IMI-Standpunkt 2020/027 (Update: 15.8.2020)

Rüstungsindustrie: (Corona-)Unterstützung trotz Superzyklus

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 17. Juni 2020

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In schöner Regelmäßigkeit liefert die deutsche Rüstungsindustrie mit jahrelangen Verzögerungen überteuerte Produkte ab, dennoch wird ihr staatlicherseits auf vielerlei Arten unter die Arme gegriffen. Und weil das anscheinend schon Tradition zu haben scheint, wurde die Rüstungsindustrie auch bei den jüngsten Maßnahmen im Zuge der Coronakrise bedacht, vor allem im kürzlich auf den Weg gebrachten Konjunkturpaket.

Staatliche Unterstützung: Fass ohne Boden

Der Name war Programm: Im „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie“ aus dem Jahr 2015 ging es wie auch in dem in diesem Jahr veröffentlichten gleichnamigen Nachfolger vor allem darum, die in Deutschland ansässigen Unternehmen der Branche zu stärken. Zu diesem Zweck wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, u.a. wurden Schlüsseltechnologien definiert, die vor ausländischer Konkurrenz ‚geschützt‘ werden sollen. Um „Exporte politisch flankieren“ zu können, werden Fusionen und Übernahmen mit dem Ziel vorangetrieben, so die ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ im Kampf um die globalen Waffenmärkte zu ‚verbessern‘. Dies alles sollte dazu beitragen, die Rüstungsindustrie ‚besser‘ in die Lage zu versetzen, zeitnahe und preisgünstige Produkte abzuliefern (siehe IMI-Analyse 2020/06).

Geholfen hat das alles – außer den Erträgen der deutschen Unternehmen – bislang allerdings herzlich wenig. Am 9. Juni 2020 veröffentlichte das Verteidigungsministerium seinen 11. „Bericht des Bundesministeriums der Verteidigung zu Rüstungsangelegenheiten“, der einmal mehr die drastischen Verzögerungen und Kostensteigerungen von Rüstungsgroßprojekten ans Licht brachte: „Das Finanzvolumen aller derzeit im RM [Risikomanagement] betrachteten Projekte beträgt rund 143 Mrd. Euro. […] Aktuell beträgt die Verzögerung im Mittel 52 Monate gegenüber der ersten parlamentarischen Befassung. […] Die Abweichung der aktuellen haushalterischen Abbildung aller hier ausgewerteten laufenden Rüstungsprojekte beträgt im Vergleich zur ursprünglichen Veranschlagung der Projekte bei Projektbeginn in der Summe rund 12,8 Mrd. Euro absolut und rund 31 % relativ.“

Vor dem Superzyklus

Eine ganz banale Form, mit der die Rüstungsindustrie staatlicherseits zudem aufgepäppelt wird, sind die rapide steigenden Ausgaben für die Neuanschaffung von Rüstungsgütern der Bundeswehr. Der diesbezüglich zentrale Etat im Verteidigungshaushalt – „Militärische Beschaffungen“ – wuchs von 3,82 Mrd. (2014) über 4,25 Mrd. (2016) auf 5,95 Mrd. (2019). Tendenziell war damit zu rechnen gewesen, dass sich dieser Trend fortsetzen würde, schließlich hatte Kanzlerin Angela Merkel gegenüber der NATO relativ verbindlich zugesagt, Deutschland werde bis 2024 einen Militärhaushalt von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vorlegen. Berechnungen der Bundeswehrhochschule München zufolge hätte dies einen weiteren Anstieg des Rüstungshaushaltes von 45,2 Mrd. Euro (2020) auf 57,8 Mrd. Euro (2024) erfordert – 2014 belief sich der Etat noch auch 32,4 Mrd. Euro!

Kein Wunder also, dass sich die  Rüstungsindustrie – sogar als sich die Coronakrise bereits deutlich abzuzeichnen begann – vor „rosigen“ Zeiten wähnte. So hieß es noch Anfang März 2020 in der Welt: „Die Rüstungsindustrie boomt wie selten zuvor. Auch Deutschlands größter Militärausrüster Rheinmetall profitiert vom dringenden Nachholbedarf der nationalen Armeen. Sogar das Sorgenkind Bundeswehr verspricht lukrative Aufträge. […] Der seit 2013 amtierende Rheinmetall-Chef Armin Papperger hat dafür eine Erklärung. Der Konzern profitiere als international tätiger Systemanbieter ‚vom ‚Super-Zyklus‘ im wehrtechnischen Geschäft‘.“

Zwar ist es durchaus möglich, dass die anvisierten Erhöhungen des Rüstungshaushaltes infolge des coronabedingten BIP-Rückgangs schmaler ausfallen werden als geplant – von Kürzungen des in den letzten Jahren drastisch gestiegenen Haushalts ist in der gesamten aktuellen Debatte aber ärgerlicherweise keinerlei Rede. Im Gegenteil, obwohl einiges darauf hindeutet, dass die Rüstungsindustrie vergleichsweise glimpflich aus der Coronakrise hervorgehen dürfte, wurde sie nun auch im jüngsten Konjunkturpaket mitbedacht.

Rüstungsindustrie: Corona-Coup

Eine ausführliche Untersuchung der „Foundation pur la recherche strategique“ ergab, dass die Rüstungsindustrie im Vergleich zu anderen Branchen relativ wenig durch die Coronakrise beeinträchtigt wurde. Weder seien im großen Stil Schließungen aufgrund umfassender Infizierungen noch wegen Nachfrageeinbrüchen erforderlich gewesen (übersetzt mit ww.deepl.com): „Insgesamt blieben jedoch vollständige und längere Produktionsstillstände selten und isoliert.“

Schon vor Verabschiedung des Konjunkturpaketes weisen die Forscher auf zwei Maßnahmen hin, die zur Unterstützung der Rüstungsindustrie gedacht sind: „Deutlicher wurde die Unterstützung jedoch, als es im April 2020 für Unternehmen, die mit der Bundeswehr Verträge abgeschlossen hatten, möglich wurde, eine Neuverhandlung der Meilensteine für die Ausführung von öffentlichen Aufträgen zu beantragen, um diese aufzuspalten und so die Bezahlung bereits erbrachter Leistungen zu ermöglichen. Da Covid-19 als Fall höherer Gewalt gilt, sind Hersteller, die in der Lage sind, den Kausalzusammenhang zwischen der Epidemie und ihren Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung nachzuweisen, zudem nicht mehr dem Risiko von Verzugsstrafen und Entschädigungen ausgesetzt. […] Um deutsche Generalunternehmer und Ausrüstungshersteller zu unterstützen, arbeitet die Bundeswehr seit Mitte Mai daran, Dienstleistungs- und Ausrüstungsverträge zu identifizieren, die einige Monate früher abgeschlossen werden könnten.“

Im Konjunkturpaket selbst wurden dann 500 Mio. Euro für ein neues Bundeswehr-Cyberzentrum ausgelobt: „Die Fähigkeit zu souveränem Handeln im Cyber- und Informationsraum ist untrennbar mit digitaler Souveränität verbunden. Daher wollen wir ein Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr aufbauen, um die nationale Verfügbarkeit digitaler und technologischer Innovationen für öffentliche und private Bereiche zu verbessern und innovative und interdisziplinäre Forschung in einem sicheren Umfeld zu betreiben. (Finanzbedarf: 0,5 Mrd. Euro)“

Gleich 10 Mrd. Euro wurden eingestellt, um bereits geplante Projekte vorzuziehen, unter anderem Rüstungsprojekte. Auch wenn aktuell noch unklar ist, wie sich der Betrag genau aufteilen wird, dürften hier beträchtliche Summen der Rüstungsindustrie zugute kommen – die FDP brachte zum Beispiel umgehend ins Spiel, die geplante Anschaffung von Eurofightern vorzuziehen. Im Konjunkturpaket heißt es dazu: „Der Bund wird in allen Bereichen prüfen, inwieweit geplante Aufträge und Investitionen jetzt vorgezogen werden können. Insbesondere sollen Digitalisierungsvorhaben in der Verwaltung, Sicherheitsprojekte sowie neue Rüstungsprojekte mit hohem deutschen Wertschöpfungsanteil, die noch in den Jahren 2020 und 2021 beginnen können, sofort umgesetzt werden. (Projektvolumen: 10 Mrd. Euro)“

Einen „Coup“ habe die Bundeswehr damit gelandet, freute sich der militärnahe Journalist Björn Müller ausgerechnet in der taz. Lange war allerdings unklar, wieviel Gelder aus diesem Budgetbereich tatsächlich konkret der Bundeswehr zugutekommen würden. Mitte August 2020 sorgte ein Bericht bei Augengeradeaus hier für Klarheit: „Aus dem Konjunktur- und Zukunftspaket, das die Bundesregierung Anfang Juni zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie beschlossen hat, soll die Bundeswehr bis 2024 rund 3,2 Milliarden Euro erhalten. Nach einer Übersicht des Bundesfinanzministeriums, die Augen geradeaus! vorliegt, sollen damit Mittel unter anderem für Digitalisierung und Modernisierung, Beschaffung von Transportfahrzeugen und Rettungshubschraubern bereitgestellt werden – und für ein Museumsschiff.“

Sinnfreie Subventionen

Selbst für diejenigen, die die Existenz einer Rüstungsindustrie aus moralischen Gründen nicht grundsätzlich ablehnen, sollte das fortgesetzte hofieren einer Branche, die notorisch überteuerte Produkte abliefert, ein Dorn im Auge sein. Dass diese Praxis nun mit dem Coronapaket weitgehend unkritisiert seine Fortsetzung findet, ist deshalb umso ärgerlicher.