IMI-Standpunkt 2017/035
Der externalisierte saudische Bürgerkrieg auf Tagesschau.de
von: Bernhard Klaus | Veröffentlicht am: 7. November 2017
Die Vorgänge, die sich in Saudi Arabien am ersten Wochenende des November 2017 ereignet haben, sind spektakulär und eine drastische Eskalation des Konflikts zwischen der Golfmonarchie und dem Iran. Die Festnahme von „elf Prinzen und Dutzende[n] frühere[n] Regierungsminister[n]“, darunter Prinz Alwalid bin Talal, dem „reichsten Menschen der Arabischen Welt“, wird jedoch von der Tagesschau als Kampf „gegen die Korruption im Land“ dargestellt und ein Interview mit einem nicht näher genannten „Passanten“ soll die Unterstützung der Bevölkerung für diese Maßnahmen suggerieren. Daraufhin heißt es wörtlich: „Kronprinz Mohammed bin Salman … will den Einfluss der ultrakonservativen Geistlichkeit drastisch beschränken, die saudische Gesellschaft öffnen“. Unterlegt wird dies u.a. von der Aufnahme einer Frau mit Kopftuch am Steuer eines Autos verbunden mit dem Hinweis, dass „die überfällige Aufhebung des Fahrverbots für Frauen“ als Werk des Kronprinzen gelte.[1] Woher die Aufnahmen stammen, bleibt v.a. deshalb zweifelhaft, weil Frauen nach aktuellem Stand erst ab Mitte nächsten Jahres ihren Führerschein in Saudi Arabien machen dürfen. Alles in allem wird das, was in anderen Ländern als Säuberungswelle – wohlgemerkt: innerhalb der Elite – bezeichnet würde, in den Kontext eines „Modernisierungskurses“ und der „Vision 2030“ gestellt. An einem Punkt bleiben die Tagesschau und der hinzugeschaltene Korrespondent – live aus Kairo – ehrlich: Dass Modernisierung nicht als Demokratisierung, sondern v.a. als marktwirtschaftliche Öffnung verstanden werden soll. „Er will Vergnügungsparks bauen, für die vor allem junge Bevölkerung Saudi Arabiens, er will Tourismus-Ressorts am Roten Meer bauen, er will riesige neue Städte bauen, in denen geforscht wird, wie im Silicon Valley, er will Saudi Arabien sozusagen in ein ganz neues Jahrhundert katapultieren“ und „das Investitionsklima in Saudi Arabien verbessern“.
ARD-Korrespondent Volker Schwenck berichtet das gut 2.000 Kilometer von Riad entfernt am Sonntagmittag – 13:45 live aus Kairo. Zu diesem Zeitpunkt war längst bekannt und auch über die Ticker internationaler Agenturen wie AP gegangen, dass Saudi Arabien in der Nacht auf Sonntag massive Luftschläge gegen die Hauptstadt der jemenitischen Rebellen in Jemen, Sanaa, begonnen hatte, die bis Sonntagmittag anhielten. Die Rebellen hatten zuvor eine Rakete auf den Flughafen Riad abgeschossen, die in letztem Moment von einem US-amerikanischen Raketenabwehrsystem vernichtet worden sei.[2] Dass die jemenitischen Rebellen über Waffen solcher Reichweite verfügen, war durchaus neu und einer Nachricht wert. Die Tagesschau verliert hierüber jedoch auch um 20 Uhr kein Wort, obwohl selbst US-Präsident Trump bereits Sonntagmittag den Iran für die Attacke verantwortlich gemacht und die Saudische Regierung im Einklang hiermit Gegenmaßnahmen gegen den Iran angekündigt hatte. Das Online-Magazin Telepolis hingegen veröffentlichte am Montag die entsprechenden Stellungnahmen und berichtete, dass die Blockade der Land- und Seewege in den Jemen, die bereits jetzt zu einer Hungerkatastrophe im Land führten, verschärft worden wären.[3]
Am Montag erschien auch ein weiterer Bericht auf Tagesschau.de in dem, flankiert von milder Kritik, der Modernisierungskurs bin Salmans im Mittelpunkt steht: „Der Kronprinz krempelt alles um. Dass Frauen bald Autofahren dürfen, gehört dazu“, heißt es da unter anderem, „der Prinz scheint das Königreich tatsächlich öffnen zu wollen“. Angemerkt wird allerdings, dass er „ungeheuer mächtig“ sei und „[m]it Kritikern seines Kurses“ hart umgehe. Die tatsächliche interne und externe Dimension des in Saudi Arabien tobenden Machtkampfes wird jedoch – man muss schon sagen: systematisch – ausgeblendet. So heißt es bei Tagesschau.de lediglich: „Er war es, der sein Land in den Krieg gegen die Rebellen im Jemen schickte“ und dass dieser, wie andere Initiativen bin Salmans, „ohne greifbare Erfolge geblieben“ wäre.[4]
In einer Gesellschaft, die zwischen Königshaus, Klerus und Söldnerheer keine Bürger und v.a. Bürgerinnen kennt, mag der Begriff „Bürgerkrieg“ abwegig erscheinen, das Geschehen in Saudi Arabien aber sicherlich besser beschreiben, als der Kampf gegen die Korruption. Machtkämpfe im Königshaus und mit dem Klerus werden geradezu traditionell auch in den Nachbarstaaten und insbesondere im Jemen ausgetragen und dort besonders blutig und brutal, weil es sich eben nicht um Bürger_innen handelt. Die eingesetzten Waffen und Ressourcen sind Verbindungen in Drittstaaten, die oft über Geschäftsmänner abgewickelt werden, die andernorts als Staatssekretär_innen im Wirtschafts-, Außen- oder Verteidigungsministerium verbeamtet wären. Säuberungen unter diesen können nicht losgelöst von kriegerischen Konflikten in der Nachbarschaft verstanden werden, wie es die ARD-Nachrichtenredaktion versucht. Saudi Arabien externalisiert seine Konflikte, was im Jemen zur Katastrophe führt und einen Krieg mit dem Iran immer wahrscheinlicher macht. Offenbar hat es dabei großen Rückhalt aus den USA – und von der ARD.
Anmerkungen
[1] „Königshaus lässt Prinzen und Ex-Minister festnehmen“, tagesschau.de vom 5.11.2017.
[2] „Saudi Arabia intercepts missile targeting main airport“, apnews.com vom 5.11.2017, sowie: „Militants storm security compound in Yemen in deadly attack“, cbsnews.com vom 5.11.2017.
[3] Thomas Pany: „Raketenangriff – Saudi-arabische Koalition spricht von einem möglichen Kriegsakt Irans“, Telepolis vom 6.11.2017.
[4] „Der Machthunger des Kronprinzen“, Tagesschau.de vom 6.11.2017.