IMI-Standpunkt 2015/046

Krieg und Frieden zum Jahreswechsel 2015/16

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 16. Dezember 2015

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Der nachfolgende Text erschien in Disput (Dezember 2015) und wurde hier leicht aktualisiert.

 

Am 4. Dezember beschloss der deutsche Bundestag, dass bis zu 1.200 Soldatinnen und Soldaten in einen Einsatz um Syrien geschickt werden. Es ist der dritte direkte Angriffseinsatz der Bundeswehr, nach der Teilnahme Deutschlands am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 und dem Start des so genannten Krieges gegen den Terror 2001 u.a. mit der Stationierung der Bundeswehr in Afghanistan. Dieser Syrien-Einsatz der Bundeswehr ist ein erneuter grundlegender Einschnitt in der deutschen Außenpolitik. Deutschland befindet sich damit erneut im Krieg. Und wiederum, wie schon 1999 und 2001, soll der Einsatz nicht „Krieg“ genannt werden. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD begehen manche Pirouette, um dem Wort Krieg auszuweichen.

Wenn man sich die Begründungen für diesen neuen Kriegseinsatz anhört, fühlt man sich zeitlich zurückversetzt, als vor 14 Jahren die Regierung Schröder/Fischer nach den Anschlägen von New York und Washington am 11. September 2001 die deutsche Kriegsteilnahme mit der Formulierung der „uneingeschränkten Solidarität“ (Schröder) am „ewig dauernden“ „Krieg gegen den Terror“ (Georg W. Bush) ausriefen. Diesmal ist es angeblich Frankreich, dem nach den terroristischen Aktionen in Paris vom 13. November 2015 nun Solidarität gezollt werden soll.

Hier macht die Bundesregierung drei ganz offensichtliche und bewusste Fehler: Erstens werden die terroristischen Anschläge in Paris so interpretiert, als ob es sich um militärische Angriffe gehandelt habe und deshalb eine militärische Reaktion notwendig sei. Zweitens werden die Anschläge als „von außen organisiert“ interpretiert und damit die Begründung geliefert, warum nun Syrien bombardiert werden müsse. Drittens wird gesagt, man müsse mit dem Staat Frankreich solidarisch sein und deshalb die Bitte auf militärischen Beistand gegenüber Frankreich umsetzen. Alle drei Begründungen sind falsch: Es war kein militärischer Angriff am 13.11. in Paris, auf terroristische Anschläge muss mit polizeilichen, nicht militärischen Mitteln reagiert werden. Es waren auch keine Anschläge „von außen“, die Attentäter waren alles französische oder belgische Staatsbürger. Und drittens, Solidarität brauchen die Opfer der Attentate, nicht das Land in dem sie lebten.

Zu den 1.200 Soldatinnen und Soldaten im Syrien-Einsatz kommen nun auch noch eine Erhöhung der Soldatinnen und Soldaten im Mali-Einsatz dazu, und parallel wird der Afghanistan-Einsatz, der ja eigentlich 2014 beendet werden sollte, nun wieder aufgestockt und wieder zu einem eindeutigen Kampf- (und Ausbildungs)-Einsatz hochgestuft. Die Einsätze in Mali und Afghanistan sind beides auch eindeutig militärische Kompensationen und Entlastungen u.a. für Frankreich (und die USA), dass diese den Krieg gegen den IS (Islamischen Staat) oder „Daesch“ intensiver führen können.

Interessant ist, dass die französische Regierung nicht – wie von vielen zuerst erwartet – den NATO-Bündnisfall (Artikel 5) ausgerufen hat, sondern sich bei der Einforderung militärischer Solidarität auf Artikel 42.7 des Lissabon-Vertrages der Europäischen Union bezog. (Auch wenn es nur eine Deklaration der EU-Gremien und keinen förmlichen Beschluss dazu gab und die eigentliche Solidaritätsklausel [Artikel 222] des Vertrages über die Arbeitsweise der EU gar nicht in Anspruch genommen wurde.] Das hat mehrere Gründe: Erstens ist der NATO-Bündnisfall nach 9/11 immer noch in Kraft (und insofern kann darauf immer rekurriert werden) und zweitens ist damit ein weiterer institutioneller Rahmen (EU) für Militäreinsätze „aufgemacht“ worden.

Zu den bisher genannten Einsätzen kommen noch weitere 16 derzeit laufende Operationen der Bundeswehr weltweit mit über 3.000 Soldaten dazu.

Geopolitisch ist offensichtlich, dass Deutschland (wieder) „mitspielen“ will. Es gibt wesentliche geopolitische Entwicklungen: Das Agieren der türkischen Regierung im eignen Land und im benachbarten (vor allem in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Regionen) Syrien und das Bomben der russischen Regierung in Syrien, das rechtlich anders, aber moralisch und politisch ähnlich wie die anderen Bombardierungen (der USA, Frankreichs, Saudi-Arabiens etc.) zu bewerten ist. Und zudem sind die Aufrüstung der NATO und ihre umfangreichen Manöver gegen Russland im Kontext der Ukrainekrise nicht zu Ende.

Was bedeutet diese Situation nun für uns?

Erstens: Die bundesdeutsche Gesellschaft wird wieder mehr geprägt sein von Krieg und der Auseinandersetzung um Krieg: Krieg wird zwar „außen“ geführt, muss aber „innen“ durchgesetzt und legitimiert werden. Das heißt, es ist mit mehr Präsenz von Militär vor Ort und in den Medien zu rechnen; mehr Manöver, mehr Kriegsberichte und mehr Kriegspropaganda. Der Syrien-Einsatz ist offensichtlich nicht beliebt in der Bevölkerung, erste Umfragen zeigen eine gespaltene Gesellschaft bzgl. der Zustimmung oder sogar mehrheitlichen Ablehnung. Gerade die Verbindung sozialer Auseinandersetzungen mit dem Thema Krieg muss benannt werden, denn Kürzungen im Militärbereich wird es so schnell nicht geben. Hier wird die „schwarze Null“ des eisernen Sparens nicht gelten, in sozialen Bereichen aber schon. Und wir müssen der Medienberichterstattung, die kriegstreibend ist, Gegeninformationen entgegensetzen.

Zweitens: Krieg geht einher mit der Einschränkung von Grundrechten. Dass z.B. in Frankreich linke Klima-Aktivisten während des Klimagipfels in Paris Hausarrest erteilt wurde, zeigt, dass hier gegen diejenigen vorgegangen wurde, die sich gegen die Einschränkung von Grundrechten im Zeichen des Krieges wehren. Auch weitere Grundrechte wurden nach den Anschlägen von Paris einfach suspendiert. Wir müssen in Deutschland solche (weiteren) Grundrechts-Einschränkungen (gemeinsam mit der Demokratiebewegung) verhindern. Die Vorratsdatenspeicherung ist leider beschlossen, sie wird angewandt werden – auch gegen Linke. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist inzwischen – nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil möglich, bisher wollen die Innenminister diesen Einsatz (noch) nicht. (Weitere) Einschränkungen des Demonstrationsrechts dürfen nicht sein.

Drittens: Die bundesdeutsche Gesellschaft ist seit der Zunahme von zu uns kommenden Flüchtlingen deutlich polarisierter. Einerseits gibt es immer mehr Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte, es gibt immer mehr im Kern rassistische Demonstrationen, ob PEGIDA oder von der AFD organisiert. Andererseits engagieren sich sehr viele Menschen für Flüchtlinge (vor Ort). Dies geschieht trotz oder auch wegen des offensichtlichen Staatsversagens (Stichwort Lageso in Berlin u.v.a.m.). Die Bundesregierung verschärft die Asylgesetze immer weiter, selbst Afghanistan gilt als „sicherer Herkunftsstaat“, bei Syrerinnen und Syrern werden wieder die Einzelfälle genauestens geprüft und die Abschiebemaschinerie zuerst in die Balkanländer ist am anlaufen. Unsere zentrale Aufgabe ist es hier, die Flüchtlingsfrage mit der Kriegsfrage zu verbinden: Warum fliehen die Menschen? Das hat etwas mit Krieg zu tun. Das hat auch damit zu tun, dass Krieg in ihren Ländern geführt wird, dass Deutschland Krieg führt und Waffen liefert. Es ist doch zynisch Bundeswehrmissionen im Kosovo oder Afghanistan und nun Syrien zu haben und zugleich diese Länder als „sichere Herkunftsländer“ einzustufen und dorthin Menschen abzuschieben.

Viertens: Der Krieg beginnt hier. Kriege können nur geführt werden, wenn die entsprechenden Soldaten und ihre Waffen ins Kriegsgebiet gelangen. Unsere Aufgabe ist es auch, darauf hinzuweisen, wo die Bundeswehrstandorte sind, von denen Krieg geführt wird: Tornados sind z.B. in Jagel oder Büchel (da wo auch die Atomwaffen lagern) stationiert. Das eingeplante Kriegsschiff der Marine hat einen Heimathafen. Zugleich tritt die Bundeswehr mit einer neuen Werbekampagne in der Gesellschaft auf, die Bundeswehr „muss“ für ihre Einsätze Menschen rekrutieren. Nach wie vor ist es richtig, sich gegen die Bundeswehr an Schulen zu wehren. Auch die US-amerikanische Armee hat in Deutschland Schlüsselstandorte wie Ramstein, Spangdahlem, das AFRICOM oder das EUCOM in Stuttgart oder die Einrichtungen in Wiesbaden, ohne die (Drohnen)-Krieg nicht möglich wären. Aktionen vor diesen Orten der Kriegsunterstützung sind richtig und notwendig. Alle Bundeswehrstandorte eignen sich dafür. Ein Krieg ohne den Export und die Produktion von Waffen ist unmöglich, also sollten wir uns weiterhin für ein Stopp aller Rüstungsexporte einsetzen und die Orte der Rüstungsproduktion klar benennen. Auch hier sind Aktionen vor Ort sinnvoll. Die Forderung nach einer Umwandlung militärischer in zivile Produktionen (Konversion) muss stärker ins Bewusstsein gerückt werden. Die für eine Reihe von Bundesländern inzwischen erstellten „Rüstungsatlanten“ bieten hier gute Ansatzpunkte.

Der Syrien-Einsatz der Bundeswehr verschärft die Situation in Fragen von Krieg und Frieden für das Jahr 2016 erheblich. Insgesamt gilt es – 101 Jahre nach der Kriegsablehnung Karl Liebknechts im Reichstag -, dass wir uns besonders mit der deutschen Rolle kritisch auseinandersetzen müssen.