IMI-Standpunkt 2017/20
Südkorea: Kampf um die Demokratie
In Südkorea ist die politische Linke starken Repressionen ausgesetzt. Zahlreiche Aktivisten sitzen im Gefängnis
von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 18. Juli 2017
Die Erstveröffentlichung dieses Artikels war auf S. 3, junge Welt vom 17.7.2017
Während des G-20-Gipfels vergangene Woche lächelte Südkoreas neugewählter Präsident Moon Jae In für ein Gruppenbild mit Donald Trump und dem japanischen Präsidenten Shinzo Abe in die Kameras. Unterdessen protestierten in Seoul Tausende für die Freilassung der politischen Gefangenen im Land. Sie erhielten dafür internationale Unterstützung – auch aus Deutschland.
Unter der Präsidentschaft von Moons Amtsvorgängerin Park Geun Hye hatte der Staat sein Vorgehen gegen Oppositionelle verschärft. Ihre Regierungszeit ließ Erinnerungen an die bis Ende der 1980er Jahre dauernde Diktatur aufkommen. Schon ihre Wahlkampagne war geprägt von Skandalen: So beeinflusste der Geheimdienst die Diskussionen in »sozialen Medien« zu ihren Gunsten. Parks politische Gegner landeten nach ihrem Wahlsieg auf schwarzen Listen, zudem wurden Privatisierungen brachial vorangetrieben. Korruptionsskandale brachten jedoch auch »unpolitische« Menschen gegen Park auf. Schließlich war die Wut so groß, dass Millionen monatelang ihrem Protest mit »Kerzenscheindemonstrationen« Ausdruck verliehen. Im März wurde Park des Amtes enthoben und in Untersuchungshaft genommen, gegenwärtig steht sie wegen Bestechlichkeit vor Gericht.
Doch auch die Opfer ihrer Politik sitzen nach wie vor im Gefängnis. Unter ihnen befinden sich Gewerkschafter wie Han Sang Gyun, der Vorsitzende des kämpferischen Dachverbands KCTU. 2014 hatte er Massendemonstrationen gegen die Verschlechterung des Kündigungsschutzes organisiert. Im vergangenen Jahr verurteilte ihn ein Gericht zu einer fünfjährigen Haftstrafe, die schließlich auf drei Jahre reduziert wurde. Auch linke Politiker wie der ehemalige Abgeordnete der 2014 verbotenen Vereinigten Fortschrittspartei (UPP) sind eingesperrt – ebenso Internetaktivisten wie der Betreiber der Internetbibliothek »Bücher der Arbeiter«, dem das Hochladen der Werke von Karl Marx zum Verhängnis wurde. Hunderte Friedensaktivisten und Kriegsdienstverweigerer müssen ihr Dasein ebenfalls hinter Gittern fristen.
Diese Situation veranlasste Inge Höger, Obfrau der Linksfraktion im Menschenrechtsausschuss des deutschen Bundestages, vor knapp zwei Wochen, eine Solidaritätsreise nach Südkorea zu unternehmen. Sie besuchte unter anderem ein Protestcamp gegen das US-Raketensystem THAAD in Seongju im Südosten des Landes. Die Bewohner der Region befürchten Schäden für Gesundheit und Umwelt. Bereits im Dezember 2016 lehnten laut Umfragen 51 Prozent der Südkoreaner die Stationierung ab.
Auch die UPP hatte sich immer für Abrüstung und Friedensverhandlungen eingesetzt. Durch ihr Verbot ist eine Leerstelle im Parteiensystem entstanden, die nun einzelne unabhängige Kandidaten und die im Februar 2016 gegründete PUP (People’s United Party) zu schließen versuchen. Solange jedoch mit hohen Gefängnisstrafen für linke Politik gerechnet werden muss, ist der Spielraum gering. Südkoreas aus der Zeit der Militärdiktatur übernommenes »Nationales Sicherheitsgesetz« hängt wie ein Damoklesschwert über den Aktivisten. Mit seiner Hilfe kann der Staat jederzeit gegen Oppositionelle vorgehen, indem er behauptet, dass deren Aktivitäten den Interessen Nordkoreas dienen. Auch deswegen besuchte Inge Höger den verhafteten ehemaligen UPP-Abgeordneten Lee Seok Ki. Im Rahmen eines international scharf kritisierten Prozesses war er Anfang 2014 wegen angeblicher pronordkoreanischer Verschwörungspläne verurteilt worden.
Er soll noch bis 2021 in Isolationshaft sitzen. 23 Stunden am Tag verbringt er in einer nur 2,5 Quadratmeter großen Zelle. Von den bedrückenden Haftbedingungen der politischen Gefangenen konnten sich Höger und andere Interessierte in einer nachgebauten Zelle in der Innenstadt von Seoul ein eigenes Bild machen. Besuch dürfen die Gefangenen maximal für zehn Minuten pro Woche empfangen – von ihm getrennt durch eine Glasscheibe. Auch bei der Visite der Bundestagsabgeordneten war das nicht anders.
Viele der politischen Gefangenen wurden unter willkürlicher Anwendung des »Sicherheitsgesetzes« verurteilt. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International beklagen diesen Zustand – zuletzt vor wenigen Tagen in einer Eingabe an den UN-Menschenrechtsrat. Höger plädierte am 8. Juli in Seoul vor mehreren tausend Demonstrierenden für eine Abschaffung der willkürlichen Sicherheitsgesetze. »Kämpfe für Frieden und gute Arbeitsbedingungen sind keine Verbrechen. Es ist ein Verbrechen, dies zu verbieten!« erklärte sie dort.
Linke Aktivisten in Südkorea haben zudem eine internationale Solidaritätskampagne gestartet, die im Internet aufgerufen werden kann. Darin wird der neugewählte Präsident gebeten, die politischen Gefangenen auf die Liste derjenigen zu setzen, die am 15. August, dem Nationalfeiertag, amnestiert werden.
Das Gegenteil von Deeskalation: Das US-Raketensystem THAAD in Südkorea trägt zur wachsenden Kriegsgefahr auf der Halbinsel bei
Die Stationierung des THAAD-Raketenabwehrsystems (Terminal High Altitude Area Defense) in Südkorea war ursprünglich für Ende des Jahres 2017 geplant. So war es mit der Regierung von Park Geun Hye vereinbart. Nachdem diese aber abgesetzt worden war und feststand, dass es vor dem vereinbarten Stationierungstermin Neuwahlen geben würde, räumte die US-Regierung der Raketenlieferung höhere Priorität ein. Der gerade erst ernannte US-Verteidigungsminister James Mattis reiste Anfang Februar nach Südkorea, um noch mit Angehörigen der alten Regierung über eine zügige Installation des THAAD zu verhandeln. Innerhalb kürzester Zeit wurde daraufhin das Grundstück für die Stationierung bereitgestellt und das Abwehrsystem verschifft. Wieviel Druck auf den Besitzer des Grundstücks, den südkoreanischen Lebensmittelkonzern Lotte, ausgeübt wurde, ist unklar. Er muss erheblich gewesen sein, da China nicht still zusah und Lotte mit Sanktionen strafte. Der Konzern betreibt 115 Geschäfte in der Volksrepublik, er erzielt dort Milliardenumsätze. Mehrere dieser Geschäfte wurden bereits geschlossen, zusätzlich wurde in China über staatliche Medien zu einem Boykott südkoreanischer Produkte aufgerufen. Dieser Wirtschaftskrieg könnte für Seouls Ökonomie weitreichende Auswirkungen haben.
Beijing befürchtet, dass THAAD gezielt der Einkreisung und Schwächung Chinas dient. Es gibt gute Gründe für diese Befürchtungen. Das Abwehrsystem besteht aus zwei wesentlichen Komponenten, den Raketenwerfern und dem THAAD-Radar. Dieser kann in zwei Modi betrieben werden. Im TM-Modus (»Terminal mode«) ist die Reichweite mit 600 Kilometern weitgehend auf die Erfassung möglicher Luftangriffe aus Nordkorea begrenzt. Im FB-Modus (»Forward based mode«) können jedoch Starts und Flugbewegungen bis in etwa 3.000 Kilometern Entfernung überwacht werden. Beide Modi benötigen die gleiche Hardware, lediglich die Software unterscheidet sich. Sie kann aber innerhalb weniger Stunden installiert werden. Die USA haben mit THAAD die technische Möglichkeit, eventuelle Bewegungen von chinesischen Mittel- und Langstreckenraketen zu überwachen. Durch diese Fähigkeit lässt sich die Dominanz der USA in der Pazifikregion zementieren. Dies ist nicht zuletzt im Kontext des 2012 proklamierten »Pivot to Asia«, des strategischen Schwenks in Richtung des Pazifikraums, von Bedeutung.
Im April sorgte Donald Trump für Schlagzeilen, als er forderte, dass die Südkoreaner nicht nur die Stationierung von THAAD akzeptieren, sondern auch noch eine Milliarde Dollar dafür zahlen sollten. Dies wurde wohl von vielen Menschen als Zumutung verstanden und trug möglicherweise mit dazu bei, dass die konservativen, »proamerikanischen« Kandidaten keine Chance hatten und der liberale Moon die Präsidentschaftswahlen gewinnen konnte. Die USA setzten die Stationierung zusätzlicher THAAD-Komponenten auch nach der Wahl von Moon offensichtlich fort, ohne diesen darüber zu informieren. Moon hat daraufhin eine Untersuchung angeordnet, die aufklären soll, warum er von den US-Verbündeten und möglicherweise von seinen eigenen Militärs hintergangen wurde. Nun versucht er, mittels Umweltverträglichkeitsprüfungen noch weitere Stationierungen aufzuhalten. Ob er damit Erfolg haben wird, bleibt ungewiss.
Hintergrund: Deutsche Waffen für Seoul
Die US-Armee simuliert in jährlichen Militärmanövern in Südkorea eine Invasion des Nordens – inklusive des Einsatzes von US-Atomwaffen und eines sogenannten »Enthauptungsschlags«, mit dem die Regierung in Pjöngjang systematisch ausgeschaltet werden soll. Doch nicht nur US-amerikanische, sondern auch deutsche Waffensysteme kommen zum Einsatz. Am 5. Juli veröffentlichte das Oberkommando der südkoreanischen Armee einen Videoclip zu einem gemeinsamen Manöver mit US-Militärs. Darin waren deutsche »Taurus«-Raketen zu sehen. Südkorea hat von diesen High-Tech-Marschflugkörpern bereits 170 Stück bestellt. Die ersten wurden im letzten Jahr ausgeliefert. Eine Bestellung von 90 weiteren soll folgen. Diese »Cruise Missiles« können eine Distanz von 500 Kilometern zurücklegen und damit die nordkoreanische Hauptstadt erreichen. Sie sind ausgestattet mit einem Sondergefechtskopf namens »Mephisto«.
Damit können verschiedene Ebenen eines Bunkers durchbrochen werden. Er durchschlägt selbst vier Meter dicke Betonwände, erst am zuvor definierten Punkt detoniert die Hauptladung. Das Propagandavideo des Oberkommandos zeigt in einer animierten Sequenz, wie man sich einen Angriff auf Pjöngjang vorstellt – samt in Trümmern liegender Regierungsgebäude und einer brennenden nordkoreanischen Fahne.
Auch andere deutsche Rüstungslieferungen stören das labile regionale Gleichgewicht empfindlich. Schon vor zehn Jahren erhielt Südkorea vom Rüstungsunternehmen HDW »Materialpakete« zum Bau von U-Booten geliefert. Sie werden seitdem mit deutschen Komponenten unter Lizenz in Südkorea gefertigt und haben einen speziellen außenluftunabhängigen Brennstoffzellenantrieb mit sehr geringer Wärmesignatur. Das ermöglicht es der südkoreanischen Marine, den Norden einzukreisen, ohne selbst entdeckt zu werden.
Insgesamt haben deutsche Unternehmen seit 2001 Rüstungsgüter in Höhe von etwa sechs Milliarden Euro geliefert. Deutschland ist also mitverantwortlich für die regionale Eskalation und profitiert von der Aufrüstungsspirale. Dabei gäbe es Alternativen. Im Oktober 2015 und im Februar 2016 bot Nordkorea Friedensverhandlungen an, und China machte wiederholt den Vorschlag, dass die USA auf Kriegsmanöver im Süden verzichten sollten, im Gegenzug solle Nordkorea seine Atomwaffen- und Raketentests einstellen. All diese diplomatischen Vorstöße wurden von seiten der US-Administration abgelehnt, an Bedingungen geknüpft oder ignoriert.