IMI-Analyse 2011/028- in: AUSDRUCK (August 2011)
„Peacekeeping“ – Vorwand zur Aufrüstung Afrikas
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 14. Juli 2011
https://www.imi-online.de/download/04aug2011_marischka.pdf
Patrouillenboote als Demokratisierungshilfe?
Bereits im kürzlich veröffentlichten „Afrika-Konzept“ der Bundesregierung wurden „[d]ie die Akkreditierung von Verteidigungsattachés, bilaterale Kooperationen, die Entsendung von Militärberaterinnen und -beratern, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe … die Teilnahme an militärischen Übungen oder eine im Einzelfall zu entscheidende militärische Unterstützung humanitärer Hilfe“ als „Beitrag zur Entwicklung demokratisch orientierter Streitkräfte in Afrika“ begründet.[1] Diese sollen dazu beitragen, „afrikanische Lösungsansätze“ für die Probleme des Kontinents zu fördern. Den bei ihrem Besuch in Angola nun in Aussicht gestellten Verkauf von sechs bis acht Patrouillenbooten begründete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel u.a. mit dem „erklärte[n] Ziel, die oft aus Bürgerkriegen stammenden afrikanischen Armeen besser auszubilden, damit sie künftig mehr UN-geführte Sicherheitsmissionen auf ihrem Kontinent übernehmen könnten“. Reuters zitierte sie hierzu mit den Worten: „wir sind froh, wenn wir solche Einsätze nicht mit Europäern alleine machen müssen. Und Afrika will hier etwas tun.“[2]
Tatsächlich handelt es sich bei der weiteren Militarisierung des globalen Süden und insbesondere Afrikas um eine erklärte Strategie der G8-Staaten. Diese verabschiedeten bei ihrem Gipfel 2004 in Sea Island einen „Aktionsplan“ mit dem Ziel, „die globalen Fähigkeiten, die zur Friedensunterstützung bereitstehen, zu vergrößern“. Im Rahmen der hieraus hervorgegangenen „Global Peace Operations Initiative“ (GPOI) sollten zunächst 75.000 Soldaten – überwiegend aus Afrika – von den USA für „Peacekeeping“-Einsätze ausgebildet und ausgerüstet werden. Bereits im Juli 2009 war dieses Ziel mit der Ausbildung und Ausrüstung von 81.000 Soldaten aus 56 Staaten mehr als erreicht,[3] im Oktober 2010 waren es bereits 140.000 Soldaten.[4] Die Kosten, die sich hierfür für den US-Haushalt ergaben, beliefen sich alleine in den ersten 3 Jahren auf 374 Mio. US$, die jedoch überwiegend an US-amerikanische PMCs (Privat Military Companies) und die heimische Rüstungsindustrie zurückflossen.[5]
Gleichzeitig hierzu wurden, ebenfalls im Rahmen der G8-Initiative, am „Center of Excellence for Stability Police Units (CoESPU)“ im italienischen Vicenza 3.000 Polizeiausbilder aus Drittstaaten von Carabinieri fortgebildet, um in ihren Heimatländern robuste Polizeieinheiten nach dem Vorbild der „European Gendarmerie Force“ aufzubauen. Unterstützt werden sie dabei von „Mobile Assistance Teams” (MATs), welche die Länder des globalen Südens auf der Suche nach Polizeikräften, die zu Gendarmen für „internationale Friedenseinsätze“ aufgerüstet werden könnten, bereisen. Die Ausbildung von Gendarmeriekräften in Vicenza konzentrierte sich zunächst auf Ausbilder aus Indien, Jordanien, Kenia, Marokko, Senegal und Kamerun,[6] die ersten MATs wurden nach Indien, Jordanien, Kenia, Kamerun und Senegal entsandt.[7]
Militarisierung durch Peacekeeping: das Beispiel Sudan
Die Aufrüstung des globalen Südens durch die G8-Staaten beschränkt sich jedoch bei weitem nicht nur auf die Initiative von Sea Island, sie erfolgt darüber hinaus etwa im Rahmen der EU-Strategie für Afrika und auch im Rahmen konkreter „Peacekeeping“-Operationen. So wird die AMISOM in Somalia flankiert von zahlreichen Maßnahmen zur Aus- und Fortbildung der eingesetzten „Peackeeper“ aus Uganda und Burundi einerseits sowie der Soldaten der so genannten „föderalen Übergangsregierung“ (Transitional Federal Government, TFG) andererseits, die demokratisch in keiner Weise legitimiert ist und bei der es sich faktisch um einen Zusammenschluss von Warlords handelt.[8] Auch die UN-Missionen im Sudan begründen und beinhalten umfangreiche Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramme für Polizeikräfte und Soldaten aus dem globalen Süden. So hieß es im Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der UNAMID-Operation in Darfur:
„Auf Bitten der Vereinten Nationen und von UNAMID hat zudem die Bundeswehr im August 2010 auf Grundlage des an der Führungsakademie der Bundeswehr durchgeführten ‚United Nations Staff Officer Course‘ im Hauptquartier von UNAMID in El Fasher Stabsoffiziere aus vorwiegend afrikanischen Herkunftsländern für ihre Tätigkeit ausgebildet. Aufgrund des großen Erfolges wurde die Ausbildung für UNAMID im vergangenen Dezember wiederholt, dieses Mal in Zusammenarbeit mit USAFRICOM (United States Africa Command) in der logistischen Basis der Vereinten Nationen in Entebbe/Uganda.“[9]
Neben der unmittelbaren Ausbildung im Rahmen der UNAMID dient der Darfur-Konflikt jedoch auch als Anlass, weitere Drittstaaten mit Geldern aus dem Auswärtigen Amt und Unterstützung durch das Innenministerium bei der Ausbildung und Ausrüstung ihrer Sicherheitskräfte zu unterstützen. So heißt es weiter in der Begründung zur Verlängerung des deutschen UNAMID-Mandates:
„Zusätzlich zu den deutschen militärischen und polizeilichen Beiträgen zu UNAMID fördert die Bundesregierung Projekte zur Unterstützung der Arbeit von UNAMID. So unterstützt die Bundesregierung gezielt afrikanische Staaten, die Polizeikräfte bei UNAMID stellen, um zur Schließung der weiterhin vorhandenen Lücken bei gut ausgerüsteten und ausgebildeten Polizeieinheiten beizutragen und die afrikanischen Fähigkeiten zur Durchführung von Friedensmissionen zu stärken. So hat das Auswärtige Amt beispielsweise eine senegalesische Polizeieinheit für den Einsatz bei UNAMID ausgestattet (Volumen der Leistungen: ca. 4,1 Mio. Euro). Das Auswärtige Amt setzt auch die Vorbereitung afrikanischer Polizisten für Einsätze bei UNAMID am „Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre“ (KAIPTC) in Accra fort (Volumen 2011: ca. 700 000 Euro). Insgesamt 300 Polizisten aus Ghana, Nigeria, Senegal und Sierra Leone werden 2011 am KAIPTC trainiert.“[10]
Nebenwirkungen, Repression und Bürgerkrieg
Ganz unabhängig davon, wie man zum UN-“Peacekeeping“ generell und zu den einzelnen Einsätzen in Haiti, Kongo, Sudan, Somalia usw. stehen mag, muss man zur Kenntnis nehmen, dass hier Polizei- und Militärkräfte für Staaten ausgebildet werden, die nicht ganz als lupenreine Demokratien gelten. Erinnert sei hier nur an die Räumung von Slums in Indien, die schweren Unruhen nach den Wahlfälschungen in Kenia 2007, die völkerrechtswidrige Besatzung der Westsahara durch Marokko usw., bei denen die in Europa ausgebildeten „Sicherheitskräfte“ zum Einsatz gekommen sein könnten. Denn auch wenn ihre Ausbildung vorrangig ihren Einsatz in Drittstaaten ermöglichen soll, so ist deren Einsatz gegen die heimische Opposition damit keineswegs ausgeschlossen. Über die am COESPU ausgebildeten Trainer sind keine genaueren Statistiken verfügbar, von den bis 2008 durch die USA ausgebildeten und ausgerüsteten 39.518 Soldaten waren zu diesem Zeitpunkt lediglich gut die Hälfte in Drittstaaten – darunter auch Afghanistan – im Einsatz, 17.522 von ihnen versahen ihren Dienst im Heimatland.[11]
Wie problematisch Polizeihilfe und Rüstungsexporte an autoritäre Regime sind, wurde u.a. im Zuge der Aufstände und Demokratiebewegungen in Nordafrika kurzfristig thematisiert. Deutsche BKA-Beamte hatten ägyptische Sicherheitskräfte für die „Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ im Internet ausgebildet, Ägypten, Algerien, Tunesien, Jordanien und dem Jemen wurde „Ausstattungshilfe in Form von Führungs- und Einsatzmitteln, Kriminaltechnik, Kraftfahrzeugen sowie IT-Technik und Büroausstattung“ kostenlos zur Verfügung gestellt[12] und Störsender nach Libyen verkauft. Bahrain erhielt noch im Jahre 2009 „Waffen im Wert von 2.034.770 Euro … darunter Maschinenpistolen und Munition“,[13] die Anfang Juli in Aussicht gestellte Lieferung von 200 für die Aufstandbekämpfung optimierten Leopard 2A7+ Kampfpanzern musste als nachträgliche Zustimmung zum gewaltsamen Einmarsch Saudi Arabiens in Bahrain verstanden werden. Im Jemen war noch zu Anfang des Jahres eine Beratergruppe der Bundeswehr aktiv und koordinierte die militärische Ausstattungshilfe, bis „die derzeitige innenpolitische Lage in Jemen … einen Abzug der Beratergruppe und damit auch eine Unterbrechung der Kooperation mit der Küstenwache“ erforderlich machte.[14]
Von Darfur nach Dakar: Deutsche Polizeiausrüstung
Eine vergleichbare Beratergruppe ist bis heute im Senegal aktiv. Neben der Koordination der deutschen Ausbildungs- und Ausstattungshilfe soll auch sie nach Angaben der deutschen Botschaft in Dakar „Unterstützung der senegalesischen Streitkräfte im Bereich der Friedenserhaltung und der Entwicklung durch Fortbildung und Fachkräfteverstärkung“ leisten.[15]
Womöglich wird bald auch diese Beratergruppe demnächst abgezogen werden, denn in der senegalesischen Hauptstadt Dakar kam es Ende Juni zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demostranten, „bei denen zahlreiche Menschen teils schwer verletzt wurden.“ Der bekannte Menschenrechtsaktivist Alioune Tine wurde während der Proteste bewusstlos ins Krankenhaus gebracht.[16] Anlass der Massenproteste war der Versuch des amtierenden Präsidenten, Abdoulaye Wade, seine Wiederwahl bei den für Februar 2012 geplanten Wahlen durch eine Verfassungsänderung abzusichern. Demnach sollten bei der kommenden Wahl 25% der Stimmen im ersten Wahlgang reichen, um ihn im Amt zu bestätigen. Zwar rückte er nach den Protesten zunächst von der konkreten Verfassungsänderung ab, hält aber an den Plänen fest, erneut zu kandidieren. Es gilt als offenes Geheimnis, dass er nach seiner Wahl das Amt an seinen Sohn abgeben will, der selbst in Wahlen keinerlei Chance hätte. Auch eine dritte Amtszeit ist ihm nach der Verfassung zwar eigentlich untersagt, die Entscheidung über die Zulässigkeit seiner Kandidatur soll jedoch im September der senegalesische Verfassungsrat fällen, dessen sämtliche Mitglieder von ihm selbst ernannt wurden. Nicht nur deshalb jedoch betrachten diplomatische Kreise die Lage im Senegal mit wachsender Sorge und arbeiten bereits an Evakuierungspläne für europäische Staatsbürger im Falle einer weiteren Eskalation.[17] Neben der ökonomischen Lage könnten die sich zunehmend häufenden Stromausfälle Anlass für Proteste könnten sein und sich die Stimmung durch heftige Regenfälle und Überschwemmungen weiter anheizen. Wenn dann im September einer erneuten Kandidatur Wades zugestimmt würde, könnte sich die Lage zuspitzen. Bis dahin könnte die senegalesische Einsatzhundertschaft, die durch das Auswärtige Amt mit Unterstützung des Technischen Hilfwerkes (THW) mit „Fahrzeugen, Wasseraufbereitungsanlagen, Generatoren, IT-Ausstattung und persönlichen Ausrüstungsgegenständen“ ausgestattet wurden, wieder aus Darfur zurückgekehrt sein und sich an der Niederschlagung der Proteste beteiligen – mithilfe der von Deutschland gelieferten „persönlichen Ausrüstungsgegenstände“, die – wie die Bundesregierung auf Nachfrage einräumte – „in das Eigentum der senegalesischen Gendarmerie über[gingen]“.[18]
Anmerkungen
[1] Die Bundesregierung: Deutschland und Afrika – Konzept der Bundesregierung, Auswärtiges Amt (Referat Öffentlichkeitsarbeit), Juni 2011.
[2] „Merkel verteidigt geplantes Rüstungsgeschäft mit Angola“, Reuters, 13.7.2011.
[3] „U.S. Department of State Surpasses Target of 75,000 Trained Peacekeepers by 2010“, Pressemitteilung des State Departement vom 23.07.2009, www.state.gov.
[4] „Bureau of Political-Military Affairs Hosts Worldwide Peacekeeping Capacity Building Conference“, Pressemitteilung des State Departement vom 21.10.2009, www.state.gov.
[5] Government Accountability Office (GAO): Peacekeeping – Thousands Trained but United States Is Unlikely to Complete All Activities by 2010 and Some Improvements Are Needed, GAO 2008
[6] Michael Dziedzic and Colonel Christine Stark: Bridging the Public Security Gap – The Role of the Center of Excellence for Stability Police Units (CoESPU) in Contemporary Peace, United States Institute of Peace 2005.
[7] Colonel Fausto Rossi, in: Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF): International and Local Policing in Peace Operations – Lessons Learned and the Way Forward to Integrated Approaches, ZIF 2007.
[8] Amnesty International (AI): International Military and Policing Assistance to should be reviewed, AI 2010 (AFR 52/001/2010)
[9] Bundestags-Drucksache 17/6322.
[10] Ebd.
[11] GAO 2008.
[12] Jonna Schürkes, Christoph Marischka: Deutsche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe in Ägypten, IMI-Standpunkt 2011/008 – in: AUSDRUCK (Februar 2011).
[13] „Deutsche Waffenhilfe für autoritäre Regime in Arabien – Kampagne ‚Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!‘ gestartet, IPPNW-Presseinformation vom 6.5.201, www.ippnw.de.
[14] Bundestags-Drucksache 17/5667.
[15] „Die Bundeswehr-Beratergruppe“, www.dakar.diplo.de.
[16] „Der Präsident gibt nach“, die tageszeitung (taz) vom 24.6.2011.
[17] Eine explizite Reisewarnung hat das Auswärtige Amt nicht ausgesprochen, unter ihren Reise- und Sicherheitshinweisen für Senegal findet sich bislang (14.7.2011) lediglich der Hinweis: „Am 23. Juni 2011 und in den folgenden Tagen fanden in Dakar in mehreren Vierteln und Vororten sowie anderen Städten des Landes Demonstrationen statt. Hierbei ist es zu längeren Sperrungen von Straßen und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen. Es ist möglich, dass es auch weiterhin zu Demonstrationen kommt, die die Bewegungsfreiheit erheblich einschränken werden.“
[18] Antwort des Staatsministers im Auswärigen Amt, Werner Hoyer, auf die Schriftliche Frage 6-377 (Juni 2011) der Abgeordneten Sevim Dagdelen. Die Antwort liegt der IMI-Redaktion vor.