IMI-Standpunkt 2016/038

Kein Frieden mit der Europäischen Union

Bericht vom 20. Kongress der Informationsstelle Militarisierung

von: IMI | Veröffentlicht am: 28. November 2016

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Vom 18. bis zum 20. November 2016 lud die Informationsstelle Militarisierung (IMI) zu ihrem inzwischen zwanzigsten jährlichen Kongress nach Tübingen ein. Insgesamt nahmen über 150 Interessierte an dem Kongress mit dem Titel „Kein Frieden mit der Europäischen Union“ teil, der sich intensiv mit verschiedensten Aspekten der EU-Außen- und Militärpolitik beschäftigte. Einigkeit bestand dabei vor allem in drei Dingen, die gleichzeitig auch wesentliche Schlussfolgerungen des Kongresses darstellen: Erstens, dass sich der bevorstehende britische Austritt aus der EU in Kombination mit der Wahl Donald Trumps als Brandbeschleuniger auswirken werden, da beide Ereignisse genutzt werden sollen, um die Militarisierung der Europäischen Union und ihr Aufstieg zu einer „Supermacht“ in bislang ungekanntem Ausmaß voranzutreiben. Zweitens, dass eine grundsätzliche EU-Kritik auch nicht davor halt machen darf, die Organisation selbst in Frage zu stellen. Und schließlich drittens, dass alle wesentlichen linken alternativen Europakonzeptionen daran kranken, auf dem „Militärauge“ blind zu sein. Die Aufgabe der Friedens- und Antikriegsbewegung besteht deshalb unmittelbar auch darin, diese Lücke zu schließen und antimilitaristische Fragen aktiv in die linke EU-Debatte hineinzutragen.

Der Auftakt des IMI-Kongress am Freitagabend startete in bester Tradition im Wohnprojekt Schellingstraße, einer ehemaligen Kaserne, in entspannter Atmosphäre. Bei gemeinsamen Essen lud dies zu Diskussionen als Einstimmung auf die kommenden zwei Tage ein. Begleitet wurde der erste Abend von einem zumeist nicht ganz so ernst gemeinten Programm, das aber neben einigen scharfen Seitenhieben auch nachdenkliche Momente mit sich brachte: Ein Zusammenschnitt mit zahllosen prominenten politischen Stimmen aus dem Off zur Rolle der EU nach der Wahl von Trump zeigte gleich zu Beginn, zu welchem neuen Militarisierungsschub dieses politische Ereignis instrumentalisiert werden soll. Christoph Marischka führte dann in das Programm ein. Im Anschluss ging es amüsanter und beschaulicher mit einem Vortrag zur Ideologie Europas „auf Postwertzeichen unter besonderer Berücksichtigung der Michelnummer 2113“ durch Thomas Mickan weiter. Anhand einer bestimmten Europabriefmarke zeichnete er dabei die Idee Europas nach und wie diese ganz unterschiedlich verstanden werden kann. Vera Lebedeva offerierte dem Publikum einen differenzierten Blick von Russland auf die EU und den krönenden Abschluss lieferte ein musikalisches Duett über die „normative Macht EUropa“.

EUropa und die Neusortierung der Welt

Am Samstag startete der Kongress mit dem Panel „Europa und die Neusortierung der Welt“, wobei der erste Beitrag von Erhard Crome (Berlin) die Auswirkungen der Wahl von Donald Trumps zum US-Präsidenten auf die internationale Politik und das künftige transatlantische Verhältnis in den Blick nahm. Mit dessen Wahl werde deutlich, dass drei, viele Jahre prägende Tendenzen in den internationalen Beziehungen ihrem Ende zu gehen: Erstens werde durch die zunehmende Verlagerung des weltwirtschaftlichen Zentrums nach Ostasien die lang anhaltende Vorherrschaft des Westens zu einem Ende kommen. Zweitens habe sich der spätestens seit der Zeit Reagans und Thatchers Anfang der 1980er Jahre dominierende Neoliberalismus weitgehend diskreditiert: „Nichts von dem, was versprochen wurde, hat sich für die abhängigen Beschäftigten und die Armen erfüllt“, so Cromes Urteil. Und drittens sei davon auszugehen, dass auch die Phase der unilateralen US-Machtentfaltung, die im „Krieg gegen den Terror“ ihren unrühmlichen Höhepunkt fand, vorbei sei. „Die Kriege, die dieser Spätimperialismus geführt hat, haben nichts als zerstörte Städte und Länder hinterlassen.“ Unter dem Vorbehalt, dass sehr Vieles noch nicht sicher zu bewerten sei, formulierte Crome anschließend folgende wahrscheinliche Richtungen für eine Trumpsche Außen- und Militärpolitik: Auf der eine Seite bestehe erstens offenbar die Chance auf eine Entspannung mit Russland; und zweitens gäben Trumps wiederholte Verweise, der Menschenrechtsimperialismus vergangener Jahre sei ein Irrweg gewesen, Anlass zur Hoffnung auf einen Kurswechsel. Auf der anderen Seite sei in der Israel-Politik, angesichts des Vorhabens, den US-Militärapparat weiter massiv ausbauen zu wollen, mit neuen Verschärfungen zu rechnen. Ebenso problematisch seien die Ankündigungen, einen Wirtschaftskrieg gegen China zu führen. „Vieles wird anders, aber es wird deshalb nicht notgedrungen besser“, so Cromes abschließendes Fazit. Dies gelte insbesondere auch, weil sich in Deutschland und in der Europäischen Union unter Verweis auf Trump das Bestreben verstärke, den eigenen Militärapparat massiv auszubauen.

An dieser Stelle setzte auch der zweite Beitrag von Jürgen Wagner, geschäftsführendes IMI-Vorstandsmitglied, an. Er beschäftigte sich mit der „EU-Globalstrategie nach dem Brexit“, indem er zunächst auf Aussagen, wie u.a. der EU-Außenbeauftragen Federica Mogherini einging, nun, nach der Wahl Donald Trumps, bleibe der EU überhaupt nichts anderes mehr übrig, als massiv aufzurüsten und sich zu einer „Supermacht“ aufzuschwingen. Wagner verwies hier allerdings darauf, dass diese Pläne keineswegs neu seien. Die EU verfolge seit vielen Jahren eine Art „Supermacht-Strategie“, die im Kern aus zwei Elementen bestehe: Zum einen aus der Expansion in den erweiterten Nachbarschaftsraum und seiner Integration in die EUropäische Wirtschaftszone; und zum anderen aus dem Aufbau eines Militärapparates, um diesen imperialen Großraum notfalls auch gewaltsam unter Kontrolle bringen zu können. Während die EU mit dem ersten Ziel sehr „erfolgreich“ gewesen sei, habe sich der Aufbau einer schlagkräftigen Militärmaschine als schwierig erwiesen. Nun sei aber eine neue Situation eingetreten, so Wagner: „Der 2014 eingeleitete Schwenk Deutschlands zu einer militaristischen Weltmachtpolitik sorgt in Kombination mit der Eskalation im Verhältnis zu Russland für einen enormen Militarisierungsschub. Hinzu kommt nun auch noch der britische Austritt aus der EU und die Wahl Donald Trumps, die diesen Prozess noch einmal massiv beschleunigen dürften.“ Als Grund nannte Wagner die Tatsache, dass Großbritannien bislang nahezu jede Initiative zum Ausbau des EU-Militärapparates behindert habe, hierzu aber künftig nicht mehr in der Lage sein werde. Vor diesem Hintergrund sei unmittelbar nach dem britischen Referendum am 23. Juni 2016 eine neue EU-Globalstrategie verabschiedet worden, in der es heißt, die EU benötige „militärische Spitzenfähigkeiten“, weshalb ihr demzufolge „das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss.“ Unmittelbar im Anschluss daran hätten Deutschland und Frankreich eine Reihe von Papieren veröffentlicht, die auf die Umsetzung langjähriger, aber bislang von Großbritannien behinderter Militarisierungsschritte abzielten. „Durch die Wahl Trumps erhalten diese Pläne zusätzlichen Rückenwind, sodass die Chancen für einen massiven Ausbau des EU-Militärapparates aktuell so ‚günstig‘ stehen, wie noch nie“, so Wagner.

Chaos und Krieg im „Nachbarschaftsraum“

Das zweite Panel „Chaos und Krieg im ‚Nachbarschaftsraum‘” wurde von Claudia Haydt, IMI-Vorstandsmitglied, eröffnet. Haydt sprach über die Strategie der EU in Osteuropa, die Russland als militärischen Aggressor gegen europäische Expansionspolitik sehe und daher die Sicherung ihrer östlichen Außengrenzen vorantreibe. Ein wenig beachtetes Beispiel der europäischen Eskalationspolitik sei dabei die Entwicklung in der Republik Moldau. 1990 habe sich Transnistrien, der östliche Teil des Landes, abgespalten und stehe seither politisch sowie militärisch unter russischer Kontrolle, während der Westen einen EU-Beitritt angestrebt habe. Das arme Auswanderungsland sei für die EU vor allem zur Sicherung der Außengrenzen nützlich; eine Taktik, die sich seit 2005 in einer militärischen EU-Grenzsicherungsmission (EUBAM) manifestiere, so Haydt. Dabei sei es das Ziel der EU-Politik gewesen, die Bürger_innen der Republik Moldau zu einem Teil der Konfrontation mit Russland zu machen, ohne ihnen jedoch die Einreise in die EU zu ermöglichen. Und auch die neuesten EU-Verträge brächten den Moldawier_innen nur wenig Erleichterung: Das 2014 implementierte Assoziierungsabkommen sichere den moldawischen Bürger_innen inzwischen zwar eine Visumsfreiheit für die Europäische Union zu, doch eine Arbeitserlaubnis bedeute dies selbstverständlich noch nicht; die meisten Migrierenden würden daher weiter illegalisiert. Diese Ungerechtigkeit habe seit zwei Jahren, so Haydt weiter, zu anhaltenden Protesten aus der Zivilbevölkerung gegen die korrupte Führung im eigenen Land und gegen die ungerechte EU-Politik geführt. Während Russland inzwischen die wesentlichen Handelsbeziehungen zur Republik gekappt habe, versuche die EU das Land immer weiter in das europäische Militärbündnis – nicht aber das Wirtschaftsbündnis – zu integrieren: Es werde eine „Konvergenz im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik” angestrebt. So sei die Republik Moldau bereits an der EU-Militärmission in Mali und dem NATO-Einsatz in Afghanistan beteiligt. „Die kleine moldawische Armee” solle damit „immer näher an die NATO und an die EU herangeführt” werden, so Haydt. Dass diese Entwicklungen bei den Bürger_innen weiter für Unmut sorgten, zeige auch die jüngste Präsidentschaftswahl im November: Der neue Präsident Igor Dodon stehe gegen eine enge EU-Bindung und für einen Eintritt in die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft. Zum ersten Mal hätte dabei auch eine größere Anzahl von Menschen aus Transnistrien gewählt, obwohl sich alle Wahllokale in der westlichen Republik Moldawien befänden. Aus dem Protest der Moldawier_innen gegen die von der EU angestoßene Militarisierung und durch das bisher unentschiedene Ringen rivalisierender Kräfte im Land entstehe laut Haydt ein ziviler Raum von dem sie hoffe, dass er genutzt werde.

Anschließend stellte Christoph Marischka, Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung, die Eskalation in Mali zugespitzt als Folge der sich herausbildenden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU dar. In deren Sicherheitsstrategie von 2003 sei global schwache Staatlichkeit als Bedrohung Europas definiert worden, wobei darunter v.a. die mangelnde Kontrolle peripherer Räume und Grenzgebiete verstanden wurde. Damit sei absehbar gewesen, dass die Sahel-Region in den Fokus der EUropäischen Außenpolitik gerät, da die dortigen Staaten mit einem Vielfachen der Fläche und einem Bruchteil der Bevölkerung, mit spärlicher Infrastruktur und geringen Staatseinnahmen keine etwa mit Deutschland vergleichbare repressive Präsenz des Staates in der Fläche gewährleisten könnten. Die EU-Sicherheitsstrategie sei zugleich von einem Nexus zwischen Sicherheit und Entwicklung geprägt, der darauf hinauslaufe, „Staatlichkeit“ durch den Aufbau von Polizei- und Militärkräften zu „entwickeln“. Auch die USA seien seit 2002 im Zuge des Kriegs gegen den Terror verstärkt im Nordwesten Afrikas aktiv. Im Ergebnis sei die Region, die heute geopolitisch als „Sahel“ definiert wird, umfassend aufgerüstet und militarisiert worden, wobei die westlichen Staaten mit Ausbildungsmissionen, Programmen wie der Pan-Sahel-Initiative (USA) und dem Stabilitätsinstrument (EU) zugleich untereinander um Einflusszonen konkurriert hätten. 2010 hätte die Europäische Union eine Initiative zur verstärkten Präsenz des malischen Staates im Norden finanziert und zugleich den „Europäischen Auswärtigen Dienst“ aufgestellt, der 2011 als erste Regionalstrategie seine Sahel-Strategie entwickelte. Der Libyenkrieg und weitere Regimewechsel in der weiteren Region (Côte d’Ivoire, Südsudan) hätten daraufhin die Lage vollends destabilisiert und zum Ausbruch des Krieges in Mali geführt. Dort arbeite Frankreich mittlerweile eng mit sezessionistischen Tuareg zusammen, die zugleich die Rückkehr malischer Truppen in den Norden verhindern wollen. Diesen vorzubereiten und die malischen Truppen aufzubauen, sei jedoch erklärtes Ziel der etwa eintausend deutschen Soldat_innen, die dort in ihrem gegenwärtig wahrscheinlich gefährlichsten Einsatz stationiert seien. „Die Sahel-Region ist damit ein Beispiel dafür, wie wieder innerimperialistische Konflikte im globalen Süden innerhalb vermeintlicher Bündnisse und Allianzen als internationalisierte Bürgerkriege ausgefochten werden“, so Marischka.

Union in Uniform: Strukturen des Krieges

Unter dem Titel „Union in Uniform: Strukturen des Krieges“ warf Tobias Pflüger, IMI-Vorstand und ehemaliger EU-Parlamentarier, einen Blick auf die „politischen Voraussetzungen der Militärmacht EUropa“. Die zentrale Rechtsgrundlage sei der seit 2009 geltende Vertrag von Lissabon (EUV) und seine Artikel 42 bis 46, in denen sich die wesentlichen Bestimmungen zur EU-Militärpolitik finden ließen. Artikel 42 enthalte etwa die sog. „Beistandsklausel“, eine Art Beistandspflicht, die sogar härter als die der NATO formuliert sei. „Die EU ist damit auch ein Militärbündnis und das wird mit dem Vertrag von Lissabon festgeschrieben“, so Pflüger. In Artikel 43 würden als mögliche Einsatzszenarien u.a. „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“, „Kampfeinsätze“ und „Operationen zur Stabilisierung der Lage“ sowie „die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“ genannt. Artikel 43 lege fest, dass die Entscheidung über den Beginn eines EU-Einsatzes beim Rat der Staats- und Regierungschefs liege. Eine zentrale Rolle spiele hierbei dann noch das „Politische und Sicherheitspolitische Komitee“, in dem die Botschafter_innen der Mitgliedstaaten säßen. Weitere wichtige Institutionen seien in diesem Zusammenhang vor allem der EU-Militärausschuss und der Militärstab. Durch Artikel 44 (und 46) werde es mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ) möglich, dass Teile der EU-Militärpolitik auf einzelne Mitgliedstaaten übertragen werden könnten und der Rest dann außen vor bleibe. „Dieses im Vertrag angelegte militärische Kerneuropa ist zentral“, so Pflüger. Neben der Koordination der EU-Rüstungsprojekte habe die in Artikel 45 zu findende EU-Verteidigungsagentur die wesentliche Rolle, die militärischen Aufrüstungsbemühungen der Mitgliedsstaaten zu bewerten, wovon das „Recht“ zur Teilnahme an einer SSZ abhänge. Der „Europäische Auswärtige Dienst“, dessen Gründung ebenfalls im Lissabon-Vertrag angelegt war, sei dabei das „Durchführungsinstrument“, vereinige er doch die militärischen, geheimdienstlichen, außenpolitischen und entwicklungspolitischen EU-Elemente in sich. Wesentlich sei bei all dem, dass weder das EU-Parlament noch der Europäische Gerichtshof realen Einfluss auf die EU-Militärpolitik hätten, was Pflüger zu dem abschließenden Fazit veranlasste: „Das alles ist auf den ersten Blick extrem kompliziert gemacht, aber eigentlich dann auch recht einfach: Es wird alles so organisiert, dass die EU-Militärpolitik möglichst parlamentsfern und öffentlichkeitsfern ihren Lauf nehmen kann.“

Im Anschluss daran beschrieb Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag, die wichtigsten „Komponenten des EU-Militärapparates“. Geleitet würden EU-Einsätze mit bis 2.000 Soldat_innen durch ein seit 2007 existierendes Operationszentrum. Aktuell wieder heiß diskutierte Pläne für ein voll ausgestattetes Hauptquartier seien bislang gescheitert, sodass bei größeren Einsätzen auf nationale Kapazitäten zurückgegriffen werden müsse. 1999 sei die Grundsatzentscheidung zum Aufbau einer Schnellen EU-Eingreiftruppe im Umfang von 80.000 Soldat_innen gefallen. Ziel sei es gewesen, diese Truppe innerhalb von 60 Tagen zum Einsatz zu bringen und sie aus einem Pool von 100.000 Soldat_innen, zu dem Deutschland ein Drittel beitragen sollte, zusammenzustellen. Nachdem die Umsetzung dieses Ziels Probleme bereitet habe, sei das Konzept der seit 2007 einsatzbereiten Battlegroups entworfen worden, die aus zwei zwischen 1.500 bis 3.000 Soldat_innen bestehenden Einheiten zusammengesetzt werden. Wichtige Einheiten seien das in Straßburg ansässige Eurokorps, dem auch die Deutsch-Französische Brigade angehöre. Weiter spiele das 1. Deutsch-Niederländische Korps mit Sitz in Münster eine wichtige Rolle. Im Bereich der Aufklärung sei vor allem das EU-Satellitenzentrum in Torrejón von Bedeutung und für die Logistik das europäische Lufttransportkommando. Seit 2003 führe die EU Einsätze im Rahmen der sog. „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) durch. Aktuell fänden zehn „zivile“ EU-Einsätze statt, die zum Teil die sechs laufenden EU-Militäroperationen flankieren würden. Diese sechs Einsätze fänden in Bosnien-Herzegowina (Althea), in Mali (EUTM Mali), in Somalia (EUTM SOM), am Horn von Afrika (ATALANTA), im Mittelmeer (Sophia) und in der Zentralafrikanischen Republik (EUTM RCA) statt. So problematisch der bisherige Umfang der EU-Militarisierung auch sei, verwies Henken aber auch darauf, dass hier mit einiger Sicherheit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sei. In den EU-Operationen würden aktuell „nur“ 3.500 Soldat_innen eingesetzt, während die Mitgliedsländer insgesamt über 1,5 Mio. Soldat_innen verfügen würden. Ähnlich verhalte es sich bei den Überwasserkampfschiffen, bei denen neun von insgesamt 130 im Einsatz seien. „Will sagen: Da ist noch viel Platz nach oben. Und wenn nichts gegen die Militarisierung der EU unternommen wird, wird er genutzt werden“, so Henken abschließender Appell.

EUropa unter Waffen: Rüstungsprojekte und Rüstungshaushalte

Im Auftaktbeitrag zum Panel „EUropa unter Waffen“ beschrieb Andreas Seifert die Versuche, auf europäischer Ebene eine Rüstungsindustrie zu etablieren und betonte dabei die Grundvoraussetzungen der Existenz der Industrie auf nationaler Ebene. Er benannte mit OCCAR, EDIR und der European Defence Agency die derzeitigen Bemühungen, mit überstaatlichen Organisationen Fusionen anzuregen und den Rüstungsmarkt in EUropa zu strukturieren. Allerdings täten sich Staaten, die ihre nationale Rüstungsindustrie und ihre nationale wehrtechnische Basis als Grundbedingungen ihrer Handlungsfähigkeit begreifen würden, dabei schwer, diese Kapazitäten und Kompetenzen abzutreten. Das Beispiel der Fusion von Nexter und Kraus-Maffei-Wegmann wurde herangezogen, um genau diese „Vorbehalte“ zu illustrieren und deutlich zu machen, dass das oftmals mit Pathos vorgetragene Bekenntnis zu EUropa zur Hülle wird und sich vor allem aus Sicht der Staaten mit nennenswerter Rüstungsindustrie auf jene Staaten beziehen sollte, die sich den Luxus eigener Kapazitäten nicht leisten können. An der neuen Firma KNDS (KMW+Nexter Defense Systems) würde zudem deutlich werden, dass die gefundene Lösung in erster Linie die politischen Vorbehalte der Politik abbilde. „Fusionen dieser Art“, so schloss Seifert ab, „haben den Anschein, als ob es bei ihnen in erster Linie darum geht, ggf. strengere Exportbestimmungen in einem der Länder zu umgehen und damit zu einem höheren Umsatz beizutragen.“

„Ein Eurochampion wurde durch die europäischen Staaten, insbesondere durch Deutschland und Frankreich, in den letzten Jahrzehnten auf dem Feld der Luft- und Raumfahrt etabliert“, so Roman Christof in seinem Vortrag zum Airbus-Konzern und dem Großprojekt A400M. Airbus als erster europäischer Rüstungskonzern müsste dabei im Kontext der Kooperation mitwirkender Nationalstaaten verstanden werden, bei gleichzeitig weiterbestehender Konkurrenz. Mit dem Auftrag der Regierungen an die einzelnen nationalen Luft- und Raumfahrtunternehmen und der Schaffung zwischenstaatlicher Rahmenbedingung für deren wirtschaftlichen Verkehr untereinander sei erst der Grundstein für Airbus gelegt worden. Durch diesen Konzern sollte „ein auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger Rüstungskonzern geschaffen werden, der den beteiligten Staaten mit Rüstungsgütern die gewünschten wehrtechnischen Fähigkeiten bereitstellen kann“, so der Referent weiter. Ob dies mit Produkten wie dem A400M wirklich erreicht wurde, bleibe fraglich. Ein Großprojekt, bei dem die Risse nicht nur durch den Rumpf des militärischen Transportflugzeuges gehen, sondern genauso durch die veranschlagten Kosten (Preissteigerung von mehr als 1,4 Milliarden Euro) und den Liefertermin (Verzögerung von mehr als 110 Monate), stelle zwar die Frage der Wirtschaftlichkeit solcher Großprojekte, mache aber genauso aufgrund des Festhaltens an diesen, die staatlichen Interessen deutlich. Die Unabhängigkeit im Bereich der Rüstungsindustrie von außereuropäischen Staaten stehe scheinbar an erster Stelle. Es gehe um die Lieferung militärischen Geräts, das für eine Nation wie Deutschland und die Bestrebungen einer zunehmenden Militarisierung der EU von höchster Bedeutung sei. Ein großräumiges und schnell einsetzbares Transportflugzeug sei die Voraussetzung für flexible Operationen in jedem Winkel der Erde und „damit dem neuerlich unterstrichenen Weltmachtanspruch der EU“. Damit leiste der Airbus-Konzern mit seiner Sparte Defence and Space einen wichtigen Beitrag für die europäische Staatenkonkurrenz und ihre Kriege.

In dem dritten Beitrag des Panels beschäftigte sich Marius Pletsch mit den Plänen mehrerer EU-Mitgliedsstaaten für die Produktion einer Drohne. Zunächst ging er jedoch auf das nationale Vorhaben ein, israelische Heron-TP Drohnen für mindestens 580 Mio. € über den Hauptauftragsnehmer Airbus DS Airborne Solutions zu leasen. Bevor es zum Vertragsabschluss komme, der für das Frühjahr 2017 geplant sei, werde noch ein laufender Gerichtsprozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf abgewartet. Der US-Amerikanische Konkurrent General Atomics, Hersteller der Drohnen Predator (Raubtier) und Reaper (Sensemann), hätte gegen die Vergabeentscheidung geklagt. Die Entscheidung für die Heron Drohne solle auch ein Schub für die sogenannte „Europäische Drohne“ sein, da die israelische Herstellerfirma Israel Aerospace Industries (IAI) freigiebiger mit Dokumenten sei und es so zum „Aufbau realen industriellen Know-hows bei europäischen Unternehmen“ komme, wie es die Bundesregierung formuliert habe. Die Eurodrohne solle bereits 2025 einsatzbereit sein. An ihrer Entwicklung seien Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien beteiligt, wobei Deutschland die „Führungsrolle“ übernehme und bei der Definitionsstudie, die insgesamt 60 Mio. € kosten solle, 18,6 Mio. € (31 % der Gesamtsumme) bezahlen würde. Die drei übrigen teilnehmenden Staaten würden sich mit je 13,8 Mio. € (je 23 %) beteiligen. Die Koordination des Projektes würde von OCCAR übernommen, eben jene Organisation, auf die bereits Seifert eingegangen war. Das Geschäft mit Drohnen würde in den nächsten Jahren weiterwachsen, wobei der militärische Markt weiterhin der dominantere bleiben werde. „Das Geschäft mit den Drohnen selbst macht dabei lediglich einen kleinen Teil aus, nicht darin enthalten sind die Sensoren, solche zur Signalerfassung oder hochempfindliche Kameras, sowie die Infrastruktur, die für den Betrieb der Drohnen nötig sei, wie z.B. Satellitenverbindungen zur Kommunikation oder Kryptomodule, um die Datenströme zu verschlüsseln“, so Pletsch. Damit Drohnen in Zukunft auch im Luftraum der EU-Staaten fliegen können, würden EU-Institutionen günstige Bedingungen schaffen, so forsche die Europäische Verteidigungsagentur an Sense-and-Avoid Systemen, die für eine Zulassung nötig seien.

Abschließend argumentierte Jürgen Wagner anhand der europäischen „Schattenhaushalte und Kriegskassen“, dass aktuell auf verschiedenen Wegen versucht würde, massiv EU-Gelder für den Ausbau des EU-Militärapparates loszueisen. Ohnehin seien die nationalen Militärausgaben der EU-Staaten von 193 Mrd. Euro (2005) auf 200 Mrd. Euro (2015) gestiegen. Im Falle Deutschlands sei dies noch ausgeprägter: Der Haushalt sei von 27,6 Mrd. Euro (2006) auf aktuell 34,2 Mrd. (2016) angewachsen und solle bis 2020 noch einmal auf 39,2 Mrd. angehoben werden. Daneben werde versucht, EU-Gelder zu akquirieren und das, obwohl Artikel 41(2) des EU-Vertrags es eigentlich verbiete, „Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt zu bestreiten. Dieses Verbot solle aktuell durch die geplante Einrichtung eines Rüstungsforschungshaushaltes unterlaufen werden. „Diese Entwicklung ist von enormer Tragweite“, so Wagner. „Gelingt die Einrichtung eines Rüstungsforschungshaushaltes, so wird dies Vorbildcharakter für weitere Bereiche haben. Dann dürfte künftig der umfassenden Verwendung von EU-Haushaltsgeldern zur Finanzierung eines EU-Militärapparates wenig mehr im Wege stehen.“

Migrationsbekämpfung: Die inneren und äußeren Grenzen Europas

IMI-Beirätin Jacqueline Andres referierte im ersten Panel am Sonntag über die aktuellen Entwicklungen entlang der vorgelagerten, äußeren und inneren Grenzen der EU und versuchte den Blick auf die starke Diskrepanz zwischen der Selbstdarstellung der EU und ihrer politischen Entscheidungen zu richten. Offiziell versuche die EU mit mittlerweile drei Militärmissionen das seit Jahrzehnten andauernde Sterben von Migrant_innen an der unsichtbaren EU-Außengrenze im Mittelmeer durch die Bekämpfung von Schmuggler_innennetzwerken einzudämmen, doch tatsächlich werde die Überfahrt dadurch gefährlicher. Dies habe u.a. dazu geführt, dass im Jahr 2016 die bisher höchsten Todeszahlen zu vermerken gewesen seien. Entgegen der offiziellen Aussagen der EU, bestehe kein politischer Wille, sich für das Wohl und die Sicherheit von Migrant_innen einzusetzen. Die drei Militärmissionen, an denen die Bundesregierung zum Teil federführend beteiligt ist, bestünden aus der seit Juni 2015 aktiven Operation European Naval Forces Mediterranean (EUNAVFOR MED), dem diesjährig begonnen NATO-Einsatz in der Ägäis sowie der kürzlich in Sea Guardian umbenannten NATO Mission Active Endeavour, welche als Bindeglied zwischen den zuvor genannten Operationen im gesamten Mittelmeerraum präsent sei. Zu beobachten sei in allen drei Operation die Instrumentalisierung der Schmuggler_innennetzwerksbekämpfung, welche den beteiligten Staaten das Anrecht auf eine permanente bzw. zumindest potenziell langjährige Militärpräsenz im Mittelmeer ermögliche, wodurch unter einem humanitären Deckmantel geopolitische und wirtschaftliche Interessen militärisch gesichert würden. Die Grenzvorverlagerung schreite seit der Gründung der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX im Jahr 2004 kontinuierlich voran und habe einen bedeutsamen Schub durch den Rabat- und die Khartoum-Prozesse erhalten, welche jeweils in West- und Ostafrika umgesetzt würden. Auch in dem von der EU-Kommission im September 2016 verabschiedeten neuen Partnerschaftsabkommen sei das Ziel die schärfere Einreiseeindämmung von illegalisierten Migrant_innen in den Transit- und Herkunftsländern und die Erhöhung der Abschiebequote bzw. der „Rückführungen“. Dazu würden die Ausbildung und Ausstattung lokaler Sicherheitsapparate verstärkt und neue Rückführungsabkommen mit Herkunftsstaaten abgeschlossen. Innerhalb der letzten zwei Jahre hätten außerdem zahlreiche EU-Mitgliedstaaten Grenzkontrollen wieder eingeführt und bzw. oder Grenzzäune errichtet. In Idomeni an der Grenze von Griechenland zu Mazedonien, in der an Frankreich angrenzenden italienischen Küstenstadt Ventimiglia und der nordfranzösische Hafenstadt Calais seien ähnliche Entwicklungen zu sehen: Die wiederholten Räumungen selbsterrichteter Camps zeigten, dass die jeweiligen politischen Entscheidungsträger_innen jegliche Form der Selbstorganisation verhindern wollten und gleichzeitig Solidarität zunehmend diffamiert werde. Die an den Grenzen blockierten Migrant_innen würden dazu in allen drei Fällen mit Bussen auf landesweit verstreute Aufnahmezentren aufgeteilt, wodurch sie einerseits weniger sichtbar würden und andererseits auch eine Selbstorganisation erschwert werde. Anschließend sprach Jacqueline Andres an, was die Friedensbewegung leisten sollte, um diesem Prozess der stetigen Militarisierung der externalisierten, internalisierten sowie der äußeren Grenzen der EU entgegenzuwirken: „Ein Vorschlag ist es, die Profiteure der Technologisierung und Militarisierung des Grenzregimes zu lokalisieren, um sie als sichtbare Orte des potenziellen Protests zu etablieren.“

Entzivilisierung: Die Innenräume der Militarisierung

Das zweite Panel am Sonntag „Entzivilisierung: Die Innenräume der Militarisierung” behandelte drei Aspekte der EU-Militarisierung ziviler Räume. Den Anfang machte Martin Kirsch, der über die Militarisierung der EU-Polizeien mit Fokus auf die Entwicklung in Deutschland sprach. Seit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo Anfang 2015 sei es, so Kirsch, das selbsterklärte Ziel der deutschen Polizei „Waffengleichheit” im Kampf gegen den Terrorismus zu erlangen – ein Wettrüsten mit Terrorist_innen also. Dieser Anspruch führe zum einen zu einer erheblichen Aufstockung der Spezialeinheiten, wie beispielsweise der BFE+-Einheit der Bundespolizei, die nach einer Ausbildung durch die GSG 9-Einheit mit militärischer Bewaffnung und Radpanzern ausgerüstet werden solle. Zum anderen würden auch die Dienstwagen der Streifenpolizei mit einem „Anti-Terror-Paket” bestückt. Eine solche Aufrüstung, so Kirsch, führe zu einer zunehmenden Distanzierung der Polizei von den Bürger_innen. Die Ordnungsmacht wirke damit zunehmend einschüchternd und eskalierend. Die Militarisierung der deutschen Polizei stehe laut Kirsch den Bestrebungen gegenüber, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen – so ergebe sich ein Kompetenzgerangel zwischen Militär und Polizei. Auf kurze Sicht solle hierbei allerdings eine Einigung stattfinden, für Februar 2017 sei bereits eine gemeinsame Anti-Terror-Großübung geplant. Im europäischen Kontext seien die Spezialeinheiten der Polizeien im Atlas-Verbund organisiert, dem die EU-Staaten, Norwegen sowie die Schweiz angehörten und der von EU-Geldern finanziert werde. Für die Einsetzbarkeit der Spezialeinheiten innerhalb der EU sorge die Solidaritätsklausel des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die einzelnen Staaten in Bedrohungslagen wie Terroranschlägen die Hilfe mit allen verfügbaren Mitteln der anderen Mitgliedsstaaten zusichere.

Im zweiten Beitrag sprach Thomas Gruber über die Positionierung der Europäischen Union im Cyberraum. Während der Cyberraum im Rahmen des Internets oder privaten Kommunikationsnetzen ein vorwiegend zivil genutzter Raum sei, versuchten militärische Akteur_innen seit einigen Jahren ihre Position im Cyberraum zu stärken. Die Bundeswehr habe den virtuellen Raum neben Land, Luft, Wasser und All zum fünften Schlachtfeld erklärt und baue inzwischen einen eigenen Organisationsbereich zum Cyber- und Informationsraum auf, so Gruber. Auch Militärbündnisse wie die NATO rüsteten ihre Cyberwaffen und -kapazitäten immer weiter auf. Die EU habe sich laut Gruber dagegen auf einige administrative Aufgaben im Cyberkrieg zurückgezogen: Erstens sollten Mitgliedsstaaten in Abkommen wie dem „Cyber Defence Policy Framework” zur Aufrüstung verpflichtet werden. Zweitens solle die EU durch vertragliche Vereinbarungen wie die Solidaritätsklausel einen fruchtbaren Boden für militärische Aktionen als Antwort auf nicht-militärische Cyberangriffe bieten. Drittens solle die Wettbewerbsfähigkeit von EU-Unternehmen der IT-Sicherheitsbranche durch „Private Public Partnerships” (PPPs) gefördert und ihnen damit lukrative Aufträge zugeschanzt werden. Viertens würde die EU anhand plakativer Manöver zur Cyberkriegsführung wie der „Multi Layer” Trainingsmission oder der Übung „Cyber Europe” zur Bedrohungshaltung der EU gegen die Nachbarstaaten im Osten beitragen.

Der dritte Beitrag von Christopher Schwitanski behandelte die Haltung und Arbeitsweise der EU zur „Strategischen Kommunikation“ (StratCom). Die Strategische Kommunikation, so Schwitanski, ließe sich im klassischen Sinne wohl passender als „Propaganda“ bezeichnen, in den militärischen und staatlichen Publikationen habe sich aber der Euphemismus durchgesetzt. Das Ziel der StratCom sei im militärischen Kontext meist der Feindpropaganda entgegenzuwirken – in Militärsprache der Umgang mit „Desinformationskampagnen“ – und dabei Netzwerke mit der Zivilgesellschaft des Einsatzlandes und umfassende Pressekontakte aufzubauen. Gerade die NATO sei hierbei mit einem eigenen Kompetenzzentrum und passenden Konferenzen Vorreiterin. Seit kurzem sei allerdings auch die EU in ihren Bemühungen zur Strategischen Kommunikation sehr aktiv, so Schwitanski. Inzwischen existiere das „Syria Strategic Communication Advisory Team“, die „StratCom Task Force South“ im Aufbau, ein Expertisenetzwerk Terrorbekämpfung und das „EU Eastern StratCom Team“. Letzteres werde begleitet von Aktivitäten des Rundfunksenders „Deutsche Welle“ oder des Europäischen Demokratiefonds unter anderem gegenüber Russland als Propagandainstrument genutzt. Als Ausblick sollten wir uns, so Schwitanski, vor allem auf eine Intensivierung der Strategischen Kommunikation auf EU-Ebene einstellen, eine Entwicklung, der wir eine kritische Perspektive entgegenstellen sollten.

Linke Europakonzeptionen

Zum Abschluss des Kongresses sprachen Malte Lühmann und Tobias Pflüger unter dem Titel „Reform? Neugründung? Widerstand? Linke Europakonzeptionen und Ansatzpunkte für konkretes Handeln“ über die in den letzten Jahren deutlich lebhafter gewordenen linken Debatten zum Thema EU und Europa. Zum Einstieg skizzierte Malte Lühmann aktuelle europapolitische Herausforderungen jenseits der Militarisierung. Zunächst machte er deutlich, dass die Entwicklung der EU in Richtung eines zunehmend autoritären Neoliberalismus nach dem Ende der Troika-Politik keineswegs an Fahrt verliere. Aktuell würden sowohl aus Brüssel, mit dem 5-Präsidenten-Report zur Vertiefung der wettbewerbsorientierten Integration, als auch aus Berlin, mit Schäubles Initiative zur Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds mit weitreichenden Kompetenzen zur Disziplinierung der EU-Peripherie, Pläne in diese  Richtung verfolgt. Gleichzeitig warnte Lühmann vor dem weiteren Anwachsen rechtsextremer und rechtspopulistischer Bewegungen in zahlreichen EU-Ländern von Deutschland (AfD) über Frankreich (Front National) bis hin zu Ungarn (Jobbik), Finnland (Die Finnen) und vielen anderen. Auch diese „falschen Feinde der EU“ stellten eine ernste Herausforderung für die Linke dar, so Lühmann. Anschließend präsentierte er fünf linke Positionen aus der aktuellen europapolitischen Debatte in Deutschland. Als erstes ging es um die Initiative „Europa neu begründen“, die im Umfeld der Gewerkschaften entstanden sei und auf eine Weiterentwicklung der EU in Richtung Sozialunion abziele. Lühmann charakterisierte die Initiative u.a. aufgrund ihrer Unterstützer_innen als mögliche Grundlage Rot-Rot-Grüner Europapolitik nach der Bundestagswahl 2017. Als zweites sprach er über das Bündnis „Plan B“, in dem vor allem Akteure europäischer Linksparteien zusammen gekommen seien. Sie suchten als Antwort auf die „Syriza-Falle“ in Griechenland nach einem glaubwürdigen linken Plan B als Alternative zum Euro, um die Kontrolle über nationale Wirtschaftspolitiken wieder zu erlangen. Eine dritte Perspektive biete die maßgeblich von Yanis Varoufakis, dem ehemaligen griechischen Finanzminister, gegründete Bewegung DiEM25. Lühmann stellte DiEM25 als europäische Bewegung mit auffallenden Parallelen zu Attac dar, die sich vor allem um eine Demokratisierung und mehr Transparenz der EU-Institutionen bemühe. Mit Blockupy stellte Lühmann viertens ein Projekt radikaler, linker Vernetzung vor, das vor allem im Protest gegen die EU-Krisenpolitik bei der EZB in Frankfurt in Erscheinung getreten sei. Aktuell würde hier die Schaffung einer „ultraeuropäischen“ radikalen Bewegung diskutiert und betrieben. In gewisser Nähe zu Blockupy sah Lühmann schließlich Positionen, die strategisch auf die Organisation von Alltagskämpfen in lokalen Stadtteil-, Soli-, und Selbsthilfeinitiativen in vielen europäischen Ländern und darüber hinaus setzten.

Tobias Pflüger nahm den Ball an dieser Stelle auf und ordnete die dargestellten Strömungen aus antimilitaristischer Perspektive ein. Er wies darauf hin, dass zumindest die ersten drei Positionen (insbesondere „Europa neu begründen“, „Plan B“ aber auch „DIEM25“) immer noch von der grundlegenden Reformierbarkeit der bestehenden Institutionen der EU und der EU an sich ausgingen. Spätestens nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages sei aber genau das völlig unrealistisch, da in den EU-Verträgen nicht nur die innerinstitutionelle Zusammenarbeit und die Zusammenarbeit zwischen den Einzelstaaten der EU geregelt sei, sondern auch inhaltlich-politische Festlegungen vorgenommen worden wären. So sei der wirtschaftspolitische Kurs der EU-Institutionen und der EU an sich klar neoliberal ausgerichtet, was sich durch den gesamten geltenden EU-Vertrag ziehe. Es würden sogar Einzelmaßnahmen, wie z.B. Kapitalverkehrskontrollen, im geltenden EU-Vertrag explizit ausgeschlossen. Zentral sei zudem, dass die EU mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages auch ein explizites Militärbündnis (geworden) sei. So wären sicher graduelle (!) Verbesserungen hin zu sozialerer Politik (mit der Begrenzung der inhaltlichen Festlegungen der Verträge) immanent möglich, die EU würde aber ihren Charakter als Militärbündnis beibehalten. Außer durch einen grundlegenden Bruch mit den oder durch die Rücknahme der bestehenden EU-Verträge sei somit realistisch eine „Reform“ der EU ausgeschlossen. Deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit antimilitaristischen Positionen sah Pflüger bei solchen Strömungen, die auf den Aufbau von Alternativen und Gegenmacht außerhalb der und gegen die EU-Institutionen und ihre Politik setzten. Auffällig sei bei der „europapolitischen“ Debatte von links, dass bisher alle Konzeptionen zudem daran krankten, antimilitaristische Fragen komplett auszublenden, was eine große Schwäche der aktuellen Debatte darstelle. Weder bei „Europa neu begründen“, noch bei „Plan B“ oder „DIEM25“, oder auch sehr wenig bei Ansätzen von unten wäre der militärische Charakter der EU Thema.

Pflüger plädierte zudem dafür, die „Ideologie Europa“ noch deutlicher einerseits herauszuarbeiten, andererseits zu kritisieren und zu entlarven. Durch diese „Ideologie Europa“ werde Akzeptanz für Institutionen der EU und die Politik dieser Institutionen erzeugt, die diese aufgrund ihres neoliberalen und militaristischen Charakters „nicht verdient“ hätten. In der anschließenden lebhaften Diskussion wurden die dargestellten Punkte mehrfach aufgegriffen und um wichtige Aspekte erweitert. Gegen die Darstellung eines „Europas der (Alltags-)Kämpfe“ wurde eingewandt, dass hier die herrschende Konstruktion von Europa als Referenzrahmen aufgenommen würde. Diese Grenzziehung gegenüber Bewegungen, die außerhalb Europas kämpften, dürfe nicht unhinterfragt bleiben, da sie den Blick auf gemeinsame Widerstandspraxen, wertvolle Erfahrungen und mögliche Bündnisse über Europa hinaus verstelle. Schließlich wurde angemerkt, dass die Entstehung linker EU-kritischer Bewegungen und die Debatte um linke Europakonzeptionen trotz aller Diskrepanzen eine erfreuliche Entwicklung im Vergleich zu früheren Jahren sei. Das Fehlen antimilitaristischer Positionen in dieser Debatte zeige vor allem die Notwendigkeit aktiv zu werden und den Antimilitarismus – verbunden mit einer Kritik des europäischen Imperialismus – in diesem Kontext zu stärken.