IMI-Standpunkt 2014/060

Plädoyers für eine neue Militärkultur

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 21. Oktober 2014

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Das Papier „Neue Macht, Neue Verantwortung“ stellt die Blaupause für die seit Anfang 2014 seitens der Eliten nassforsch artikulierten neuen deutschen Weltmachtambitionen dar (siehe IMI-Standpunkt 2014/059). Da der Großteil der Bevölkerung aber mit derlei Gelüsten wenig anfangen kann und will, finden sich darin auch Passagen, wie und dass dies der breiten Öffentlichkeit besser schmackhaft gemacht werden soll: „Schließlich wird in Deutschland von Gestaltern wie Experten gern beklagt, es fehle der Gesellschaft an außenpolitischem Verständnis. Aber es liegt an ihnen, das zu ändern. […] Staatliche Außenpolitik muss deshalb lernen, ihre Ziele und Anliegen effektiver zu kommunizieren, um zu überzeugen – die eigenen Bürger ebenso wie die internationale Öffentlichkeit.“

Zwei „Gestalter“ aus den Medien haben sich unlängst diesen Apell zu Eigen gemacht und der Öffentlichkeit mit Verbitterung die Leviten gelesen. Da ist einmal Matthias Geis, der in der Zeit (Nr. 43/2014) lamentiert: „Der deutsche Pazifismus ist inzwischen ausgeprägter als zu Joschka Fischers Zeiten.“ Dabei hätten Joachim Gauck und Konsorten einen so vielversprechenden Neuanfang versucht: „Als der Bundespräsident das Jahr 2014 mit einem außenpolitischen Paukenschlag eröffnete, schien es, als kündige sich darin eine Kurskorrektur an. Unterstützt von Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, forderte Joachim Gauck ein substanzielleres internationales Engagement Deutschlands.“ Doch alles vergebens: „Nein, Deutschland diskutiert nicht über Bodentruppen im brennenden Nahen Osten. Deutschland diskutiert auch sonst nicht über größere militärische Mitverantwortung im internationalen Krisengeschehen. Allenfalls tut es manchmal so. […] Die Bundeswehr ist stahlgewordener Pazifismus. Wer wollte glauben, dass es sich beim Zusammentreffen von politischem Unwillen und technischem Unvermögen um einen bloßen Zufall handelt.“

Ebenfalls starker Tobak ist das zweite, gleich so benannte Plädoyer „Für eine neue Militärkultur!“, das Ulrike Demmer auf Fokus Online (18.10.2014) veröffentlichte. Darin beschwert sie sich zunächst darüber, dass die – angeblich vollkommen unzureichende – Ausrüstung der Bundeswehr es unmöglich mache, den Forderungen von Gauck, von der Leyen und Steinmeier nachzukommen, Deutschland müsse „militärisch mehr Verantwortung in der Welt übernehmen.“ Interessant wird es, wer aus ihrer Sicht Schuld hieran ist: „Wer trägt denn die Verantwortung dafür, dass die Bundeswehr an einen Schrotthaufen erinnert? […] Schuld an der Bundeswehr-Misere trägt eine Nachkriegsgesellschaft, die sich für ihre Soldaten nie interessiert und im Pazifismus bequem eingerichtet hat. […] Die Drückebergerei muss ein Ende haben. […] Drei Dinge müssten sich grundsätzlich ändern:

  • Deutschland darf sich nicht länger hinter den Bündnispartnern verstecken und vor militärischen Einsätzen drücken, die es grundsätzlich für richtig hält.
  • Deutschland braucht eine sicherheitspolitische Strategie.
  • Die Bundeswehr muss in die Mitte der Gesellschaft rücken.“

Das ganze Gejammer dient mutmaßlich einmal mehr dazu, die miserablen Zustimmungswerte für Bundeswehreinsätze zu verbessern und vor allem den Nährboden für weitere Erhöhungen des Militärhaushaltes zu bereiten. Denn keines der aktuellen Plädoyers für eine neue Militärkultur vergisst den Hinweis auf die scheinbar eklatante Unterfinanzierung der Bundeswehr – tatsächlich liegt der Haushalt der Truppe im Jahr 2014 mit offiziell 32,4 Mrd. Euro jedoch etwa fünf Mrd. über dem Sparbeschluss des Jahres 2010 (siehe IMI-Standpunkt 2012/036).