IMI-Standpunkt 2011/002

Jugendoffiziere: Werber für die Bundeswehr

Warum Jugendoffiziere die Minimalbedingungen für die politische Bildung in Deutschland nicht einhalten und für die Armee werben

von: Michael Schulze von Glaßer | Veröffentlicht am: 24. Januar 2011

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Seit 2008 gibt es mittlerweile in acht der sechzehn deutschen Bundesländer Kooperationsabkommen zwischen dem jeweiligen Landesschulministerium und der Bundeswehr (NRW, Oktober 2008; Saarland, März 2009; Baden-Württemberg, Dezember 2009; Rheinland-Pfalz, Februar 2010; Bayern, Juni 2010; Mecklenburg-Vorpommern, Juli 2010; Hessen, November 2010; Sachsen, Dezember 2010). So genannte Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen im „schulischen Kontext Schülerinnen und Schüler über die zur Friedenssicherung möglichen und/oder notwendigen Instrumente der Politik“ informieren.[1] „Dabei werden“, heißt es in den Kooperationsabkommen weiter, „Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen einzubeziehen sein.“ Neben Vorträgen von Soldaten in Schulen sehen die Vereinbarungen die teilweise Aus- und Weiterbildung von Referendaren und Lehrkräften durch die Bundeswehr sowie die Veröffentlichung von Armee-Schulangeboten in Fachmedien für Pädagogen vor.

Jugendoffiziere, junge Männer und Frauen mit langjähriger militärischer Erfahrung bilden dabei die Speerspitze des Militärs an den Schulen. Bereits 1958 – nur drei Jahre nach Gründung der Bundeswehr – wurde die Einheit ins Leben gerufen und hatte schon damals die Funktion die Bevölkerung vom Sinn und Zweck der deutschen Armee zu überzeugen. Heute gibt es bundesweit etwa 94 hauptamtlich und 300 nebenamtliche Jugendoffiziere, die an der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation (AIK bzw. AKBwInfo-Kom; früher: Amt für psychologische Kriegsführung) in Strausberg nahe Berlin ausgebildet werden. 7.245 Veranstaltungen mit 182.522 Teilnehmern – davon mindestens 160.000 Schülern – führten die Jugendoffiziere 2009 durch.[2] Oft referieren die sehr jung und „cool“ wirkenden Jugendoffiziere vor Schulklassen über Themen wie „Soldaten als Staatsbürger in Uniform“ oder „Auslandseinsätze der Bundeswehr“, diskutieren über den Afghanistan-Einsatz der deutschen Armee oder spielen mit den jungen Leuten die mehrtätige Simulation „Politik & Internationale Sicherheit“ (kurz POL&IS). Das rundenbasierte Planspiel gilt bei Lehrkräften als hochattraktiv und begeisterte allein 2009 in mehr als 365 Simulationen rund 16.120 Schüler mit ihren Lehrern sowie Studenten und Referendare.[3]

Die Kooperationsabkommen und die dadurch institutionalisierten Einsätze von Jugendoffizieren an Schulen sind höchst umstritten. Lehrer, Eltern, Schüler, Friedensbewegte und Kinderrechtler fordern mittlerweile die Aufhebung der Kooperationsverträge. Immer öfter kommt es während Bundeswehr-Klassenbesuchen zu Protestaktionen vor Schulen. Im nordrhein-westfälischen Landtag wird aktuell darum gestritten den dortigen Vertrag mit der Bundeswehr aufzukündigen.

Zwar heißt es in den bisher abgeschlossenen Kooperationsabkommen „Jugendoffiziere werben nicht für Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr“ und die Bundeswehr wird auch nicht müde dies zu wiederholen, dennoch ist es sehr zweifelhaft, ob Jugendoffiziere wirklich nur neutral über Sicherheitspolitik informieren oder einseitig für die Bundeswehr werben.

Da die Jugendoffiziere bei ihren Schuleinsätzen zur politischen Bildung von Schülerinnen und Schülern beitragen, sind sie an die 1976 im so genannten „Beutelsbacher Konsens“ festgelegten Minimalbedingungen für politische Bildung gebunden. Der Konsens soll den jungen Schülern die Chance auf eigene Meinungsbildung ermöglichen und verbietet es, für welche Interessen auch immer, zu werben:

* Überwältigungsverbot: Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern.

* Kontroversitätsgebot: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs Engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten.

* Analysefähigkeit: Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. [4]

Laut Bundesregierung wird der Konsens von den Jugendoffizieren beachtet: „Die Grundprinzipien des Beutelsbacher Konsens sind Grundlage der politischen Bildung in der Bundeswehr […]. Sie sind integraler Lehrinhalt der Ausbildung der nebenamtlichen/hauptamtlichen Jugendoffiziere an der AKBwInfo-Kom.“[5] Einen Beweis für die Einhaltung des Beutelsbacher Konsens bleibt die Regierung aber schuldig. Auch die Bundeswehr selbst und die Befürworter der Jugendoffiziers-Einsätze in Schulen konnten diesen bisher nicht erbringen. Besonders die Einhaltung des „Kontroversitätsgebots“ während Bundeswehr-Schulbesuchen steht im Raum. Es darf getrost bezweifelt werden, dass Jugendoffiziere bei ihren meist zweistündigen Vorträgen und Diskussionen vor Schulklassen auch andere Positionen und Sichtweisen als die der Armee – also beispielsweise die friedensbewegter Gruppen – vorstellen. Dies ist den Jugendoffizieren laut dem vom Verteidigungsministerium erstellten Handbuch für die jungen Soldaten sogar verboten:

„Für die Arbeit müssen sie sich immer an politische Grundsatzaussagen, Analysen und Hintergrundinformationen aus den Bereichen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des BMVg, des SKA [Streitkräfteamt], ihres LdI [Leiter der Informationsarbeit] oder ihres StOffz ÖA [Stabsoffizier Öffentlichkeitsarbeit] halten. Als Offizier der Bundeswehr sind sie Repräsentant der Exekutiven der Bundesrepublik Deutschland in der Öffentlichkeit. Eine persönliche Meinung oder Stellungnahme bleibt ihnen unbenommen. Sie müssen sie nur als solche kennzeichnen.“[6]

Selbst die CDU-Bundestagsabgeordneten Karin Strenz, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags, sieht in den Jugendoffizieren Armee-Werber: „Wenn man die Bundeswehr in ihrer Struktur vorstellt, ist das ein Part der politischen Bildung. Wenn darüber hinaus Jugendliche von der Bundeswehr überzeugt und an ihr interessiert sind, wäre es fatal zu sagen, das wäre nicht irgendeine Form von indirekter Werbung gewesen.“[7] Auch Dr. Siegfried Schiele, über 28 Jahre lang Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und 1976 Mitinitiator des Beutelsbacher Konsens, hat sich zu den Kooperationsabkommen zwischen Bundeswehr und Schulministerien sowie den Einsätzen der Jugendoffiziere an Schulen geäußert: „Das ist prinzipiell kritisch zu betrachten. Es muss sichergestellt sein, dass die politische Bildung nach den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsenses vermittelt wird. Dies scheint bei solchen Abkommen nur eingeschränkt der Fall zu sein. Es ist ungewiss, ob die Bundeswehr auch andere Sichtweisen als die der Bundesregierung und des Verteidigungsministeriums – also beispielsweise die der Friedensbewegung – wiedergibt. Ich halte solche Abkommen für fragwürdig.“ [8]

Um einen kontroversen Unterricht zu garantieren, wird – wie auch von Dr. Siegfried Schiele – oft vorgeschlagen, Leute aus der Friedensbewegung als Gegenpart zum Jugendoffizier einzuladen – dies vertritt etwa auch die NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Aktuell treten die Jugendoffiziere fast ausnahmslos allein vor Schulklassen auf. Bundeswehr wie „Friedensbewegung“ einen gleichberechtigten Zugang in Schulen zu ermöglichen, ist aus vielerlei Gründen jedoch nicht möglich: Jugendoffiziere werden für ihre Arbeit bezahlt, sie bekommen Geld dafür, Veranstaltungen zu organisieren, diese durchzuführen und zu recherchieren. Zudem werden sie von der Armee ausgebildet (inklusive einer Reise in die USA) und bekommen kostenlose Schulungen wie Rhetorik-Seminare. Dies ist bei Friedensaktivisten nicht der Fall – fast kein Friedensaktivist bekommt Geld für seine Tätigkeit, alles muss selbst gezahlt werden und um sich Argumente anzueignen, muss die eigene Freizeit und das eigene Geld geopfert werden. Zudem sind die meisten Friedensaktivisten berufstätig und haben keine Zeit, morgens in Schulen zu gehen, um dort mit Jugendoffizieren vor Schulklassen zu diskutieren. Um es militärisch auszudrücken: Die Waffen in diesem Kampf sind extrem ungleich. Allein quantitativ wäre es heutzutage gar nicht möglich zu den bundesweit über 8.000-Jugendoffiziers-Veranstaltungen Friedensaktivisten zu stellen. Zumal es nicht in jeder Region Friedensgruppen gibt.

Grundlegend stellt sich außerdem die Frage, mit welcher „Friedensbewegung“ die Schulminister der Länder Kooperationsabkommen ähnlich der der Bundeswehr abschließen wollen. Das NRW-Schulministerium, dass diesen Schritt anstrebt, ist ratlos: „Das Ministerium für Schule und Weiterbildung ist auf der Suche nach einem geeigneten Vorgehen, um den Organisationen der Friedensbewegung die gleichberechtigte Präsenz im Unterricht zu ermöglichen“, so eine Sprecherin im Dezember 2010.[9] Es gibt heute – wenn es sie überhaupt je gab – nicht eine „Friedensbewegung“, Gruppen die sich friedenspolitisch engagieren sind höchst unterschiedlich.

Kooperationsabkommen zwischen Landesschulministerien und der Bundeswehr verstoßen – trotz aller anderslautenden Behauptungen – gegen den Beutelsbacher Konsens, da insbesondere das Kontroversitätsgebot nicht eingehalten wird. Jugendoffiziere vertreten einseitig die Sichtweise ihres Arbeitgebers und sind sogar dazu verpflichtet, bei Schuleinsätzen den politischen Kurs von Armee und Regierung wiederzugeben. Die einzige Möglichkeit Schülerinnen und Schülern den Bereich der Sicherheitspolitik kompetent beizubringen und dabei die Minimalbedingungen für die politische Bildung in Deutschland einzuhalten kann nur durch die dafür ausgebildeten Fachkräfte – Lehrerinnen und Lehrer – erfolgen.

SONDERSEITE: Bundeswehrrekrutierung und Widerstand: https://www.imi-online.de/2006.php?id=2139

Anmerkungen:

[1] „Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und dem Wehrbereichskommando II der Bundeswehr“ unterzeichnet am 29. Oktober 2008 von Barbara Sommer, Ministerin für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und Generalmajor Bernd Diepenhorst, Befehlshaber im Wehrbereich II. Anmerkung: mit Ausnahme der Kooperationsabkommen zwischen den Kultusministerien in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind die Abkommen im Wortlaut fast vollkommen identisch. In den beiden ostdeutschen Bundesländern sind die Abkommen um weitere Punkte ergänzt – inhaltlich sind alle bisher abgeschlossenen Kooperationsabkommen gleich.

[2] Schnittker: Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2009, Berlin 2010, Seite 4.

[3] Ebenda.

[4] Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): Handbuch zu politischen Bildung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 358, Bonn 1999, Seite 173-175.

[5] Bundestags-Drucksache 16/8852.

[6] N. N.: Handbuch der Jugendoffiziere, Sankt Augustin 2009, Seite 6.

[7] N. N.: CDU:_Auch für Soldatenberuf an Schulen werben, in: www.ostsee-zeitung.de, 25. Juli 2010 – letzter Zugriff am 1. August 2010.

[8] Schulze von Glaßer, Michael: „Unterricht muss kontrovers sein“ – Interview mit Dr. Siegfried Schiele, in: NeuesDeutschland, 22. Oktober 2010.

[9] Schulze von Glaßer, Michael: Kriegseinsatz im Klassenzimmer, in: die tageszeitung, 22. Dezember 2010.