IMI-Analyse 2017/25 - in : AUSDRUCK (Juni 2017)

Ein Marshall-Plan für Afrika?

Neoliberale Erneuerung der Entwicklungspolitik im Vorfeld des G20-Afrika-Gipfels

von: Bernhard Klaus | Veröffentlicht am: 15. Mai 2017

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Noch bevor der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Januar 2017 seine „Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika“ veröffentlichte, hagelte es Kritik an einem solchen Vorhaben. Bereits im November 2016 verfassten Wissenschaftler, ein ehemaliger Diplomat und ein ehemaliger Mitarbeiter des Deutschen Entwicklungsdienstes das „Kölner Memorandum für eine andere Entwicklungspolitik“, in dem es u.a. heißt, dass die „Entwicklungshilfe bisher keine grundlegende und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Subsahara-Afrika in Gang gesetzt“ und stattdessen vielmehr „die Abhängigkeit der Empfängerländer verstärkt und das Entstehen wirtschaftlicher Eigendynamik behindert“ habe. Entwicklungshilfe sei „zu einer Maschinerie geworden, die immer mehr ihrer Selbsterhaltung dient“. Deswegen sei von einer „massive[n] Aufstockung der staatlichen Entwicklungshilfe“ wenig zu erwarten und davon auszugehen, „dass große Teile der zusätzlichen Mittel in falsche Kanäle fließen und der Exodus anhält.“1

Kurz nach der Veröffentlichung der Eckpunkte, aber ohne auf diese tatsächlich Bezug zu nehmen, sprach Ende Januar der ehemalige Oberst im Generalstabsdienst der Bundeswehr Wolf Poulet in der FAZ ebenfalls von einer „Hilfsindustrie“ und warnt vor der „Vergeudung von Steuermitteln“. Er zitierte u.a. die Autorin des viel beachteten Buches „Dead Aid“, Dambisa Moyo, mit der Auffassung, „dass die Entwicklungshilfe jeden Anreiz zerstört, gut zu wirtschaften und die Volkswirtschaft anzukurbeln. Entwicklungshilfe zu beziehen ist einfacher, als ein Land zu sanieren“. Was Poulet dagegen für richtig hält, bleibt weitgehend unklar. Einerseits kritisiert er die Programme zur Eindämmung der Migration der EU, die auf „Training und Ausrüstung von Grenzbeamten, auch in den Diktaturen“ hinausliefen sowie generell die Stärkung tyrannischer und kleptokratischer Regierungen. Andererseits fordert er mehr deutsches Engagement bei Sicherheitssektorreformen ein, die meist auf die (vermeintliche) Stabilisierung von Regimen durch Aufrüstung und Modernisierung der Polizei- und Streitkräfte hinauslaufen. Einerseits sollten Regierungen, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte nicht respektieren, „als Paria“ geächtet werden und „die Zusammenarbeit mit und die Unterstützung solcher Regierungen“ strikt abgebrochen werden, andererseits spricht er sich abschließend dafür aus, „jegliche Unterstützung zur Modernisierung und damit Stabilisierung an[zu]bieten – ohne Auflagen und widersinnige Konditionen“.2

Neoliberaler Postkolonialismus?

Viele Kritiker_innen aus Deutschland und Europa beziehen sich auf Wissenschaftler_innen in und Autor_innen aus Afrika.3 Obwohl die geäußerten Positionen im Detail unterschiedlich und manchmal auch widersprüchlich sind, lassen sich doch gemeinsame Strömungen erkennen. Die Kritik an der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit ist schonungslos und fordert einen vermeintlich radikalen Neuanfang. Sie integriert anti- und postkoloniale Positionen bzw. Phrasen, Paternalismus und Gebermentalität werden angeprangert. Während man schonungslos mit der Politik westlicher Regierungen ins Gericht geht, bleiben deren ökonomischen Triebfedern und die negativen Folgen wirtschaftlicher Erschließungen fast immer gänzlich unerwähnt. Stattdessen wird im Unternehmertum das Allheilmittel für die tatsächlichen und vermeintlichen Probleme auf dem afrikanischen Kontinent identifiziert. So lautet die erste von nur drei Forderungen im kurzen Kölner Memorandum: „Afrika braucht einheimische und ausländische Unternehmer, die Produktionsbetriebe in Afrika errichten. Sie sind umfassend zu fördern, weil die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas ohne Industrialisierung nicht möglich ist“. Wichtig sei darüber hinaus „afrikanische Eigeninitiative“, die durch „zuverlässige Organisationen vor Ort“ zu fördern sei, so die dritte Forderung.4 Die Verantwortung für die Lösung der Probleme müsse in den afrikanischen Ländern liegen, so ein gängiger Allgemeinplatz, der auch dadurch typisch für die Debatte ist, dass er mit antikolonialem Impetus vorgetragen werden kann, während er zugleich die Verantwortung der Metropolen für die Situation in den ehemaligen Kolonien negiert.

Inwiefern es die Staaten sind, die Träger der „afrikanischen Eigeninitiative“ sein sollten, sind die Positionen vage oder gehen im Detail auseinander. Typisch ist jedenfalls in der Kritik, dass afrikanischen Regierungen generell Korruption und Bereicherung unterstellt wird, um dann doch einzelne, nicht näher genannte, Vorreiter in Sachen Stabilität, Reformbereitschaft und Entwicklung auszumachen, mit denen besonders eng zu kooperieren sei. Einig ist man sich aber v.a., dass die Kraft zur Erneuerung in den afrikanischen „Gesellschaften“ liege und hier eben besonders im „Unternehmertum“. Im Gegensatz zu den Regierungen bleibt hinsichtlich der Unternehmen das Interesse an Bereicherung unerwähnt und ihr Handeln erscheint geradezu gemeinwohlorientiert. Die Kritik am deutschen bzw. westlichen Regierungshandeln betrifft zwar einerseits humanistisch die Motivation, „dass der Strom von Flüchtlingen nach Europa gestoppt werden müsse“, andererseits nationalistisch die „Vergeudung von Steuermitteln“, nicht aber die zugrundeliegenden ökonomischen Interessen. Somit erklärt sich letztlich auch das seltsame Amalgam von (ehemals) kritischen Forscher_innen und Praktiker_innen, Wissenschaftler_innen aus dem Umfeld der Konrad-Adenauer-Stiftung und Politikern aus der FDP, das die Kritik dominiert und in der Autorengruppe des Kölner Memorandums geradezu beispielhaft repräsentiert ist. Denn es handelt sich letztlich um eine zutiefst neoliberale Position, die mit Versatzstücken aus dem Antikolonialen Diskurs und der kritischen Entwicklungsforschung angereichert wurde und darauf zielt, eine staatliche Entwicklungspolitik zu vernichten – die so eigentlich gar nicht mehr existiert.

Der Mensch als Humankapital

Denn die hier dargelegte Position der Kritiker_innen stellt letztlich den Kerngedanken des Eckpunktepapiers aus dem BMZ dar. Das versucht jedoch auch ansonsten, allen Positionen und Parteien gerecht zu werden und wirkt damit inhaltlich, wie auch strategisch und von der Struktur her reichlich inkonsistent.

Friedenspolitisch verheißungsvoll klingt etwa zunächst das Bekenntnis zu einem „Stopp von Waffenlieferungen in Krisengebiete“.5 Zugleich jedoch wird als deutscher Beitrag zu „Frieden, Sicherheit und Stabilität“ die Ertüchtigungsinitiative bekräftigt, welche die kostenlose Lieferung von und Einweisung in Waffensysteme auch zur konkreten „Konfliktbewältigung“ vorsieht. Zusätzlich soll ab 2020 ein „EU-Finanzierungsinstrument für den militärischen Kapazitätsaufbau und die Finanzierung von Friedensmissionen“ aufgebaut werden. Während v.a. am Anfang des Dokuments mehrfach angemahnt wird, dass die „Zeit von ‚Geber und Nehmer‘ abgelöst

werden“ müsse und „wir aufhören [sollten], für Afrika zu sprechen“, wird am Ende in klassisch partiarchaler Geste angekündigt, dass Deutschland „die Vorschläge des Marshallplans in die Konsultationen mit anderen Gebernationen einbringen“ werde. Weiter heißt es: „Afrika muss mehr sein, als der Kontinent der Rohstoffe“, zwei Seiten weiter jedoch wird der afrikanische Kontinent in vier Farben abgebildet, die drei verschiedene Klassen von Rohstoffen sowie „sonstige Flächen (Landwirtschaft, Naturschutzgebiete, Städte)“ repräsentieren.

Als Fundament der vermeintlichen Partnerschaft zwischen „Afrika und Europa“ werden „gemeinsame Interessen“ und „Werte“ benannt, die aus „unserer christlichen Wertetradition und dem humanistischen Erbe Europas“ abgeleitet werden. Heruntergebrochen wird dies auf Artikel 1 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes, „[d]ie Würde des Menschen ist unantastbar“, zu dem fast schon gönnerhaft erläutert wird: „Das gilt für alle Menschen – auch in Afrika“. Auch dieses Bekenntnis steht in krassem Widerspruch zum eigentlichen Tenor des Dokuments, in dem Armut, Hunger, Diskriminierung und fehlende Bildungschancen v.a. als Verlust von Humankapital wahrgenommen wird, der durch „Investitionen“ zu beheben sei. Hierzu sind einige Beispiele unumgänglich:

Wenn etwa kritisiert wird, dass „Frauen und Minderheiten oft ausgeschlossen sind“, so heißt es hierzu erläuternd: „Keine Gesellschaft kann es sich leisten, das Potential der Hälfte seiner Bevölkerung ungenutzt zu lassen“ (als ob das „Potential … ungenutzt“ sei, nur weil es nicht über den Arbeitsmarkt realisiert wird). An anderer Stelle heißt es dann: „Das größte Potential bietet aber Afrikas Jugend: 2035 wird Afrika das größte Arbeitskräfte-Potential weltweit haben“. „Entscheidend“ werde sein, diese „demographische Dividende“ nutzen zu können. Gerade hierzu sei die Bekämpfung des Hungers notwendig, denn es drohe „das Heranwachsen einer ‚verlorenen Generation‘. Die Investition in Ernährungsprogramme vor allem für Schwangere, Mütter und Kleinkinder ist die wichtigste Investition in die Zukunft.“ Besonders augenfällig ist die Prioritätensetzung im Kapitel zu „Energie und Infrastruktur“, in der es heißt: „Nur etwa 32 Prozent der Bevölkerung Subsahara-Afrikas hat nach Angaben der Internationalen Energieagentur Zugang zu Strom und nur die Hälfte hat Zugang zu sauberem Wasser. Für die Wirtschaft ist eine verlässliche Versorgung mit Wasser und Energie rund um die Uhr essentiell“. Auch die Notwendigkeit von „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte[n]“ wird im entsprechenden Kapitel primär wirtschaftlich begründet: „Private Investitionen brauchen die richtigen staatlichen Rahmenbedingungen“. Im Kapitel zu „Gesundheit, Bildung und soziale[r] Sicherung“ heißt es zur Notwendigkeit leistungsfähiger sozialer Sicherungssysteme: „Diese tragen direkt zur Armutsreduzierung und Verringerung von Ungleichheit bei und setzen produktive Kräfte frei.“ Entsprechend sollten auch hier die „Investitionen in soziale Sicherung“ erhöht werden. Für Deutschland bedeute dies, „[i]nnovative Lösungen für soziale Sicherung mit privater Finanz- und Versicherungswirtschaft aus[zu]bauen [und den] Privatsektor bei Risikoübernahme [zu] unterstützen“.

Damit sind wir beim eigentlichen „Leitmotiv“ des Dokuments angekommen, das – wie ein verantwortlicher Mitarbeiter des BMZ gegenüber dem Autor bestätigte – darin besteht, „den Schulterschluss mit der Privatwirtschaft zu suchen“.6 Letztlich stehen die Eckpunkte für den Marshallplan schlicht für die Transformation der Entwicklungspolitik in eine Außenhandelsförderung, die bereits seit langem im Gange ist.

Investitionen fördern

Dieses Leitmotiv wird bereits in den einführend vorgestellten „10 Thesen für einen Marshallplan mit Afrika“ ausbuchstabiert. Staatliche Entwicklungsgelder (ODA) sollen „zukünftig stärker Antreiber und Förderer privater Investitionen sein“ heißt es darin, denn Afrika brauche „weniger Subventionen und mehr private Investitionen. Dafür müssen förderliche Rahmenbedingungen vor Ort, aber auch neue Instrumente zur Mobilisierung und Sicherung von Investitionen geschaffen werden“, darunter u.a. „Steueranreize für Unternehmen“. Ausführlicher, in der Sache aber identisch, wird später bekräftigt: „Entscheidend ist es, eine verstärkte Mobilisierung des Privatsektors zu erreichen. Die Beteiligung Deutschlands und anderer Geber … senkt das Risiko der Anleger deutlich. Öffentliche Mittel fördern damit unmittelbar private Investitionen in Afrika. Jeder Steuer-Euro hebelt ein Vielfaches an privatem Kapital. Investitionen werden dadurch auch für großinstitutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen attraktiv“. Außerdem sollten „Garantieinstrumente – analog der Absicherung von Wirtschaftsexporten durch Hermesbürgschaften – zur Absicherung von privaten Investitionen eingesetzt werden (ODA-finanziertes Bürgschaftsinstrument).“

Wenn sie nicht zur Hebelung privatwirtschaftlicher Investitionen eingesetzt werden, sollen ODA-Mittel nur dann zum Einsatz kommen, wenn „Vorhaben für eine private Finanzierung nicht geeignet“ sind. Das setzt natürlich eine enge Kooperation bzw. Einbindung der Privat- bzw. Finanzwirtschaft voraus. Entsprechend soll diese bei der „Vorbereitung finanzierungsreifer Vorhaben“ unterstützt werden. Während in streng neoliberaler Manier Subventionen afrikanischer Regierungen in Afrika primär als Marktverzerrung wahrgenommen und in die Nähe von Korruption gerückt werden, sollen ODA-Mittel die deutsche Industrie und Finanzwirtschaft zukünftig stärker bei der Erschließung von Märkten in Afrika unterstützen. Deren Investitionen sollen sich natürlich rentieren und wo sie das nicht tun, soll der Staat (bzw. Entwicklungsbanken) einspringen und die Risiken minimieren bzw. sozialisieren. Obwohl selbst in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung auf die Finanz- und Versicherungswirtschaft gesetzt wird, werden wohl hier die Fälle zu finden sein, die „für eine private Finanzierung nicht geeignet“ sind – jedoch eben nicht als individuelle Rechte auf soziale Sicherung, sondern als Nothilfe. Darüber hinaus kommt der Staat natürlich da ins Spiel, wo ihn die neoliberale Ideologie schon immer doch ganz gerne gesehen hat: Bei der Herstellung der passenden Rahmenbedingungen, den Themen „Frieden und Sicherheit“, also Polizei und Militär.

So stehen im Entwurf für einen „Zukunftsvertrag mit Afrika“ – in auffälliger Parallelität mit dem Säulenmodell der EUropäischen Union neben der Säule „Wirtschaft, Handel und Beschäftigung“ jene für „Frieden und Sicherheit“ und „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“. Kern des Programms für „Frieden und Sicherheit“ soll die sogenannte „Sicherheitsarchitektur“ der Afrikanischen Union sein. Zu dieser hieß es bereits einleitend unter dem Motto „Afrikanische Ideen und Strukturen nutzen“: „Insbesondere mit ihrer Friedens- und Sicherheitsarchitektur und einer afrikanischen Eingreiftruppe beweist die AU Handlungsfähigkeit“. Die Wahrheit allerdings ist, dass es sich bei den genannten transnationalen Militärstrukturen mitnichten um eine genuin oder auch nur primär „afrikanische Idee“ handelt, sondern um ein v.a. von den USA und der EU im Rahmen der G7/G8 vorangetriebenes Konzept zur Bereitstellung afrikanischer Hilfstruppen.

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Exkurs: G8 und die Militarisierung Afrikas

Zwar ist zutreffend, dass bereits im Vorfeld der Gründung der Afrikanischen Union zwischen 2000 und 2002 Regierungen und Verteidigungsministerien einiger afrikanischer Staaten darauf drängten, Möglichkeiten für Interventionen in anderen afrikanischen Staaten im Rahmen der AU zu schaffen, die Realisierung „Afrikanischer Friedenstruppen“ war jedoch nur möglich, weil westliche Partner und Berater deren Umsetzung massiv forcierten und damit die Struktur der AU wesentlich bestimmten. Noch vor dem offiziellen Gründungsakt der AU am 9. Juli 2002, bei dem auch das Protokoll zur Errichtung eines Friedens- und Sicherheitsrates und zur Aufstellung gemeinsamer Truppen von den ersten 28 Staaten unterzeichnet wurde, hatten die G8-Staaten bei ihrem Treffen in Kananaskis, Kanada, am 27. Juni 2002 den Afrika- Aktionsplan verabschiedet, der alle Mitgliedsstaaten aufforderte, auf dem afrikanischen Kontinent „Friedenstruppen“ auszubilden und hierfür regionale Trainingslager aufzubauen. Außerdem sollte bis 2003 ein gemeinsames Konzept zum Kapazitätsaufbau entwickelt werden, was auch umgesetzt wurde und noch mehr als der Aktionsplan auf rein militärische Aspekte fokussierte. Ein wahrer Dammbruch war der G8-Gipfel 2004 in Sea Island (USA), auf dem ein Aktionsplan verabschiedet wurde, der mit der Global Peacekeeping Operations Initiative (GPOI) die Ausbildung von 75.000 Kräften, vorwiegend auf dem afrikanischen Kontinent, bis 2010 vorsah. Die USA stellten hierfür 660 Mio US$ über einen Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung. Tatsächlich waren es dann 166.000 Soldaten und 2.000 Soldatinnen alleine aus afrikanischen Staaten, die im Rahmen des GPOI-Programms bis 2012 für „Friedenseinsätze“ ausgebildet wurden.

Aus US-amerikanischer Perspektive war GPOI lediglich die Fortsetzung des 1996 aufgesetzten ACOTA-Programms, mit dem bereits bis 2004 20.000 Kräfte aus zehn afrikanischen Staaten ausgebildet worden waren und das nach dem desaströsen Rückzug der USA aus Somalia Möglichkeiten schaffen sollte, in afrikanische Konflikte nicht mit eigenen Bodentruppen, sondern über lokale Stellvertreter einzugreifen. Während zahlreiche andere Vorhaben der Afrikanischen Union von Seiten der G8 gar nicht oder kaum unterstützt wurden, wurde die Aufstellung afrikanischer Friedenstruppen in geradezu atemberaubendem Umfang und Tempo umgesetzt, noch bevor die Ratifikation relevanter Urkunden und Konzeption der Truppen durch die afrikanischen Staaten relevant Fortschritte gemacht hatte. Letztlich boten die G8-Programme damit nur einen Rahmen, um die Aufnahme oder Intensivierung bilateraler militärischer Beziehungen zwischen den einzelnen G8-Staaten und afrikanischen Partnerstaaten zu ermöglichen. Die umfangreiche Ausbildung und Ausrüstung von Infanterietruppen einzelner afrikanischer Staaten waren von den jeweiligen „Partnerregierungen“ natürlich gerne gesehen und ermöglichten es insbesondere den USA nach der Gründung des eigens für Afrika zuständigen Oberkommandos (AfriCom) ab 2006 dort Fuß zu fassen und ein umfangreiches Netzwerk von (Quasi-)Basen auf dem Kontinent aufzubauen. Tatsächliche Kapazitäten zur Führung eigener Einsätze unter voller politischer und militärischer Kontrolle der Afrikanischen Union in Hinblick auf Finanzierung, Führung und Logistik wurden jedoch nicht geschaffen. Politisch gewollte Einsätze ab 2005 in Darfur oder ab 2007 in Somalia wurden durch NATO-Einsätze bzw. ab 2013 in Mali durch einen Bundeswehreinsatz ermöglicht, die die Truppen ins Einsatzgebiet brachten. Auch bezahlt werden die afrikanische Soldaten durch Geber aus den G8. Hierzu richtete die EU 2004 aus dem Haushalt des Europäischen Entwicklungsfonds eine Afrikanische Friedensfazilität (APF) ein, aus der seit dem 1.9 Mrd. Euro ausgeschüttet wurden. Zu etwa 90% flossen diese Gelder direkt in die Einsätze afrikanischer Truppen in anderen afrikanischen Staaten, v.a. in Somalia, der Zentralafrikanischen Republik und der Sudan. Im Falle Somalias etwa erhielten die Nachbarstaaten Dschibuti, Äthiopien, Kenia sowie Uganda weit über 1 Mrd. Euro dafür, dass sie am Horn von Afrika auf dem Rücken der somalischen Bevölkerung einen Stellvertreterkonflikt ausfechten. Über 100 Mio. Euro flossen bis 2012 aus der APF in zwei v.a. vom Tschad getragenen Missionen, die Polizei und Militär in der Zentralafrikanischen Republik reformieren sollten. Als jedoch Ende 2012 ebenfalls unter der Beteiligung tschadischer Soldaten vom Norden her Rebellen einfielen und in wenigen Wochen die Regierung der Zentralafrikanischen Republik stürzten, war weder von den Friedenstruppen, noch von den durch sie ausgebildeten einheimischen Sicherheitskräften etwas zu sehen. Offenbar wenig betroffen von der schweren Krise waren jedoch diejenigen zentralafrikanischen Soldaten, die im Süden des Landes von den USA ausgebildet und unter Führung von US-Spezialkräften gemeinsam mit ugandischen Soldaten Jagd auf die Lords Resistance Army machten.

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Krieg der Nachtwächter

Wie die zwischenstaatliche Konkurrenz auf dem afrikanischen Kontinent einerseits und zwischen den „Gebernationen“ der G20 andererseits überwunden werden könnte, dazu fehlt jeder Hinweis in den Eckpunkten des BMZ, denn eine solche wird – wie auch Profitinteressen der privaten Wirtschaft – im Papier vollständig ignoriert. Sie zu überwinden wäre jedoch die Voraussetzung dafür, dass ein Marshallplan für Afrika tatsächlich die vermeintlich angepeilten Ziele realisieren könnte. Wer in völliger Ignoranz geopolitischer und wirtschaftlicher Konkurrenz dazu aufruft, die Privatwirtschaft bei Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent zu unterstützen, der gibt letztlich v.a. den Startschuss für einen intensivierten Wettlauf um Afrika. Die „Investitionen“ in „Frieden und Sicherheit“ sowie „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ werden sich jenseits leerer Worthülsen v.a. als Vorwand entpuppen, jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die für die jeweilige Privatwirtschaft förderlich sind und durch Aufrüstungsprogramme lokale „Partner“ und Stellvertreter aufzubauen, welche ihre eigenen Bevölkerungen knechten und ihre lokalen Konkurrenten bekämpfen können.

Entsprechend wird in den Eckpunkten sowohl für die Ebene der EU, wie auch bezogen auf die Bundesrepublik gefordert, dass die „Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika gestärkt und mit den

Instrumenten des EU-Außenhandelns konsequent verzahnt“ werden müsse. Diese Instrumente sollten zugleich flexibilisiert werden, damit „wir schneller und gezielter auf politische Veränderungen reagieren können“. Außerdem sollen „anreizbasierte Reformpartnerschaften mit den Reformchampions unter den afrikanischen Staaten“ geschaffen werden, um „Anreize für eine beschleunigte, nachhaltige Entwicklung [zu] setzen“. Das geradezu phantastische an diesen Aussagen ist nicht so sehr die implizite Annahme, dass eine „beschleunigte, nachhaltige“ Entwicklung möglich wäre, sondern dass das BMZ damit jegliche Zielkonflikte zwischen verschiedenen Politikfeldern bzw. Ressorts leugnet. Anhand welcher Kriterien etwa werden und sollen „Reformchampions“ ausgemacht werden: der Menschenrechtslage, der Bereitschaft zu Rücknahmeabkommen, der demokratischen Verankerung der Regierung, der Rahmenbedingungen für profitable Großprojekte oder der Kongruenz der Interessen in lokalen oder regionalen Konflikten? Wer die offensichtlichen Widersprüche zwischen diesen Ebenen negiert, übernimmt lediglich – in diesem Fall vonseiten der Entwicklungszusammenarbeit – das bislang v.a. sicherheitspolitische (und im Europäischen Auswärtigen Dienst sehr weitgehend umgesetzte) Credo des „Whole of Gouvernment Approach“, wonach eben alle Ressorts ihre Instrumente miteinander verzahnen und sich auf gemeinsame Prioritäten einigen müssten. Folgt man dem „Leitmotiv“ der Eckpunkte des Marshallplanes – den Schulterschluss mit der Privatwirtschaft – so handelt es sich dabei um die Investitionsbedingungen des Kapitals.

Neben der neoliberalen Ausrichtung der Eckpunkte besteht in der (ebenfalls nicht neuen) Forderung nach einem gesamtstaatlichen Ansatz der zweite zentrale Aspekt des Papiers. Denn die Forderungen hierzu sind zwar nicht im selben Maße allgegenwärtig in den Formulierungen, aber umso konkreter. Bei der engeren Verzahnung der außenpolitischen Instrumente soll Deutschland „vorangehen“. Hierfür wird angeregt, dass die Bundesregierung zukünftig jährlich einen „afrikapolitischen Bericht“ vorlegt. Dieser solle „die bestehenden Afrikastrategien der einzelnen Ressorts aufgreifen und verdichten.“ Darüber hinaus sei „eine gesamteuropäische Kraftanstrengung“ vonnöten, um „unsere Kräfte in Europa [zu] bündeln“. Nötig sei deshalb zukünftig „ein EU-Kommissar für

Afrika, der eine kohärente Afrikapolitik sicherstellt. Bis zu seiner Benennung mit einer neuen Kommission in 2019/2020 kann ein ‚Afrika-Rat‘ unter Vorsitz der Hohen Vertreterin eingerichtet werden“. Eigene Kommissar_innen für andere Weltregionen gibt es noch nicht.

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Exkurs: Aufrüstung und Vergrenzung

Die umfangreichen Programme der G8 sind nur die Spitze eines Eisberges, die sichtbaren Blüten eines verworrenen Rhizoms von Ausbildungs- und Ausrüstungsprogrammen der Großmächte und Regionalmächte. Neben der umfangreichen Finanzierung von Einsätzen afrikanischer Truppen ist etwa die EU gegenwärtig in zwei Bürgerkriegen – Somalia und Mali – mit eigenen EU-Ausbildungseinsätzen (EUTM) präsent, in denen Einheiten aufgebaut werden, die unmittelbar danach ins Gefecht geschickt werden. Hinzu kommen zivil-militärische Missionen zum Kapazitätsaufbau (EUCAP) am Horn von Afrika, in Mali und Niger, in deren Rahmen am Horn von Afrika v.a. die Küstenwachen, in Mali und Niger v.a. Gendarmerie- und Grenzschutzeinheiten aufgebaut werden. Darüber hinaus besteht ein sog. „Instrument für Stabilität“ der EU, das ebenfalls Reformen und Kapazitätsaufbau der lokalen Sicherheitskräfte mit einem Schwerpunkt auf Terrorismusbekämpfung und Migrationskontrolle finanziert und damit auch strukturiert. Die deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, giz, führt im Auftrag des BMZ zusätzliche Polizeiprogramme u.a. in der Côte d’Ivoire, der Demokratischen Republik Kongo, Mauretanien, Niger, Nigeria und dem Tschad durch. Betroffen sind vom internationalen, EUropäischen und Deutschen Kapazitätsaufbau zahlreiche Diktaturen, Länder in Bürgerkriegen oder bürgerkriegsähnlichen Situationen. In vielen weiteren Staaten ist die Machtverteilung zwischen Politik, Militär und Polizei sowie zwischen Gesamtstaat und Regionen umkämpft. In diesen Konfliktkonstellationen zum Beispiel Gendarmerieeinheiten aufzubauen, deren Befugnisse vielleicht ihren internationalen Ausbildern, nicht aber der Bevölkerung bekannt sind, steht im inhärenten Widerspruch zum gerne formulierten Anspruch der Rechtsstaatlichkeit. Ein hohes Konfliktpotential bergen natürlich auch der Aufbau von Grenzschutzeinheiten und das ebenfalls von der giz unterstütze Programm „Grenzmanagement in Afrika“. Zu einem ganz überwiegenden Teil profitiert die Bevölkerung von offenen und in vielen Teilen Afrikas bislang faktisch inexistenten Grenzen und auch die Regierungen haben im Rahmen der Afrikanischen Union die Vision einer kontinentalen Reisefreiheit wieder und wieder bekräftigt. Anders als beim Aufbau afrikanischer „Friedenstruppen“ werden entsprechende Pläne jedoch von den G8, der EU und Deutschland nicht oder nur in pervertierter Form unterstützt: Grenzen werden vermessen und markiert, Grenzschutzeinheiten aufgebaut und Überwachungstechnologie in großem Umfang installiert. Voraussetzung für den Übertritt wird zunehmend die biometrische Erfassung, der Aufbau eines polizeilichen Meldewesens, die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Drittstaaten und natürlich die Bereitschaft zu Rücknahmeabkommen.

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1 Bloß keinen Marshallplan für Afrika! – „Kölner Memorandum“ für eine andere Entwicklungspolitik, http://www.bonner-aufruf.eu/.

2 Wolf Poulet: „Ein Marshall-Plan löst Afrikas Probleme nicht“, faz.net vom 29.01.2017.

3 Weitere (kritische) Stimmen „aus Afrika“ siehe: Bob Koigi: „Afrikas Zweifel am deutschen Marshall-Plan“, Euractiv.de vom 7.12.2016.

4 Siehe Fußnote 1.

5 Alle folgenden Zitate (soweit nicht anders Referenziert): BMZ: „Afrika und Europa – Neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft ; Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika“ (Stand Januar 2017), https://www.bmz.de/de/laender_regionen/marshallplan_mit_afrika/index.jsp.

6 Telefongespräch am 8.5.2017.