[0506] Afrin / MAN-Studie / Sondierung

von: 26. Januar 2018

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

———————————————————-
Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0506 ………. 21. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
———————————————————-

Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) Hinweise auf neue IMI-Artikel u.a. zu den Sondierungsgesprächen und zu einer Studie über MAN und MT Aerospace;

2.) ein IMI-Standpunkt zum Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien.

1.) Neue IMI-Texte

Neu erschienen sind auf der IMI-Homepage eine kurze Einordnung der neuen US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstrategie sowie über die friedens- oder besser militärpolitischen Aspekte der Sondierungsgespräche zwischen SPD und CDU/CSU.

IMI-Standpunkt 2018/002 (Update, 25.1.2018)
Gegen den Frieden sondiert!
Die Große Koalition zur Aufrüstung
https://www.imi-online.de/2018/01/17/gegen-den-frieden-sondiert/
Jürgen Wagner (17. Januar 2018)

IMI-Standpunkt 2018/001
„Trumps“ Nationale Sicherheitsstrategie
https://www.imi-online.de/2018/01/09/trumps-nationale-sicherheitsstrategie/
Jürgen Wagner (9. Januar 2018)

Besonders hinweisen möchten wir auch auf die folgende Studie zu MAN und MT Aerospace:

IMI-Studie 2018/01
MAN und MT Aerospace
Raketenproduktion, die „zivile“ Raumfahrt und die französische Atomwaffe
https://www.imi-online.de/2018/01/26/man-und-mt-aerospace/
Peter Feininger (26. Januar 2018)

INHALTSVERZEICHNIS

MAN/MT Aerospace und die Ariane-Raketen – 2
— Die Mitteilung – 2
— Die Stahlvariante – 2
— Ohne Ariane kein französisches Atomprogramm – 3
— Vorgeschichte: Ariane und französisches Atomprogramm – 6
— EADS übernimmt die französische Nuklearwaffe – 7

Die Ariane-Städte: Nahe an der Atomwaffe – 14
— Geschichtliche Leerstellen – 14
— „Krieg als Vater der Raumfahrt“ – 16
— In den Ariane-Städten lagert die Rüstungsindustrie – 17
— Arianespace vermarktet auch Rüstungsprojekte – 18

Fazit: Zur Rolle von MT Aerospace bei Ariane und M51 – 28

Kästen:
— CFK-Booster für Ariane 6 erfolgreich getestet
— MAN: Führender deutscher Rüstungsbetrieb
— Die Anfänge der europäischen Raumfahrt – Vorbereitung des
Schlachtfeldes
— MAN Technologie – auch führend bei der Urananreicherung
— Vertrag zur Herstellung des M51-Waffensystems

Die ganze Studie zum herunterladen: https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie-2018-1-MAN-Web.pdf

EINLEITUNG

Schon immer wird das Bild einer vermeintlich „zivilen“ Raumfahrt suggeriert, obgleich die Branche schon seit ihren Anfängen auch militärischen Zwecken dient. Daran hat sich bis heute nichts geändert, wie im Folgenden am Beispiel der Stadt Augsburg und der Rolle der dort ansässigen MAN bzw. MT Aerospace gezeigt werden soll, die den deutschen Anteil am Ariane-Programm in der Hauptsache entwickeln und produzieren. MAN Neue Technologie verwendete bei der Ariane von Anfang an auch NS-Technologie der V2 und entwickelte diese weiter. Mit ihren Gaszentrifugen spielte die MAN eine zentrale Rolle bei der Urananreicherung in Europa und sogar weltweit und schuf die technologische Basis für die Proliferation der Atombombe. Wir können nachweisen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Entwicklungsphasen der französischen U-Boot-gestützten Nuklearrakete M51 und der Produktion der Ariane 5 und 6 gibt. Das Augsburger Raumfahrtunternehmen MT Aerospace, Nachfolger von MAN Technologie, arbeitet im Auftrag von Airbus Safran Launchers, inzwischen ArianeGroup, an der europäischen Trägerrakete Ariane 6. ArianeGroup ist gleichzeitig auch komplett zuständig für die französischen Atomraketen M51 bzw. M51.3. Es ist nicht auszuschließen, dass MT Aerospace über ArianeGroup direkt oder indirekt an den französischen Nuklearraketen mitwirkt. Hinzu kommt die euphorische Raumfahrtpropaganda über die „Gemeinschaft der Ariane-Städte“, der auch die Stadt Augsburg erliegt und sich damit leichtsinnig einreiht in ein Netzwerk, das von deutsch-französischen Rüstungs- und Atom-Rüstungskonzernen beherrscht wird, darunter Städte, in denen die ballistischen Raketen für die französischen Atomwaffen hergestellt werden.

2.) IMI-Standpunkt zum Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien

IMI-Standpunkt 2018/003
Afrin: Entfesselte Geopolitik
https://www.imi-online.de/2018/01/24/afrin-entfesselte-geopolitik/
Bernhard Klaus (24. Januar 2018)

In Medien und Zivilgesellschaft ist der Aufschrei über den türkischen Einmarsch in den Norden Syriens groß. Tatsächlich ist er sowohl humänitär, als auch völkerrechtlich in keiner Weise zu rechtfertigen. Überraschend jedoch ist er in keiner Weise, sondern allenfalls die Fortsetzung dessen, was in Syrien seit Jahren stattfindet. Wenn nun die Bundesregierung behauptet, sie könnte keine völkerrechtliche Einordnung des türkischen Einmarsches vornehmen, verweist das darauf, dass sie selbst und im Rahmen von EU und NATO die Gültigkeit des Völkerrechts in Bezug auf Syrien schon zuvor kontinuierlich und systematisch negiert hat. Das begann bereits mit der quasi-Anerkennung einer Exilregierung und der Unterwanderung von Souveränitätsrechten des syrischen Staates, zunächst bei humanitärer Hilfe, später auch bei Waffenlieferungen. Im Mai 2013 hat sie die Aufhebung der EU-Sanktionen gegenüber Syrien mitgetragen, um Waffenlieferungen Frankreichs und Großbritanniens an Aufständische zu ermöglichen. Bereits nach den ersten Zwischenfällen an der Grenze zur Türkei hat sie sich hinter die türkische Lesart gestellt, dass dies einen Angriff auf die Türkei darstellen und militärische Gegenmaßnahmen rechtfertigen würde, u.a. nachdem die Türkei im Oktober 2012 Konsultationen nach Artikel vier des NATO-Vertrages beantragt hatte. Darauf folgte die von der NATO koordinierte Stationierung deutscher Patriot-Luftabwehrsysteme in der Türkei. Diese hatte vor allem symbolischen Wert, insofern Deutschland und die NATO damit der Türkei Rückendeckung gaben, die zugleich relativ offen und ebenfalls klar völkerrechtswidrig die Bewaffnung islamistischer Milizen unterstützte und ihnen Rückzugsraum bot, um das Nachbarland Syrien zu destabilisieren. Ein weiterer Höhepunkt bei der Negierung des Völkerrechts in Syrien durch Deutschland bestand darin, die Anschläge am 13. November 2015 in Paris zum Anlass zu nehmen, sich an den militärischen Operationen gegen den IS zu beteiligen und dies völker- und verfassungsrechtlich mit dem Recht auf kollektive Selbstverteidigung im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit – in diesem Falle war die EU gemeint – zu begründen. Diese Argumentation, mit der die EU für sich in Anspruch genommen hat, ohne Zustimmung der dortigen Regierung auf syrischem Gebiet militärisch tätig zu werden, entspricht weitgehend der Begründung, mit der die Türkei nun in Afrin einmarschiert. In beiden Fällen richtet sich der offene militärische Einsatz der EU und NATO-Staaten zwar gegen nichtstaatliche bewaffnete Gruppen und nicht direkt gegen die syrischen Streitkräfte, die beteiligten Staaten haben jedoch aus ihrer zeitgleichen militärischen Unterstützung für andere bewaffnete Gruppen keinen Hehl gemacht und diese tw. offen eingeräumt. Deutschland hat dies geduldet und u.a. durch die Aufhebung des EU-Waffenembargos auch aktiv unterstützt.

Internationalisierter Bürgerkrieg

Der Kampf gegen den IS und die gleichzeitige Bewaffnung oppositioneller Gruppen wurde für alle Welt sichtbar dazu genutzt, eine Aufteilung Syriens vorzubereiten, indem über Milizen und Spezialkräfte am Boden Einflusszonen militärisch erobert und abgesichert wurden. Die USA etwa verfolgten offen das Ziel, eine Kontrolle der Grenze zum Irak durch das syrische Regime und damit den viel beschworenen Landkorridor zwischen dem Libanon und dem Iran zu verhindern. Im Grenzgebiet zwischen Irak, Jordanien und Syrien stationierte sie eigene Kräfte und auch im von der kurdischen YPG bzw. der SDF kontrollierten Norden Syriens errichtete sie Basen – ohne Zustimmung der syrischen Regierung – die sichtbar auf Dauer angelegt waren. Auch Russland und auf weniger offene Art der Iran nutzten den Bürgerkrieg, um ihre Stützpunkte in Syrien auszubauen, wobei auch hier klar war, dass sie diese nach einem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen nicht aufgeben würden.

Zumindest Russland konnte seine Beteiligung am Krieg auf einer formalen Ebene oberflächlich völkerrechtlich begründen, da es auf Einladung der syrischen Regierung agierte. De facto drehten sich die Machtverhältnisse jedoch um, u.a. indem Russland die Kontrolle über den Luftraum übernahm und ihn sich mit den USA teilten; mehrfach wurden Angriffe durch die US-amerikanische und israelische Luftwaffe auf die syrische Armee von Russland geduldet und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch abgesprochen.

Was sich also in Syrien in den vergangenen Jahren abspielte, war banale, brutalste, weil entfesselte Geopolitik. Die Entfesselung bestand darin, dass sich die beteiligten Groß- und Regionalmächte (und auch EU, NATO und Deutschland) gegenseitig signalisierten, dass das Völkerrecht hier nicht zur Anwendung kommt.

Das gerne geglaubte Märchen der humanitären Außenpolitik

Obwohl gerade die NATO-Staaten beim Kampf um Einflussphären in Syrien bereits früh auch auf islamistisch bis terroristisch agierende Truppen setzten, wurde diese Aufhebung des Völkerrechts und die Brutalisierung des Krieges v.a. in den westlichen Öffentlichkeiten lange nicht wahrgenommen oder allein dem syrischen Regime und dessen Verbündeten zugeschrieben. Voraussetzung hierfür war, die von großen Teilen der Zivilgesellschaft geglaubte und repetierte Erzählung, wonach die syrischen Milizen für Freiheit und Demokratie kämpfen und deshalb von ihren ausländischen Partnern unterstützt würden. Dieses hartnäckige Märchen überlebte selbst die Schlacht um Aleppo, als sich die NATO und ihre Verbündeten vor allem in ihrer Informationspolitik – die längst Teil der Kriegführung ist – klar gegen Russland und damit de facto auf die Seite radikalislamistischer, zu großen Teilen mit der Al Kaida verbündeten Kräfte stellten, die damals den Ostteil der Stadt kontrollierten.

So brutal und tragisch es ist, setzt sich in Afrin nur das fort, was seit Jahren in Syrien stattfindet und mit dem Jubel und der Unterstützung der bewaffneten Opposition ab 2011 begann. Bezeichnenderweise ist es nun – in deutlich anderer Zusammensetzung – wiederum die Freie Syrische Armee (FSA) die türkische Freiwillige rekrutiert und von türkischem Territorium aus Seite an Seite mit der türkischen Armee nach Afrin vorstößt und gegen die SDF kämpft. Diese offene und direkte Zusammenarbeit von Bodentruppen eines NATO-Staates mit Milizen ist genau genommen die einzige qualitative Zuspitzung im türkischen Vorgehen gegenüber dem bisher Geschehenen. Wahrgenommen wird sie jedoch kaum, auch im UN-Sicherheitsrat und in den Stellungnahmen der NATO spielte sie bislang keine nennenswerte Rolle. Die Empörung, die das türkische Vorgehen und die nüchtern betrachtet selbstverständliche Beteiligung deutscher Waffensysteme auslöst, hat jedoch andere Gründe. Denn das Märchen, dass die westlichen Mächte in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen hätten, um demokratische oder irgendwie „bessere“ Verhältnisse zu schaffen, steht nun endgültig vor seiner Entlarvung. Denn mit der kurdischen Selbstverwaltung und der SDF greifen die Türkei und ihre Milizen jene Kräfte an, die mit Abstand am ehesten für eine demokratische und multikonfessionelle Ordnung stehen und diese explizit und glaubhaft anstreben. Dass die Bundesregierung, die USA und die NATO ihren Bündnispartner Türkei allenfalls zur Zurückhaltung mahnen, prinzipiell jedoch nichts gegen den Einmarsch einzuwenden haben, sollte nur jene überraschen, die glauben, Außenpolitik und militärische Interventionen seien von irgendeiner Form des humanen Idealismus getrieben. Vom geopolitischen Standpunkt aus gesehen ist v.a. die Duldung und klammheimliche Unterstützung durch die USA durchaus naheliegend. Die im Zuge der gemeinsamen Bekämpfung des IS aufgenommene Zusammenarbeit mit der SDF in Nordsyrien war anders als die dort errichteten Basen nicht auf Dauer angelegt. Eine tatsächlich demokratische Ordnung und die politischen Ziele der SDF wären mit einer anhalten Präsenz amerikanischer Truppen mittelfristig unvereinbar geworden. Wenn nun nicht die USA selbst, sondern ihr NATO-Verbündeter Türkei die Waffen gegen den ehemaligen Verbündeten richtet, ist das umso besser. Nebenbei hilft es, die zwischenzeitlichen Differenzen zwischen USA und Türkei beizulegen und vielleicht auch mit Russland zu einer Einigung über die Aufteilung Syriens zu kommen.

Das ist Geopolitik und sie entfaltet sich dort, wo das Völkerrecht für obsolet erklärt wird, als internationalisierter und barbarisierter Bürgerkrieg.