IMI-Standpunkt 2012/047
Militarisierung des Denkens und Handelns
Rede von Jürgen Wagner zum Antikriegstag in Stuttgart, 01.09.2012
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 1. September 2012
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner,
es ist ja geradezu symptomatisch für die vielen Versuche, die deutsche Geschichte und den deutschen Militarismus umzudeuten, dass wir diesen Antikriegstag auf einem Stauffenbergplatz begehen.
In diese Versuche reiht sich auch die Antrittsrede von Bundespräsident Joachim Gauck bei der Bundeswehr im Juni 2012 ein – wenn auch in besonders unappetitlicher Weise.
„Die Rede, auf die die Bundeswehr gewartet hat“, titelte „Die Zeit“ und traf damit den Nagel – leider – auf den Kopf.
Gauck: Mit Gewalt Gutes tun
In seiner Rede tat Gauck nichts weniger als aus der deutschen Geschichte nicht eine Verpflichtung zum Frieden, sondern zum Krieg abzuleiten:
„Militärische Gewalt“, so Bundespräsident Gauck, „kann – solange wir in der Welt leben, in der wir leben – eben nicht einer geheilten, sondern in einer tief gespaltenen Welt, […] sinnvoll sein, um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden. […] Deshalb: ‚Ohne uns’ als purer Reflex kann keine Haltung sein, wenn wir unsere Geschichte ernst nehmen.“
Die Bundeswehr müsse „einem ‚gerechten Frieden’ den Weg bahnen“ und in der Lage sein, „friedliche Koexistenz zu schaffen […], dort wo Hass regiert.“
Mit Gewalt Gutes tun? Wie sieht denn die Bilanz der – in Gaucks Worten – „sinnvollen“ jüngsten Kriege aus?
Bilanz der Kriege: Afghanistan
Mehr als zehn Jahre nach dem Einmarsch der westlichen Truppen in Afghanistan ist die Bilanz verheerend.
Die soziale Lage hat sich seither dramatisch verschlechtert, einer der beiden Hauptgründe, weshalb sich mehr und mehr Menschen dem bewaffneten Widerstand anschließen.
Der zweite wichtige Grund sind die zahlreichen Zivilisten, die dem Krieg zum Opfer fallen. Nach offiziellen Angaben waren es bislang über 15.000, die tatsächliche Zahl dürfte aufgrund der hohen Dunkelziffer weit höher liegen.
Einer der hierfür verantwortlichen Täter ist der deutsche Oberst Georg Klein. Er war es, der die Luftschläge anordnete, die am 4. September 2009, also fast genau vor drei Jahren, zum Massaker von Kunduz führten, bei dem 142 Menschen, darunter viele Kinder, getötet oder verletzt wurden.
Anstatt für diese Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, soll Georg Klein nun auch noch belohnt werden: seine Beförderung zum General ist bereits beschlossene Sache, wie kürzlich bekannt wurde.
Was den Krieg selbst anbelangt, müssen wir als Friedens- und Antikriegsbewegung nun vor allem zwei Behauptungen als das enttarnen was sie sind, dreiste Lügen:
Einmal, dass der Krieg am Abflauen wäre. Das ist falsch! Im Gegenteil, die Intensität der Auseinandersetzungen hat im letzten Jahr weiter zugenommen – nur wird das Gros der Kampfhandlungen mittlerweile „innerafghanisch“ zwischen Widerstands- und Regierungstruppen ausgetragen, während westliche Militärs gewissermaßen beaufsichtigend danebenstehen.
Die zweite Lüge ist, dass der Krieg 2014 beendet wäre. Auch das ist eine gewaltige Nebelkerze. Richtig ist, dass während einer sog. „Transformationsdekade“ mindestens bis 2024 weiter westliche Truppen dafür sorgen sollen, dass die Dinge im Land nicht aus dem Ruder laufen. Der Umfang dieser, ich nenne sie einmal „Restbesatzung“ ist erheblich: die Rede ist zumeist von 20-25.000 Soldaten.
Der Krieg wird also, wenn auch in anderer Form, weitergehen – und ebenso müssen wir hiergegen weiter Widerstand leisten.
Nach über zehn Jahren hat allein Deutschland über 20 Mrd. Euro für den Krieg ausgebeben. Bei den USA sind es offiziell mehr als 550 Mrd. Dollar.
Das Ergebnis dieser enormen Anstrengungen sind unzählige Tote, ein zerstörtes Land und ein unbändiger Hass auf den Westen. Wenn der Krieg also eins gezeigt hat, dann dass Gewalt keine Lösung ist!
Dies zeigt sich etwa auch in Libyen, das nun nach der NATO-Intervention des letzten Jahres in Gewalt und Chaos versinkt – ohne aber, dass dies hierzulande noch irgendjemanden zu interessieren scheint.
Dies sollte all denen eine Warnung sein, die schon nach der nächsten Intervention schreien – nämlich in Syrien.
Syrien: Militarisierung der Proteste
Um es deutlich zu sagen: Die repressive Herrschaft des syrischen Machthabers Bashar al-Assad kann man nur kritisieren. Es ist deshalb nur allzu verständlich, dass viele Menschen anfangs überwiegend friedlich gegen ihn auf die Straße gegangen sind.
Die vom Westen geförderte und unmittelbar einsetzende Aufrüstung der Opposition hat nun aber vor allem zu einem geführt: Zur Marginalisierung der gewaltfreien progressiven Kräfte im Widerstand und der Militarisierung der Proteste. Dies hatte zur Folge, dass das Land nun in einen Bürgerkrieg mit unzähligen Toten geschlittert ist.
Trotzdem wird nun in Deutschland teils wortgewaltig eine Beteiligung an einer Militärintervention gefordert.
So forderte etwa Markus Kaim von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“: „Bundestag und Bundesregierung sollten sich darauf vorbereiten, dass die Frage einer deutschen Beteiligung an einem internationalen Militärengagement in Syrien von Partnerländern innerhalb wie außerhalb der NATO an sie herangetragen werden könnte […]. Ein schlichtes ‘Ohne uns‘ würde die moralische Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik massiv unterminieren und die Partner der Bundesrepublik (erneut) fragen lassen, welche Lasten Deutschland denn in der internationalen Politik zu schultern bereit sei.“
Um „Moral“ geht es hierbei allerdings keineswegs, wie ein überraschend deutlicher FAZ-Artikel über die geostrategischen Hintergründe des Konfliktes untermauert:
„Man kann nur staunen über das Ausmaß an fast schon sträflicher Naivität oder auch nur schlichter Ignoranz, das viele Beurteiler der Syrien-Krise an den Tag legen, vor allem, wenn es darum geht, die Hintergründe für das zähe Tauziehen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zwischen Amerika und den westlichen Mächten einerseits, Russland und China andererseits aufzuhellen. Folgt man der Darstellung des Konflikts in weiten Teilen der westlichen Welt, dann scheint es sich lediglich um die Frage zu handeln, ob es gelingt, die syrische Bevölkerung von einem blutigen Diktator zu befreien. […] Der aktuelle Konflikt um ein Eingreifen oder Nicht-Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg ist deshalb so brisant, weil sich in dieser Frage der Gegensatz zwischen zwei radikal unterschiedlichen geostrategischen und weltpolitischen Konzeptionen manifestiert. Den Amerikanern und der westlichen Seite geht es nicht oder nicht vorrangig darum, der bedauernswerten syrischen Bevölkerung zu helfen, sondern um Einflussnahme auf die Neugestaltung des Landes nach einem voraussichtlichen Sturz des derzeitigen Regimes, obwohl man mit diesem bisher stets gut zusammenarbeiten konnte.“
Schlimmstenfalls dient ein Angriff auf Syrien sogar der Vorbereitung für einen Krieg gegen den Iran – die möglichen katastrophalen Folgen dessen, mag man sich überhaupt nicht ausmalen.
Und ausgerechnet in diese Krisenregion will die Bundesregierung mit den Panzerlieferungen nach Saudi Arabien und nach Katar auch noch weiter Öl ins Feuer gießen.
Rüstungsexporte: Merkel-Doktrin – Öl ins Feuer:
Die EU-Staaten können auch für das Jahr 2011 zum wiederholten Mal den zweifelhaften Erfolg für sich beanspruchen, noch vor den USA Rüstungsexportweltmeister zu sein.
Allein Deutschland belegt Platz drei im weltweiten Ranking. „Der dritte Platz ist eine Schande“, titelte die Berliner Zeitung und dem wäre eigentlich wenig hinzuzufügen.
Allerdings sollen die deutschen Rüstungsexporte mit der sog. Merkel-Doktrin noch weiter erhöht werden.
Denn künftig will man an „strategisch wichtige Partner“ Militärgüter an jeglicher Prüfung vorbei und unabhängig von der Demokratie- und Menschenrechtslage verschicken können.
Die skandalösen Panzerlieferungen an Saudi Arabien und Katar sind deshalb nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.
Begründet wird die Notwendigkeit von Rüstungsexporten vor allem wegen einer angeblich sinkenden Inlandsnachfrage. Sie sei die Folge scheinbar „drastischer“ Kürzungen durch die Reform der Bundeswehr – das ist mit die dreistete Lüge, die ich seit langem gehört habe.
Sparzwang-Lüge Bundeswehr-Reform
Ursprünglich hätte die Bundeswehr tatsächlich einmal sparen sollen: Insgesamt bis 2014 nämlich 8,3 Mrd. bei einer Absenkung des Etats auf 27,6 Mrd. Euro. Das wäre zwar lediglich das Niveau von 2006 gewesen, aber immerhin.
Dieser Sparbeschluss wurde aber inzwischen wieder einkassiert. Nach den neuen Planungen wird der Rüstungsetat im Jahr 2016 sogar 32,5 Mrd. Euro betragen – 5 Mrd. Euro mehr als ursprünglich vorgesehen.
Während also überall die Axt an den Sozialleistungen angelegt wird, gönnt man der Bundeswehr einen kräftigen Schluck aus der Finanzpulle – zugunsten der Profitinteressen der Rüstungskonzerne und den Machtambitionen der deutschen Regierung.
Tatsächlich geht es bei der Bundeswehr-Reform keineswegs ums Sparen, sondern darum, die Truppe „effizienter“, sprich: kriegsfähiger zu machen.
Der Kernpunkt ist, dass die Zahl der Soldaten, die in Auslandskriegseinsätze geschickt werden können, erhöht werden soll.
Aus diesem Grund wurde auch die Wehrpflicht abgeschafft, da Wehpflichtige nicht ins Ausland entsendet werden dürfen.
Und hier liegt auch der Grund für die massive Werbekampagne der Bundeswehr, die vor allem durch die verstärkte Präsenz an Schulen und Hochschulen versuchen will, an neue Rekruten zu gelangen.
Uniformen haben an unseren Bildungseinrichtungen nichts zu suchen! Es ist dringend nötig, dass wir diese Militarisierung unserer Gesellschaft verhindern. Deshalb ist es wichtig, sich breit an der bundesweiten Aktionswoche gegen die Bundeswehr in Schulen und Hochschulen vom 24.-29. September 2012 zu beteiligen.
Auch hier in Stuttgart werden hierzu viele Aktionen stattfinden!
Ganz grundsätzlich müssen wir versuchen, Krieg und Militarisierung vor Ort sichtbar zu machen.
Hierfür bieten sich viele Möglichkeiten: Wir von der Informationsstelle Militarisierung haben hierfür einen Rüstungsatlas Baden-Württemberg erstellt, in dem sich ein ausführliches Städte- und Firmenverzeichnis findet, das dabei helfen soll, lokal Protest gegen Militarisierung und Krieg zu mobilisieren.
Auch Stuttgart findet sich hier mit verschiedenen Einrichtungen – etwa dem AFRICOM oder EUCOM – und Firmen u.a. natürlich Daimler.
Mut-Bürger in Uniform?
Apropos Stuttgart, ich habe mit der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck begonnen und ich möchte mit ihr abschließen.
In seiner Rede beklagte er die mangelnde Unterstützung der Bundeswehr in der Bevölkerung. Sie sei das Ergebnis von „Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit oder auch Hedonismus.“
Er beklagte mit Blick auf Jugendliche einen mangelnden „Patriotismus“ und „Heimatliebe“, wobei Soldaten die positive Ausnahme seien. Gauck schloss seine Ausführungen mit der Aussage, aufgrund ihrer „Bereitschaft zur Hingabe“ seien Soldaten eigentlich „Mut-Bürger in Uniform“.
Es raubt einem den Atmen, wenn man solche Sätze hören muss. Und es wird einem Angst und Bange, dass diese „patriotischen“, „heimatliebenden“, „hingebungsvollen“ Soldaten seit dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auch für zu Militäreinsätze im Inland verwendet werden können. Und zwar im schlimmsten Fall auch gegen all diejenigen, die solchen Werten deutlich skeptischer gegenüberstehen.
„Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen“, sagte Reinhard Gaier, der das Urteil als einziger Verfassungsrichter abgelehnt hat.
Das Urteil sei ein vernichtender Schlag gegen das Grundgesetz, so Gaier weiter: „Das Grundgesetz ist auch eine Absage an den deutschen Militarismus, der Ursache für die unvorstellbaren Schrecken und das millionenfache Sterben in zwei Weltkriegen war.“
„Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ – heute darf und kann man solche und andere Dinge scheinbar wieder offen aussprechen.
Unlängst schrieb etwa Alexander Gauland (Der Tagesspiegel, 23.07.2012), ehemaliger hessischer CDU-Staatsekretär und langjähriger Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung: „Die Deutschen haben ein gestörtes Verhältnis zur militärischen Gewalt. Sie betrachten sie nicht als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln im Sinne von Clausewitz, sondern als das schlechthin Böse und Falsche, als ein Mittel, aus dem nie und unter keinen Umständen Brauchbares entstehen könne. […] Statt […] immer von Neuem die pazifistische Melodie zu singen, wäre es klug, eine politische zu intonieren, weil eben militärische Gewalt […] nicht an sich schlecht, sondern nur als falsche Politik schlecht ist. Das aber setzt voraus, dass die Deutschen wieder eine Tatsache der Weltgeschichte akzeptieren lernen, die Bismarck in seiner ersten Regierungserklärung als preußischer Ministerpräsident 1862 in die berühmten Worte fasste: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.‘“
Von Gauck bis Gauland und wie sie alle heißen: es ist deren nassforsche Militarisierung des Denkens und Handelns, wogegen wir hier und heute mit aller Schärfe protestieren.
Vielen Dank! (es gilt das gesprochene Wort)