IMI-Analyse 2012/018

Fusionspläne von EADS und BAE Systems

Der Militärisch-industrielle Komplex der Europäischen Union nimmt Gestalt an

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 17. September 2012

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Auf der Luftfahrtmesse ILA platzte Mitte September 2012 die Bombe: Der deutsch-französische Rüstungsgigant EADS steht in Fusionsverhandlungen mit dem britischen Waffenproduzenten BAE Systems. Wenn „erfolgreich“, würden dadurch der siebtgrößte (EADS: Rüstungsumsatz 2010: $16,36 Mrd.) und der zweitgrößte Rüstungskonzern (BAE Systems: Rüstungsumsatz 2010: $32,88 Mrd.) zum unangefochtenen weltweiten Branchenführer verschmelzen. Die Folgen dieses Deals wären weitreichend: Der im Entstehen begriffene europäische Militärisch-industrielle Komplex würde sich massiv verdichten und dementsprechend auch dessen Fähigkeiten erheblich anwachsen, die Militarisierung der europäischen Politik weiter zu forcieren. Von der konkreten Ausgestaltung hängt derzeit jedoch ab, ob der Deal überhaupt zustande kommen und in welche Richtung genau sich ein solcher Prozess entwickeln wird. Ausschlaggebend wird hierbei die Frage nach der künftigen Machtverteilung im neuen Konzern sein.

Eurochampions im Kampf um den Weltmarkt

Der Hintergrund für die Fusionspläne ist die Auffassung, dass lediglich wenige EU-Superkonzerne künftig in der Lage sein werden, im harten Kampf um die Exportmärkte vor allem gegenüber der Konkurrenz aus den USA bestehen zu können. Die Vereinigten Staaten dienen dabei als Vorbild, da dort bereits in den 1990er nach zahlreichen Fusionen nur noch wenige riesige Rüstungskonzerne übrig blieben. Hieraus erwuchs bereits früh die Sorge, gegenüber der US-Konkurrenz ins Hintertreffen zu geraten: „In Europa kamen Befürchtungen auf, dass Europa wirtschaftlich und technologisch auf lange Sicht nicht mehr mit den USA mithalten könnte.“[1]

Dadurch sah sich wiederum die Politik auf den Plan gerufen, denn eine drohende technologische Abhängigkeit von den USA – oder jeder anderen Großmacht – war für die EU-Staaten ein Alptraum. Schließlich galt und gilt eine unabhängige und starke rüstungsindustrielle Basis gewissermaßen als die Vorbedingung für eine effektive militärgestützte Machtpolitik. Vor diesem Hintergrund formierte sich ein gemeinsames Interesse der Rüstungsindustrie und der Militärpolitik, eine Konzentration des fragmentierten Sektors in die Wege zu leiten: „Europäische Fusionen – die Herausbildung von ‚Eurochampions‘ – weisen einen (Königs-)Weg aus dem Dilemma. Einerseits lässt sich damit sehr viel einfacher um Weltmarktanteile konkurrieren und so die gesunkene (inländische) Nachfrage kompensieren, andererseits besteht die Möglichkeit, die ‚kritische Masse‘ zu erreichen, die eine Übernahme durch die amerikanische Konkurrenz vereitelt oder zumindest enorm erschwert.“[2]

Vor diesem Hintergrund setzte auch in der europäischen Rüstungsindustrie ein Konzentrationsprozess ein, der mit der möglichen Fusion von EADS und BAE Systems nun einen vorläufigen Höhepunkt erreichen könnte. Dabei wurde anfänglich in zwei Schritten vorgegangen: „Die erste Phase der Konsolidierung ab dem Beginn der 1990er Jahre erfolgte zunächst auf nationaler Ebene. Ziel war es dabei, für die erwarteten Unternehmenszusammenschlüsse auf europäischer Ebene ‚Nationale Champions‘ zu schaffen.“[3] Ab 1997 begannen dann aber auch Verhandlungen über eine europaweite „Konsolidierung“, die schließlich im Juli 2000 zum Zusammenschluss von DASA, Aérospatiale-Matra und der spanische CASA zur European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) und damit zur ersten „europäischen Firma“ im Rüstungsbereich führten.[4]

Zuvor war über eine Fusionierung von DASA, British Aerospace (BAE) und Aerospatiale-Matra zur European Defence Aeronautic Company (EADC) verhandelt worden. Diese Pläne zerschlugen sich allerdings, nachdem British Aerospace Anfang 1999 mit GEC-Marconi zum Superkonzern BAE Systems fusionierte: „Obwohl BAE nach dem erfolgten Zusammenschluss weitere Fusionierunsverhandlungen anbot, zog kein anderes Unternehmen mehr eine Fusion in Erwägung, da aufgrund der überragenden Größe der BAE eine britische Dominanz innerhalb einer möglichen Fusion die logische Konsequenz gewesen wäre.“[5] Da hinter der Rüstungspolitik, wie bereits erwähnt, nicht nur ökonomische, sondern vor allem auch (geo-)strategisch-politische Überlegungen stehen, dürfte die Frage einer möglichen Dominanz von BAE Systems auch entscheidend für den „Erfolg“ der neuerlichen Fusionspläne werden.

Fusionshemnisse: Die ungeklärte Machtfrage

Von Anfang an war EADS ein stark politisch motiviertes Projekt: „Wohl kein anderer europäischer Konzern ist derart politisiert – und somit oftmals nicht in der Lage, Entscheidungen nach unternehmerischen Maximen zu treffen. Konkret geht es um Bedenken wegen des möglichen Verlusts nationaler Interessen.“[6] Insofern ist es nicht überraschend, dass zwischen der deutschen und der französischen Seite schnell ein Hauen und Stechen um Einfluss im Konzern einsetzte: „Anders als abgesprochen weigerte sich Paris, seinen Staatsanteil an EADS zu verkaufen. In entscheidenden Fragen musste Daimler stets mit der französischen Regierung verhandeln. ‚Diese Kröte‘, sinnierte Manfred Bischoff [Aufsichtsratsvorsitzender der DaimlerChrysler AG] öffentlich über den französischen Staatseinfluss auf EADS, ‚mussten wir schlucken.‘”[7] Umgekehrt fungiere DaimlerChrysler, so Manfred Bischoff weiter, als  „Sachwalter und Hüter deutscher Interessen.“[8]

Gegenwärtig halten Frankreich und Deutschland mehr oder weniger direkt je 22,5 Prozent an EADS und sichern sich hierüber weitgehende Einflussmöglichkeiten.[9] Allerdings sind große Teile der Konzernführung keineswegs glücklich über die starke politische Mitwirkung, die für die anvisierten Profitmargen als abträglich erachtet wird. Stellvertretend für diese Sichtweise ist vor allem Tom Enders, seit 1. Juni 2012 neuer EADS-Geschäftsführer und treibende Kraft hinter den Fusionsplänen: „Neben den finanziellen Ambitionen hat EADS mit dem Zusammenschluss noch ein weiteres Ziel. Man will die politischen Störfeuer zurückdrängen. Frankreich, Spanien und Deutschland sind teils über Unternehmen als Ankeraktionäre an EADS beteiligt. Nicht selten versuchen die Regierungen, bei den Entscheidungen des Konzerns mitzureden. Das geht vor allem dem seit Juni amtierenden Konzernchef Enders auf die Nerven. Dieser hatte betont, er wolle den Einfluss aus Paris und Berlin zurückdrängen.“[10]

Dies schürt die deutsche Sorge vor Einflussverlusten und erklärt damit auch die anfangs eher lauwarmen Reaktionen aus Berlin: „Hält sich die schwarz-gelbe Bundesregierung ansonsten zumindest offiziell aus den allermeisten Unternehmensentscheidungen zurück, so versucht sie bei EADS erst gar nicht, den Eindruck ordnungspolitischer Enthaltsamkeit zu wahren. EADS ist, auch aus Sicht der Kanzlerin, ein Staatskonzern.“[11] Da ohne Plazet der Bundesregierung kein Fusionsdeal zustande kommen wird, setzte jedoch schnell eine Charmeoffensive ein, um Berlin eine Zustimmung schmackhaft zu machen: „EADS macht der Politik Zugeständnisse für die geplante Megafusion: Für den Zusammenschluss mit dem britischen Rüstungskonzern BAE bietet der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern der Bundesregierung entscheidende Mitspracherechte an. Erstmals soll Deutschland ein Vetorecht erhalten. Dieses Privileg hat bislang nur die französische Regierung. Nach FTD-Informationen aus Branchenkreisen sieht die geplante Satzung von EADS-BAE Systems vor, dass kein einziger Aktionär – ob privat oder staatlich – künftig mehr als 15 Prozent am Konzern halten darf. Andernfalls könnten Deutschland, Frankreich oder Großbritannien widersprechen. Zudem müssen Vorstand und Verwaltungsrat mehrheitlich von EU-Bürgern besetzt sein. Wie es heißt, ist EADS offenbar auch zu einer weitgehenden Arbeitsplatz- und Standortgarantie für die Bundesrepublik bereit. Mit dem Angebot versucht EADS-Konzernchef Thomas Enders, Deutschland von der Megafusion zu überzeugen.“[12]

Hierdurch könnte womöglich dem Interesse der deutschen und französischen Regierung, was jedoch wiederum auf britischer Seite auf wenig Gegenliebe stößt. Auch die Frage, ob die Fusion lediglich die EADS-Rüstungssparte oder den (umsatztechnisch weit größeren) Gesamtkonzern umfassen würde, ist gegenwärtig noch offen. Es bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt (17.09.2012) also noch abzuwarten, ob und in welcher Form die Fusionspläne verwirklich werden; sollte dem jedoch der Fall sein, dürfte dies eine ganze Lawine weiterer Fusionen ins Rollen bringen.

Fusionswelle und Militarisierungsschub

Seit Jahren wird sowohl vonseiten der Industrie als auch der Politik die weitere „Konsolidierung“ des EU-Rüstungssektors vehement gefordert und besagte Fusion könnte sich hier als Stein des Anstoßes erweisen: „Der Zusammenschluss von EADS mit BAE Systems könnte zur Konsolidierung der europäischen Rüstungsbranche führen. Von Rheinmetall bis Dassault: Die Liste der Fusionskandidaten ist lang.“[13] So erhalten derzeit etwa Spekulationen um ein Zusammengehen der beiden deutschen Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall (evtl. noch mit der französischen Nexter) ebenso neue Nahrung, wie Vermutungen, es könnte nun zu einem Zusammenschluss der französischen Rüstungskonzerne Thales und Safran – Nummer elf und sechzehn der weltgrößten Waffenproduzenten – kommen.[14] Auch die schwedische Saab und die italienische Finnmeccanica scheinen sich gegenwärtig nach starken Partnern umzusehen.[15]

Fest steht schon jetzt: Sollte es zur geplanten Fusion von EADS und BAE Systems kommen, so würde dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Militarisierungsschub in der Europäischen Union führen. Auf EU-Ebene würde sich der Militärisch-industrielle Komplex massiv verdichten und seine Fähigkeit, Einfluss auf die Politik zu nehmen, dementsprechend anwachsen. Hinzu kommen die unterschiedlichen bisherigen geschäftlichen Schwerpunkte von BAE Systems mit seiner starken Ausrichtung auf den US-Markt und von EADS, das weniger in den USA und stärker in der EU und in anderen Exportmärkten vertreten ist. Dies deckt sich – weitgehend – mit den politischen Präferenzen der jeweiligen „Heimatländer“, was zur Folge hat, dass die transatlantische Ausrichtung Londons mit einer starken Fixierung auf die NATO ein ums andere Mal mit Paris und Berlin in Konflikt gerät, die ihre Präferenz mehr auf die Militarisierung der Europäischen Union legen.

Dieses Spannungsverhältnis war und ist bislang ein wesentlicher Hemmschuh für die Militarisierung der Europäischen Union, da London hierin stets eine gezielte Schwächung der NATO witterte und deshalb zahlreiche Initiativen in diese Richtung massiv torpedierte – etwa Versuche, der EU-Rüstungsagentur größere Kompetenzen einzuräumen oder ein eigenständiges EU-Hauptquartier aufzubauen. Ein Zusammengehen von BAE Systems und EADS könnte somit auch eine deutlich stärkere Angleichung der nationalen Rüstungs- und Sicherheitspolitiken nach sich ziehen und so bisherige Hürden aus dem Weg räumen. In welche der möglichen Richtungen eine solche Harmonisierung gehen würde, dürfte wesentlich davon abhängen, wie weit die politischen Einflussmöglichkeiten der deutschen und französischen Regierungen schlussendlich gehen werden und ob vor dem Hintergrund unterschiedlicher Präferenzen überhaupt ein Deal zustande kommen wird. Eines ist jedoch sicher: Wird der Weg zur Fusion beschritten, führt er unter Garantie in die grundfalsche Richtung.

Dennoch wird die gegenwärtige Debatte allein entlang möglicher „Effizienzsteigerungen“ und diesen entgegenstehenden Sorgen um den Verlust nationaler Macht- und Einflussmöglichkeiten im Sinne einer militarisierten Globalpolitik geführt. Stattdessen sollte man sich vielmehr darüber Sorgen machen, dass mit der Fusion ein europäischer Militärisch-industrieller Komplex Gestalt annehmen würde, der in seinen Ausmaßen allmählich dem der Vereinigten Staaten ähnelt. Genau in diese Richtung soll die Reise augenscheinlich auch gehen, wie Stefan Zoller, bis vor kurzem noch Chef der EADS-Rüstungstochter Cassidian, bestätigt: „Das Ziel einer wie auch immer konstruierten Konsolidierung der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie muss eine Dimensionierung im Blick haben, die zumindest tendenziell der des US-amerikanischen Marktes entspricht.“[16]

Vor diesem Hintergrund sollte man sich die Warnungen in Erinnerung rufen, die der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede bereits im Januar 1961 mit Blick auf den immer mächtiger werdenden US-MIK formulierte: „Wir in den Regierungsräten müssen uns vor unbefugtem Einfluss – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Das Potential für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiterhin bestehen. Wir dürfen es nie zulassen, dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet.“[17]

Anmerkungen:


[1] Bertges, Florian: Der fragmentierte europäische Verteidigungsmarkt: Sektorenanalyse und Handlungsoptionen, Frankfurt am Main 2009, S. 81.

[2] Heidbrink, Stephan: Die EU-Rüstungsexportpolitik: Gefahr für die globale Sicherheit oder friedenspolitische Chance?, in: Pflüger/Wagner 2006, S. 250-263, S. 253.

[3] Bertges 2009, S. 106.

[4] Vlachos-Dengler, Katia: From National Champions to European Heavyweights: The Development of European Defense Capabilities Across Market Segments, RAND, Santa Monica 2002, S. xiv.

[5] Bertges 2009, S. 109.

[6] Fusionspläne der Rüstungsindustrie: EADS ködert Deutschland, Financial Times Deutschland, 16.09.2012: http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:fusionsplaene-der-ruestungsindustrie-eads-koedert-deutschland/70091465.html

[7] Klappt es im zweiten Anlauf? Handelsblatt, 17.09.2012: http://www.defence-conference.de/news-archiv/klappt-es-im-zweiten-anlauf/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=klappt-es-im-zweiten-anlauf

[8] Ein Spielball politischer Interessen, Welt Online, 04.07.2006.

[9] Angst vor einem neuen Giganten, Frankfurter Rundschau, 13.09.2012: http://www.fr-online.de/wirtschaft/eads-bae-fusion-angst-vor-einem-neuen-giganten,1472780,17247658.html

[10] Fusion von EADS und BAE wühlt Rüstungsmarkt auf, Wall Street Journal, 13.09.2012: http://www.wallstreetjournal.de/article/SB10000872396390444023704577648842280192740.html?mod=WSJDE_latestheadlines

[11] Financial Times Deutschland a.a.O.

[12] Ebd.

[13] Fusion von EADS und BAE löst Dominoeffekt aus, Die Welt, 14.09.2012: http://www.welt.de/wirtschaft/article109233380/Fusion-von-EADS-und-BAE-loest-Dominoeffekt-aus.html

[14] Ebd.

[15] Frankfurter Rundschau a.a.O.

[16] Zoller, Stefan: Konsolidierung des europäischen Sicherheits- und Verteidigungsmarktes und globale Herausforderungen, in: Kaldrack, Gerd F./Pöttering, Hans-Gert (Hg.): Eine einsatzfähige Armee für Europa. Zur Zukunft der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nach Lissabon, Wiesbaden 2011, S. 239-249, S. 240.

[17] Wikipedia: Dwight D. Eisenhower.