IMI-Standpunkt 2011/044 in: AUSDRUCK (Oktober 2011)

Keine Truppen nach Libyen: Nicht aus Afrika und schon gar nicht aus Deutschland!


von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 30. August 2011

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Zwar scheinen die gegen den bisherigen libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi kämpfenden Truppen mit tatkräftiger Unterstützung der NATO gegenwärtig die Oberhand zu gewinnen, dass damit der Konflikt aber bald beendet wäre, ist mehr als zweifelhaft. So hat die NATO bereits offiziell angekündigt, ihren militärischen „Schutz“ von Zivilisten auch nach einem Sturz Gaddafis fortsetzen zu wollen. Aus diesem Grund ist in den letzten Tagen die Diskussion um die Entsendung einer „Stabilisierungstruppe“ zur Absicherung des Regimewechsels in Libyen auf Hochtouren in Gang gekommen. Auch eine deutsche Beteiligung daran steht im Raum. Gleichzeitig gibt es Debatten um die Entsendung einer „Stabilisierungstruppe“ durch die Afrikanische Union.

Deutsche an die (Interessens-)Front

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat in diesem Zusammenhang bereits eine Entsendung von Bundeswehr-Soldaten ins Spiel gebracht, die von seinem Parlamentarischen Staatssekretär, Christian Schmidt, weiter konkretisiert wurde. Interessant ist dessen Begründung, die offenlegt, dass einer etwaigen Stationierung von Bundeswehreinheiten keineswegs selbstlose Motive zugrunde liegen würden: „Es kann sein, wenn die Vereinten Nationen, die EU oder die NATO das für notwendig halten, dass man zu Stabilisierungshilfe auch mit militärischen Elementen aufgefordert wird. Natürlich würden wir dann im Rahmen unserer eigenen Interessen und unserer internationalen Verantwortung nicht abseitsstehen können.”

Was unter diesen Interessen zu verstehen ist, geht aus den Aussagen von Abdeljalil Mayouf von der Agoco Oil Company hervor, die von den Rebellen ins Leben gerufen wurde. Gegenwärtig stehen zahlreiche Ölfirmen in den Startlöchern, um sich am libyschen Öl zu bereichern. Mayouf macht dabei keinen Hehl daraus, welche Konzerne nun zum Zuge kommen und welche außen vor bleiben werden: „Wir haben kein Problem mit westlichen Ländern, mit italienischen, französischen und britischen Firmen. Aber wir haben möglicherweise einige politische Streitigkeiten mit Russland, China und Brasilien.“

Mit anderen Worten, die Länder, die eine Unterstützung der NATO-Intervention abgelehnt haben, brauchen jetzt nicht glauben, Geschäfte mit den neuen Machthabern machen zu können. Umgekehrt gilt, wer mitbombte, soll auch ausreichend die Ernte einfahren. Auffällig ist, dass dabei Deutschland keine Erwähnung findet, es gilt offensichtlich als Wackelkandidat, der gegenwärtig noch keinem der beiden Lager eindeutig zuzuordnen ist. Zahlreiche deutsche Konzerne sind bereits seit Längerem in Libyen aktiv (etwa die BASF-Tochter Wintershall, die im libyschen Ölgeschäft engagiert ist), sie werden sicher von der Bundesregierung erwarten, für den Fortbestand ihrer Profite Sorge zu tragen. Andere Firmen wittern durch die veränderte Situation Morgenluft und sehen nun Chancen, neu ins dortige Geschäft einsteigen zu können. So äußerte sich etwa Ulrich Ackermann, Leiter der Abteilung Außenwirtschaft beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, am 22. August gegenüber dem Deutschlandfunk: „Der Anteil unserer Exporte im Maschinenbau, was in die Öl- und Gasindustrie ging, war ungefähr 25%, d.h. 75% ging eh schon in andere Bereiche. Insbesondere Bauindustrie war ein sehr spannendes Thema, aber auch alles was mit Nahrungsmitteln und Verpackung zu tun hat, war ein sehr spannendes Thema. Also es ist durchaus denkbar, dass wir uns wesentlich breiter aufstellen können, insbesondere dann, wenn sich jetzt auch eine Privatwirtschaft in Libyen entwickelt, die dann auch entsprechend investiert. Deutschland hat den Vorteil, wir sind kolonial – in Anführungsstrichen – nicht vorbelastet, wie es zum Beispiel die Italiener sind, die immer noch heute die wichtigsten Lieferanten sind und wir sind eigentlich gern gesehene Partner in Libyen, d.h. wir versprechen uns durchaus jetzt nach der Wende und der neuen Orientierung eine wesentliche Verbesserung des Geschäftes.“

Somit dürften die interessierten Konzerne sicher Druck ausüben, dass sich auch Deutschland an einer „Friedenstruppe“ und dem bereits mehrfach angebotenen Aufbau neuer libyscher Polizei- und Streitkräfte beteiligt. Denn einen Anteil an der Beute erhält offensichtlich nur, wer sich dies mit militärischer Gewalt „verdient“ hat.

Zugleich zeichnet sich ab, dass westliche Truppenentsendungen, wenn überhaupt, nur im Paket mit einer wahrscheinlich offiziell von der Afrikanischen Union (AU) geführten Truppe mit UN-Mandat erfolgen würden. Es werde „keine reine Nato-Aktion” geben, so Christian Schmidt, „die arabische und nordafrikanische Nachbarschaft” sei hier vor allem gefragt. Aus friedenspolitischer Sicht kann auch eine solche Option keinesfalls begrüßt werden.

Friedensbewegtes Krisenmanagement?

Ebenfalls am 22. August 2011 veröffentlichte der Bundesausschuss Friedensratschlag eine Pressemitteilung, die fast wortgleich am folgenden Tag unter dem Titel “Verlierer ist die UNO” in der jungen Welt erschien. Die Pressemitteilung kritisiert richtigerweise scharf den NATO-Angriffskrieg gegen Libyen und benennt auch die ihm zugrunde liegenden ökonomischen und strategischen Interessen. Darüber hinaus wird aber am Ende der Pressemitteilung wie im Artikel gefordert, dass „neutrale Blauhelme der Afrikanischen Union ins Land gelassen werden, die über eine Waffenruhe wachen sollen“. Eine solche Forderung von Seiten der Friedensbewegung ist hochproblematisch.

Ihr liegt zunächst die ganz grundsätzliche Annahme zugrunde, dass Soldaten prinzipiell die Bevölkerung eines anderen Landes vor weiterem Leid schützen könnten und nicht etwa weiteres Leid über die Bevölkerung bringen würden. Für diese Annahme gibt es jenseits einer in mehrfacher Hinsicht singulären Konstellation keinerlei historische Evidenz und keinen Anlass. Zugleich ist diese Annahme geeignet, die Existenz stehender Heere und die diese kontrollierenden und unterhaltenden politischen und wirtschaftlichen Strukturen zu legitimieren. Dennoch muss man sich solidarisch mit solchen Positionen auseinandersetzen, welche den Einsatz der Streitkräfte im Einzelfall und unter genau bestimmten Voraussetzungen für wünschenswert halten.

Als Voraussetzung wird in der Presseerklärung des Friedensratschlags die „Neutralität“ genannt, nicht einmal aber eine Mandatierung nach Kapitel sechs der UN-Charta gefordert. Zugleich wurden die Begriffe „neutral“ und „Waffenstillstand“ irreführend gewählt, denn zur Voraussetzung dieses „Waffenstillstandes“ und damit auch eines AU-Einsatzes wurde die völlige militärische Niederlage und die Ersetzung des alten durch ein neues Regime gemacht. Unter diesen Umständen kann eine solche angedachte AU-Truppe nicht „neutral“ sein, womit auch die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Kapitel-VI-Einsatz fehlen.

Die hinter dieser Forderung stehende Idee ist womöglich, dass die AU Position gegen ein NATO-Engagement und damit auch implizit für Gaddafi bezogen hatte und im Rahmen des Libyenkrieges politisch marginalisiert wurde. Eine führende Rolle der AU könne nun als „Ausgleich“ dienen und die politische Rolle der AU stärken. Das ist eine Fehlannahme: Die AU ist finanziell, logistisch und im Bereich der Führung nicht fähig, einen solchen Einsatz eigenständig durchzuführen und wäre in diesen Bereichen auf die Unterstützung zumindest der EU und damit auch einiger am NATO-Angriff beteiligter Staaten angewiesen. Dies alleine verhindert „Neutralität“ bereits im formalen Sinne. Zudem handelt es sich auch hier absehbar um ein „unmögliches Mandat”, bei dem der „Schutz“ der Zivilbevölkerung nach einem einseitig erzwungenen „Waffenstillstand“ im Kontext eskalierender Kämpfe um die zukünftige Kontrolle der Reichtümer militärisch gewährleistet werden soll. Das absehbare Scheitern dieses Einsatzes würde die Legitimität der AU untergraben.

Auch würde ein solcher AU-Militäreinsatz der Organisation keineswegs zu mehr Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit verhelfen, sich die AU als zukünftiges politisch-militärisches Gegengewicht zum „Westen“ zu imaginieren, ist gefährlich. Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit kann die AU nur dadurch gewinnen, dass sie sich einer weiteren Instrumentalisierung und Militarisierung entgegensetzt und stattdessen auf nicht-militärische Methoden der Vermittlung und v.a. der Beseitigung von Konfliktursachen setzt. Entsprechende Ansätze wurden in den letzten Jahren und Monaten (gerade unter dem Eindruck der Regime-Changes in Libyen und Côte d’Ivoire) verstärkt entwickelt, sie drohen durch solch einen Einsatz konterkariert zu werden.

Nicht zuletzt und zusammenfassend ist diese Forderung nach einer UN-mandatierten Truppe der AU abzulehnen, da sie westlichen Vorstellungen internationalen “Krisenmanagements” völlig entgegenkommt. NATO und/oder EU intervenieren, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Die Folgen dieser Intervention sollen dann in der Fläche die „Boots on the Ground“ von UN und AU sowie die humanitären UN-Organisationen eindämmen, während EU und NATO (dadurch in den Deckmantel der „internationalen Gemeinschaft“ gehüllt) eine neue Regierung zusammenzimmern, mit wenigen Experten eine neue Armee und Polizei aufbauen und gegebenenfalls neuralgische Punkte (Greenzones in Bengasi und Tripolis, Ölhäfen) und das Mittelmeer durch Battlegroups und ähnliche spezialisierte, kleine Verbände sichern. Exakt so sehen die Pläne der westlichen Regierungen für Libyens Zukunft aus. Exakt so wurde in der Vergangenheit die UN delegitimiert und ruiniert. Nun müssen neue Truppensteller her, die vorübergehend als „neutral“ gelten können und nun ist die AU an der Reihe, delegitimiert und als politisches Gegengewicht neutralisiert zu werden. Bis in zehn Jahren wird die nächste subregionale Organisation aus der Taufe gehoben werden, die „neutral“ die Truppen des globalen Krisenmanagements stellt, Soldaten, die von USA und EU ausgebildet, unmögliche Mandate nicht erfüllend sterben und töten, um westliches, neoliberales Statebuilding zu flankieren. Dies ist nicht und darf nicht die Vision der Friedensbewegung sein!