IMI-Standpunkt 2017/13
Europa, die EU und die Militarisierung der EU
von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 8. Mai 2017
Diese Analyse erschien in der IMI-Broschüre „Kein Frieden mit der Europäischen Union“. Sie beschäftigt sich sowohl mit der inneren wie auch äußeren Militarisierungsdynamik sowie linken Perspektiven angesichts der immer aggressiver agierenden EU-Politik.
Die Broschüre (64S A4) kann hier gratis heruntergeladen oder in zum Preis von 3,50 Euro (zzgl. Porto) bzw. 3 Euro (ab 10 Ex. zzgl. Porto) bestellt werden. Bestellungen bitte an imi@imi-online.de
1. Die unausrottbare Ideologie: Europa
Entscheidend bei der Beurteilung der verschiedenen Vorschläge der gesamten „Europa“-Debatten, ist, zuerst einmal zu analysieren, was genau gemeint ist. „Europa“ wird häufig als Synonym benutzt für die Institution „Europäische Union“ (EU), das Staatenbündnis aus derzeit 28 Staaten. Diese Gleichsetzung hat auch ideologische Gründe. „Europa“, also die Idee, irgendwie „europäisch“ was zusammen zu machen, hat eine hohe Akzeptanz, die Institution EU dagegen hat diese Akzeptanz nicht. Wer würde es schon wagen gegen den „europäischen Gedanken“ etwas zu sagen? Diejenigen, die die Politik der Institution „Europäische Union“ verteidigen, bauen auf dieser Vermischung von Begriffen für einen Kontinent und eine Institution. Die gerade entstandene Bewegung „Pulse of Europe“, nimmt genau dieses Missverständnis als zentrales Motto: „Ich liebe Dich, Europa“, dazu wurde demonstriert. So heißt es auf der Internetseite von „Pulse of Europe“: „Wir haben ein großes Ziel: So viele Menschen wie möglich in Europa zu versammeln, die für Europa einstehen und so dazu beitragen, dass nach den Wahlen [2017] pro-europäische Kräfte mehrheitsfähig regieren können. So können wir über viele Orte eine Menschenkette durch Europa bilden, die die Länder miteinander verbindet.“
Doch wurde für die Politik der EU demonstriert? Teilweise ja, wenn es wieder bei „Pulse of Europe“ heißt, die „europäischen Grundfreiheiten“ seien „nicht verhandelbar“: „Personenfreizügigkeit, freier Warenverkehr, freier Zahlungsverkehr und Dienstleistungsfreiheit – die europäischen Grundfreiheiten – sind historische Errungenschaften, die aus Nationalstaaten eine Gemeinschaft gemacht haben. Sie sichern individuelle Freiheit und Wohlstand.“ Und dann noch: „Die Europäische Union war und ist in erster Linie ein Bündnis zur Sicherung des Friedens. Wer in Frieden leben will, muss sich für Europa stark machen.“
Gerade diejenigen, die sich abstrakt positiv auf „Europa“ beziehen, müssen mit der Realpolitik der Institution EU konfrontiert werden – und die sieht ganz anders aus, als sich das „Pulse of Europe“ und andere zusammenreimen. Also: Linke sollten sich ganz nüchtern mit der Institution EU beschäftigen und sich zu ihrer Politik verhalten.
Die Europäische Union steht inzwischen für Kaputtspardikate, für eine auch militärische Abschottung gegenüber Flüchtlingen z.B. durch FRONTEX und sie steht für soziale Ungleichheiten. Die Politik wird nicht unwesentlich von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten verantwortet, aber diese Politik wird auch von den Institutionen der EU gemacht.
2. Die Institutionen der EU
Doch was sind diese Institutionen der EU? Da ist zum einen der „Europäische Rat“, das ist das Zusammentreffen der Staats- und Regierungschefs der 28 EU Mitgliedsstaaten zusammen mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Europäischen Kommission. Bei außenpolitischen Fragen nimmt auch die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik teil. Abstimmungsberechtigt sind die Staats- und Regierungschefs, angestrebt wird, dass im Konsens entschieden wird, doch ist mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages ein genaues Abstimmungsverhältnis der einzelnen Staaten zueinander beschlossen worden, das Mehrheitsentscheidungen ermöglicht und die großen Mitgliedsstaaten klar bevorteilt. Der Europäische Rat legt die allgemeinen politischen Ziele und Prioritäten der EU fest, er ist also für die politischen Rahmenbedingungen der EU-Politik zuständig. Er trifft sich mindestens zweimal im Halbjahr in Brüssel. Der Vorsitz wird von einem auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten eingenommen.
Das Zusammentreffen der jeweils zuständigen Minister*innen nennt sich „Rat der Europäischen Union“ oder auch EU-Ministerrat, das wiederum ist im Gegensatz zum EU-Rat ein Organ der Europäischen Union, quasi die Staatenkammer der EU. Die „Europäische Kommission“ wiederum ist von ihrer Machtfülle vergleichbar mit Stadtverwaltungen im kommunalen Bereich. Die Europäische Kommission hat „in der Regel“ das alleinige „Initiativrecht“, das „Europäische Parlament“ und der Rat der Europäischen Union können die Europäische Kommission auffordern, ein Gesetzgebungsverfahren zu starten. Sowohl der EU-Rat als auch die EU-Kommission bestehen aus umfangreichen Mitarbeiter*innen-Strukturen. Dort wird die eigentliche Politik gemacht. Diese Institutionen haben seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages inhaltliche Vorgaben, die in den europäischen Verträgen festgeschrieben wurden. So ist das Wirtschaftssystem klar als marktwirtschaftlich-kapitalistisch zu charakterisieren. Eine militärische Komponente der EU ist mit den geltenden Verträgen Teil des EU-Gefüges.
3. Alternative, linke Europaideen und die Realität der EU
Die alternativen, linken Europaideen beschäftigen sich wenig mit der institutionellen Realität der EU. Eine zentrale politische Frage wäre nämlich, wie soll in den verschiedenen Modellen eines anderen Europas, gemeint ist wohl einer anderen EU, mit diesen bestehenden Institutionen umgegangen werden. Sollen sie verändert, abgeschafft werden? Sollen die bestehenden Institutionen neue inhaltliche Vorgaben bekommen? Wie wird dann mit den bestehenden EU-Verträgen umgegangen? Diese Verträge waren durch ein kompliziertes Verfahren zur Grundlage der EU getrickst worden, die Referenden in Frankreich (2005), den Niederlanden (2005) und Irland (2008), die die vorgelegten Verträge abgelehnt hatten, wurden übergangen, um die jetzigen Verträge zu etablieren. Den verschiedenen Europakonzeptionen mangelt es an Konkretheit, besonders in der Frage, was mit den realen Strukturen der derzeitigen EU passieren soll. Ein Teil der linken EU/Europa-Konzeptionen geht davon aus, dass sie einfach mit neuen Inhalten umgepolt werden könnten. Das ist völlig unrealistisch, weil die bestehenden Verträge inhaltlich falsche Vorgaben machen, z.B. in der Wirtschafts- oder Militärpolitik. Also sind nur die EU/Europa-Konzeptionen für ein friedlichere(s), sozialere(s), etc. Europa/EU realistisch, die die bestehenden Verträge abschaffen wollen. Auf der Basis der derzeitigen Verträge ist dies nicht möglich. Wie die Verträge abgeschafft werden können, ist entweder durch ein legales langwieriges Verfahren zu bewerkstelligen, dem alle dann vorhandenen Mitgliedsstaaten zustimmen müssen, was also eher nicht geht, oder durch den offenen Bruch mit den bestehenden EU-Verträgen. Das ist eindeutig realistischer. Zusammengefasst heißt das: Mit den gültigen EU-Verträgen ist kein Frieden zu machen.
4. Die Militarisierung der EU und die linken Europa/EU-Konzeptionen
Auffallend ist, dass bei allen diskutierten Europa/EU-Konzeptionen die inzwischen aufgebaute militärische Komponente in der Debatte keine Rolle spielt. Mit den Lissabon-Verträgen ist die Europäische Union aber auch ein Militärbündnis, z.B. mit einer Beistandsklausel. Erstmals wurde der „EU-Bündnisfall“ nach den Terroranschlägen von Paris „ausgerufen“. Wir sollten in die Debatte um die EU, um Europakonzeptionen, diesen entscheidenden Themenbereich mit einbringen. Ein(e) andere(s) sozialere(s), friedliche(re) Europa/EU ist nur möglich, wenn auf europäischer Ebene kein Militär aufgebaut und für Auslandseinsätze genutzt wird. Ein anderes Europa/ eine andere EU müssen militärfrei sein. Auch dies wird immer schwieriger politisch durchzusetzen. Wird doch inzwischen auch der EU-Haushalt für Militärisches genutzt, und nehmen die Militär- und Kriegseinsätze im Rahmen der EU immer weiter zu.
5. Opposition, was sonst?
Eine Akzeptanz der derzeitigen EU-Verträge kommt nicht in Frage, auch weil inhaltlich neoliberale und militaristische Vorgaben darin gemacht werden. Eine reformistische Umwandlung der EU und der EU-Institutionen ist – insbesondere nach dem Inkrafttreten der derzeitigen EU-Verträge –- illusionäre Realpolitik. Das einzige was bleibt, ist nicht nur in den Mitgliedsstaaten der EU, sondern auch in der Gesamt-EU gegen diese EU und ihre Institutionen inhaltliche Opposition von links zu machen, das sollte dann von Aktionen gegen Kaputtsparpolitik (wie gegen Griechenland praktiziert) bis zu Aktionen gegen die Militarisierung der EU reichen. Insbesondere die Militarisierung der EU ist und bleibt zentrales Thema der Friedensbewegung und muss von uns in die linken Debatten um die EU und Europa mit eingebracht werden.