IMI-Analyse 2020/14 - in: AUSDRUCK (März 2020)
KI und Geopolitik
Die unheilige Allianz von Risikokapital, Wissenschaft und Politik
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 17. März 2020
Dieser Artikel erschien in der März-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK (hier zur PDF-Version des Artikels).
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Die Themen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bilden – bis heute von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – den eigentlichen Kern des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD vom Februar 2018. Zusammengenommen tauchen beide Begriffe über 100 Mal in dem Papier auf. Explizit wird darin das Ziel ausgegeben, „Deutschland zu einem weltweit führenden Standort bei der Erforschung von künstlicher Intelligenz [zu] machen.“ Hierzu wurde u.a. die Formulierung eines „Masterplan[s] ‚Künstliche Intelligenz“, der Aufbau eines „Nationalen Forschungskonsortiums für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen“ und eines deutsch-französisch geführten „Zentrums für Künstliche Intelligenz“ angekündigt. Außerdem sieht der Koalitionsvertrag die Gründung einer „Agentur für Disruptive Innovationen“ nach dem Vorbild der Forschungsagentur des Pentagon (DARPA) sowie weitere „neue Instrumente zur Förderung von Sprunginnovationen und des Wissenstransfers in die Wirtschaft“ vor. Hierzu seien „rechtliche Barrieren für Wissenschaftskooperationen“ abzubauen und „die direkte Forschungsförderung des Bundes stärker auf den Wissens- und Technologietransfer in die Wirtschaft“ auszurichten. Außerdem wolle man den „Zugang zu der Forschungsförderung für Start-ups deutlich erleichtern“ und u.a. „das Kartellrecht modernisieren, um exzellente regulatorische Rahmenbedingungen für die deutsche und europäische Digitalwirtschaft zu schaffen“. Weiterhin ist vorgesehen, dass „der Bund gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft“ vereinbart, „bis 2025 mindestens 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung aufzuwenden“.[1]
Dieses 3,5%-Ziel ist die direkte Umsetzung einer Forderung, die wenige Monate zuvor, am 10. Oktober 2017, von großen Wissenschafts- und Industrieverbänden vorgetragen wurde. Unter dem Titel „Wissenschaft und Forschung als Fundament unserer Zukunft weiter stärken“ legten 22 „Organisationen und Verbände aus Wissenschaft und Industrie“ – darunter neben der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und der Verband der Automobilindustrie (VdA) – ein „Positionspapier mit Empfehlungen zur Forschungspolitik der künftigen Regierungskoalition“ vor. Auf weniger als drei Seiten werden hier neben dem 3,5%-Ziel zahlreiche weitere Empfehlungen (z.B. zur steuerlichen Förderung privatwirtschaftlicher Forschung und „Förderung technologieorientierter Start-up-Unternehmen“) formuliert, die sich nahezu wortgleich im vier Monate später veröffentlichten Koalitionsvertrag wiederfinden.[2]
Man mag grundsätzlich wenig dagegen einzuwenden haben, dass Forderungen „aus der Wissenschaft“ derart nahtlos in ein politisches Programm übersetzt werden – im Bereich des Klimaschutzes etwa würde man sich das gelegentlich wünschen. Zwei Dinge jedoch erscheinen ungewöhnlich: Erstens gab es keine parteipolitischen Differenzen zu diesen Themen und auch keine nennenswerte öffentliche Diskussion über die konkreten Forderungen, die umgesetzt wurden. Zweitens ist es doch bemerkenswert, dass Unternehmerverbände und Wissenschaft sich (ebenfalls weitgehend unbemerkt) auf gemeinsame Forderungen einigen und diese so rasch durchsetzen konnten.
Digitale Transformation und Outsourcing
Während etwa bei Maßnahmen zum Klimaschutz – bei aller vermeintlich wahrgenommenen Notwendigkeit – starke parteipolitische Differenzen darüber bestehen, „was man den Bürger*innen zumuten kann“, wurden solche Diskussionen im Bezug auf die Digitalisierung im Vorfeld des Koalitionsvertrages nicht ansatzweise geführt.
Dabei wird die „Digitale Transformation“, wie sie von den beteiligten Unternehmen gerne bezeichnet wird, massive Auswirkungen auf unseren Alltag, die öffentliche Verwaltung, die Politik und auch die Kriegführung haben. Ein zentraler Aspekt besteht darin, dass sie – zumindest so, wie sie gegenwärtig konzipiert ist – zwingend Formen des Outsourcing, also der Auslagerung von Dienstleistungen an Unternehmen, beinhaltet. Im Bereich der Privatwirtschaft, von der Arztpraxis bis zum mittelständischen Unternehmen, bedeutet dies z.B, dass die Daten von Kund*innen auf Servern von Plattformunternehmen gespeichert und mit innovativen Methoden, die idealtypisch Start-ups entwickeln, verwaltet und ausgewertet werden.
Im Bereich der öffentlichen Verwaltung wirft die digitale Transformation und das damit verbundene Outsourcing grundsätzliche Fragestellungen nach dem Verhältnis von Staat und Privatwirtschaft auf: In „Smart Cities“ wird die Verantwortung für Ampelschaltungen, die Erhebung der öffentlichen Meinung oder die Verwaltung von Archiven und Schulzeugnissen an Start-ups übertragen, die ihrerseits wieder mit Plattformunternehmen zusammenarbeiten. Die Verträge, die dem zugrunde liegen, gelten oft als Betriebsgeheimnis und sind deshalb öffentlich nicht nachvollziehbar. Grundsätzlich gilt die strukturelle Notwendigkeit des Outsourcing im Zuge der digitalen Transformation auch für den Rüstungssektor, der aus Sicht der beteiligten Plattformunternehmen – z.B. bei Atos – neben der Gesundheitsversorgung als Teil der Sparte „Öffentliche Verwaltung“ betrachtet wird. Aus Sicht der Unternehmen ist dies gewissermaßen konsequent, denn in der öffentlichen Verwaltung – bei den Meldedaten, im Gesundheitswesen und bei militärischen Führungs- und Informationssystemen – hat man es mit besonders sensiblen Daten zu tun, bei denen die Skalierbarkeit des Zugriffs und Cybersecurity eine zentrale Rolle spielen. Es ist die damit einhergehende Komplexität, welche das Outsourcing an hierauf spezialisierte Unternehmen zwingend macht und dabei Unternehmen begünstigt, die enge Verbindungen in die Politik haben. Zugespitzt gesagt bietet sich die öffentliche Verwaltung gerade deshalb als Testfeld der digitalen Transformation an, weil hier der Einfluss politischer Lobby-Arbeit gegenüber einer unternehmerischen Kosten-Nutzen-Rechnung letztlich höher ist. Jedenfalls werden die Strategien der digitalen Transformation, die von den beteiligten Unternehmen gleichermaßen an die Industrie wie an die Verwaltung herangetragen werden, von der Politik deutlich schneller und unhinterfragter übernommen als von der Industrie, die durchaus auch die Risiken wahrzunehmen scheint. Im Bundesverteidigungsministerium wie in der Bundeswehr scheinen beide Positionen präsent.
Nicht jedes Unternehmen und nicht jede Kommune hat die (personellen und finanziellen) Kapazitäten, um eine eigene Server- und Dateninfrastruktur aufzubauen, beständig auf dem neuesten Stand zu halten und gegen mögliche Cyberangriffe zu schützen. Auf staatlicher Ebene und auf Ebene des Militärs ist dies nicht zwangsläufig der Fall, aber auch hier ist die Tendenz des Outsourcing im Zuge der digitalen Transformation ganz offensichtlich zu erkennen. Hier soll sogar die These in den Raum geworfen werden, dass das Outsourcing noch deutlich über die Umsetzung spezifischer Projekte und Dienstleistungen hinausgeht und zunehmend die Politikgestaltung selbst betrifft. In gewisser Weise haben wir es bereits mit einem solchen Outsourcing zu tun, wenn die Forderungen von Industrie- und Wissenschaftsverbänden ohne parteipolitische Differenzen und öffentliche Diskussion wenige Monate später in ein Regierungsprogramm einfließen.
Kapital- und Beratungsgesellschaften
Im Rahmen des Parlamentarischen Fragerechtes erkundigte sich der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn im August 2019 nach dem „jeweiligen Auftragsvolumen der zehn Unternehmen […] mit den größten Anteilen an den Ausgaben der Bundesministerien […] für externe Beratungs- und Unterstützungsleistungen“. Das Bundesfinanzministerium antwortete mit einer Liste, die von IBM angeführt wird.[3] Die Plätze zwei bis sechs werden von den Beratungsunternehmen Conet („Das kompetente IT-Beratungshaus“), PricewaterhouseCoopers, Capgemini, Ernst & Young und der McKinsey-Tochter Orphoz belegt, die Plätze neun und zehn von Roland Berger und Accenture. Obwohl hier die Verträge aller Ministerien abgefragt wurden und nicht nur Fragen der Digitalisierung betrafen, haben die genannten Firmen mehrere Gemeinsamkeiten: Erstens beschreiben sie sich allesamt selbstbewusst als Triebkräfte der „digitalen Transformation“. Zweitens bieten sie ihre Dienstleistungen jeweils in einer breiten Palette von Sparten an, verfügen aber allesamt auch über einen expliziten Geschäftsbereich für militärische Anwendungen. Drittens bieten sie jeweils – allerdings in unterschiedlicher Gewichtung – Beratung und technische Umsetzung an. Das Finanzministerium weist explizit darauf hin, dass „der Begriff ‚Beratungs- und Unterstützungsleistungen‘ […] nicht allgemeingültig näher definiert ist“. Es kann sich bei den hier einbezogenen Dienstleistungen also sowohl um Strategieentwicklung, Machbarkeitsstudien sowie die Auslagerung konkreter technischer Aufgaben handeln. All das fällt in der digitalen Transformation unter dem Begriff der „Systemintegration“ weitgehend zusammen. In Analogie zur Bauwirtschaft könnte man sagen, dass die genannten Unternehmen zugleich die Architekten wie auch die Generalunternehmer sind, die letztlich für die konkrete Umsetzung zuständig sind und hierfür Verträge mit Subunternehmen abschließen. Bei den meisten der genannten Beratungsunternehmen handelt es sich zugleich um Kapitalgesellschaften, die in den letzten Jahren massiv in die Digitalwirtschaft investiert haben, strategische Partnerschaften mit Anbietern technischer Infrastrukturen eingegangen sind, diese aufgekauft haben oder – wie im Falle von IBM – eigentlich aus diesem Geschäftsfeld kommen. Zugespitzt haben diese Unternehmen in den vergangenen Jahren in die Digitalwirtschaft investiert, ihre Unternehmensstrukturen hierauf ausgerichtet und nutzen nun ihre Nähe zur Politik, um die erhofften Rendite zu realisieren.
Obwohl es sich bei den meisten dieser Unternehmen um Global Player handelt, denen die volkswirtschaftliche Lage Deutschlands oder Europas jenseits ihrer Profitinteressen letztlich egal ist, greifen sie dabei auf einen Diskurs zurück, der eine deutsche Führerschaft bei Digitalisierung und KI-Entwicklung als essentielle volkswirtschaftliche und eine europäische Führerschaft in diesem Bereich als geopolitische bzw. militärische Notwendigkeit verkauft. Hilfreich ist ihnen dabei der Begriff der „disruptiven Innovation“, der suggeriert, dass wir uns in einem existentiellen Wettbewerb um die Realisierung technischer Umbrüche befinden, in dem diejenigen untergehen werden, die zu lange zögern. Das allerdings erzählen sie gerade jeder Regierung gleichzeitig.
Echokammer I: DGAP
Angesichts der Macht der beteiligten Unternehmen und der Rendite, um die es geht, ist es nicht weiter verwunderlich, dass diese Sichtweise den öffentlichen Diskurs um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz weitgehend dominiert. Indem im folgenden einige Akteure dieses Diskurses vorgestellt werden, sollen drei Thesen aufgeworfen werden: Erstens wird die aktuelle Auseinandersetzung um technologische Entwicklung von einer zuvor nie dagewesenen Konvergenz der Interessen von Risikokapital und Teilen der Wissenschaft geprägt, die zweitens gemeinsam sehr unmittelbaren Einfluss auf die Politik nehmen und drittens zunehmend reaktionäre Forderungen erheben und durchsetzen.
Als Stichwortgeber der politischen Wissenschaften einerseits und der außenpolitischen Ressorts in Redaktionen andererseits fungiert u.a. die „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP). Ihre Position lässt sich anhand eines kurzen Textes vom Juli 2019 unter dem Titel „Tech-Geopolitik auf dem Vormarsch“ (DGAP-Standpunkt 20/2019) nachzeichnen.[4] Autor Kaan Sahin postuliert darin, Technologien hätten zugleich „erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftskraft sowie die militärischen Fähigkeiten eines Landes und bestimmen zunehmend seinen politischen Spielraum auf globaler Ebene.“ Insbesondere „[d]ie Technologiefelder rund um KI und 5G“ würden derzeit „zu Schlüsselbereichen nicht nur bei technologischer Innovation, sondern auch einer damit verbundenen Gestaltungsmacht in globalem Maßstab“. Zugleich investierten die Staaten „bereits großflächig in KI zu militärischen Zwecken, was sich in der Entwicklung von autonomen Waffensystemen oder Drohnenschwärmen widerspiegelt“. Deshalb sei es „nur konsequent, dass Staaten wie die USA und China, die einen globalen Gestaltungsanspruch haben, in diesen Technologiefeldern die Oberhand zu gewinnen suchen.“ Bereits der Untertitel des Standpunktes stellt deshalb klar: „Die zunehmende Verbindung von Technologie und Geopolitik fordert Deutschland heraus“. Deutschland müsse „[a]ngesichts der zunehmenden Wechselwirkung zwischen disruptiven Technologien und globalen Gestaltungsmachtansprüchen“ eine geopolitisch motivierte Technologiepolitik verfolgen, „um international handlungs- und navigierfähig zu sein“. Dabei stehe „Deutschland noch am Anfang“, so Sahin, der außerdem bemängelt, dass sich hierzulande die Debatte „vornehmlich auf die ethische Dimension und auf die Folgen der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt [fokussiert]. Kategorien wie Mächtekonkurrenz und Geopolitik finden nahezu keine Verwendung. […] Diese eingeschränkte Sichtweise in Deutschland und Berührungsängste mit den Denkkategorien deutscher Partner und Wettbewerber bergen jedoch reale Gefahren“. Unter der Zwischenüberschrift „Aufgaben für die deutsche Politik“ fordert er dementsprechend – geopolitisch motiviert – „eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen Staat und Unternehmen“, weil „gerade im Technologiebereich Unternehmen eine zentrale Rolle“ spielen und „Innovationen dieser Art in erster Linie aus der Wirtschaft kommen.“ Zwar solle Deutschland „nicht wie China die hier ansässigen Unternehmen als geostrategisches Machtinstrument kooptieren“, es sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch „ungeklärt, wie die Bundesregierung die heimische Industrie beim digitalen Konflikt auf globaler Ebene unterstützten kann“.
Es ist auf frappierende Art typisch für Texte zu diesem Themenfeld, dass sie im Grunde durchweg nationalistisch argumentieren – hier mit der „Handlungs- und Navigierfähigkeit“ Deutschlands – um dann mit einem Bekenntnis zu „Europa“ zu enden. So heißt es abschließend bei Sahin: „[N]ur die Europäische Union als Ganzes kann gegen die digitalen Großmächte USA und China im zunehmenden Trend der Tech-Geopolitik bestehen“. Dahinter ist durchaus eine Strategie zu vermuten, denn die Aufforderung, Deutschland solle sich als Akteur quasi auf Augenhöhe in einen gesamtstaatlichen Wettbewerb mit China und den USA ausrichten, würde viel deutlicher offenbaren, wie vermessen und perspektivisch desaströs dieser Anspruch ist. Autor Kaan Sahin wird bei der DGAP als Experte für „Technologie und Geopolitik“, Künstliche Intelligenz und hybride Kriegführung vorgestellt und war zuvor am Institute for Strategic Studies (IISS) und beim Beratungsunternehmen Deloitte beschäftigt – neben Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers ein Teil der sog. „Big Four“, der vier größten „Wirtschaftsprüfungsgesellschaften“ der Welt.
Echokammer II: Wissenschaftsmanagement
Noch dramatischer argumentiert Denise Feldner im Online-Magazin „The Globalist“, wo sie darauf hofft, dass ein chinesischer „Sputnik-Moment“ im Bereich der KI eine entsprechende Dynamik im Westen entfalten könnte.[5] Einleitend verweist Feldner – ebenfalls typisch für diese Art von Beiträgen – auf die Einschätzung des „machtbewussten Vladimir Putin“, wonach „diejenige Nation, die bei der KI führend ist, die Welt beherrschen wird“. Daran anschließend behauptet sie, China hätte 2016 die USA im Bereich der Künstlichen Intelligenz überflügelt und würde nun die Weltrangliste anführen. Der chinesische Aufstieg zur Führerschaft sei dabei eng verwoben mit dem „immensen Hunger nach Daten“, welche „im Machtkonzept des chinesischen Regimes [auch] von großem Nutzen für die interne und externe Überwachung sowie andere ökonomische und militärische Zwecke“ sei. Zugleich wären diese Daten jedoch der Rohstoff für die KI-Entwicklung. Deshalb stelle sich die Frage, ob Demokratie und technologische Führerschaft überhaupt noch zu vereinbaren seien. „Für eine lange Zeit schienen westliche Politiker*innen und Wissenschaftler*innen zuversichtlich, dass wirtschaftlicher Wohlstand und eine innovative Kultur tief verwurzelt in demokratischen Gesellschaften wären. Autokratische Gesellschaften und Diktaturen könnten nicht auf entsprechende Ressourcen zurückgreifen. Diese Erwartung scheint durch den Fall China widerlegt zu sein“. Darin besteht der eigentliche Sputnik-Schock, auf den Denise Feldner hofft, nämlich dass der „Zielkonflikt zwischen ökonomischem Wachstum und Kapitalismus“ einerseits und „dem Wunsch nach Demokratie“ andererseits im Zuge des Wettlaufs um technologische Innovationen anerkannt wird. Sie beklagt in diesem Zusammenhang, dass es schwierig sei, den notwendigen „kulturellen Wandel“ herbeizuführen: „Im Falle Deutschlands geht die größte Herausforderung darüber hinaus, den kulturellen Widerstand gegen Risiken und den weit verbreiteten Wunsch nach Stabilität zu überwinden“. Die „größte Gefahr für Deutschland“ bestehe darin, „dass die Politiker*innen des Landes und die Bevölkerung insgesamt einem absolutistischen Verständnis von Datenschutz huldigen, um zu ‚erklären‘, warum Deutschland die KI-Entwicklung nicht mit ganzer Kraft vorantreibt“.
The Globalist stellt Denise Feldner als „Juristin, Tech-Enthusiastin & Wissenschaftsmanagerin“ sowie als Mitglied der Atlantik-Brücke vor. Außerdem ist Feldner Teil von Kairos Partners, einem „Marktplatz von selbständigen Managern und Experten, die unter Navigation der KAIROS Senior Partner Unternehmen bei der Transformation begleiten“. Dort stellt sich Feldner als „Wirtschaftsjuristin und Wissenschaftsmanagerin“ vor, die „an der Schnittstelle zwischen Unternehmenssteuerung, Innovationsmanagement, Regulierung und Politik“ aktiv sei.[6] Auch wenn ihre aktuelle Tätigkeit einen deutlichen Schwerpunkt im Beratungsgewerbe aufweist, hat sie in der Vergangenheit durchaus Erfahrungen im Wissenschaftsmanagement sammeln können. Zunächst war sie Leiterin des Rektoratsbüros der Uni Heidelberg und somit 2012 an der Gründung des Vereins „German U15“ als gemeinsame Interessensvertretung großer und „forschungsstarker“ Universitäten beteiligt, dessen erste Geschäftsführerin sie wurde. Der Verband setzte sich vehement für Programme der neoliberalen Umstrukturierung der Hochschullandschaft u.a. im Zuge der Exzellenzinitiative ein. Außerdem ist bzw. war Feldner im Netzwerk Wissenschaftsmanagement aktiv, eine Art Interessensvertretung derjenigen, die ökonomische Praktiken, Sprache und Ziele verstärkt in der Wissenschaft zur Geltung bringen wollen und hierfür politische Lobbyarbeit betreiben.
Echokammer III: MPG
Vieles von dem, was Feldner im August 2018 im Globalist veröffentlicht hat, wurde sehr ähnlich einige Monate zuvor von Martin Stratmann, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), in einem ausführlichen Interview mit dem Deutschlandfunk geäußert.[7] Auch er bemängelte die fehlende Risikobereitschaft, die zu überwinden ein „wesentliches Element der Zukunftssicherung für Deutschland“ sei: „Wir müssen den Mut haben, Dinge zu machen, die riskanter sind. Wir müssen den Mut haben, auch häufiger Dinge zu machen, die dann doch nicht funktionieren“. Dies sei „nicht trivial“, sondern ein Prozess, der „Mut auch in der Politik erfordert“. In diesem Zusammenhang forderte auch Stratmann – wie Roland Berger, Asgard und viele mehr – eine Agentur für Sprunginnovationen nach dem Vorbild der DARPA. Das gemeinsame Ziel von Wissenschaft, Industrie und Politik müsse sein, „das Unerwartete zu identifizieren und im Sinne der Nutzung auch zu fördern“. Angesprochen wurde im Interview auch das zusammen mit Industrieverbänden postulierte 3,5%-Ziel.
Die Forderungen Stratmanns zielen auf die Stärkung des Wissenschaftsstandorts und weisen nicht nur im Hinweis auf die „Zukunftssicherung für Deutschland“ offen eine nationalistische Perspektive auf. Mit dem Blick auf „hochbegabte, hochmotivierte Menschen, die letztlich den Erkenntnisgewinn vorantreiben“, betont er etwa die Notwendigkeit, „diese Menschen für Deutschland zu gewinnen“ und hierzu die „Attraktivität“ Deutschlands „in den kommenden Jahren [zu] nutzen, weil auch unsere Konkurrenten schwächeln“. Am Schluss des Interviews jedoch ist auch hier von einem „europäischen Forschungsraum“ die Rede, der sich „im Wettbewerb mit anderen Großräumen“ behaupten müsse: „Und vielleicht, wenn ich ein anderes Thema auch noch erwähnen darf, was mir auch ganz wichtig ist: Europa. Wir reden ja nicht nur von Deutschland, sondern wir reden auch von großen Forschungsräumen, die untereinander in Konkurrenz stehen. Das sind im Wesentlichen die USA, Asien und Europa, und unsere Heimat ist Europa. Wir müssen also dafür sorgen, dass Europa stark bleibt, stark wird.“
Echokammer IV: Risikokapital
Wenig später, im Mai 2018, veröffentlichte die Beratungsgesellschaft Roland Berger gemeinsam mit der Asgard GmbH eine „Studie“ zur KI-Entwicklung, welche exakt in dieselbe Kerbe schlägt und deshalb sehr ähnliche Forderungen, wie sie MPG und Industrie in Deutschland durchgesetzt haben, auf EU-Ebene erhebt: „Europa sieht sich einer harten Konkurrenz durch die Schwergewichte Künstlicher Intelligenz, v.a. die USA und China ausgesetzt“.[8] Eine Karte unter dem Titel „Der Wettlauf um Führerschaft“ soll dies veranschaulichen, indem die Zahl der jeweils im KI-Bereich erfassten Start-ups in den USA (1.393), „Europa“ (769), Israel (362) und China (383) abgebildet wird. Eine weitere Weltkarte verdeutlicht das eigentliche Problem unter dem Titel „Zwei Giganten und ein Flickenteppich“. Mit dem „Flickenteppich“ ist Europa gemeint, die „Giganten“ sind natürlich die USA und China. „Um an deren Entwicklung aufzuschließen, kann sich Europa nicht auf 28 unterschiedliche nationale Strategien und Aktionspläne verlassen. Die Politiker*innen der EU sollten ihre Kräfte vereinigen und ein wahrhaft europäisches Ökosystem für KI-Start-ups aufbauen. Ein gemeinsames Handeln der EU ist der einzige Weg zu Europäischer Führerschaft.“ Für dieses Ökosystem werden konkrete Bedingungen genannt, darunter neben einer Agentur nach dem Vorbild der DARPA umfangreiche öffentliche „Investitionen“ und Förderungsprogramme, neoliberale Reformen („Harmonisierung“) des Steuer- und Unternehmensrechts und v.a. eine umfangreiche öffentliche Unterstützung von Risikokapital – z.B. aus Pensionsfonds. Nur so sei das angestrebte Ziel zu erreichen: „Wir glauben, dass Europa im ‚Wettrüsten‘ zwischen den USA und China zum dritten Spieler aufsteigen kann.“ An den Beispielen Israel und China machen Asgard und Roland Berger überdies deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Wissenschaft und Sicherheitsbehörden sowie die Digitalisierung des Gesundheitswesens sich positiv auf die Start-up-Kultur und Investitionsbedingungen von „KI-Ökosystemen“ auswirken würden.
Diese Forderungen sind nicht weiter verwunderlich, denn bei der Asgard GmbH handelt es sich explizit um eine Kapital-Verwaltungsgesellschaft, die unter dem Motto „Menschliches Risikokapital für Künstliche Intelligenz“ auf Investitionen bei Start-ups in diesem Bereich spezialisiert ist. Ihr Gründer, Fabian Westerheide, tritt zugleich als „internationaler Experte für KI-Strategien“ auf und berät nach eigenen Angaben „Regierungsbehörden, darunter die Europäische Kommission, die Europäische Weltraumagentur, das deutsche Parlament, das Verteidigungs- und das Außenministerium“.[9] Auf seiner Homepage bietet er Vorträge u.a. zur „europäischen Strategie im globalen KI-Wettrüsten“ an, ein wohlwollender Bericht über ihn fasst seine Position hierzu zusammen: „Europa, das einst gefangen war in einem epischen Wettrüsten zwischen zwei nuklearen Supermächten, findet sich gegenwärtig im Schatten eines neuen Wettlaufs um die Beherrschung Künstlicher Intelligenz wieder, so der deutsche Investor und KI-Experte, der ergänzt, dass die Einsätze nun ebenso hoch wären, wie im Kalten Krieg – oder gar noch höher“.[10]
Fazit
Mit den hier genannten Beispielen soll nicht negiert werden,
dass auch innerhalb des Militärs aktive Triebkräfte hinter der Digitalisierung
der Bundeswehr stehen. Es wird aber deutlich, dass auch jenseits des Militärs
und der (klassischen) Rüstungsindustrie mächtige Akteursnetzwerke stehen, die
diese Entwicklung mit Hochdruck vorantreiben. Dass sie dabei die militärische
bzw. geopolitische Relevanz dieser Technologien teilweise dramatischer hervorheben
als das Militär selbst und damit versuchen, reaktionäre und neoliberale
Forderungen durchzusetzen, sollte uns zumindest zu denken geben.
Anmerkungen
[1] Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, www.bundesregierung.de.
[2] „Wissenschaft und Forschung als Fundament unserer Zukunft“, Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft vom 10.10.2017, www.mpg.de.
[3] Bundestags-Drucksache 19/12640.
[4] Kaan Sahin: Tech-Geopolitik auf dem Vormarsch – Die zunehmende Verbindung von Technologie und Geopolitik fordert Deutschland heraus, DGAP-Standpunkt Nr. 20 / Juli 2019.
[5] Denise Feldner: Will a Chinese ‚Sputnik moment‘ in AI Unleash Dynamism in the West? A German perspective on the global AI race, in: The Globalist vom 26.8.2018, www.theglobalist.com.
[7] „Glaubwürdigkeitskrise der gesellschaftlichen Eliten“, Martin Stratmann im Gespräch mit Ralf Krauter, Deutschlandfunk „Forschung aktuell“ vom 24.1.2018, www.deutschlandfunk.de.
[8] Roland Berger GmbH / Asgard Capital: Artificial Intelligence. A strategy for European startups – Recommendations for policymakers, www.rolandberger.com.
[9] www.fabian-westerheide.de.
[10] Matt Swayne: Investor, AI Expert Says Europe Must Act Now in Global AI Arms Race, www.medium.com vom 11.9.2018.