[0479] Rüstungsforschung in Karlsruhe / EU-Verteidigungs-Aktionsplan

von: 25. Januar 2017

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0479 ………. 20. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) Der Hinweis auf eine neue Studie zum Fraunehofer IOSB in Karlsruhe;

2.) eine Analyse des „Verteidigungs-Aktionsplans“ der EU-Kommission.

1.) Studie zu Dual Use und Rüstungsforschung in Karlsruhe

IMI-Studie 2017/02
Fraunhofer IOSB: Dual Use als Strategie
Wie das Verteidigungsministerium Anschluss an die Wissenschaft suchte und in Karlsruhe fündig wurde
https://www.imi-online.de/2017/01/20/fraunhofer-iosb-dual-use-als-strategie/
Christoph Marischka (20. Januar 2017)

Am Beispiel des Fraunhofer Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (Fraunhofer IOSB) in Karlsruhe und Ettlingen kann gezeigt werden, dass Dual-Use auch eine Strategie des Militärs und der Regierung darstellt, um:

1. Zivile Forschungsförderung militärisch nutzbar zu machen;
2. den Wettbewerbsdruck bei militärisch relevanten Technologien zu erhöhen;
3. eine engere Anbindung und schnelleren Transfer zwischen ziviler Forschung und militärischer Anwendung zu erzielen; dementsprechend
4. das Personal in der Ressortforschung zu verjüngen; sowie
5. „zivile“ Märkte für militärische Technologien zu erschließen.

Diese Strategie wird zunächst anhand eines einzelnen Dokuments, der Stellungnahme des Wissenschaftsrates zur Neustrukturierung der Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften e.V. (FGAN) vom Januar 2007, dargestellt, wobei ersichtlich wird, dass das Bundesverteidigungsministerium treibende Kraft hinter der Fusion von FGAN und Fraunhofer-Gesellschaft war. Darin werden außerdem die o.g. Motivationen hinter dieser expliziten Dual-Use-Strategie verdeutlicht.
In einem zweiten Schritt wird anhand der aktuellen Arbeit des Fraunhofer IOSB dargestellt, dass dieses weiterhin eine starke militärische Prägung aufweist und eng mit Rüstung, Bundeswehr und NATO verwoben ist. Zugleich konnte das IOSB, wie von der Bundeswehr vorgesehen, umfangreich an der „zivilen“ Sicherheitsforschung partizipieren. Dies gilt v.a. für Projekte zur Grenzüberwachung bzw. „maritimen Sicherheit“. Entsprechend kann am Beispiel des IOSB auch gezeigt werden, wie Forschung zur Grenzüberwachung der Rüstungsindustrie zugute kommt, militärisch relevante wissenschaftliche Erkenntnisse hervorbringt und junge Wissenschaftler_innen an militärische Fragestellungen und Technologien heranführt. Letztes wird besonders – und wie vom BMVg angestrebt – durch die enge Zusammenarbeit des IOSB mit dem Karlruher Institut für Technologie (KIT) ermöglicht, wie abschließend beispielhaft anhand wissenschaftlicher Biographien aufgezeigt werden soll.

Die Studie als PDF: https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2017-2-IOSB-Web.pdf

2.) Analyse des Verteidigungs-Aktionsplans der EU-Kommission

IMI-Analyse 2017/02
EUropas „Brexit-Dividende“
Militarisierung-Aktionsplan und Rüstungshaushalt
https://www.imi-online.de/2017/01/24/europas-brexit-dividende/
Jürgen Wagner (24. Januar 2017)

Was die außen- und sicherheitspolitischen Schlussfolgerungen aus den Großereignissen Brexit (23.6.2016) und US-Wahl (8.11.2016) anbelangt, singen derzeit fast alle politischen Entscheidungsträger von demselben Blatt. Mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens verlasse ein militärpolitischer „Blockierer“ in Kürze die Union, weshalb in der Außen- und Sicherheitspolitik durchaus eine „Brexit-Dividende“ zu erwarten sei, so etwa die Meinung von Uwe Optenhögel, dem Direktor des Europa-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brüssel, die aber derzeit unisono zu vernehmen ist.[1]

Tatsächlich ließ man nicht viel Zeit verstreichen, um schnell Nägel mit Köpfen zu machen: Bereits einen Tag nach dem britischen Referendum, am 24. Juni 2016, gaben die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, mit ihrem Ruf nach einer massiven Militarisierung der Europäischen Union die Richtung vor. Nun könnten und müssten endlich lange geplante, bislang aber von Großbritannien blockierte Vorhaben in die Praxis umgesetzt werden. Diese Kernforderung wurde in der Folge dann auch von der EU-Globalstrategie (28.6.2016), dem zweiten deutsch-französischen Papier, diesmal der Verteidigungsminister Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian (12.9.2016), und von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union (14.9.2016) erhoben. Schließlich trafen sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem – informellen, weil Großbritannien nicht eingeladen wurde – Ratstreffen in der slowakischen Hauptstadt, wo sie sich mit der sogenannten Bratislava-Agenda darauf verständigten, bis zum 60jährigen Jubiläum der Unterzeichnung der Römischen Verträge im März 2017 einen detaillierten Plan zur Militarisierung der Europäischen Union vorzulegen.[2]

Die Wahl Donald Trumps verleiht diesen Ambitionen zusätzlichen Rückenwind: Seine Drohung, die Verbündeten sicherheitspolitisch im Regen stehen zu lassen, sollten sie nicht mehr Geld in den Rüstungssektor pumpen, dient hierzulande als willkommener Anlass, den Ausbau des Militärapparats als regelrechten Sachzwang darzustellen. Auf dieser Grundlage legte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini Mitte November 2016 einen Implementierungsplan für die EU-Globalstrategie vor, der ein ambitioniertes Einsatzspektrum und daraus abgeleitet ein größeres militärisches Anforderungsprofil und die Forderung nach einer „besseren“ Finanzierung des EU-Militärapparates enthielt. Diese – noch relativ vagen – Vorschläge wurden anschließend vom EU-Rat gebilligt, woraufhin die EU-Kommission Ende November 2016 einen „Europäischen Verteidigungs-Aktionsplan“ vorlegte, den sie nicht unbescheiden, aber leider wohl zutreffend, als „bahnbrechend“ bezeichnete. Dies gilt vor allem für den von der Kommission vorgeschlagenen „Europäischen Verteidigungsfonds“, der aus zwei Komponenten bestehen soll: Einem schon länger ins Auge gefassten Rüstungsforschungshaushalt sowie dem „Kronjuwel“ des Aktionsplanes, einer Art EU-Beschaffungshaushalt. Noch in diesem Jahr sollen die Modalitäten des Fonds vollständig ausgearbeitet werden, mit dem die Rüstungsfinanzierung auf EU-Ebene in eine völlig neue Dimension vorstoßen würde.

Brexit + Trump = EU-Weltmacht?

Wie gesagt, eigentlich hören sich aktuell nahezu alle EU-Entscheidungsträger mehr oder weniger gleich an. Geradezu trotzig äußerte sich etwa die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps, nun müsse zum großen Sprung nach vorn ausgeholt werden: „In den kommenden Monaten und Jahren – man kann sogar sagen: in diesen Stunden – wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa geben von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen ‚Sicherheits-Dienstleister‘ wird wachsen. Die Forderung nach einer Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit glaubt.“[3]

Fast genauso klingt auch eine „Entschließung zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“, die das Europäische Parlament am 14. Dezember 2016 verabschiedete: „Das Europäische Parlament […] betont, dass die EU ihre Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten stärken muss, da sie ihr volles Potenzial als Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie ihre einzigartige ‚Soft Power‘ im Rahmen eines umfassenden EU-Ansatzes mit ‚Hard Power‘ kombiniert“.[4] Pflichtschuldig bedienten sich die Parlamentarier hier einer Wortwahl, die exakt so bereits von Kommissionschef Juncker in seiner bereits erwähnten Rede zur Lage der Europäischen Union in die Debatte eingespeist worden war: „Mit zunehmenden Gefahren um uns herum reicht Soft Power allein nicht mehr aus. […] Europa muss mehr Härte zeigen. Dies gilt vor allem in unserer Verteidigungspolitik. Europa kann es sich nicht mehr leisten, militärisch im Windschatten anderer Mächte zu segeln oder Frankreich in Mali allein zu lassen. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, unsere Interessen und die europäische Art zu leben zu verteidigen.“[5]

Auch die Journaille wollte sich da nicht lumpen lassen – „herausragend“ war in diesem Zusammenhang der von nicht weniger als zehn Zeit-Redakteuren gezeichnete Artikel „Weltmacht! Echt jetzt?“, in dem es heißt: „Nach der Wahl Donald Trumps erkennen die Europäer, dass sie künftig selbst ihre Interessen durchsetzen und ihre Sicherheit garantieren müssen – und was dem noch alles im Wege steht. […] Europa muss nicht ‚Weltmacht‘ werden im amerikanischen Sinne, mit Flugzeugträgergruppen, die stählern durch alle Weltmeere pflügen. […] Europa hat Interessen in Afrika, in einem Teil von Asien (Syrien! Afghanistan!) und an all seinen Außengrenzen, vom Balkan bis Marokko, vom Atlantik bis tief ins südliche Mittelmeer. Hier Mitverantwortung zu übernehmen, weit über den eigenen Kontinent hinaus – auch das ist Weltmacht. Regional begrenzte Weltmacht ganz gewiss, aber auch zum Glück. Aber für eine ziemlich große Region.“[6] In aller Bescheidenheit will man also „nur“ eine „regional begrenzte Weltmacht“ werden, was allerdings mehr mit den Realitäten zu tun hat, als mit allzu großer Zurückhaltung. Schon lange ist es im Strategiediskurs Konsens, dass die EU erst die regionale Vorherrschaft in ihrem sogenannten Nachbarschaftsraum erringen muss, bevor sie ernst zu nehmende Weltmachtambitionen artikulieren kann.[7]

Wie auch immer, die Richtung war jedenfalls klar vorgegeben: Weltmacht durch Militarisierung! Wie bereits erwähnt, blieb darüber hinaus aber zunächst Vieles im Unklaren. Die meisten genannten Papiere gaben zwar ehrgeizige Ziele aus, blieben aber reichlich vage, wie diese dann konkret umgesetzt werden sollen. Vor diesem Hintergrund stellt der „Implementierungsplan Sicherheit und Verteidigung“, den die EU-Außenbeauftragte Mogherini am 14. November 2016 vorlegte, einen weiteren wichtigen Zwischenschritt bei der Konkretisierung der EU-Militarisierungsagenda dar.[8]

Mogherinis Implementierungsplan

Schon die unter Mogherinis Ägide verfasste EU-Globalstrategie (EUGS) vom Juni 2016 gab das ehrgeizige Ziel aus, die Union müsse „autonome“ – also ohne US-Unterstützung stattfindende – Militäreinsätze durchführen können. Dies erfordere umfassende militärische Kapazitäten, die nur durch eine potente Industrie bereitgestellt werden könnten: „Die europäischen Anstrengungen auf dem Gebiet der Sicherheit und der Verteidigung sollten die EU in die Lage versetzen, autonom zu handeln […] Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss. […] Eine tragfähige, innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und eine glaubwürdige GSVP.“[9]

Mogherinis Implementierungsplan greift diese Ziele auf und benennt auch dieselben drei Bereiche wie die EUGS, in denen das Militär tätig werden können soll: Auslandseinsätze, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe sowie die innere „Sicherheit“. Allerdings wird der Implementierungsplan, was die konkreten Einsatzszenarien anbelangt, deutlich konkreter als die Globalstrategie:

„Als Bereitsteller von Sicherheit sollte die EU ein weites Betätigungsfeld haben, sich dabei aber auf die Regionen in ihrer Nachbarschaft konzentrieren. [D]ie EU [sollte] daher in der Lage sein, die folgenden Arten ziviler Missionen und militärischer Operationen im Rahmen der GSVP außerhalb der Union durchzuführen, mehrere davon parallel, im Rahmen unterschiedlicher Szenarien, auch in Situationen mit erhöhtem Sicherheitsrisiko und bei mangelhafter Infrastruktur vor Ort:

– Gemeinsame Krisenbewältigungsoperationen in Situationen mit hohem Sicherheitsrisiko in den die EU umgebenden Regionen;
– gemeinsame Stabilisierungsoperationen, einschließlich Luftoperationen und Spezialeinsätze;
– zivile und militärische Krisenreaktion, einschließlich militärischer Krisenreaktionsoperationen, unter anderem unter Rückgriff auf die EU
-Gefechtsverbände insgesamt oder im Rahmen eines auf die Mission zugeschnittenen Streitkräftedispositivs;
– Ersatz/zivile Exekutivmissionen;
– Luftraum-Sicherungsoperationen einschließlich Luftnahunterstützung und Luftraumüberwachung;
– Operationen zur maritimen Sicherung oder Überwachung, einschließlich in der Nachbarschaft Europas auf längere Sicht;
– Missionen zum Aufbau ziviler Fähigkeiten und zur Reform des Sicherheitssektors (Überwachung, Begleitung und Beratung, Schulung), unter anderem mit Blick auf die Polizei, die Rechtsstaatlichkeit, das Grenzmanagement, die Terrorismusbekämpfung, die Abwehrbereitschaft, die Reaktion auf hybride Bedrohungen und die zivile Verwaltung, sowie zivile Überwachungsmissionen;
– Aufbau militärischer Fähigkeiten durch Beratungs-, Ausbildungs- und Begleitmissionen, einschließlich – wenn nötig – eines soliden Schutzes der Kräfte sowie militärische Überwachungs-/Beobachtungsmissionen.“[10]

Mit den aktuellen zivilen und militärischen Zielvorgaben (Headline Goals), die festlegen, über welche konkreten Kapazitäten die EU verfügen soll, sind diese Einsatzszenarien nicht zu „bewältigen“. Aus diesem Grund spricht sich Mogherini für eine Erhöhung der Zielvorgaben aus – in der EUGS fand sich die Forderung zwar auch schon, aber deutlich verklausulierter. Nun lautet gleich die erste Überschrift „Eine neue Zielvorgabe“, unter der dann ausgeführt wird: „Das vorgeschlagene neue Anforderungsprofil […] zielt darauf ab, eine in Sicherheits- und Verteidigungsfragen stärkere Union hervorzubringen, die in der Lage ist, heutige Bedrohungen und Herausforderungen effektiver anzugehen, mit den erforderlichen Kapazitäten, Werkzeugen und Strukturen, um den Bürgern mehr Sicherheit zu garantieren.“[11]

Folgerichtig schlägt Mogherini daraufhin vor, in der kommenden Zeit „Fähigkeitslücken“ zu identifizieren und auf dieser Grundlage den sog. „Plan zur Kapazitätsentwicklung“, dessen Aufgabe genau im Schließen der deklarierten Defizite besteht, anzupassen. Vor allem drängt der Implementierungsplan aber darauf, das ambitionierte Vorhaben auch mit den „erforderlichen“ finanziellen Ressourcen auszustatten: „Die Zielvorgaben müssen durch die notwendigen Finanzmittel untermauert werden.“[12]

Diese drei Kernpunkte: Konkretisierung eines breiten Einsatzspektrums; Erhöhung der zivilen und militärischen Zielvorgaben; und eine „bessere“ Finanzausstattung wurden noch am selben Tag vom Europäischen Rat in seinen Schlussfolgerungen nahezu wortgleich übernommen und damit gebilligt. Allerdings blieben Implementierungsplan und Schlussfolgerungen, wie schon die Papiere zuvor, vor allem in dem – traditionell immer relativ heiklen – Finanzpunkt recht nebulös, was das konkret bedeuten soll. Dieses „Defizit“ wurde schlussendlich durch den „Verteidigungs-Aktionsplan“ behoben, den die EU-Kommission am 30. November 2016 vorlegte.

Rüstungs-Aktionsplan: Kronjuwel „Verteidigungsfonds“

Die Ambitionen der EU-Kommission, EU-Interessen militärisch „schützen“ zu wollen, gehen aus diesem Statement des „Verteidigungs-Aktionsplans“ deutlich hervor: „Europa muss für den Schutz seiner Interessen, seiner Werte und der europäischen Lebensweise einstehen. […] Die Kommission ist bereit, sich in einem bisher nicht gekannten Ausmaß in der Verteidigung zu engagieren, um die Mitgliedstaaten zu unterstützen. Sie wird die der EU zur Verfügung stehenden Instrumente einschließlich EU-Finanzierungen und das volle Potenzial der Verträge ausschöpfen mit dem Ziel, eine Verteidigungsunion aufzubauen.“[13]

Aus dem Zitat wird auch ersichtlich, dass es – bislang zumindest – keineswegs selbstverständlich war, dass die EU-Kommission im Militärbereich eine wichtige Rolle spielt. Tatsächlich sind Militärfragen im EU-Institutionengefüge intergovernmental geregelt und demzufolge allein Sache der Mitgliedsstaaten. Alle wesentlichen Entscheidungen werden deshalb vom Rat der Staats- und Regierungschefs gefällt, die Rolle der EU-Kommission, des Parlaments und damit auch des EU-Haushaltes ist eigentlich vergleichsweise gering. In diesem Zusammenhang wurde – nicht zuletzt lange auf Druck Großbritanniens – Artikel 41, Absatz 2 des Vertrags von Lissabon lange – zu Recht – so interpretiert, dass er jegliche militärrelevante Finanzierung aus dem EU-Haushalt ausschließt. Wörtlich heißt es darin: „Die operativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“. Mittlerweile hat sich aber eine Neuinterpretation dieses Artikels durchgesetzt, derzufolge sich das Verbot ja nur auf „operative Ausgaben“ beziehe und damit ausschließlich Ausgaben für Militäreinsätze beinhalte – davon sei aber beispielsweise die Rüstungsforschung nicht betroffen.[14]

Die Kommission argumentiert nun u.a. im Aktionsplan, eine Verwendung von EU-Geldern für den Rüstungssektor sei eine notwendige Folge des EUGS-Anspruches auf die Fähigkeit zur eigenständigen Kriegsführung. Dieser sei ohne „ausreichende“ Investitionen in die Forschung und Entwicklung von Spitzentechnologie nicht realistisch. Da es den Nationalstaaten aber seit Jahren nicht gelänge, genug Gelder in den Rüstungssektor zu pumpen, müsse eben die EU-Ebene „aushelfen“, so die Rechtfertigung für zusätzliche Maßnahmen auf EU-Ebene: „Dieser Aktionsplan ist eng verknüpft mit dem Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung aus der Globalen Strategie, in dem neue Zielvorgaben für die Union und Maßnahmen zu deren Erfüllung festgelegt sind […] Viele Mitgliedstaaten haben ihre Verteidigungsbudgets in den letzten 10 Jahren gekürzt. […] Ohne nachhaltige Investitionen in den Verteidigungsbereich läuft Europas Industrie Gefahr, nicht über das erforderliche technologische Know How zu verfügen, um die nächste Generation entscheidender Verteidigungsfähigkeiten aufzubauen. Letztlich wird dadurch die strategische Autonomie der Union und ihre Fähigkeit, Sicherheit bereitzustellen, beeinträchtigt.“ (S. 3)

Vor diesem Hintergrund betont die Kommission gleich zu Anfang des „Verteidigungs-Aktionsplans“, es sei dringend erforderlich, dass die Europäer mehr „in die Entwicklung wichtiger Verteidigungsfähigkeiten investieren.“ (S. 3) Zu diesem Zweck solle ein „Europäischer Verteidigungsfonds“ mit zwei Komponenten eingerichtet werden: einem „Forschungsfenster“ und einem „Fähigkeitenfenster“.

Forschungsfenster: Schon im Februar 2016 hatte eine aus Rüstungslobbyisten und Militärpolitikern besetzte und von der EU-Industriekommissarin einberufene „Gruppe von Persönlichkeiten“ einen Bericht vorgelegt, in dem die Einrichtung eines EU-Rüstungsforschungshaushaltes im nächsten EU-Haushalt (2021-2027) im Umfang von 500 Mio. jährlich gefordert wurde.[15] Diese Zahl wurde im Anschluss von einem Bericht des EU-Parlaments aufgenommen[16] und fand nun auch eins zu eins Eingang in den Verteidigungs-Aktionsplan der EU-Kommission. Dem Rüstungsforschungshaushalt soll mittels einer „Vorbereitenden Maßnahme“ im Umfang von 90 Mio. Euro der Weg geebnet werden: „Angesichts der Bedeutung der Investitionen in die Verteidigungsforschung, der Größe der nationalen Verteidigungsforschungshaushalte und der hohen Entwicklungskosten für Spitzenverteidigungstechnologie könnten für ein solches ‚Fenster‘ schätzungsweise Mittel von jährlich 500 Mio. EUR erforderlich sein, um eine substanzielle Wirkung zu erreichen“. (S. 8)

Fähigkeitenfenster: Während sich die Einrichtung eines EU-Rüstungsforschungshaushaltes leider schon länger abzeichnete, ist die zweite Komponente des vorgeschlagenen „Europäischen Verteidigungsfonds“ gänzlich neu. Noch nicht einmal in Junckers Rede zur Lage der Europäischen Union vom 14. September 2016, in der von Kommissionsseite erstmals die Einrichtung eines EU-Verteidigungsfonds vorgeschlagen wurde, fand das sog. „Fähigkeitenfenster“ Erwähnung. Im Gegensatz zur Forschung, will man hier einen beträchtlichen Schritt in Richtung einer (Ko)Finanzierung länderübergreifender Beschaffungsprojekte durch die Europäische Union gehen: „Es [das Fähigkeitenfenster] würde die gemeinsame Finanzierung der Entwicklung und Beschaffung im Bereich der strategischen Prioritäten bei den Fähigkeiten sicherstellen. […] Der Schwerpunkt dieses ‚Fensters‘ soll auf den Phasen im Anschluss an FuT liegen, d. h. Prototypen sowie die Entwicklung und Beschaffung von Gütern und Technologien. Nach ersten Schätzungen könnte ein Referenzbetrag von 5 Mrd. EUR pro Jahr als Zielmarke dienen. Dies entspricht 2,5 % der gesamten nationalen Verteidigungsausgaben in der EU und 14 % der nationalen Ausgaben für Verteidigungsfähigkeiten.“ (S. 10)

Politisch-rechtlicher Eiertanz

Wie gesagt, vonseiten der Mitgliedsstaaten besteht zwar ein großes Interesse, EU-Gelder für militärische Belange „locker“ zu machen. Gleichzeitig wollen sie aber keine Kompetenzen an die suprastaatliche EU-Ebene abtreten. Auch der Kommission ist dies bewusst, weshalb sie versucht, möglichen Bedenken der Mitgliedsstaaten, dass sie die Kontrolle über politisch wie wirtschaftliche wichtige Rüstungsbeschaffungsprozesse verlieren könnten, gleich offensiv entgegenzutreten. Unmissverständlich wird deshalb betont, dass die Mitgliedsstaaten hier den Hut aufhaben sollen: „Die Ermittlung von Prioritäten und die Eigentumsrechte an den Fähigkeiten würden eindeutig bei den Mitgliedstaaten verbleiben, welche derartige Fähigkeiten auch betreiben. […] Die finanziellen und operativen Entscheidungen in Bezug auf konkrete Projekte und ihre Finanzierungsmodalitäten verbleiben bei den Mitgliedstaaten, die sich am jeweiligen Projekt beteiligen, im Rahmen der auf der Ebene der Dachstruktur festgelegten Regeln.“ (S. 11)

Die Finanzierung des „Fähigkeitenfensters“ soll einerseits durch die Mitgliedsstaaten erfolgen, wobei diesbezügliche Aufwendungen weder den Beschränkungen des Stabilitätspaktes noch sonstigen fiskalischen Strangulierungsmaßnahmen der Troika unterliegen sollen. So zumindest dürfte diese Passage des „Verteidigungs-Aktionsplans“ zu verstehen sein: „Die nationalen Kapitalbeiträge zum ‚Fähigkeitenfenster‘ werden als ‚einmalige Maßnahmen‘ im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts betrachtet und belasten somit nicht die strukturellen Konsolidierungsanstrengungen, die von den Mitgliedstaaten erwartet werden.“ (ebd.)

Auf der anderen Seite betont die Kommission aber auch unmissverständlich ihre Bereitschaft, EU-Gelder für den Verteidigungsfonds heranziehen zu wollen: „Die Kommission wird sämtliche Möglichkeiten der Finanzierung des ‚Fähigkeitenfensters‘ aus dem EU-Haushalt prüfen, die mit den Verträgen im Einklang stehen. Sie ist außerdem bereit, das ‚Fenster‘ mit ihrer finanziellen und technischen Fachkenntnis zu unterstützen.“ (S. 12) Ein Vorschlag, den die Kommission in diesem Zusammenhang macht, besteht darin, hierfür die EU-Struktur- und -Investitionsfonds anzuzapfen. Über sie werden in den nächsten drei Jahren insgesamt satte 315 Mrd. Euro ausgeschüttet, wobei aber bislang Militärausgaben ausschlossen waren: „Die EU-Struktur- und -Investitionsfonds (ESI-Fonds) können von den Mitgliedstaaten im Verteidigungssektor in Anspruch genommen werden, sofern damit ein Beitrag zu den Zielsetzungen des jeweiligen Fonds geleistet wird […] Die Verteidigungsindustrie kann einen Beitrag zu den in den ESI-Fonds festgelegten Zielen leisten und etwa die wirtschaftliche Entwicklung auf regionaler Ebene als Multiplikator für hohe Investitionen in Kompetenzen, Arbeitsplätze und die technologische und wirtschaftliche Entwicklung fördern.“ (S. 14)

Tatsächlich gibt es kaum einen wirtschaftlichen Sektor, in dem Geld unproduktiver angelegt wäre, wie diverse Studien bestätigen[17], das hält die Kommission jedoch nicht davon ab, wie hier unablässig das Gegenteil zu behaupten. Brisant ist das „Fähigkeitsfenster“ jedoch vor allem, weil es endgültig die Axt am Finanzierungsvorbehalt aus Artikel 41(2) anlegt. Sollte nach der Forschung auch die Anschaffung von Rüstungsgütern aus dem Verbot ausgeklammert werden, ist der Weg zu einem voll ausgebauten EU-Beschaffungshaushalt, über den dann noch einmal ganz andere Milliardenbeträge in den Rüstungssektor geleitet werden können, frei.

Noch sind viele Details unklar und die Kommission ist sich offensichtlich des politischen und rechtlichen Eiertanzes bewusst, den sie zwischen Begehrlichkeiten der Mitgliedsstaaten und den Bestimmungen des EU-Vertrages (oder ihrer Umgehung) vollführen muss. Die Energie, mit der sie dabei aber neuerdings zu Werke geht, lässt befürchten, dass sie in der Lage sein könnte, diese Probleme aus dem Weg zu räumen. Lange will man sich beim „Fähigkeitenfenster“ etwa in jedem Fall nicht Zeit lassen, um die Sache auf den Weg zu bringen: „Mit einem solchen Fenster sollten jährlich Mittel in der Größenordnung von etwa 5 Mrd. EUR mobilisiert werden können. Die ersten Schritte sollten 2017 unternommen werden. Die Kommission wird 2017 unverzüglich eine Vorstudie einleiten, um diesen Schätzwert genauer festzulegen.“ (S. 12)

Anmerkungen

[1] Optenhögel, Uwe: Brothers in Arms. Trotz Brexit wird in der europäischen Verteidigung zusammenwachsen, was zusammengehört, Internationale Politik und Gesellschaft, 18.01.2017.
[2] Siehe hierzu ausführlich Wagner, Jürgen: Bratislava-Agenda: EU-Rüstungsschub nach dem Brexit, – in: AUSDRUCK (Oktober 2016).
[3] Küster, Kai: Mehr Sicherheit mit einer europäischen Armee?, Deutschlandfunk, 14.11.2016.
[4] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2016 zur Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (2016/2036(INI)).
[5] Juncker, Jean-Claude: Rede zur Lage der Union: Hin zu einem besseren Europa – Einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt, Straßburg, 14.09.2016.
[6] Weltmacht! Echt jetzt?, Zeit Online, 17.11.2016. Gezeichnet von Jochen Bittner, Georg Blume, Gerhard Gnauck, Angela Köckritz, Matthias Krupa, Jörg Lau, Michael Thumann, Gero von Randow, Heinrich Wefing und Ulrich Ladurner.
[7] Wagner, Jürgen: NATO. Aufmarsch gegen Russland, Berlin 2016, S. 65ff.
[8] Implementation Plan on Security and Defence, Brüssel, 14. November 2016 (14392/16).
[9] Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, Brüssel, 28.06.2016.
[10] Der Implementierungsplan liegt nicht in deutscher Übersetzung vor. Die zitierte Passage wurde aber wortgleich in die Schlussfolgerungen des Rates vom 14. November 2016 übernommen.
[11] Implementation Plan on Security and Defence, S. 2.
[12] Ebd., S. 18.
[13] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan, Brüssel, 30.11.2016 (COM(2016) 950 final), S. 23. Alle folgenden Seitenangaben im Text beziehen sich auf dieses Dokument.
[14] Siehe zur Argumentation u.a. des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages Lösing, Sabine/Wagner, Jürgen: Kreative Kriegsfinanzierung. Rüstungsforschung, Ertüchtigung und das Ende des zivilen EU-Haushalts, IMI-Studie 2016/03.
[15] Report of the Group of Personalities on the Preparatory Action for CSDP-related research, EUISS, Paris, Februar 2016.
[16] Siehe den am 22. November 2016 angenommenen Bericht des Europäischen Parlaments zur „Europäischen Verteidigungsunion“ (2016/2052(INI)), in dem festgestellt wird, dass „für das Forschungsprogramm der EU im Bereich Verteidigung in diesem Zeitraum ein Gesamthaushalt von jährlich mindestens 500 Mio. EUR benötigt wird, um glaubwürdig zu sein und Wesentliches zu erreichen“.
[17] Siehe zum Beispiel eine Untersuchung, die zu dem Ergebnis gelangt, dass in keinem Bereich weniger Arbeitsplätze pro investierter Milliarde entsteht, wie im Rüstungssektor: Hartung, William D./Peterson, Natalie: Minimum Returns: The Economic Impacts of Pentagon Spending, Center for International Policy, February 7, 2013, S. 5.