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Führungsanspruch als Zitat

Hofberichterstattung im Deutschlandfunk

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 2. März 2015

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Klaus Remme – früher Korrespondent des Deutschlandfunks in Washington, heute für den Sender v.a. in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik zuständig – hat einen guten Draht ins Außenministerium und zu den wichtigsten außenpolitischen Think-Tanks. Er ist damit ein gutes Beispiel für die immer häufiger kritisierte Verquickung zwischen Medien und Politik und die daraus resultierende unkritische Berichterstattung. Als Beispiel und konkreter Ort für diese Verquickung wird immer wieder die Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) genannt und tatsächlich scheinen auch die Verbindungen zwischen Remme und Konferenzleiter Ischinger gut zu sein. Jedenfalls zitiert Ersterer gerne Letzteren. Kurz vor der diesjährigen Siko etwa am 18. Januar mit der Einschätzung, wonach es „ein Wunder oder jedenfalls viel Glück“ wäre, wenn Deutschland vor terroristischen Anschlägen verschont bliebe, um anschließend über neue Vorstöße zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung zu berichten. Wenige Tage später berichtete Remme dann „mit einem Blick hinter die Kulissen“ über die Siko selbst. Auch hier kommt Ischinger selbst zu Wort und wird ihm sogar das letzte Wort überlassen, in dem er diejenigen, die draußen demonstrieren, als „ewig Gestrige“ bezeichnet, „die sich an ihrem Feindbild von vorgestern erfreuen“.
Wenn Remme hier außerdem berichtet, dass sich auf der Konferenz „in den unteren Fluren … Akteure und Beobachter“ mischen, dann liefert er damit eigentlich eine ganz gute Beschreibung seiner Arbeit in der Diskursmaschine. Ein weiteres Beispiel liefert sein Beitrag für die Sendung „Hintergrund“ vom 24. Februar 2015 im Deutschlandfunk. Hier berichtet er knapp 20 Minuten über den vermeintlich „selbstkritischen Überprüfungsprozess des Auswärtigen Amts“ unter dem Titel „Review 2020 – Außenpolitik weiter denken“ – einen Tag, bevor dessen Ergebnisse von der Regierung vorgestellt wurden. Dargestellt wird das Projekt als „öffentliche[r] Diskussionsprozess“, als Austausch mit der Öffentlichkeit. Zu Wort kommen hier aber – abgesehen von einem „vornehmlich junge[n] Publikum“ bei einem „Facebook-Talk in Berlin“ mit anbiedernden Fragen a la „Telefondiplomatie, wie geht das eigentlich?“ – auch hier nur der Außenminister, der Chef seines Planungsstabes und Vertreter_innen der beteiligten Think-Tanks, darunter Christoph Bertram als ehemaliger Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Constanze Stelzenmüller als ehemalige Mitarbeiterin des German Marshall Fund und Thomas Paulsen von der Körber-Stiftung.

Einig ist man sich entsprechend über die Notwendigkeit des Projekts Review 2014. Die begründet Bertram etwa damit, dass „Deutschland eine Dekade der strategischen Gleichgültigkeit“ hinter sich habe, in der man „hingenommen“ habe, anstatt „zu gestalten“. Außerdem habe das Außenministerium in der vergangenen Legislaturperiode bedrohlich an Gewicht verloren – u.a. durch „praktische politische Entscheidungen wie die Enthaltung im Libyen Konflikt“, wie Stelzenmüller behauptet. Während des Projektes sei jedoch, so Stelzenmüller, „klar geworden, dass man wieder über Kategorien reden muss, von denen man glaubte vor 25 Jahren, man könne sie jetzt begraben, die Vorstellung eines echten Gegenspielers, die Notwendigkeit von Abschreckung, die Notwendigkeit von Landes- und Bündnisverteidigung, all das ist wieder intellektuell und praktisch Realität geworden.“

Einig sind sich die Beteiligten auch über den Erfolg des Projektes. Schließlich ermöglichte es, den von den außenpolitischen Eliten und ihren Hofberichterstattern formulierten deutschen Führungsanspruch als Zitat vorzutragen. Genau so ist es geschehen, wie wir einem O-Ton des Außenministers in Remmes Beitrag entnehmen können: „Deutschlands Bestimmung, heißt es in manchen der Beiträge, ist es, ‚to lead Europe and to lead the world‘ [Europa zu führen und die Welt zu führen], Deutschland solle, Zitat, die Europäische Union revitalisieren und es solle, wiederum Zitat, Russland europäisieren und, noch mal Zitat, Amerika multilateralisieren.“ Ebenso verfährt Bertram, der immer wieder gehört haben will: „Ihr seid ein so starkes Land, ihr seid das wichtigste Land Europas, da niemand anders da ist, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen, müsst ihr das jetzt machen.“

Soweit der Elitenkonsens, zu dessen Herstellung und Verlautbarung das Projekt eigentlich inszeniert wurde. Was den vermeintlichen Diskussionsprozess mit der Öffentlichkeit angeht, müsste es eigentlich als Mißerfolg gewertet werden. Denn das „Spannungsverhältnis … das dieses Projekt dominiert hat“ sei „die Kluft zwischen internationalen Erwartungen an die deutsche Außenpolitik einerseits und die in allen Schichten der deutschen Bevölkerung verbreitete Skepsis zur stärken Übernahme von Führungsverantwortung andererseits“ gewesen. Paulsen darf die entsprechenden Ergebnisse einer Umfrage der Körber-Stiftung zum Beginn des „Review-Prozess“ referieren, wonach „sich in den letzten 20 Jahren die Bereitschaft der Deutschen, sich bei internationalen Krisen stärker zu engagieren, halbiert hat“. Demgegenüber habe „sich der Prozentsatz derer verdoppelt, die sagen, Deutschland solle sich in internationalen Krisen eher zurückhalten“. Genau diese Unwilligkeit der Bevölkerung, den von ihren Eliten formulierten Führungsanspruch mitzutragen, nennt Paulsen dann auch „eine Steilvorlage für so einen Prozess wie review 2014, denn es zeigt, wie wichtig es ist, über Außenpolitik zu diskutieren.“ Zum Ende des Projekts hat die Körber Stiftung ihre Umfrage aktualisiert und „nochmal nach der Bereitschaft zum größeren Engagement in internationalen Krisen gefragt, es hat sich gezeigt, dass die Werte stabil geblieben sind, dass sich also in den letzten neun Monaten, bemerkenswerterweise, wie ich finde, angesichts der Krisen in Osteuropa und in der südlichen Nachbarschaft, die wir erleben, wenig verändert hat, das scheint also ein stabiles Meinungsbild in der Bevölkerung zu sein, dass sich nicht innerhalb weniger Monate verändern lässt.“ Aber es soll verändert werden und deshalb soll der „öffentliche Diskussionsprozess“ auch nach dem Ende des Projekts fortgeführt werden. Als besonders wichtige Zielgruppe wurden dabei die „jungen Deutschen“ ausgemacht, bei denen „Überzeugungsarbeit besonders gefragt“ sei. Denn diese seien einerseits „eher weniger interessiert … an außenpolitischen Themen als der Durchschnitt der Bevölkerung aber eher bereit, … sich international zu engagieren. Das war die einzige Altersgruppe, die gesagt hat: Im schlimmsten Fall muss Deutschland etwa bei Völkermord auch eingreifen ohne eine Resolution der Vereinten Nationen.“

Diese Schlussfolgerung macht eigentlich nur Sinn, wenn man unterstellt, dass der Dialogprozess genau darauf abzielt, diejenigen einzubinden, die sich zwar wenig für Außenpolitik interessieren, dem deutschen Führungsanspruch aber gleichgültig bis zustimmend gegenüberstehen. Demgegenüber bleiben diejenigen, die sich für Außenpolitik interessieren und (womöglich deshalb?) ein verstärktes deutsches Engagement kritisch sehen, außen vor und werden im inszenierten öffentlichen Austausch marginalisiert. Falls das die Schlussfolgerung des Projekts ist, dann hat sie Remme für den Deutschlandfunk treffsicher umgesetzt, indem er die Demonstrierenden gegen die Sicherheitskonferenz als „ewig Gestrige“ darstellen lässt und dafür außer den außenpolitischen Eliten nur dümmliche Fragen im Facbook-Talk in die Berichterstattung über den vermeintlichen öffentlichen Austausch einfließen lässt.

Auch diese Fragen dienen jedoch v.a. als Vorlage für einen weiteren O-Ton des Außenministers, der diesen sowohl sympathisch wie souverän wirken lassen soll. Auf die Frage nach „Telefondiplomatie, wie geht das eigentlich?“ antwortet der Minister zum hörbaren Gefallen seiner Zuhörer: „Es ist nicht so, dass man nachts oder kurz vorm Aufstehen sich überlegt, wen könnst’e heute mal anrufen sondern es ist eher umgekehrt, dass man den eigenen Mitarbeitern sagen muss, wen wir heute mal nicht anrufen, weil das nicht ganz so dringend ist, wie denjenigen, den man dringend braucht.“ Damit auch wirklich alle verstehen, was für ein international bedeutender Jetsetter und Diplomat Steinmeier ist, erfahren wir von Remme selbst bereits am Anfang des Beitrages, dass der Minister „lange Flüge für Telefonate [nutzt], mal mit dem russischen, mal mit dem amerikanischen Außenminister“, später wird nochmal unterstrichen, dass Steinmeier „neben der Bundeskanzlerin die zentrale Figur im Ringen mit Moskau“ sei. Letztlich sind es allein diese geradezu anbiedernden Beiträge Remmes aus dem Off, die den Beitrag des Deutschlandfunks von der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums selbst unterschieden und zu Berichterstattung machen – zu Hofberichterstattung, um genau zu sein.