IMI-Standpunkt 2015/023 - in: AUSDRUCK (Juni 2015)
Waffen in den Nordirak: „Nicht in meinem Namen!“
Gerichtsverhandlung gegen Protestierende
von: FrauenRat Dest Dan e.V. Berlin | Veröffentlicht am: 8. Juni 2015
Der vollständige Artikel im AUSDRUCK-Layout als PDF: Waffen in den Nordirak: „Nicht in meinem Namen!“
Die Parole „EURE WAFFEN sprengen nicht die IS-Fesseln, die unsere Frauen gefangen halten“ stand auf einem Transparent, dass ezidisch-kurdische und andere Frauen am 1. September 2014 im Plenarsaal des Bundestags zeigen wollten. Sicherheitskräfte hinderten sie am Ausbreiten. Doch die Frauen haben laut bekundet: „Nicht in unserem Namen!“ Denn an diesem Antikriegstag bestätigte der Deutsche Bundestag die Entscheidung der Bundesregierung, Waffen in das Kriegsgebiet im Nordirak/Südkurdistan zu liefern.
Am 8. Mai 2015 wurden ezidisch-kurdische und weitere Frauen vor dem Amtsgericht Berlin angeklagt, denn der Bundestagspräsident Dr. Lammert hatte die Sitzung für 23 Sekunden unterbrochen. „Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans“ wird als Anklage formuliert.
Die Staatsanwaltschaft bestand darauf, dass die Angeklagten vor Gericht erscheinen müssen und stimmte einer Einstellung nicht zu. Am Prozesstag kehrten die Angeklagten die Anklage um. Der Prozess wurde zu einer öffentlichen Anklage des Schweigens gegenüber dem Genozid und Feminizid an den Ezid_innen in Şengal, an der Funktionalisierung von Menschenrechten, dem Schutz von Minderheiten, Frauen und Flüchtlingen zur Legitimierung des geopolitischen Eingreifens Deutschlands im Mittleren Osten mit Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Am Tag vor dem Gerichtsprozess wurde zudem mit einer Kundgebung und einer Bilderausstellung auf dem Alexanderplatz in Berlin-Mitte auf die Situation der entführten Frauen aus Şengal aufmerksam gemacht: „Die Freiheit der Frauen Şengals ist die Freiheit der Menschheit!“
Eine der Angeklagten führte zu Prozessbeginn aus:
„Einerseits bin ich betroffen darüber, dass wir heute hier angeklagt werden; andererseits bin ich froh darüber, denn ich kann nun meine Meinung zu den Geschehnissen äußern, was ich eigentlich am 1. September 2014 tun wollte, aber wozu mir nicht die Möglichkeit gegeben wurde. Als Eziden waren wir 72 Mal in unserer Geschichte von Völkermorden betroffenen. Dass die Weltöffentlichkeit diesem 73. Völkermord an uns Eziden schweigend zugesehen hat, hat mich tief erschüttert. Indem ich sagte ‚nicht in meinem Namen‘, wollte ich meinen Gefühlen Ausdruck verleihen. Noch immer befinden sich unzählige junge Frauen in den Händen des IS, sie werden auf Märkten verkauft. Während sich diese grausamen Verbrechen in Şengal ereigneten, hat die deutsche Regierung nichts unternommen. Anstatt zu diskutieren, wie die ezidische Bevölkerung unterstützt werden kann, wurde über einen Waffenhandel zugunsten der südkurdischen Regionalregierung diskutiert, die die ezidische Bevölkerung den Banden des IS schutzlos ausgeliefert hat.“
Vor Gericht wurde auch die Bedeutung der historischen Daten mahnend aufgegriffen:
„Die historischen Daten wie der Anti-Kriegstag am 1. September und der heutige 8. Mai mahnen uns dazu, weder zu zulassen, dass sich die Geschichte wiederholt, noch dass politische und geschichtliche Tatsachen verdreht werden. Die Geschichte muss ehrlich geschrieben werden und darf nicht Machtinteressen geopfert werden. Dazu mahnen uns die Toten. Deshalb sagte ich am 1. September 2014 auf der Besuchertribüne im Plenarsaal des Bundestages: ‚Nicht in meinem Namen!‘ Denn ich konnte nicht ertragen, dass das Leid von Frauen und das Leid der mit einem Genozid konfrontierten Bevölkerung von Şengal seitens der Bundesregierung für die Legitimation von fragwürdigen Waffenlieferungen und neue geostrategische Ambitionen benutzt wird.“
Alle Prozessbeteiligten hörten den Erklärungen der Frauen aufmerksam zu. Der Richter sagte anschließend, dass dies kein leichtes Verfahren für ihn sei und schlug eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen vor. Letztendlich wurde das Verfahren unter der Auflage eingestellt, dass die angeklagten Frauen einen Betrag von insgesamt 900,- € an die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA in Kasbach bei Bonn zahlen. Die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA führt u.a. Projekte zur Unterstützung ezidischer Frauen durch, die von Verfolgung betroffen sind.
Prozesserklärung
Die Prozesserklärungen einer Protestierenden beschäftigte sich vor allem mit den Argumenten, die eine Waffenlieferung legitimieren soll. Sie soll im Folgenden im Wortlaut dokumentiert werden.
„Letztes Jahr am 1. September hat der Bundestag zugestimmt, Waffen in das Kriegsgebiet Nordirak zu liefern. Das geschah am Antikriegstag, 75 Jahre nachdem Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Erstmalig wurde der Grundsatz, keine Waffen in Kriegs- oder Krisengebiete zu liefern, ganz offiziell durchbrochen. Die Waffenlieferung wurde als Nothilfe deklariert. Das geschah unter dem Vorwand, dass es um den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, vor Verbrechen gegen Frauen und Minderheiten ginge. Das ist scheinheilig. Die Stimmen ezidischer und anderer kurdischer Frauen interessierten nur, soweit sie sich für die Ziele der Deutschen Regierung einbinden ließen. Diese wusste anscheinend besser als die betroffenen Frauen was die richtige Lösung ist. Dagegen bin ich aufgestanden und habe im Plenarsaal des Bundestages laut geäußert: „Nicht in meinem Namen“.
Die deutsche Regierung und deren Fraktionen im Parlament, die diese Waffenlieferungen befürworteten, präsentierten sich mit ihrer Entscheidung als Retter der durch den IS verfolgten Minderheiten und Frauen in Şengal. Eine Waffenlieferung wurde zur Nothilfe umdefiniert. In der Plenardebatte hat Thomas Oppermann (SPD) zunächst darauf hingewiesen, dass „Frauen und Mädchen von der Terrorgruppe wie eine Kriegsbeute behandelt, misshandelt, vergewaltigt oder als Sklavinnen verkauft [werden]“ und dies als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verstehen sei. Dann präsentierte er die Waffenlieferung als Lösung: „[D]as ist eine Nothilfe zur Rettung von Menschenleben. Es ist eine Nothilfe, um Hunderttausende von Flüchtlingen zu schützen, und kein kommerzieller Export von Kriegswaffen.“ Oppermann führt weiter aus: „Deshalb bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Bundesregierung die richtige Entscheidung trifft, wenn sie […] als Nothilfe auch Waffen […] an die Kurden liefert.“ (Deutscher Bundestag Plenarprotokoll 18/48)
2001 wurde für die militärische Intervention in Afghanistan die Befreiung der afghanischen Frauen aus der Unterdrückung der Taliban als Einsatzziel propagiert. Für diese Kriegslegitimation wurden feministische Argumente ausgebeutet, ohne sie ernsthaft umsetzen zu wollen. Tatsächlich wurde mit der militärischen Intervention eine Entwicklung in Afghanistan gesteuert, die Frauenrechten und auch Demokratie entgegen steht. Die Taliban wurden ausgetauscht durch eine Regierung aus anderen islamistischen Führern, viele davon verantwortlich für schwerste Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen. Die Konsequenzen für Frauen- und Menschenrechte in Afghanistan sind verheerend. Nur eine winzige privilegierte Elite fungiert als Vorzeigefrauen. Nun sind darüber hinaus den Taliban das Justizministerium und das Oberste Gericht angeboten worden im Zuge der Verhandlungen über deren Beteiligung an der staatlichen Macht. Viele afghanische Frauenrechtlerinnen warnen schon lange vor solchen Entwicklungen und sind zutiefst entsetzt. Erneut müssen sie erleben, wie ihre Wünsche und Rechte missachtet werden – diesmal auch durch den Westen.
Wie in Afghanistan geht es auch mit der Waffenlieferung in den Nordirak an die Peshmerga der Kurdischen Regionalregierung nicht um Frauenrechte oder den Schutz von Minderheiten, sondern es geht um deutsche Interessen. Es geht um Einflussmöglichkeiten in einer geopolitisch wichtigen Region. Friedbert Pflüger, politischer Berater und ehemaliger CDU-Außenpolitiker sowie Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, hat das offen so begründet. Er nennt das deutsche Engagement mit der Kurdischen Regionalregierung „eine humanitäre und geopolitische Aufgabe ersten Ranges“, denn „Irak-Kurdistan“ „[ist] eine Energiegroßmacht“ (zit. nach Kronauer, junge Welt, 25.8.2014).
In einer PR-Broschüre vom Sommer 2014 wirbt auch die Kurdische Regionalregierung genau damit: „Die riesigen Öl- und Gasvorräte, die in Kurdistan seit 2007 entdeckt wurden“, sind „wichtig für die künftige Energieversorgung Europas“ (zit. nach Kronauer, jw, 25.8.2014).
Die deutsche Regierung baut seit einigen Jahren die Beziehungen zur Regierung der kurdischen Autonomieregion aus und errichtete in der Hauptstadt Erbil deutsche Repräsentationseinrichtungen. Unter anderem wurde in Erbil ein „Deutsches Wirtschaftsbüro“ als Brücke für deutsche Unternehmen eingerichtet. Die Gebietseroberungen des IS schaden der für diese Wirtschaftsprojekte benötigten Stabilität. Es liegt im Interesse deutscher Energieunternehmen wie RWE, wenn sich die südkurdische Regionalregierung, mit der RWE sich bereits 2010 auf einen Vertrag geeinigt hatte, eigenständig entwickelt und stabilisiert.
Die Waffenlieferungen führen zu einer Aufwertung und Stärkung der Kurdischen Autonomieregierung im Nordirak. Es handelt sich dabei um eine Regierung, die in ihrem Gebiet der weit verbreiteten Gewalt gegen Frauen nichts entgegen setzt. Frauen werden geschlagen, ermordet und Genitalverstümmelungen werden durchgeführt, ohne dass es dafür eine ernsthafte Strafverfolgung gibt. Frauenmörder werden wieder frei gelassen. Das Frauenministerium wurde 2009 abgeschafft (vgl. Deniz Bilgin, Kurdistan Report Nr. 171/2014). Eine Waffenlieferung an eine Regierung, die eine solche Politik zu verantworten hat, kann nicht dem Schutz vor Menschenrechtsverletzungen dienen, wie behauptet wird.
Die Waffenlieferungen haben weder mit dem Schutz der Minderheitengruppe der Eziden und Ezidinnen und noch viel weniger mit der Befreiung der entführten ezidischen Frauen aus der Gewalt der IS-Banden oder mit Frauenrechten in irgendeiner Form zu tun.
Zudem hatten sich die Peshmerga der Kurdischen Regionalregierung im Irak bis dahin nicht als Kämpfer gegen den Islamischen Staat hervor getan. Die Waffen wurden ausdrücklich an die kurdischen militärischen Einheiten geliefert, die vor dem IS-Massaker in Şengal 450.000 Menschen dort ungeschützt zurück ließen. Auf Befehl hin zogen die Peshmerga aus der vom IS unmittelbar bedrohten Stadt und den umliegenden Dörfern ab – zudem ohne dies der Bevölkerung mitzuteilen und damit Gelegenheit zu einer rechtzeitigen Flucht zu geben (vgl. Interview mit Hayri Kızıler, Qamişlo, 20.8.2014, Kurdistan Report Nr. 175/2014).
Diese Waffenlieferung als Nothilfe zur Rettung von Eziden und Ezidinnen vor einem IS-Massaker, das zu diesem Zeitpunkt bereits geschehen waren, und zur Befreiung der entführten ezidischen Frauen aus der Versklavung zu rechtfertigen ist scheinheilig. Diese Waffen in den Händen der südkurdischen Regionalregierung sind kein Beitrag zur Sicherung und Verteidigung von Menschenrechten. Es geht überhaupt nicht um Menschenrechte und Frauenrechte. Diese werden nur als Legitimation benutzt. Die Analysen und Forderungen der Frauenbewegung in der Region werden nicht angehört und nicht beachtet. Stattdessen wird in deren Namen, aber gegen ihren Willen entschieden, Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern. Eine neue Ära der deutschen Rüstungsexportpolitik wurde begonnen. Das kann ich nicht unwidersprochen hinnehmen.
Ich habe meinen Widerspruch mit den Worten „Nicht in meinem Namen“ zum Ausdruck gebracht.“