IMI-Analyse 2017/08 - in: AUSDRUCK (April 2017)

US-Militärbasen im Mittelmeer

Netzwerke der Kriegslogistik und des Widerstands

von: Jacqueline Andres | Veröffentlicht am: 11. April 2017

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Die Vereinigten Staaten von Amerika verfügen laut dem vom US-Verteidigungsministerium jährlich herausgegeben Base Structure Report über etwa 4.855 Militärinstallationen weltweit mit einer zusammengerechneten Fläche von der Größe Bulgariens.[1] Zeigt man mit dem Finger auf einen Globus, so wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Nähe eine Antenne, ein Militärstützpunkt oder auch ein Munitionslager der USA oder der NATO zu finden sein. Die US-Militärstrukturen, die ein weltweites logistisches und operatives Netzwerk der Kriegsführung bilden, erfüllen zahlreiche Funktionen, mit denen jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf das zivile Umfeld, in dem sie eingebettet sind, einhergehen. Es ist zunehmend schwer, US-Militärbasen als solche zu definieren, weil die offiziellen US-Stützpunkte einerseits immer mehr auch generell in NATO-Aktivitäten und Strukturen eingebunden werden und andererseits handelt es sich bei primär vom US-Militär genutzten Stützpunkten oftmals formell um Basen des jeweiligen Gastlandes. Unabhängig davon, inwiefern sie zu klassifizieren sind, wirken sie sich in ähnlichem Ausmaß auf ihr ziviles Umfeld aus. Die Anthropologin Catherine Lutz betrachtet in ihrem Buch „Homefront“ die Dynamiken zwischen diesem und den lokalen Militärbasen und beobachtet besonders den Einfluss des Militärs auf die sozio-kulturellen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Gefüge der Umgebung, welcher in vielerlei Hinsicht die Grenze zwischen militärischem und zivilem Raum aufhebt.[2] In der Vorstellung von militarisiertem Raum geht die Geographin Rachel Woodward noch einen Schritt weiter, indem sie betont: „Militärische Geographien umgeben uns, sie sind immer um uns herum“.[3] US- und NATO-Militärstützpunkte sind nützliche gedankliche Sprungbretter zur Bewusstwerdung, inwieweit die Netzwerke der Kriegslogistik in die als zivil wahrgenommene Räume hineinreichen und provozieren die Frage nach dem Verlauf der Trennlinie zwischen dem Militärischen und dem Zivilen. Andererseits lässt ein gründlicher Blick auf die Einbettung solcher Strukturen in zivile Räume auch zahlreiche Ansatzpunkte erkennen, diese vermeintlich stabile Verankerung ins Wanken zu bringen.

Militärbasen im Mittelmeer

Historisch bildete das Mittelmeer trotz zahlreicher Konflikte vorrangig immer einen verbindenden Raum des Austauschs zwischen den drei angrenzenden Kontinenten Afrika, Asien und Europa. Heute dagegen spielt es mehr denn je eine zentrale Rolle als militarisierter Grenzraum in der EU-Migrationsabwehr und als strategischer Knotenpunkt der militärischen Infrastruktur für die zahlreichen regionalen Kriegsschauplätze, die Logistik, Aufklärung und Überwachung. Dabei spielen auch die US-amerikanischen Stützpunkte, die sich von den portugiesischen Azoren im Atlantik als „Boxenstopp“ zur Straße von Gibraltar, dem westlichen Eingangstor des Mittelmeers, bis ins türkische Gebiet im östlichen Teil erstrecken, eine nicht unwesentliche Rolle. Der Historiker Bernard Ravenel betont, „seit der Antiken ist das Mittelmeer ein Ort des Wettbewerbs um Überlegenheit: wer das Mittelmeer kontrollierte, kontrollierte die Welt“.1 Historisch gesehen nahm das Mittelmeer auch schon immer einen wichtigen Stellenwert für den US-amerikanischen Handel ein. Nachdem die britische Royal Navy den US-Handelsschiffen nach der Erlangung der Unabhängigkeit keinen militärischen Schutz vor Piraterie mehr bot, führte der damalige Präsident Thomas Jefferson von 1801 bis 1805 einen Krieg gegen die Regentschaft Tripolis der Barbareskenstaaten. Dieser Amerikanisch-Tripolitanische Krieg war der erste der US Navy außerhalb des nordamerikanischen Kontinents[4] und bis heute erinnert die Zeile „From the Halls of Montezuma to the shores of Tripoli“[5], der noch immer gesungenen Hymne der Marines, an die Schlacht von Derna, welche im Zuge der Barbareskenstaatenkriege der USA im Jahr 1805 erfolgte. Seither dauert die militärische Präsenz der USA im Mittelmeerraum bis heute an. Auch wenn die Sicherung der Handelswege weiterhin ein Teil der US-amerikanischen Außenpolitik in der Region bleibt, gehen die heutigen geostrategischen und wirtschaftspolitischen Interessen mittlerweile weit darüber hinaus. Zudem erfolgt eine stetig zunehmende Einbindung der US- und NATO-Stützpunkte in die Migrationsbekämpfung der EU, wodurch auch die Bundeswehr, die sowohl bei dem NATO-Einsatz in der Ägäis als auch bei der EU-Mission EUNAVFOR MED maßgeblich beteiligt ist, immer häufiger zu den Nutznießern dieser zählt. Anhand von zwei der insgesamt zehn größeren Militärstützpunkte in der Mittelmeerregion (Rota, Morón de la Frontera, Sigonella, Livorno, Neapel, Aviano, Vicenza, Souda Bay, Izmir und Incirlik) soll die besagte Einbettung mit ihren Konsequenzen für das zivile Umfeld herausgearbeitet und Formen des Widerstands beschrieben werden.

Naval Air Station Sigonella auf Sizilien

Die süditalienische Insel Sizilien liegt im Herzen des Mittelmeers – in nur in kurzer Flugdistanz entfernt von der tunesischen und lybischen Küstenregion. Offiziell handelt es sich um eine US Navy Installation auf dem NATO- und italienischen Luftwaffenstützpunkt Sigonella, der seit 1959 unter dem Kommando von je einem italienischen und einem US-amerikanischen General betrieben wird. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte baute das US-Militär den Stützpunkt, der als logistischer Knotenpunkt auch für die Truppenverlegung und den Materialtransport von den USA in den indischen Ozean und Südostasien von fundamentaler Bedeutung ist, kontinuierlich aus.  Mittlerweile lässt sich die Basis in vier Einheiten unterteilen: NAS I (Naval Air Station), NAS II, Naval Radio Transmitter Facility (NRTF), den nahgelegenen Militärhafen Augusta Bay Port Facility und den Übungsplatz in Pachino.

Angrenzend an die südsizilianische Kleinstadt Niscemi ermöglichen 46 Ultra High Frequency Antennen der NRTF seit 1996 die Kommunikation der US-amerikanischen Marine. Im Laufe der letzten Jahre wurde die NRTF-Anlage ausgebaut, um dort eine der weltweit vier Bodenstationen des Satellitenkommunikationssystems Mobile User Objective System (MUOS) zu errichten. Nach offiziellen Angaben des US-Militärs soll das MUOS im Jahr 2017 operativ sein, die bisherige Datenübertragungskapazität um ein Zehnfaches erhöhen und eine zuverlässige, wetterunabhängige Kommunikation zwischen allen militärischen Einheiten des US-Militärs weltweit garantieren. Von besonderer Bedeutung ist die Erhöhung der Datenübertragungskapazität für Drohneneinsätze. Im Jahr 2017 plant die NATO zudem das Aufklärungsprogramm Alliance Ground Surveillance zu aktivieren, welches bestehend aus fünf Global Hawk Drohnen, einer Hauptzentrale und mehreren mobilen Steuerungsstationen auch zur Überwachung von Migrationsbewegungen an den EU-Außengrenzen sowie an den vorverlagerten Grenzen eingesetzt werden soll. Dies ist neben dem NATO-Einsatz in der Ägais, welcher offiziell der Schmugglerbekämpfung dient, ein weiterer Schritt, mit dem sich die NATO zunehmend in die EU-Migrationsabwehr einbindet. In der Planung befindet sich bereits die nächste Struktur: auf der NAS Sigonella soll auch das Unmanned Aerial System Satellite Communication (UAS SATCOM) als Schwesterrelaisstation für das SATCOM auf der Ramstein Air Base in Deutschland errichtet werden.[6] Diese SATCOM-Relaisstation ermöglicht den Datenaustausch zwischen den Drohnenpilot_innen auf der Creech Air Force Base in Nevada, die mit einem teilweise durch den Atlantik verlegten Glasfaserkabel mit der Air Force Base Ramstein verbunden ist, und den Kampfdrohnen an den unterschiedlichen Einsatzorten, welche die Daten wiederum via Satellit aus der Relaisstation erhalten.[7] Das geplante für die Drohneneinsätze strategische UAS SATCOM auf Sigonella macht aus Sizilien immer mehr einen Vorposten der hochtechnologisierten Kriegsführung der NATO-Verbündeten und der militarisierten Vergrenzung des Mittelmeers.

Dabei wirkt sich die Militärpräsenz der italienischen und US-amerikanischen Streitkräfte sowie die ihrer Verbündeten auch auf die Umwelt, die lokale Wirtschaft, die physische und psychische Gesundheit der Anwohnenden und auf die sozio-kulturellen und politischen Gefüge aus: Zum Ausbau der Kommunikationsanlage mussten Bäume einer der letzten Korkwälder Europas – der unter Naturschutz stehenden Sughereta di Niscemi – weichen. Die erwartete elektromagnetische Strahlung des MUOS droht die Orientierung von Zugvögel auf ihrem Weg zwischen Afrika und Europa zu stören. Bis jetzt sind wenige Studien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von elektromagnetischer Strahlung in dieser Stärke erstellt worden, doch die Krebsrate in dem Gebiet ist hoch – das liegt auch an der unkontrollierten Entsorgung von Giftmüll durch lokale Mafiaorganisationen – und es wird vermutet, dass die Strahlung der bereits seit den 90er Jahren vorhandenen Antennen Gesundheitsschäden verursachen. Auch wenn der Zusammenhang zwischen der statistisch gesehen überdurchschnittlich hohen Krebsrate in der Gegend wissenschaftlich nicht eindeutig auf die Strahlung der Kommunikationssysteme und der Militärpräsenz allgemein zurückzuführen ist, so fällt auf, dass die Anwohnenden von Militärstützpunkten, wie auch im Fall von Niscemi, diese auf die geheimnisumwitterte Militärpräsenz zurückführen. Dieser Verdacht verdeutlicht die psychische Auswirkung eines militärischen Raumes, welche der Fotograf Simon Norfolk als „military sublime“ bezeichnet. Frei übersetzt als „militärische Erhabenheit“ beinhaltet dieser Begriff „Gefühle der Furcht und Bedeutungslosigkeit nicht Gott, sondern der Waffentechnik gegenüber“,[8] da diese in militärischen Räumen, wie Rachel Woodward es ausdrückt, keiner demokratischen Kontrolle unterliegt und weit vom Rationalen und Verständlichen wegrückt.[9] Die Anwohnenden trauen der spärlichen Informationslage über die Aktivitäten und vorhandenen Technologien innerhalb von Militärstützpunkten nicht und nutzen – bewusst oder unbewusst sei dahingestellt – die Militärpräsenz als Projektionsfläche ihrer Ängste und Befürchtungen. Auf politischer Ebene schaffte es die Frage der Aktivierung des MUOS auf Sizilien im Jahr 2012 ein relevantes Wahlkampfthema zu werden. Der Gouverneurskandidat Rosario Crocetta konnte unter anderem wegen seiner strikten Ablehnung der Aktivierung genug Stimmen für den Wahlsieg sammeln und erfüllte sein Wahlversprechen, indem er die Aktivierungserlaubnis zurückzog. Doch nur kurze Zeit später nahm er seine Entscheidung zurück und begründete sie damit, dass er Angst vor der CIA habe.[10]

Die Kommunikationsanlage schafft weder direkte zivile Arbeitsplätze auf der Anlage selbst noch indirekte durch eine Unterstützung der lokalen Geschäfte, weil die dort stationierten Soldat_innen nach ihrem Dienstschluss das Gebiet verlassen. Die Errichtung des MUOS gefährdet zudem den erst seit 2013 operativen zu einem zivilen konvertierten Militärflughafen Pio la Torre in Comiso, welcher als Hoffnungsträger gilt, Tourismus und Handel im strukturschwachen Südosten der Insel zu fördern. Denn aus einer eigens vom US-Militär beauftragten Studie ging hervor, dass die Strahlung des MUOS mit den Bordsystemen von landenden Kriegsflugzeugen interferieren und zu einer unbeabsichtigten Detonation von geladenen Sprengköpfen führen könnte. Diese Studie war der Anlass, das zuerst beim Militärflughafen von der Naval Air Station Sigonella angedachte MUOS nach Niscemi zu verlegen. Welche Auswirkung das MUOS auf den zivilen Flughafen in Comiso haben kann, wird sich nach der Aktivierung des MUOS dieses Jahr zeigen.

Auf diese wirtschaftlichen, ökologischen und gesundheitlichen Aspekte bezieht sich auch die seit 2009 bestehende anti-militaristische und anti-rassistische Bewegung No MUOS auf Sizilien, die darüber hinaus die Demilitarisierung der Insel und der EU-Migrationsabwehr fordert, welche in ihrer hochtechnologisierten und militärischen Ausrichtung u.a. durch die US- und NATO-Militärstrukturen auf Sizilien ermöglicht wird. Direkte Aktionen gehören zu den angewandten Widerstandsformen der Bewegung, wodurch sie einerseits die Fertigstellung und Aktivierung des MUOS deutlich hinauszögern konnten, doch sich andererseits eben durch diesen aktiven Widerstand mit starker staatlicher Repression und hohen Prozesskosten konfrontiert sieht.

Auch wenn die Bewegung bis jetzt die Aktivierung noch stoppen konnte, so störte sie die dortigen Logistik- und Kommunikationsabläufe über einen langen Zeitraum. Ihr Störpotenzial manifestierte sich u.a. in den Reaktionen von Seiten des US-Militärs. Seit den antimilitaristischen Aktivitäten der No MUOS kurbelte die Naval Air Station Sigonella sichtbar ihre PR-Bemühungen in der Region an. U.a. zeigte sich dies in der Erhöhung von Klassen- und Gruppenbesuchen der Militärstrukturen NAS I und NAS II, welche auf mehr als 150 jährliche Besuche stiegen und in der Erweiterung von sozialen Aktivitäten der US-amerikanischen Soldat_innen in der Region, u.a. beim Singen mit Chören vor Ort, dem Aufräumen nach Stürmen, dem Streichen von Grundschulen etc.. Als weiterer Erfolg ist die Warnung der US-Militärs zu werten, sie würden das MUOS nach Tunesien verlegen, sollte die Aktivierung weiter verzögert werden. Auch wenn das Ziel von No MUOS eine Demilitarisierung des gesamten Mittelmeers ist und eine Verlegung in ein anderes Land keine zufriedenstellende Lösung darstellt, zeigt dies dennoch, dass ein Stören der Kommunikationsinfrastruktur des Militärs durchaus ein signifikantes Störelement verkörpert. Andererseits verdeutlicht dieses Beispiel aber auch, dass die weltweiten Kriegsaktivitäten der NATO-Mitgliedsstaaten nur funktionieren, weil die dafür nötigen Logistik-, Einübungs- und Kommunikationsstrukturen ungestört genutzt werden können.

Naval Station Rota in Andalusien

Die Naval Station Rota weitet sich auf einer Fläche von etwa 21 km² aus und beheimatet rund 4.000 Angehörige des US-Militärapparats und ihre Familien. Offiziell handelt es sich um einen spanischen Marinestützpunkt, doch 80% der Fläche wird von US-Streitkräften genutzt. Während der Militärdiktatur Francisco Francos erhielten die USA durch den Madrider Pakt im Jahr 1953 das Recht, in Torrejón de Ardoz, Zaragoza, Rota und Morón de la Frontera Militärstützpunkte zu unterhalten. Im Gegenzug dazu konnte sich die spanische Diktatur aus ihrer von zahlreichen europäischen Staaten in der Nachkriegszeit auferlegten Isolation ein Stück weit befreien. Mittlerweile wurde die in der Nähe von Madrid gelegene Basis Torrejón und die bei der nordspanischen Stadt Zaragoza geschlossen, während die andalusischen Stützpunkte in Morón sowie Rota in den vergangenen Jahren einen deutlichen Ausbau erlebten. In Rota wurde der Marinestützpunkt in einer fünfjährigen Bauzeit erweitert, um dort seit 2015 die Stationierung von vier „Aegis“-Zerstörer der Arleigh-Burke Klasse zu ermöglichen. Diese bilden einen Baustein des sich von Rota bis nach Osteuropa spannenden NATO-Raketenabwehrsystems.[11] Auf dem Luftwaffenstützpunkt bei Móron hingegen sind seit 2013 rund 3.000 Soldat_innen der Special Purpose Marine Air-Ground Task Force – Crisis Response – Africa (SP-MAGTF-CR-AF) des für den afrikanischen Kontinent zuständigen US-amerikanischen Kommando AFRICOM stationiert. Diese trainieren immer wieder auch auf dem Marinestützpunkt Rota,[12] der nur etwa 130 Kilometer von Morón entfernt liegt. Geographisch gesehen befindet sich Rota strategisch günstig an der andalusischen Atlantikküste unweit der Straße von Gibraltar und somit an einem fundamental wichtigen Punkt zur Kontrolle einer der insgesamt nur drei Zugänge zum Mittelmeer. Zeitgleich verkörpert Rota für Spanien, die USA und ihre Verbündete ein logistisches Sprungbrett für Interventionen auf dem afrikanischen Kontinent, der bei klarem Horizont fast schon in Sichtweite liegt.

Seit den frühen Anfängen der Naval Base Rota in den 1950er Jahren schrieb sich die Militärpräsenz in die gesamte Textur des zunächst landwirtschaftlich geprägten Ortes ein, der gemeinsam mit dem Stützpunkt zu einer Garnisonsstadt mit Arbeitsplätzen im dritten Sektor erwuchs. Zwar steht die Militärpräsenz daher in den Augen Vieler der rund 33.000 Bewohner_innen bis heute für Fortschritt, Arbeit und Wohlstand, doch die Errichtung forderte ihren Preis. Ganze 2.274 Hektar des fruchtbarsten Landes – und damit 26,98% der damaligen Gesamtgröße Rotas von 8.426 Hektar – wurden gegen eine finanzielle Entschädigung enteignet und die betroffenen Landarbeiter_innen wurden in die nahe gelegene Stadt Utrera umgesiedelt.[13] Die Basis gestaltete die urbane Entwicklung der wachsenden Stadt federführend mit und thront bis heute an einem zentralen Punkt der Straßenführung. Eine der belebten, alten Hauptstraßen, Calle Calvario, führt direkt vom Eingang der Militärbasis durch die Stadt hindurch und verbindet sie gleichzeitig mit einem Verkehrskreisel direkt vor dem Haupttor des Stützpunktes mit der Verbindungsstraße A-2075, welche in die nahe gelegene Stadt Puerto de Santa Maria bzw. auf die Autobahnzufahrt führt. Gegenüber des Haupteingangs befindet sich der Hauptbusbahnhof der Stadt, wo auch die Buse der zivilen Arbeiter_innen des Stützpunktes halten. Die schnelle Verbindungsstraße A-2075 führt abschirmend direkt an dem Sicherheitszaun des Stützpunktes entlang, wodurch es erschwert wird, sich unauffällig länger in der Nähe aufzuhalten. Geht man hingegen die besagte Hauptstraße Calle Calvario entlang, finden sich zahlreiche Automobil- und Immobiliengeschäfte mit englischen Schildern in den Schaufenstern, die in großen Schriften „Militärvorteile“ betonen. Zudem teilen bis heute einige der Bars in Strandnähe eine eng verbundene Geschichte mit dem Stützpunkt; erst mit der Präsenz der Soldaten setzte eine Urbanisierung des kleinen Ortes durch zuziehende Geschäftsbesitzer_innen, Gastronomiewirt_innen und dem Zuzug englischsprachiger Frauen aus Gibraltar und Großbritannien, die in diesen Bars unterschiedlicher Arbeit – auch in den Graubereich zur Prostitution – nachgingen. Bis heute ist die Basis der wichtigste direkte und zugleich indirekte Arbeitgeber der Stadt – geschätzte 600 Millionen Euro pumpten die Militärs jährlich in die Wirtschaft der Bucht von Cádiz.[14] Die lokale Wirtschaft[15] hängt dadurch stark von der aktuellen Kriegskonjunktur ab und bereits in der Vergangenheit schoss die Arbeitslosigkeit der kleinen Stadt in die Höhe, sobald die fluktuierende Militärpräsenz des spanischen und US-amerikanischen Militärs abnahm. Die aktuelle nach den Bedürfnissen des Militärs ausgerichtete Wirtschaftspolitik der Bucht blockiert eine nachhaltige und selbstragende Wirtschaftsentwicklung. Die Stadt könnte nach einer Konversion der Basis und nach einer Entgiftung sowie Reinigung des seit Jahrzehnten von militärischem Gerät genutzten Bodens, Raum und Strukturen für lokale Manufaktur, Industrie, Landwirtschaft und Viehhaltung schaffen. Auch ein nachhaltiger Tourismus könnte an Attraktivität in der Bucht gewinnen, sollten die Kriegsgeräte und die mit ihr einhergehende Lärmkulisse, Wasser- und Luftverschmutzung verschwinden. Die prominente wirtschaftliche Rolle der Militärpräsenz beeinflusst auch die öffentlich gezeigte Einstellung der Anwohnenden gegenüber Militär und Krieg.

Mit dem steigenden Kriegsschiffs- und Flugverkehr in der Bucht steigt auch die Unfallwahrscheinlichkeit, welche verheerende Auswirkungen auf das empfindliche Ökosystem der Bucht und des Mittelmeers bzw. den Atlantik allgemein haben kann. Bereits im Oktober 1997 traten bei einem Unfall des Tankers USNS J.P. Bobo rund 30.000 Tonnen Dieselkraftstoff aus, welche die umlegenden Strände mit einem Ölfilm bedeckten. Im Januar 1966 kollidierten bei einem Auftankmanöver an der südspanischen Mittelmeerküste über Palomares ein mit Wasserstoffbomben bestückter B-52G-Bomber der US Air Force mit einem KC-135 Tankflugzeug, wodurch die rund 150.000 Liter Treibstoff in einer Explosion in Flammen aufgingen, einer der Sprengköpfe ins Mittelmeer und drei – zwei davon durch den Aufprall beschädigt – auf das Festland stürzten und die Umgebung mit radioaktivem Plutonium verseuchten. Erst 2015 vereinbarten Spanien und die USA erneute Säuberungsmaßnahmen des nach 50 Jahren noch immer kontaminierten Gebietes. Das volle Ausmaß der Katastrophe ist durch den in alle Richtungen verwehten plutoniumhaltigen Staub nicht messbar.[16]

Darüber hinaus schadet der Marinestützpunkt dem Ökosystem und den Anwohner_innen durch die durch den sehr aktiven Marineflughafen verursachte Luftverschmutzung, mit der eine bemerkenswerte Lärmkulisse einhergeht; die Wasserverschmutzung und die durch den überdurchschnittlich hohen, nicht regulierten Wasserverbrauch der Basis verstärkte Wasserknappheit; die unkontrollierte Beseitigung toxischer Stoffe und unklare Auswirkungen von auf der Basis verwendeter Technologien und Materialien,[17] die ebenfalls keiner demokratischen Kontrolle unterliegen.

Die starke ökonomische Abhängigkeit von dem Stützpunkt diktiert die nach außen getragene Meinung der Bewohner_innen Rotas bezüglich des Militärs. Kritische Stimmen erfahren im öffentlichen Raum oftmals soziale Ablehnung, befürchten Konsequenzen für ihren Arbeitsplatz auf der Basis und vertrauen unbekannten Personen nicht, da diese insgeheim Teil eines Militär-, Geheimdienst- oder Polizeiprogramms sein könnten. In einem Fall wandte sich eine dem Krieg kritisch gegenüberstehende Person an die Organisator_innen des seit den frühen 80ern jährlich stattfindenden Friedensmarschs (Marcha a Rota), um zu betonen, dass ein anti-militaristischer Diskurs in Rota undenkbar sei und daher Unterstützung von außen benötige. Der Friedensmarsch erlitt in der Vergangenheit selber schwere Anfeindungen von Seiten der Bewohner_innen Rotas, die der Demonstration vorwarfen, „das Brot ihrer Söhne“ zu gefährden. Es scheint notwendig zu sein, Alternativen zu erarbeiten, die es Rota erlauben, ihre signifikante Abhängigkeit vom Militär abzustreifen und somit kritischem Diskurs wieder einen Raum bieten zu können, indem bspw. die Folgen der seit Jahrzehnten andauernden Militarisierung des Gebietes erörtert werden könnten.

Damit ist die Situation in Rota völlig anders als in Niscemi, wo die Kommunikationsanlage den Anwohner_innen weder ökonomische noch sonstige Vorteile bescherte. Dies erlaubte eine breite Mobilisierung, die sich zunächst vorrangig um gesundheitliche und ökologische Fragestellungen bezüglich des MUOS drehte. Politische Diskussionen mit besorgten Bewohner_innen verankerten durch einen Politisierungsprozess innerhalb der Bewegung einen anti-militaristischen Grundsatz, der das Ziel der Bewegung vom Ausgangspunkt MUOS zu einer angestrebten Demilitarisierung des gesamten Mittelmeeres ausweitete. Die grundsätzlichen Gemeinsamkeiten der Stützpunkte in Rota und Niscemi belaufen sich auf eine Militarisierung des Landes durch die Errichtung abgesperrter Militärzonen und der jeweiligen Strukturen, des Meeres und der Luft, wobei deren militärische Nutzung gegenüber der zivilen Vorrang hat sowie des Untergrunds, welcher von Versorgungspipelines durchzogen ist. Mit dieser vierdimensionalen Militarisierung gehen Umweltschäden, nachgewiesene und befürchtete Gesundheitsschäden und die Einbeziehung des umliegenden „zivilen“ Raums in weit entfernte Kriegsschauplätze einher. Letztere transformiert den Standort darüber hinaus in ein mögliches Ziel eines Vergeltungsschlags. Abgesehen von der ungleichen wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Militärstrukturen, unterscheidet sich die Situation in Niscemi von der in Rota durch das unterschiedliche Ausmaß der aus der Militärpräsenz folgenden Entdemokratisierung von zivilem Raum.  In Niscemi trifft diese u.a. wie im Falle des gebrochenen Wahlversprechens von Crocetta durchaus auf die Ebene der Lokalpolitik zu, aber die Militarisierung der Köpfe ist noch nicht so tief in die Gesellschaft bzw. in den Schein der Gesellschaft eingedrungen, wie in Rota.

Fazit

Zwar hängen die konkreten Auswirkungen der unterschiedlichen Militärinstallationen von ihren dynamischen und oft wechselnden Funktionen ab, doch die meisten Strukturen beeinflussen in einer ähnlichen Weise die lokalen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Gefüge ihrer Umgebung. Die facettenreichen Auswirkungen bieten gleichzeitig auch vielfältige Formen des Widerstands und der Bündnisbildung, welche an Kraft gewinnen könnte, wenn die antagonistischen Gruppen eine spektrenübergreifende und transnationale Vernetzung anstreben, die sich an der Vernetzung der NATO-Strukturen anlehnt. So könnte der grundlegend anti-militaristischen Forderung –  die sich eine sardische anti-militaristische Gruppe als aussagekräftigen Namen wählte – „Keine Basen – nicht hier, und nirgendwo anders!“ Nachdruck verliehen werden. Eine ausführliche Untersuchung der Militärstrukturen ist dringend erforderlich, um zu verdeutlichen, inwiefern die USA und die NATO in die lokalen Texturen eindringen und wie empfindlich sie organisierter Dissens auch treffen kann. Der Widerstand gegen die Stützpunkte in den NATO-Mitgliedsländern, die die Kriegseinübung, -logistik und dazu gehörige Kommunikationstechnologien und Drohnensteuerung ermöglichen, wird umso wichtiger, bedenkt man, dass der vermehrte Einsatz von Luftschlägen und Drohnenangriffen die materielle Basis der hochtechnologisierten Kriege zunehmend in NATO-Mitgliedsstaaten verlagert. Das Credo „Krieg beginnt hier, und muss auch hier gestoppt werden“, gewinnt stetig an Aktualität dazu.

Anmerkungen
[1] Base Structure Report 2015, acq.osd.mil
[2] Catherine Lutz: Homefront. A Military City and the American Twentieth Century, Beacon Press, Boston, 2002
[3] Rachel Woodward: Military Geographies, Blackwell Publishing Ltd, Oxford, 2004, S. 4
[4] Bernard Ravenel: Méditerranée. Le nord contre le sud, L’Harmattan, Paris, 1990, S.109
[4] Gregory Fremont-Barnes: The Wars of the Barbary Pirates. To the shores of Tripoli: the rise of the US Navy and Marines, Osprey Publishing Ltd, Oxford, 2006, S.8
[5] United States Marine Corps, hqmc.marines.mil
[6] NAVFAC: Pre-Solicitation Synopsis, neco.navy.mil, 13.11.2015
[7] Jeremy Scahill: Germany is the Tell-Tale Heart of America’s Drone War, theintercept.com, 17.04.2015
[8] Rachel Woodward: Military Pastoral and the Military Sublime in British Army Training Landscapes. In: Ian D.Rotherham und Christine Handley (Hrsg.): War and Peat, Wildtrack Publishing, Sheffield, 2014, S.7
[9] Ebd.
[10] Giuseppe Pipitone: Muos Niscemi, Crocetta revoca lo stop dei lavori, ilfattoquotidiano.it, 25.07.2013
[11] Fourth US missile defence ship arrives at its new home port in Spain, nato.int, 29.09.2015
[12] Task Force Maintains Quick Response Capabilities During Alert Force Drill, africom.mil, 29.02.2016
[13] Rocío Piñeiro Álvarez: Guerra y Medio Ambiente. Una Historia de la Base Aeronaval de Rota (desde 1953 hasta la Actualidad), unv. Diss., Universität Cádiz, 2002, S.82
[14]  Jesús A. Cañas: La Base económica de Rota, economia.elpais.com, 03.07.2016
[15] Die Präsenz des Stützpunktes kurbelt außerdem die Entwicklung von Rüstungs- und Sicherheitsfirmen in den nahegelegenen Hafen – und Industriestädten der Region, wie Cádiz, Sevilla und Málaga, an.
[16] Palomares nuclear crash. US agrees Spanish coast clean-up, bbc.com, 19.10.2015
[17] Rocío  Piñero Álvarez:  Impacto  Medioambiental  de  EEUU  en  el  Mediterráneo:  El Caso de la Bahía de Cádiz, HAOL, Nr. 22, 2010