IMI-Standpunkt 2010/056 - in: AUSDRUCK (Februar 2011)
Multilaterale Wahlen bringen Bürgerkrieg
Die Wahlen in Côte d'Ivoire sollten dem Land neue Einigkeit bringen. Nun sieht es jedoch eher so aus, als würde der Bürgerkrieg neu eskalieren – mit der UN als Konfliktpartei.
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 22. Dezember 2010
http://imi-online.de/download/Februar2011_Elfenbeink.pdf
Die UN-Mission UNOCI ist seit April 2004 in Côte d’Ivoire stationiert und umfasst 7.500 Soldaten und knapp 1.500 Polizisten. Sie löste damals eine Intervention der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ab. Diese hatte 2003 mit Unterstützung der USA, Großbritanniens und Belgiens und finanzieller Hilfe aus dem European Development Fund in einen Bürgerkrieg interveniert, der ein Jahr zuvor aus einer kleinen Meuterei von Soldaten hervorging. Im wirtschaftlich stark benachteiligten Norden des Landes bildeten sich schnell verschiedene Rebellengruppen, welche gegen den im Oktober 2000 gewählten Präsidenten Gbagbo und das ihn stützende Militär kämpften. Vorangegangen war bereits unter dessen Vorgänger Henri Konan Bédié im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs des Landes (befördert durch „Strukturanpassungsprogramme“ der Weltbank) eine systematische Marginalisierung vermeintlicher „Gastarbeiter“ und der Bevölkerung im Norden sowie die Bewaffnung nationalistischer Jugendgruppen. Frankreich hatte noch vor der ECOWAS mit 4.000 Soldaten interveniert und eine Waffenstillstandslinie abgesichert, die bis heute das Land de facto teilt. Die UN-Mission UNOCI übernahm nicht nur die Aufgabe, den Waffenstillstand zu überwachen, sondern sollte zudem die Rebellen entwaffnen und in die reguläre Armee eingliedern. Auch die Vorbereitung und Überwachung der für 2005 geplanten Wahlen gehörte zu ihrem Mandat, das zunächst nur 12 Monate umfasste.
Wählerregistrierung und die Frage der „Ivoirité“
Insgesamt fünf mal wurden die Wahlen verschoben und das Mandat der UNOCI verlängert. Angesichts der Lage in Côte d’Ivoire mag das kaum verwundern: Wie soll ein zutiefst gespaltenes Land einen gemeinsamen Präsidenten wählen, ohne dass sich eine der beiden gut bewaffneten Parteien ausgebootet vorkommt?
Besonders mit der Wählerregistrierung hat die UNOCI eine delikate Angelegenheit übernommen. An ihr war es nun, zu entscheiden, wer als Ivoirer gilt und wer nicht – und damit auch über den wahrscheinlichen Wahlausgang selbst. Wie entscheidend die Frage der Zugehörigkeit ist, kann nicht nur damit illustriert werden, dass der ganze Bürgerkrieg mit ihr seinen Anfang nahm, sondern auch dadurch, dass der jetzt vermeintlich siegreiche Präsidentschaftskandidat Ouattara 2000 noch von der Wahl ausgeschlossen wurde, da er keine ivoirische Staatsbürgerschaft nachweisen konnte. Kein Wunder, dass er damit zur Identifikationsfigur der Ausgegrenzten wurde. Offiziell begann die Wählerregistrierung am 15. September 2008 und sollte zwei Monate dauern – letztlich zog sie sich fast zwei Jahre hin und war natürlich Gegenstand zahlreicher Interventionen durch die Konfliktparteien und auch durch externe Akteure. Mehrfach kam es zu konzertierten Angriffen auf die Registrierungsbüros durch Anhänger der einen oder anderen Seite, ausbleibende Lohnzahlungen führten zu Streiks unter den eingesetzten Beamten. Im Verlaufe der Wählerregistrierung wurde jedoch auch zunehmend die ausbleibende Entwaffnung der Rebellen zum Hindernis. Ein UN-Bericht vom Januar 2009 hatte noch festgestellt, dass bis zu diesem Zeitpunkt lediglich „etwa 10 Waffen und etwas Munition“ eingesammelt worden wären. Insbesondere Gbagbo argumentierte mehrfach, ohne eine umfangreiche Entwaffnung könnten Wahlen keinen friedlichen Verlauf nehmen. Doch der Druck der „Internationalen Gemeinschaft“ auf Gbagbo und die „Unabhängige Wahlkommission“ nahm zu, sodass am 31. Oktober die erste Runde der Präsidentschaftswahl durchgeführt wurde. Wahlberechtigt waren dabei insgesamt 5,78 Mio. Ivoirer – im Januar 2009 – kurz nach Beginn der Wählererfassung – hatte die UN noch mit 9 Mio. Wahlberechtigten gerechnet.
Der „Wille des Volkes“?
Die erste Wahlrunde verlief weitgehend friedlich. Gbagbo erhielt 38%, Ouattara 32% und Bédié 25% der Stimmen. In der Stichwahl vom 28.11.2010 zeigte sich die tiefe Spaltung des Landes hingegen sehr deutlich: Nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission unterlag der amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo mit 45.9% (2.1 Mio. Wähler_innen) knapp dem Herausforderer Ouattara mit 54.1% (2.5 Mio. Wähler_innen). In den nordwestlichen Provinzen Denguélé, Savanes und Worodougou erzielte Ouattara Traumergebnisse von 97.8%, 93.5% und 94.7%, in den südöstlichen Provinzen um die Hauptstadt Abidjan herum unterlag er hingegen meist deutlich Gbagbo. In der Hauptstadt selbst ging die Wahl denkbar knapp mit 51.9% zu 48.1% für Gbagbo aus. Die Partei Gbagbos legte gegen diese Wahlergebnisse Einspruch beim ivoirischen Verfassungsrat rat ein. Erstens sei es besonders in den nördlichen Provinzen zu Behinderungen und Einschüchterungen gegen die Wahlkämpfer und Anhänger Gbagbos gekommen. Diese Behauptung wurde zwar nicht weiter substantiiert und auch von keinen internationalen Beobachtern bestätigt, erscheint allerdings angesichts der überwältigenden Mehrheit für Ouattara keineswegs abwegig. In einigen Bezirken war es sicher kein Vergnügen für die vereinzelten bekannten Anhänger Gbagbos, Wahlplakate aufzuhängen oder zur Wahlurne zu gehen. Der zweite Vorwurf bezog sich darauf, dass die Wahlergebnisse nicht nach der in der ivoirischen Verfassung vorgesehenen Prozedur bestätigt und veröffentlicht wurden. Nach dieser müssen die Wahlergebnisse innerhalb von drei Tagen eben dem Verfassungsrat übergeben und von diesem letztlich bestätigt werden. Der Verfassungsrat, der mit Anhängern Gbagbos durchsetzt ist und schon mehrfach zu dessen Gunsten entschieden hat (u.a. durch den Ausschluss Ouattaras von den Wahlen 2000), hat entsprechend die Wahlergebnisse der Wahlkommission revidiert und Gbagbo zum Sieger erklärt, woraufhin dieser sich vereidigen ließ.
Allerdings – so die Lesart Ouattaras und der UN – fanden die Wahlen im Rahmen des von UN, AU und ECOWAS ausgehandelten Abkommen von Ouagadougou von 2007 statt. Gbagbo selbst habe durch ein Dekret in Umsetzung dieses Abkommens eine andere Prozedur für die Bestätigung der Wahlergebnisse in Kraft gesetzt, wonach die Wahlkommission das Ergebnis ebenfalls innerhalb von drei Tagen sowohl an den Verfassungsrat als auch an den UN-Sondergesandten (und Leiter der UN-Mission) übermitteln und diese das Ergebnis bestätigen sollen. Was geschehen sollte, falls Verfassungsrat und UN-Sondergesandter keine Einigkeit über die Ergebnisse erzielen, war darin jedoch nicht vorgesehen. Zudem wurde die Frist von drei Tagen beiden gegenüber nicht eingehalten. Damit wurden sowohl die Vorgaben der Verfassung, als auch des Dekrets zur Umsetzung des Abkommens von Ouagadougou nicht erfüllt.
Die Einstimmigkeit der Kommentare
Vor diesem Hintergrund kann man es durchaus als Anmaßung bezeichnen, dass der UN-Sondergesandte und Leiter der UN-Mission, Choi Young-Jin, vor dem UN-Sicherheitsrat die von der Wahlkommission veröffentlichten Ergebnisse bestätigte und Ouattara zum Sieger erklärte. Choi sagte zudem aus, die Wahlen hätten in einem „demokratischen Klima“ stattgefunden, während die International Crisis Group erst eine Woche zuvor von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der beiden Kandidaten, einer „brutalen“ Rhetorik im Wahlkampf und einem allgemein „im Niedergang begriffenen politischen Klima“ berichtet hatte.
Während die US-Botschafterin bei der UN und gegenwärtige Vorsitzende des UN-Sicherheitsrates, Susan Rice, Chois Bericht gleich zum Anlass nehmen wollte, Ouattara von New York aus zum Präsidenten zu ernennen und die UN-Vertreter von der Elfenbeinküste für illegitim zu erklären, warnte vor allem der russische UN-Botschafter vor solch einem Präzedenzfall: Es sei nicht Aufgabe des UN-Sicherheitsrates, über den Ausgang von Wahlen zu entscheiden. Daraufhin wurde die Sitzung unterbrochen und viel telefoniert. Zwei Stunden später traf man wieder zusammen und konnte sich auf einen Beschluss der ECOWAS beziehen, die zwischenzeitlich Ouattara zum Sieger erklärt hatte und die Mitgliedschaft Côte d’Ivoires aussetzte, bis der Staat wieder die verfassungsmäßige Ordnung angenommen hat. Anschließend beeilten sich die Sprecher der USA, der EU und ihrer Mitgliedsstaaten schnell Ouattara zum Sieger zu erklären und Gbagbo aufzufordern, die Macht abzugeben. In einer Pressemitteilung vom 3. Dezember 2010 „gratuliert“ auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton Alassane Ouattara zu seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in Côte d’Iviore und forderte sie „alle Parteien des Wahlprozesses auf, den Willen des Volkes und die Ergebnisse der Wahl, wie sie vom Sondergesandten des UN-Generalsekretärs zertifiziert wurden, zu akzeptieren“.
Die übereinstimmende und entschlossene Parteinahme von UN und USA (wobei US-Botschafterin Rice oft keinen großen Unterschied zwischen ihrer Rolle als Vertreterin der USA und Vorsitzende des Sicherheitsrates machte) der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, der ECOWAS und zuletzt auch der Afrikanischen Union schien zumindest in Teilen abgesprochen und wurde auch von den Medien fast ausnahmslos so übernommen. Dahinter mag auch die Motivation gesteckt haben, dass jegliches Zögern oder jegliche Aussicht auf Anerkennung des vermeintlichen Wahlsiegs Gbagbos diesen in seinen Ambitionen, an der Macht zu bleiben, bestärken und somit zu einer Eskalation in Côte d’Ivoire beitragen könnte. Allerdings hat die „Internationale Gemeinschaft“ selbst durch ihr Beharren auf der Durchführung der Wahlen, die ausbleibende Entwaffnung der Rebellen im Norden und ihre einseitige Unterstützung dieser bereits im Vorfeld die Bedingungen für eine solche Esklation geschaffen. Auch ihre ungeteilte Unterstützung für Ouattara könnte sich bald als explosiv herausstellen und eine ganz neue Konfliktkonstellation in Westafrika heraufbeschwören, welche der UN und anderen Internationalen Organisationen dauerhaften Schaden zufügen wird.
Die ehemalige Kolonialmacht, die EU und die UN
Während Gbagbo im Süden und der Hauptstadt die Kontrolle über die staatlichen Medien, Polizei und Militär hat und sich ungehindert zwischen den Regierungsgebäuden bewegen kann, musste sich Ouattara in einer Hotelanlage verschanzen und wird dort von UN-Soldaten geschützt. Die Demonstrationen, zu denen Ouattara aufgerufen hatte, wurden von den staatlichen Sicherheitskräften aufgelöst, den UN-Soldaten hingegen von Ouattaras Anhängern zugejubelt. Im Norden errichteten vereinzelt Mitglieder der Rebellengruppen – ebenfalls ungehindert von den UN-Soldaten – Straßensperren und unterbrachen somit die wichtigsten Verbindungen zwischen Norden und Süden. Somit ergibt sich die Situation, dass die staatlichen Sicherheitskräfte im Süden erneut den Rebellen gegenüberstehen, jetzt aber die UN-Truppen im Land eindeutig Partei für letztere ergreifen. Aus einer UN-Truppe, die einen Waffenstillstand überwachen und Wahlen organisieren sollte, ist von der strategischen Lage her eher eine Interventionstruppe geworden, sie steht einem staatlich organisierten Militär gegenüber, das einem de-facto-Präsidenten gehorcht, der die UN mittlerweile zum Verlassen des Landes aufgefordert hat.
Natürlich ist die UNOCI weder vom Mandat noch von der Ausrüstung her fähig, dem ivoirischen Militär und den „patriotischen“ Milizen die Stirn zu bieten. Bereits den Übergriffen der ivoirischen Sicherheitskräfte auf Oppositionelle in der Hauptstadt und auch den ersten Angriffen und Einschüchterungen gegenüber Angehörigen der UNOCI selbst stand sie bislang hilflos gegenüber. Brisanz erhält in diesem Kontext aber v.a. die Anwesenheit von rund 1.000 französischen Elitesoldaten, die bereits in der Vergangenheit eng mit der UNOCI kooperiert haben und bereits im November 2004 in Abstimmung mit der UNOCI Luftschläge gegen Stellungen des ivoirischen Militärs durchführten. Diese führten seinerzeit zu einer Welle anti-französischer Proteste in Côte d’Ivoire, in denen die Präsenz französischer Soldaten als Fortführung der kolonialen Einflußnahme und die UN als Handlanger der ehemaligen Kolonialmacht bezeichnet wurden. Dass es nun ausgerechnet der französische Präsident Sarkozy war, der Gbagbo stellvertretend für die EU ein Ultimatum stellte und Zwangsmaßnahmen androhte, wurde entsprechend kritisch in einigen afrikanischen Medien kommentiert. Dass eine Sprecherin des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes die bereits am Wochenende zuvor beschlossenen Sanktionen der EU gegen Gbagbo und 18 weitere Personen unmittelbar nach dem Beschluss des UN-Sicherheitsrates, die UNOCI zu verlängern und aufzustocken, ankündigte, verstärkte die Wahrnehmung, dass UN und die ehemalige Kolonialmacht in enger Abstimmung agieren. „Die Vereinten Nationen stocken ihre Truppe auf, Brüssel setzt Sanktionen in Kraft“ schrieb beispielsweise Spiegel-Online. Das demonstriert zwar wie gewünscht Geschlossenheit in der „Internationalen Gemeinschaft“, verstärkt aber andererseits auch den Eindruck, die UN seien ein Instrument kolonialer Einflussnahme unter der Regie Frankreichs und der USA. Gbagbo erleichtert dies, sich als Verteidiger der ivoirischen Souveränität zu gebärden und seine politischen Gegner in einer ohnehin nationalistisch aufgeladenen Konfliktkonstellation als Kollaborateure ausländischer Interessen aussehen zu lassen – und damit die nationalistische Gewalt gegen diese weiter anzuheizen. Mittelfristig könnte diese Strategie erfolgreich sein. Aus der zweiten und Dritten Reihe afrikanischer Diplomaten wird längst die Vermutung geäußert, dass in Côte d’Ivoire alles auf eine Art „Regierung der nationalen Einheit“ hinausläuft, bei der beide Kandidaten an der Macht beteiligt werden und die Spaltung des Landes aufrecht erhalten wird.
Drohender Bürgerkrieg
Denn die Alternative hierzu wäre ein Bürgerkrieg. Ähnlich wie in Somalia gäbe es einerseits eine international anerkannte Regierung, die jedoch nur unter Schutz der UN in einem Hotel agieren kann, während sie in der Hauptstadt und weiten Teilen des Landes keine Kontrolle ausübt und keine Legitimität genießt. Viel mehr noch als in Somalia besteht die Gefahr, dass der Bürgerkrieg auch auf die benachbarten Länder übergreift, weil die Bürgerkriege in Côte d’Ivoire, Liberia, Sierra Leone und Guinea bereits zuvor eng miteinander verwoben waren. Als alamierend bezeichnete jetzt schon Susan Rice Berichte, nach denen „Söldner“ aus Liberia in Abidjan angekommen seien, um Gbagbo zu unterstützen. Die UN hatten jedoch am 24.11.2010 ihrerseits mit der Resolution 1951 ermöglicht, dass Soldaten der UNMIL im benachbarten Liberia vorübergehend zur Unterstützung der UNOCI nach Côte d’Ivoire verlegt werden sollen – ein außergewöhnlicher Schritt, der angesichts des „demokratischen Klimas“, in dem die Wahlen scheinbar stattfanden, wenig nachvollziehbar ist.
Als „Dritter Weg“ ist derzeit die Eliminierung Gbagbos im Gespräch. Vom UN-Mandat wäre ein solcher Schritt nicht gedeckt und auch Frankreich wird zögern, eine solch drastische Maßnahme zu ergreifen. Es sei denn, es läge ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor. Chef-Ankläger Moreno-Ocampo hat bereits entsprechende Warnungen ausgesprochen: Wer an der Elfenbeinküste Gewalt gegen Zivilisten oder gar UN-Soldaten anzettele, werde sich in Den Haag wiederfinden. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Susan Rice – in welcher Rolle diesmal blieb unklar – nahmen diese Drohung wohlwollend auf und wiederholten sie ihrerseits. Damit hat sich der Internationale Strafgerichtshof erneut zugunsten der ehemaligen Kolonialmächte parteiisch in eine weltpolitische Angelegenheit eingemischt. Zuletzt war dies in dieser Deutlichkeit gegenüber dem sudanesischen Präsidenten al-Bashir 2008/2009 der Fall – dem bislang einzigen amtierenden Präsidenten, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Dieser Haftbefehl spielt eine entscheidende Rolle dabei, den Süden des Landes vom Sudan abzuspalten, hat aber das Ansehen des Internationalen Strafgerichtshofes in Afrika schwer beschädigt. Denn bislang hat dieser nur gegen Politiker und Milizionäre aus Afrika ermittelt, dadurch die Lage in verschiedenen Konflikten eher eskaliert. Die Verbrechen al-Bashirs seien nicht schlimmer als die eines George W. Bushs hieß es in afrikanischen Medien und unter Diplomaten der Afrikanischen Union. Diese beschloss daraufhin, den Haftbefehl gegen al-Bashir nicht zu vollstrecken.
Per Sanktionen Wahlen entscheiden
Auch zu den von der EU verhängten Sanktionen gegen Gbagbo und sein politisches Umfeld hat sich die AU bislang zögerlich verhalten. In der Vergangenheit hatte die EU gerade in Westafrika demonstriert, wie selektiv und interessengeleitet sie dieses Instrument einsetzt. Nach dem Putsch 2008 in Mauretanien hat sie auf vergleichbare Sanktionen verzichtet und ihre Zusammenarbeit mit der Putschregierung – beispielsweise bei der Bekämpfung illegaler Migration – nahzu ungebrochen fortgeführt. So war es den Putschisten möglich, sich bei anschließend ausgerichteten Wahlen, die keinerlei demokratischen Standards genügt haben, bestätigen zu lassen. Auch in Guinea reagierte sie zögerlich auf den Putsch wenige Monate später. Erst nachdem dessen Führer Moussa Dadis Camara zunehmend eine antikoloniale Rhetorik an den Tag legte und umfangreiche Verträge mit China abschloss, verhängte sie Sanktionen gegen die gesamte Führung der Putschisten. Nach geheimen Verhandlungen wurden die Sanktionen gegen einzelne Putschisten aufgehoben. Unter diesen war auch Camaras Rivale Sékouba Konaté, welcher die Führung der Putschregierung übernahm, nachdem Camara knapp ein Jahr nach seinem Putsch in den Kopf geschossen wurde und aus dem Land floh. Vertreter der USA und der EU äußerten danach offen ihre Präferenz für Konaté und die USA räumten Bemühungen ein, eine Rückkehr Camaras dauerhaft zu verhindern. Dessen Gesundheitszustand und genauer Aufenthaltsort ist gegenwärtig unbekannt. Auch Jean-Pierre Bemba, der 2006 in der Demokratischen Republik Kongo bei einer dubiosen und von einer EU-Militärmission begleiteten Wahl gegen Joseph Kabila unterlag, wird wohl niemals in das Land zurückkehren, in dem er mit über 40% zum Führer der Opposition gewählt wurde. Nachdem er von Kabila in einer Militäroffensive aus dem Land gejagt wurde und in Belgien Zuflucht erhielt, wurde er dort später auf der Grundlage eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs festgenommen.
Entsouveränisierung, Nationalismus, Bürgerkrieg
Es gab zahlreiche Unstimmigkeiten bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in Côte d’Ivoire. Selbst wenn das von der UNOCI bestätige Ergebnis zutreffend sein sollte, bestätigt es lediglich die tiefe Spaltung des Landes und dass von einem einheitlichen „Willen des Volkes“ keine Rede sein kann. Nachdem die „Internationale Gemeinschaft“ unter Führung der USA und der EU bereits auf die Rahmenbedingungen der Wahl massiven Einfluss genommen hat, nimmt sie nun auch für sich in Anspruch, den Sieger zu bestimmen – Verhandlungen und Vermittlungen werden somit blockiert. Die Folge könnte ein Bürgerkrieg sein.
Côte d’Ivoire ist dabei nur das aktuellste von zahlreichen Beispielen, in denen die ehemaligen Kolonialmächte massiv in die Regierungsbildung afrikanischer Staaten eingreifen und hierzu die UN, den Internationalen Strafgerichtshof, die Afrikanische Union und subregionale Organisationen wie die ECOWAS instrumentalisieren. Die Internationalen Organisationen verlieren hierdurch an Legitimität und werden zu Konfliktparteien. Es setzt sich damit ein Trend fort, der untrennbar mit der Aufgabe des Souveränitätsprinzips verbunden ist: multilaterale Einsätze von UN- oder AU-Truppen in Bürgerkriegen, welche die ehemligen Kolonialmächte, USA und EU meinen, von außen steuern zu können, neue Grenzziehungen und die Entscheidungen über Wahlergebnisse von New York und Brüssel aus. Dagegen regt sich langsam Widerstand in der Afrikanischen Union und einzelnen afrikanischen Staaten (Tschad, Kongo, Côte d’Ivoire) die in jüngster Zeit die UN zum Verlassen ihres Territoriums aufgefordert haben. Auch in der Bevölkerung wächst die Wahrnehmung der „Internationalen Gemeinschaft“ und ihrer Institutionen als neuer Form des Kolonialismus. Bedauerlich nur, dass diese antikoloniale Wut – wie in Côte d`Ivoire – von Diktatoren in eine nationalistische und fremdenfeindliche Agenda integriert werden kann. Nationalismus und Demagogie haben Konjunktur in Zeiten des Souveränitätsverlustes – nicht nur in Afrika.