IMI-Standpunkt 2010/038

Al-Kaida in Ostafrika

wie internationales „Krisenmanagement“ einen Mythos Realität werden lässt

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 11. Oktober 2010

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Die „Friends of Yemen“ bei der UN-Generalversammlung

Während die so genannten „Milleniums-Entwicklungsziele“ als Aushängeschild der diesjährigen Generaldebatte der UN-Vollversammlung dienten, kam es am Rande auch zu dutzenden informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs, ihrer Außenminister und Botschafter sowie von Vertretern der Zivilgesellschaft. Eines dieser Treffen wurde von der Gruppe „Freunde des Jemen“ („Friends of Yemen“) veranstaltet. Diese wurde Anfang 2010 auf US-amerikanische, britische und italienische Inititiative hin ins Leben gerufen und umfasst Vertreter aus 20 Staaten (v.a. westeuropäische Staaten und die Golfstaaten sowie Japan, Russland und die Türkei), welche der Auffasung sind, dass die innenpolitische Lage im Jemen ein globales Sicherheitsproblem sei und mit internationaler Hilfe befriedet werden müsse. Die in den letzten Monaten massiv an Fahrt gewinnende Sezessionsbewegung im Südjemen wollte das Treffen am 24. September in New York als Anlass für Proteste nutzen, um auch die UN-Vollversammlung an die Forderungen der „Süd-Bewegung“ zu erinnern. Dabei handelt es sich um ein großes Sammelsurium politischer Gruppen, deren Ziele von der gleichberechtigten Staatsbürgerschaft bis hin zur schnellen Sezession reichen. Einige Teile dieser Bewegung – darunter die Sozialistische Partei des Jemen – stammen noch aus der Regierung der ehemaligen Volksrepublik Jemen, zahlreiche neue Gruppen sind erst in den letzten Jahren und Monaten entstanden. Proteste haben tatsächlich in New York und zahlreichen südjemenitischen Städten stattgefunden und wurden an mehreren Orten gewaltsam aufgelöst. Internationale Aufmerksamkeit haben sie kaum erlangt und in vielen jemenitischen Städten wurden sie durch eine gleichzeitig stattfindende Militäroffensive, die sich angeblich gegen 60-80 Kämpfer der Al-Kaida Gruppe „Arabische Halbinsel“ richtete, im Keim erstickt.

Terrorbekämpfung und Aufstandsbekämpfung

Die Offensive in der Shabwa-Provinz begann unmittelbar nach dem Besuch des US-Sicherheitsberaters und „Terrorismusexperten“ John Brennan am 21. September und umfasste neben Kampfhubschraubern auch Bodentruppen. Mehrere Ortschaften wurden zunächst umstellt und dann Haus um Haus von den Soldaten durchsucht, was zweifellos nicht nur von Al-Kaida, sondern auch von sonstigen Oppositionsbewegungen als Angriff und Provokation wahrgenommen werden musste. Im Verlauf der Operation kam es zu einigen Schusswechseln, mehreren Dutzend Toten – von der Regierung allesamt als Mitglieder der Al-Kaida bezeichnet – und etwa 15.000 Flüchtlingen. Knapp vierzig Menschen sollen verhaftet worden sein. Menschenrechtsorganisationen und die Südbewegung melden jedoch im selben Zeitraum ebenfalls die Verhaftung politischer Aktivisten. Ob es sich um dieselben Personen handelt, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass sich eine Serie von Razzien am 22. September in der Hauptstadt des Südjemen, Aden, klar gegen die Organisatoren der für den 24. September geplanten Proteste richtete, zehn von ihnen wurden dabei festgenommen.

Die Ereignisse Ende September können als Beleg für die Warnungen angesehen werden, die Amnesty International just einen Monat zuvor mit einem ausführlichen Bericht zum Ausdruck gebracht hat: „Der Jemen gibt die Menschenrechte der Terrorbekämpfung preis“. In dem Bericht wird ausführlich beschrieben, wie die jemenitische Regierung unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung neue Befugnisse schafft, die Presse zensiert und das Militär zur Bekämpfung der Aufstände sowohl im Norden als auch im Süden einsetzt. Beide Aufstände resultieren aus der systematischen Benachteiligung der jeweiligen Bevölkerungsgruppen und gewannen auch in der Vergangenheit immer dann Anhänger und Macht, wenn die Regierung mit blanker Repression – und internationaler Unterstützung – agierte. Während der Huthi-Aufstand im Norden sich vorwiegend militärischer Mittel bedient, setzt die Südbewegung bislang v.a. auf Massenproteste und zivilen Ungehorsam.

Ungewohnt deutlich ist die Kritik von Amnesty International an der „weitgehend unkritischen Unterstützung für die Terrorbekämpfung im Jemen, die es der Regierung ermöglicht, mit rechtswidrige Methoden nicht nur gegen Menschen vorzugehen, die im Verdacht stehen, mit Al-Kaida in Verbindung zu stehen, sondern gegen alle Menschen, die als Opposition wahrgenommen werden.“ International werde „Druck“ auf den Jemen ausgeübt, „die Menschenrechte den Sicherheitsinteressen unterzuordnen.“ Als Beispiel hierfür wird auch das Gründungstreffen der „Freunde des Jemen“ im Januar in London genannt. Die anwesenden Regierungen „hätten sich auf die Notwendigkeit konzentriert, diejenigen zu verfolgen, die eine ernste Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen, aber der Notwendigkeit, sich dabei an internationales Recht zu halten, kaum Beachtung geschenkt“. Auch die Interessen der EU und der USA werden klar benannt: „Beide befürchten, dass sich Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel mit der Al-Shabab-Miliz in Somalia verbünden könnte. Eine solche Allianz würde das strategisch wichtige Horn von Afrika bedrohen und … es Al-Kaida und seinen Verbündeten ermöglichen, den sicheren Transport von Öl und anderen Gütern von und nach Asien und den Golf von Aden zu gefährden“. Aus denselben Gründen unterstützt Deutschland die jeminitischen Streitkräfte mit Ausstattungshilfe und finanziert den Ausbau der jemenitischen Küstenwache.

Die Internationalisierung des Somalischen Bürgerkriegs

Al-Shabab und Al-Kaida werden zunehmend zu einem Mythos, der sich selbst zu verwirklichen droht. Al-Shabab geht auf eine radikalere Fraktion der Union Islamischer Gerichtshöfe (UIC) zurück, die 2006 Somalia unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Ihre Herrschaft – welche als stabilste Phase des Bürgerkrieges in der letzten Dekade angesehen wird – wurde durch eine v.a. von den USA unterstützte Invasion und Besatzung Äthiopiens um die Jahreswende 2006/2007 beendet. Im Schutze Äthiopiens und der Internationalen Gemeinschaft wurde eine „Übergangsbundesregierung“ (um)gebildet, in der auch gemäßigte Fraktionen der UIC vertreten sind, und zum formalen Souverän erklärt. Die Übergangsregierung hat die Unterstützung einiger Milizen in verschiedenen Landesteilen und kontrolliert mithilfe von 7.000 Soldaten v.a. aus Uganda und Burundi den Hafen der Hauptstadt und einige Hotels, in denen sie sich und Vertreter der Internationalen Gemeinschaft trifft. In der Fläche Somalias – mit Ausnahme der quasi-autonomen Regionen Puntland und Somaliland – übt Al-Shabab unangefochten die Kontrolle aus und ist sie auch besser organisiert als alle anderen bewaffneten Gruppen. In der Hauptstadt jedoch führt sie einen blutigen Bürgerkrieg gegen die Regierung und ihre internationalen Unterstützer.

Diese reagieren mit nackter Gewalt. Obwohl den Milizen der Übergangsregierung und den Truppen der Afrikanischen Union wöchentlich schwere Menschenrechtsverletzungen und der „unterschiedslose Beschuss von Wohngebieten“ vorgeworfen wird, besteht die einzige Reaktion der Internationalen Gemeinschaft in deren weiteren Verstärkung. Einerseits werden die truppenstellenden afrikanischen Länder genötigt, mehr Soldaten bereitzustellen, andererseits bezahlen und bilden die westlichen Staaten Soldaten (und „Polizisten“) für die Übergangsregierung aus. Da diese selbst keine Truppen nach Somalia entsenden möchten, findet diese Ausbildung v.a. in Äthiopien und Uganda und zumeist auch durch deren Streitkräfte statt. Flankiert wird diese Ausbildungs- und Ausstattungshilfe zunehmend durch Kommando- und Geheimdienstaktionen v.a. der USA, teilweise jedoch auch europäischer Staaten im Zuge der Pirateriebekämpfung.

So hat beispielsweise Deutschland bereits mehrfach die Ausbildung somalischer „Polizisten“ in Äthiopien und teilweise auch deren anschließenden Unterhalt finanziert, obwohl sich die hierbei gebildeten militärischen Verbände anschließend Milizen anschlossen. Seit Mai 2010 beteiligt sich die Bundeswehr mit rund fünfzehn Soldaten an der Ausbildung von 2.000 Soldaten für die Übergangsregierung in Uganda im Rahmen der EU-Mission EUTM Somalia. Ausbildungsinhalte sind u.a. der „Kampf in bebautem Gelände“. Die Auswahl der Rekruten erfolgt durch die Truppe der Afrikanischen Union und die Übergangsregierung, die bereits mehrfach auch Kinder für den Kriegsdienst angeworben hat.

Während der militärische Konflikt in Somalia und Mogadischu längst zu Gunsten der Al-Shabab entschieden ist, verlagert er sich zunehmend auf die internationale Ebene, auf der EU, USA und die von diesen unterstützten ostafrikanischen Regionalmächte Äthiopien und Uganda versuchen, die Verhältnisse mit aller Gewalt umzudrehen. Al-Shabab, die unter anderem wegen der ihr nachgesagten Verbindungen zu Al-Kaida international kaum Verbündete findet, versucht also Druck auf die Regierungen der Region auszuüben, ihre gutbezahlte Unterstützung für die Übergangsregierung einzustellen. Da sie keine internationale Legitimität erhält und keine diplomatischen Kontakte pflegen kann, ihre Mitglieder im Gegenteil in den Nachbarländern verfolgt werden, ist ihr wirksamstes Mittel die Drohung mit oder Durchführung von Anschlägen. Eine solchen Strategie freilich macht Verbindungen zur Al-Kaida und die Unterstützung durch radikal-islamistisch motivierte Geldgeber umso attraktiver. Ins Fadenkreuz geriet dabei wegen des großen Truppenbeitrags für die Afrikanische Union und der EU-Ausbildungsmission v.a. das nicht unmittelbar benachbarte Uganda. Die Anschläge in der Hauptstadt Kampala während des Endspiels der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer waren auch insofern „erfolgreich“, dass zwar die ugandische Regierung anschließend sogar ankündigte, ihr militärisches Engagement in Somalia auszuweiten, dass aber in der Bevölkerung Unverständnis und Widerstand hierüber wachsen. Diese konfrontative Situation gegenüber der Bevölkerung und die reale Bedrohung durch weitere Anschläge nutzt die Regierung, um repressiver gegen Opposition und die somalische Minderheit im Land vorzugehen. Damit wiederum wächst jedoch die Sympathie einiger Bevölkerungsgruppen für Al-Shabab und womöglich auch die Rekrutierungsbasis für Al-Kaida.

Terrorbekämpfung in Kenia

Neben Uganda hatte auch Kenia Drohungen eines Anschlags aus unbestimmter Quelle erhalten und an die USA weitergeleitet. Kenias Hafenstadt Mombasa wird regelmäßig von den Schiffen der EU-Mission zur Bekämfung der Piraterie vor Somalia (ATALANTA) angesteuert und hier liefert die EU auch die Piraterieverdächtigen ab, denen sie aufgrund dünner Beweislage nicht selbst den Prozess machen will. Im Gegenzug erhält Kenia über das sog. „Stabilitätsinstrument“ der EU finanzielle Unterstützung für die Ausbildung und Ausrüstung der Polizei, die in Kenia jedoch derzeit am Pranger steht, weil sie für einen Großteil der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Mittlerweile stehen jedoch zwölf Kenianer in Uganda wegen der Anschläge vom in Kampala vor Gericht. Einige von ihnen wurden in Kenia festgenommen und nach Uganda ausgeliefert, darunter auch Personen, die zuvor als „muslimische Menschenrechtsaktivisten“ in der Presse bekannt waren. Die wichtigsten Organisationen der muslimischen Minderheit in Kenia haben deshalb auch scharfe Kritik an die Regierung gerichtet und die Forderung, dass den Kenianern in Kenia ein fairer Prozess gemacht wird. Mit dieser Konstellation wurde Kenia zu einem noch attraktiveren Anschlagziel für Al-Shabab und insbesondere Al-Kaida. Regierung und Medien reagieren hierauf mit kolportierten Berichten, wonach jeder zehnte somalische Flüchtling in Kenia Mitglied der Al-Shabab sei und sich die somalisch dominierten Märkte und Stadtteile längst unter Kontrolle der Al-Kaida befänden. Die kenianische Zeitung „the Star“ zitierte in ihrer Ausgabe vom 24. September nicht näher benannte Geheimdienstquellen, wonach Harun Fazul, der für den Anschlag auf die US-Botschaft in Nairobi von 2002 verantwortlich gemacht wird, nicht nur Kopf der Al-Kaida Gruppe Ostafrika sein soll, sondern auch Führer der Al-Shabab. Auf Seite drei präsentierte sie ein selbsterstelltes Organigramm der Al-Kaida in Ostafrika, auf dem bunt mutmaßliche Mitglieder von Al-Shabab und Al-Kaida vermischt sind. In der öffentlichen Wahrnehmung wird kaum noch zwischen Al-Shabab und Al-Kaida unterschieden und mit der muslimischen Minderheit als Ganzes in Verbindung gebracht, während nur noch wenige seriöse Medien darauf hinweisen, dass es nur „mutmaßliche“ Verbindungen zwischen Al-Shabab und Al-Kaida gebe.

Dienstleister in Sachen Terror?

Auffallend war die Zögerlichkeit der Al-Shabab, sich zu den Anschlägen in Uganda zu bekennen und die Führungsebene hat das auch bis heute nicht getan. Tatsächlich zweifeln mittlerweile auch ugandischen und US-amerikanische Geheimdienste zumindest an deren alleiniger Urheberschaft. Verdächtigungen werden stattdessen gegen alles und jeden kolportiert. Als wahrscheinlich gilt mittlerweile, dass die Anschläge nicht mit Wissen der Führung von Al-Shabab durchgeführt wurden, sondern von Splittergruppen. Oder auch von denjenigen, die eine Al-Kaida-Gruppe in Ostafrika aufbauen möchten, aber noch längst nicht über die Organisationsstruktur und die guten Kontakte verfügen, die ihnen nachgesagt werden. In dem Maße, wie die Regierungen in Ostafrika mit internationaler Unterstützung gegen ihre jeweilige Opposition auf asymmetrische Kriegführung im Zuge der Terrorbekämpfung zurückgreifen, werden Organisationen wie Al-Kaida als Bündnispartner attraktiver. So fanden die Angriffe der Al-Kaida gegen Militär- und Polizeiposten im Jemen Ende September auch Anerkennung bei den säkularen Gruppen der jemenitischen Opposition. Ohnehin im Zuge der Terrorbekämpfung legaler und gewaltfreier Mittel des Protestes beraubt, ist nicht auszuschließen, dass sich zumindest Splittergruppen der Opposition zukünftig tatsächlich auch für Anschläge im Golf von Aden entscheiden. Das Know How könnte Al Kaida liefern. Aus Zuschreibungen von Oppositionsbewegungen als „terroristisch“ und international vernetzt könnten dazu führen, dass ein solches Terrornetzwerk tatsächlich auch in Ostafrika entsteht.