IMI-Standpunkt 2011/032 - in: AUSDRUCK (Juni 2011)

„Wann ist Krieg erlaubt?“

Anmerkungen zu skandalösen Schulmaterialien

von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 2. Juni 2011

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Mit der Frage „Wann ist Krieg erlaubt?“ beginnt der letzte Abschnitt im Arbeitsblatt für den Monat Mai des Internetangebots »Frieden & Sicherheit – Infos für die Schule« mit dem Titel „Der Aufstand in Libyen“. Am Beispiel des dortigen aktuellen Kriegs werden sieben Situationen beschrieben, anhand derer diskutiert und begründet werden soll, so der Arbeitsauftrag des Blattes, ob und wann ein kriegerisches Eingreifen eines Staates in das Hoheitsgebiet eines anderen als letztes Mittel erlaubt sein könnte.[1] Nun müsste es eigentlich völlig unstrittig sein, die Frage der Legitimität von Kriegen einfach mit niemals zu beantworten. Insbesondere ist es im höchsten Maße besorgniserregend, dass Lehrer diese Materialien massenhaft für ihren Unterricht verwenden und so den Schülern vermitteln, in dieser Frage gäbe es Diskussionsspielraum. Im Wesentlichen begründet der Beitrag, dass dieses Arbeitsmaterial eine suggestive Wirkung hinsichtlich des Verständnisses von Legalität und Legitimität eines Krieges für Schüler haben könnte, da es beispielsweise mit keinem Wort das Kriegsverbot der UN-Charta und die generelle internationale Ächtung von Kriegen erwähnt.

Das Medienpaket »Frieden & Sicherheit« besteht aus einem Schülermagazin, einer Lehrerhandreichung und einer Internetplattform, die laut ihres dortigen Auftritts für Lehrende und Lernende konzipiert ist. Dort kann die Lehrerschaft zudem didaktische und methodische Hinweise für die Unterrichtsgestaltung erhalten. Das Onlineportal bietet explizit für Lehrkräfte zur Verwendung im Unterricht Arbeitsblätter und Übungsmaterialien zu außen- und sicherheitspolitischen Themen zum kostenlosen Download oder zur postalischen Verschickung an. So richtet sich das Blatt zu Libyen an die Schüler der Jahrgangsstufen 9 bis 12/13 für die Fächer Politik, Geschichte, Erdkunde und Sozial- und Gemeinschaftskunde. Problematisch an diesem Angebot ist ihre offensichtliche mangelnde Objektivität in der Vermittlung von Wissensinhalten. Denn Herausgeberin von »Frieden & Sicherheit« ist die »Stiftung Jugend und Bildung« in Berlin, welche eng mit der FDP verknüpft ist und die Unterrichtsmaterialien unter der alleinigen fachlichen Beratung des Bundesministeriums der Verteidigung erstellen lässt. Eine fachliche und parteipolitische Unabhängigkeit, wie sie für die Unterrichtsgestaltung als selbstverständlich vorausgesetzt werden sollte, scheint kaum gewährleistet zu sein.[2]

Die Konzeption des Arbeitsblattes

Im Folgenden sind die sieben Situationen des Arbeitsblattes aufgeführt, über die die Schüler zur Frage, ob und wann Krieg erlaubt sein könnte, diskutieren sollen.

— Wenn ein Staat das eigene oder ein verbündetes Land mit Waffen angreift oder versucht, es zu besetzen.

— Bei Völkermord: Wenn in einem Staat Menschen, die zu bestimmten Bevölkerungsgruppen gehören, verfolgt und getötet werden.

— Bei Vertreibung: Wenn aus einem Staat Menschen, zum Beispiel aus ethnischen Gründen, vertrieben werden.

— Bei Unterdrückung: Wenn in einem Staat Menschenrechte, zum Beispiel aus politischen Gründen, massiv verletzt werden.

— Bei Terrorismus: Wenn ein Staat Terroranschläge in anderen Ländern initiiert oder unterstützt.

— Bei einer massiven Notlage: Wenn zum Beispiel in einem Staat infolge eines Bürgerkriegs eine Hungersnot entsteht.

— Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Wenn ein Staat systematisch Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation der Zivilbevölkerung betreibt oder die Zivilbevölkerung aus rassistischen, politischen und religiösen Motiven verfolgt.

Auffallend an der Konzeption des Arbeitsblattes ist das Fehlen jeglicher Hinweise auf das grundsätzliche Gewalt- und Interventionsverbot in den zwischenstaatlichen Beziehungen als Verletzung des völkerrechtlichen Prinzips der staatlichen Souveränität sowie auf die Ächtung von Krieg im Allgemeinen. Diese Prinzipien kommen in vielen völkerrechtlichen Abkommen und auch staatlichen Verfassungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Abkehr von der Annahme eines freien Kriegsführungsrechts der Staaten zum Ausdruck. Kerngehalt des UN-Kriegsverhütungsrechts ist die Souveränität eines jeden Staates, die durch das Verbot der grenzüberschreitenden Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt (Artikel 2 Abs. 4 UN-Charta) und durch das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Interventionsverbot (die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates unterhalb der Kriegsschwelle durch Kommandoaktionen, Sabotage, Unterstützung bewaffneter Oppositioneller etc.) besonders geschützt ist. Von diesem Grundsatz gibt es lediglich zwei eng gefasste Ausnahmen:

(1) das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht im Falle eines bewaffneten Angriffs durch einen anderen Staat (Artikel 51 UN-Charta), das als erste Situation sogar im Arbeitsblatt umschrieben ist; mit Verweis auf die fünfte Situation muss klargestellt werden, dass der »Internationale Gerichtshof« (IGH) eine Auslösung des Selbstverteidigungsrechts durch substaatliche Akteure wie Terroristen ausdrücklich verneint und

(2) ein Mandat des UN-Sicherheitsrats nach der Feststellung einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung durch einen anderen Staat (Artikel 39 und 42 der UN-Charta).

Eine entsprechende Darstellung dieser Grundsätze ist für eine seriöse Besprechung dieses Themas im Unterricht unabdingbar. Insbesondere hätte zu einer sachgerechten Wiedergabe diesbezüglicher gesellschaftlicher Debatten und rechtlicher Entwicklungen im Unterricht durch eine entsprechende Gestaltung der Materialien thematisiert werden müssen, dass seit über zehn Jahren eine Tendenz zur Erosion des Kriegsverhütungsrechts unübersehbar vorhanden ist, da beide Ausnahmeregelungen von kriegswilligen Staatsführungen selektiv eingesetzt, massiv missbraucht und zur Rechtfertigung von Kriegen herangezogen werden, die Wortlaut und Intention der UN-Charta eben gerade verhindern will bzw. auf ein Minimum an Gewaltanwendung beschränken möchte. Darauf wurde aber bei der Erstellung des Arbeitsblattes verzichtet. Hingegen werden allein die oben aufgeführten Situationen vorgestellt, die zumeist innerstaatliche Verbrechen beschreiben. Auf diese Weise wird den Schülern suggeriert, die ihnen vorgelegten Fälle könnten völkerrechtlich anerkannte Rechtfertigungen für militärisches Eingreifen sein. Solch abscheuliche Taten stellen unzweifelhaft (völker-) strafrechtliche Delikte dar. Das Recht fremder Staatsführungen in dem betroffenen Land Krieg zu führen, wird dadurch aber sicherlich nicht begründet. Genau dies zu suggerieren, scheint die Absicht zu sein, was den Schülern durch die Konzeption des Arbeitsblattes vermittelt werden soll.

Anmerkungen

[1] Vgl. Stiftung Jugend und Bildung (Hrsg.): Der Aufstand in Libyen (Stand Mai 2011), http://www.frieden-und-sicherheit.de/files/72/Arbeitsblatt_Libyen_1.pdf.

[2] Vgl. dazu ausführlicher Schulze von Glaßer, Michael: Die Eroberung der Schulen. Wie die Bundeswehr in Bildungsstätten wirbt, IMI-Studie Nr.2/2010, S. 6 ff..