Rezension - in: Friedensjournal 3-2017

EU-Militarisierung und NATO: Gemeinsame Expansionsstrategie

von: Karl-Heinz Peil | Veröffentlicht am: 8. Mai 2017

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Nachfolgend eine Rezension des Buches „NATO-Aufmarsch gegen Russland oder wie ein neuer Kalter Krieg entfacht wird“ von IMI-Vorstand Jürgen Wagner, das im März 2017 in einer erweiterten und aktualisierten Fassung erschien. Das Buch (224 S.) kann zum Preis von 9,99 (inkl. Porto) hier bestellt werden.

 

Jürgen Wagner ist einer der gefragtesten Referenten innerhalb der deutschen Friedensbewegung, wenn es um die beiden Themenkreise NATO-Strategie und EU-Militarisierung geht. Zumal auf der Homepage der von ihm geleiteten IMI e.V. auch ständig aktuelle Analysen, Standpunkte und Fact Sheets hierzu abrufbar sind. Während es in Bezug auf die NATO-Strategie sicherlich andere Autoren gibt, die hierzu vergleichbar hochwertige Analysen vorlegen können, ist die Analyse der EU-Militarisierung bisher ein Allein-stellungsmerkmal von Jürgen Wagner. Dabei kommt ihm seine enge Zusammenarbeit mit Abgeordneten im EU-Parlament zugute, d.h. aktuell Sabine Lösing und in der vorhergehenden Legislaturperiode Tobias Pflüger.

Der EU-Militarisierungsprozess wurde bereits in dem 2006 erschienenen, von Jürgen Wagner gemeinsam mit Tobias Pflüger herausgegebenen Buch „Weltmacht Europa: Auf dem Weg in weltweite Kriege“ analysiert. Schon in diesem Buch wurde auf die mit „Bündnisverpflichtungen“ bereits seit der rot-grünen Bundesregierung bis 2005 erfolgte, unmerkliche Verlagerung von der NATO auf die EU hingewiesen. Diese erfolgte damals bereits als Salamitaktik einer Militarisierung von Gesellschaft, Politik und Ökonomie.

Das Hauptverdienst des neuen Buches von Jürgen Wagner besteht nun darin, dass er in sehr kompakter Form die Entwicklungslinien von NATO einerseits und EU-Expansion andererseits zusammenfassend in ihrer Wechselwirkung analysiert.

Trotz der kompakten Darstellung versäumt es Jürgen Wagner nicht, auf einige Details der Vereinbarungen zwischen NATO-Staaten und der nach 1989 zerfallenen Sowjetunion aufzuzählen, auf die heute immer wieder hingewiesen werden muss, damit die gesamte Ostexpansion der NATO als eklatanter Bruch von Vereinbarungen gesehen wird, die Grundlage der deutschen Wiedervereinigung waren. Diese werden im ersten Kapitel des Buches behandelt (US-NATO-Strategie: Intervention – Expansion – Kollision).

Dabei spielen auch Übergänge von Konkurrenzsituationen zu strategischer Kooperation eine wichtige Rolle, wie im Kapitel 2 (Von der Pax Americana zur Pax Transatlantica) dargestellt.

Im Kapitel 3 wird die zur NATO komplementäre EU-Osterweiterung behandelt. Als wichtige Etappe in die-ser Entwicklung wird der Krieg gegen Libyen analysiert, wo erstmals die USA den EU-Staaten den Vortritt bei einer militärischen Intervention gelassen haben.

In den weiteren Kapiteln 4 bis 6 werden die Ukraine-Krise und die konfrontative NATO-Politik der letzten Jahre (Stichwort: 360-Grad-NATO) sowie die atomaren Muskelspiele behandelt. Auch wenn diese Themen den Lesern durch Jürgen Wagners bereits vorliegende Publikationen überwiegend bekannt sein dürften, bietet sein Buch hier eine kompakte Zusammenfassung, die für die übergreifende Analyse der nachfolgenden Kapitel notwendig ist. In Kapitel 7 wird die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Deutschland und den USA unter der Überschrift „Unter Brüdern: Deutschland, der eigennützige Komplize“ behandelt. Das Resümee hierbei ist: Der Aufstieg Deutschlands zur Führungsmacht (innerhalb der EU) erfolgt mit Duldung durch die USA, die als imperiale Führungsmacht zunehmend schwächeln. Wichtig ist das Verständnis dafür, dass trotz gelegentlicher Scharmützel zwischen diesen Machtblöcken („Pack schlägt sich ….“) doch ein hohes Ein-vernehmen besteht. Im Kapitel 8 wird der Transatlantische Schulterschluss behandelt, der mit der „Wirtschafts-NATO“ TTIP versucht wurde und vor-erst gescheitert ist.

Im Kapitel 9 stellt Jürgen Wagner die Frage: „Der Neue Kalte Krieg als Selbsterfüllende Prophezeiung?“. In der aktualisierten 2. Auflage werden hier die mittlerweile absehbaren politischen Entwicklungslinien unter US-Präsident Trump analysiert.

Zu wünschen wäre hier noch gewesen, dass nicht nur die Verantwortung der NATO für den neuen Kalten Krieg aufgezeigt worden wäre, sondern auch die Reaktionen Russlands auf diese Entwicklung. Zweifellos wird von der NATO und der EU versucht, ein neues Wettrüsten zu entfachen, das im alten Kalten Krieg wesentlich zum Untergang der Sowjetunion beigetragen hat. Russland hingegen reagiert auf die neue militärische Einkreisung sogar mit einer Reduzierung der Rüstungsausgaben.

Ebenso wäre noch zu analysieren, dass die wegen des Ukraine-Konflikts verhängten EU-Sanktionen gegen Russland offenbar nicht nur ins Leere laufen, sondern sogar kontraproduktiv für westliche und speziell deutsche Wirtschaftsinteressen sind. Doch das hätte den Rahmen des Buches wohl gesprengt, ebenso wie die in der Friedensbewegung kontrovers diskutierte Frage nach den Eigeninteressen Russlands im Ukraine-Konflikt und im Syrien-Krieg.

Als Fazit kann man zu dem Buch festhalten: Auch für diejenigen Friedensbewegten, die Jürgen Wagners Vorträge und bisherigen Publikationen kennen, ist dieses Buch eine notwendige Lektüre zum übergreifenden Verständnis von US-dominierter NATO- und der zunehmend von Deutschland dominierten EU-Strategie.

Jürgen Wagner: NATO-Aufmarsch gegen Russland oder wie ein neuer Kalter Krieg entfacht wird
edition berolina, ISBN 978-3-95841-056-5, 221 Seiten, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage 2017, 9,99 €