IMI-Standpunkt 2013/060 - in: AUSDRUCK (Dezember 2013)
Forschung in „überwiegend militärischem Interesse“ trotz Zivilklausel?
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 23. Oktober 2013
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Anlässlich der geplanten Einrichtung eines „nach Henry Kissinger benannten Lehrstuhls für Diplomatie, Strategie und transatlantische internationale Beziehungen“ in Bonn, der einen „Beitrag zur Verbreitung des außen- und sicherheitspolitischen Bewusstseins sowie zur Vertiefung des transatlantischen Verhältnisses“ leisten und zu fünf Sechsteln aus dem Verteidigungsetat finanziert werden soll, hat die Grünen-Bundestagsfraktion in einer auch ansonsten lesenswerten Kleinen Anfragen die Bundesregierung gefragt, welche weiteren Hochschulen in Deutschland Drittmittel vom Bundesverteidigungsministerium erhalten. Die Bundesregierung nannte in ihrer Antwort (BT-Drucksache 17/14706) daraufhin insgesamt 26 Hochschulen, von denen sich vier eigentlich mit sog. „Zivilklauseln“ in ihrer Grundordnung auf zivile Forschung festgelegt haben.
Die Mittel, die an die Universitäten fließen, stammen aus vier verschiedenen Haushaltstiteln des Verteidigungsministeriums. „Wehrtechnische Forschung und Technologie“ wird v.a. an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover finanziert, gefolgt von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der TU München, der Universität Rostock, der Universität zu Köln und sechs weiteren. Insgesamt 13 Hochschulen berteiben „wehrmedizinische, wehrpsychologische und sonstige militärische Forschung“, im größten Umfang die Ludwig-Maximilians-Universität München, die TU Dresden und die Charite in Berlin, in kleinerem Umfang u.a. die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die Eberhard Karls Universität Tübingen und die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Neben der Universität Kiel wird nur noch die TU München aus beiden Haushaltstiteln finanziert. Sowohl wehrmedizinische Forschung, als auch Forschung als „Entscheidungshilfe für Planung und Führung“ – so der dritte Haushaltsposten des BMVg, aus dem Drittmittel an Universitäten fließen -, werden an der Sporthochschule Köln vom Verteidigungsministerium finanziert. Diese „Operations Research“ wird sonst nur wiederum an der Universität Hannover und in Leipzig betrieben. Der letzte genannte Haushaltitel ist etwas Sperrig mit „Entwicklung und Erprobung auf den Gebieten des Sanitätsdienstes, des Verpflegungs- und Bekleidungswesens sowie der Unterkunft und des Bauwesens“ überschrieben. Entsprechende Forschung wird an der Technischen Universität Kaiserslautern, der Georg-August-Universität Göttingen und der Universität Konstanz betrieben.
Im vom Bundestag beschlossenen Haushalt für das Jahr 2013 werden die Ziele der geförderten Forschung näher definiert. So kann die wehrtechnische Forschung der „Gewinnung neuer Erkenntnisse in technischen Themenbereichen von militärischem Interesse“, der „Schaffung der technologischen Voraussetzungen für künftige militärische Anwendungen“, der „Erarbeitung von technischen Lösungsalternativen zur Schließung von Fähigkeitslücken“ oder aber – deutlich allgemeiner gehalten – Ausgaben für „Kommunikation und Informationsverarbeitung“ umfassen. Die wehrmedizinische Forschung darf sich auch auf Forschungen in der Pharmazie, der Veterinärmedizin und der Psychologie erstrecken, Voraussetzung ist aber stets, dass an ihnen „ein überwiegend militärisches Interesse besteht“.
Das wirft v.a. hinsichtlich derjenigen Hochschulen Fragen auf, die sich mit unterschiedlich formulierten Zivilklauseln eigentlich verpflichtet haben, keine militärische Forschung zu betreiben. So hat der Senat der Universität Tübingen im Januar 2010 beschlossen, folgende Formulierung in die Präambel ihrer Grundordnung aufzunehmen: „Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.“ Durch die Kleine Anfrage zur Kissinger-Professur wurde nun aber öffentlich, dass die Universität Tübingen im Haushaltsjahr 2013 noch 66.000 Euro für wehrmedizinische Forschung vom Bundesverteidigungsministerium erhalten sollte, an der dementsprechend ein „überwiegend militärisches Interesse“ bestehen muss. Zwar wurde u.a. wegen der in zeitlicher Nähe zur Formulierung der Tübinger Zivilklausel erfolgten Berufung des militär- und regierungsnahen Diplomaten Ischinger und einem von einer Bundeswehrangehörigen gehaltenen Seminar zu Ethnologie beim Militär von Kritikern von Anfang an davon ausgegangen, dass es sich bei dieser Klausel eher um ein Feigenblatt – u.a. für die in Tübingen umfangreich betriebene Forschung zu Künstlicher Intelligenz und Drohnen – handele. Während bei dieser Forschung und Lehre jedoch ein „überwiegendes militärisches Interesse“ nicht eindeutig festzustellen ist, wird es der wehrmedizinischen Forschung in Tübingen im vom Bundestag verabschiedeten Haushalt schwarz auf weiss attestiert. Wie dieses „überwiegend militärische Interesse“ mit der in der Grundordnung erfolgten Festlegung auf „friedliche Zwecken“ in Einklang zu bringen sein sollte, dies wird nun das Rektorat begründen müssen. Wie immer diese Begründung ausfallen mag – das Rektorat könnte sich etwa der von Ischinger häufig vorgebrachten Auffassung anschließen, das gerade Kriege in Form von „Friedenseinsätzen“ selbst friedlichen Zwecken dienen – sie droht die Zivilklausel endgültig jeder Substanz zu berauben – in Tübingen und darüber hinaus.
Denn ähnliche Probleme ergeben sich in Rostock, Göttingen und Konstanz, wo ebenfalls mit Drittmitteln aus dem Verteidigungsministerium geforscht wird, obwohl die betreffenden Universitäten Zivilklauseln haben. Die Universität Rostock etwa hat seit 2011 einen mit Tübingen fast wortgleichen Passus, betreibt aber trotz der Festlegung auf friedliche Zwecke Forschung, die aus dem Haushaltstitel für „wehrtechnische Forschung und Technologie“ finanziert wird.