IMI-Studie 2019/02
Rule Britannia?
Brexit, Global Britain und Post-imperiale Hybris
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 26. April 2019
1. Das Global-Britain-Programm der Henry Jackson Society
1.1 Großbritannien: Der entfesselte Gulliver
1.2 “Wächter“ der Regelbasierten Weltordnung
1.3 Ostasien: Zukunft der Geopolitik
1.4 Ausbau der Militärpräsenz im Indo-Pazifik
2. Gavin Williamson auf imperialer Mission
2.1 Großbritannien in der Blüte seiner Macht
2.2 Neue Militärbasen östlich von Suez
2.3 Kanonenbootpolitik: Fregatten – Flugzeugträger – FONOPS
2.4 Reminiszenzen ans Empire
3. Das Globale Britannien auf dem Holzweg
3.1 Wessen Regeln – Wessen Profite?
3.2 Diego Garcia: Offenbarungseid der Regelbasierten Ordnung
3.3 Auf Kollisionskurs mit China
3.4 Global Britain – Britain Alone!
4. Post-Imperiale Hybris
Kästen
— Henry Jackson Society: Gut vernetzte Hardliner
— Machtpolitische instrumentalisierte Entwicklungshilfe
— Deutschland: Not amused
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Einleitung
Unter dem Schlagwort „Global Britain“ unternimmt die britische Regierung seit einiger Zeit beträchtliche Anstrengungen, um einem machtpolitischen „Brexit-Kater“ zu entgehen, indem sie buchstäblich in die Offensive geht. Obwohl der erstmals bereits im Oktober 2016 von Premierministerin Theresa May ins Spiel gebrachte Begriff die aktuelle Debatte um die künftige britische Rolle in der Welt maßgeblich prägt, wurde dennoch vielfach seine Schwammigkeit beklagt.
Vor diesem Hintergrund begann die neokonservative „Henry Jackson Society“ (HJS) mit ihrem „Project for Democratic Geopolitics“ vor einiger Zeit damit, sich um die Operationalisierung des Begriffs „verdient“ zu machen. Im Rahmen ihres „Global-Britain-Programms“ tritt die Organisation vor allem für ein machtpolitisch deutlich „selbstbewussteres“ Auftreten des Landes ein. Augenscheinlich handelt es sich hier um einen schlimmen Fall post-imperialer Hybris: Auf welcher Basis auch immer sieht die HJS das Land als einen machtpolitischen Koloss, der nun, da dem britischen Gulliver nicht mehr durch die machtpolitische Kleingeistigkeit der EU die Fesseln angelegt seien, endlich seine volle Stärke ausspielen könne und müsse.
Die Liste der daraus abgeleiteten Forderungen ist lang: Sie reicht von einer massiven Erhöhung des Militärhaushaltes über die Ausweitung der militärischen Präsenz (insbesondere im Indo-pazifischen Raum) bis hin zur Anschaffung neuer Kriegsschiffe. Für sich genommen wäre diese Wunschliste einer ultramilitaristischen Denkfabrik womöglich nur am Rande bemerkenswert – regelrecht bedrohlich wird sie aber dadurch, dass sich Verteidigungsminister Gavin Williamson augenscheinlich auf die Fahnen geschrieben hat, die HJS-Vorschläge Schritt für Schritt in die Praxis umzusetzen. Den Auftakt machte er dabei Ende letzten Jahres mit einem Interview, in dem er die Einrichtung zweier neuer Militärbasen ankündigte, woraufhin er am 11. Februar 2019 mit einer programmatischen Grundsatzrede beim „altehrwürdigen“ „Royal United Services Institute“ (RUSI) nachlegte, in der er u.a. die geplante Neuanschaffung von Kriegsschiffen und ihre Verlegung in den Indo-pazifischen Raum bekanntgab.
Hinter diesen Bestrebungen steht eine Reihe von Motiven, die zusammen einen toxischen Mix ergeben, der vor allem die Gefahr von Konflikten mit China deutlich vergrößert. Erstens will die Regierung mit dieser Dampfplauderei ihrer Bevölkerung angesichts des bevorstehenden Brexits Vertrauen in die Fähigkeit und Stärke des eigenen Landes vermitteln; zweitens spielen aber auch sehr viel handfestere Überlegungen eine wichtige Rolle: Den drohenden Einbruch u.a. im Handel mit den EU-Märkten vor Augen, wird offen der Überzeugung Ausdruck verliehen, eine erhöhte Militärpräsenz im Wachstumsmarkt Ostasien werde sich auch „positiv“ auf die britischen Handelsinteressen in der Region auswirken; drittens hängt damit eine generelle Überzeugung zusammen, die „Regelbasierte Weltordnung“ („rule-based international order“), die sich für das Land als so überaus profitabel erwiesen hat, sei durch Russland, insbesondere aber durch China fundamental bedroht, weshalb Großbritannien als ihr „Wächter“ zu ihrer Verteidigung aufgerufen sei; und schließlich paart sich dies, wie bereits angedeutet, viertens mit einer Art post-imperialer Hybris, in der bar jeder realen Grundlage versucht wird, an die vermeintliche Glorie längst vergangener Zeiten anzuknüpfen.
Speziell Verteidigungsminister Gavin Williamson scheint wild entschlossen zu sein, den Geist des untergegangenen Imperiums wiederbeleben zu wollen. Überdeutlich wurde dies, indem er sich für sein Interview Ende letzten Jahres mit allen Insignien – vergangener – britischer Macht abbilden ließ, um seine Vision eines Globalen Britanniens unmissverständlich in die bevorzugte Traditionslinie zu stellen. Empire statt EU lautet die Devise: „Eine imperiale Nostalgie hat die ganze Zeit den Druck auf einen Brexit überschattet. Brexit-Hardliner beschworen Visionen eines Großbritanniens herauf, das seine einstige Pracht wiederherstellen könne, sobald es sich von den bürokratischen Fesseln der EU befreit hat; Regierungsmitglieder sprachen von einem ‚Empire 2.0‘, das auf neuen Handelsverträgen mit Commonwealth-Ländern fußt.“[1]
[1] Tharoor, Ishaan: Britain clings to imperial nostalgia as Brexit looms, Washington Post, 04.01.2019.
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