet, da sich eine ganze Reihe von Problemen und Fehleinschätzungen schon in dieser Phase offenbarten. Dies bezieht sich insbesondere auf die fehlende wirtschaftliche Effizienz und die Korruptionsanfälligkeit der Gesellschaften durch die enge Einbindung der privaten Unternehmen in einen quasi-monopolistischen Markt und die grundsätzliche Problematik der Vermischung von Zivilem und Militärischem.
Auf den heutigen Formen, dem Ausmaß und der Legitimität des Outsourcings in der Bundeswehr, liegt dann das Hauptaugenmerk dieser Studie. Es wird dafür beschrieben, wie die private Logistik mit der ‚Armee im Einsatz‘ verwoben ist, um scheinbare personelle, finanzielle und kapazitäre Fähigkeitslücken zu schließen. Abschließend erfolgt eine kritische Analyse, welche Logik und welches Kalkül hinter den stetig vorangetriebenen Privatisierungen steht, um auf dieser Basis den Versuch eines Ausblicks zu unternehmen.
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INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung: Was ist private Logistik?
TEIL EINS
Die ersten großen Schritte: Scharpings ÖPPs
Die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb
Das Konzept ÖPP
Viel erwartet, wenig g.e.b.b.racht. Eine nüchterne erste Bilanz
TEIL ZWEI
Die Bundeswehr als Einsatzarmee: Neue Aufgaben, alte Kapazitäten
Outsourcing im Inland: PR und Worst-Case-Strategie
Outsourcing im Auslandseinsatz
‚Personalmangel‘: Soldat*innen für die ‚Kernaufgaben‘
Fähigkeitslücken: zwischen Flexibilität und Abhängigkeiten
Der ‚freie Markt‘: Die Mär der Effizienz
Politische Kosten: Im Schatten von ‚Effizienz und Sachzwang‘
Fazit: Im Dunkeln ist gut munkeln
Und jetzt? Ein Ausblick
Anmerkungen
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