IMI-Standpunkt 2010/019 - in: AUSDRUCK (Juni 2010)

Die interessengeleitete Entwicklungshilfe des Herrn Niebel


von: Jonna Schürkes | Veröffentlicht am: 14. Juni 2010

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Hauptziel der Unionspolitik in diesem Bereich [der Entwicklungszusammenarbeit] ist die Bekämpfung und auf längere Sicht die Beseitigung der Armut. Bei der Durchführung politischer Maßnahmen, die sich auf die Entwicklungsländer auswirken können, trägt die Union den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit Rechnung. (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Artikel 208)

Dirk Niebel macht ernst. Angetreten mit der klaren Ansage, die Entwicklungszusammenarbeit auf deutsche Interessen und die Zuarbeit zum Militär zu verpflichten, macht er sich nun rasch an die Umsetzung seines Vorhabens. Anfang Mai stellte er im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die neue NGO-Fazilität für Afghanistan vor. In dem Fördertopf sind 10 Millionen Euro von insgesamt 225 Millionen Euro des BMZs für Afghanistan enthalten. Nur Organisationen, die sich zur Kooperation mit dem Militär bereit erklärt haben, haben Aussichten auf diese staatlichen Entwicklungshilfegelder.

Sicherheit statt Hilfe

Mit der Erhöhung der Gelder für den zivilen Wiederaufbau wird tatsächlich – entsprechend der Afghanistan-Strategie der Bundesregierung – finanziell das zivile im Vergleich zum militärischen Engagement in Afghanistan etwas gestärkt.[1] Eine Erhöhung der Mittel für den zivilen Aufbau ist wohl einer gewissen Einsicht geschuldet, dass militärisch der Krieg in Afghanistan für die NATO nicht zu gewinnen ist. Anstatt allerdings das Militär aus dem Land abzuziehen und Strukturen innerhalb Afghanistans zu unterstützen, damit eine Lösung des Konfliktes ausgehandelt werden kann, dienen die zusätzlichen zivilen Mittel – wie bereits zuvor – vorrangig der Legitimierung und Unterstützung der militärischen Besatzung des Landes.

Folge der Instrumentalisierung der zivilen Hilfe in Afghanistan ist, dass die Hilfsorganisationen ihre Arbeit nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt verrichten können und vor allem, dass die afghanische Zivilbevölkerung unter dieser Verquickung massiv zu leiden hat. Die im November 2009 veröffentlichte Studie „Knowledge on fire“, veröffentlicht von Weltbank, Care International und dem afghanischen Bildungsministerium, kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass in Afghanistan jene Schulen deutlich häufiger von Aufständischen angegriffen und zerstört werden, bei deren Bau oder Ausrüstung die so genannten Regionalen Wiederaufbauteams (PRTs), die aus Soldaten und zivilen Helfern bestehen, mitgeholfen haben. Dabei ist es unerheblich, ob die lokale Bevölkerung um diese Hilfe gebeten hat oder nicht.[2]

Trotz dieser eindeutigen Ergebnisse und aller Warnungen von Hilfsorganisationen zum Trotz, wird vom BMZ die Militarisierung der Entwicklungshilfe weiter vorangetrieben. Niebel hatte bereits kurz nach seiner Ernennung zum Entwicklungsminister angekündigt, dass die Entwicklungshilfe in Afghanistan mit dem militärischen Engagement Deutschlands enger verknüpft werden soll. In einem Interview mit dem Deutschlandradio-Kultur im Februar 2010 drohte er den Hilfsorganisationen dann offen: „Niemand wird zu irgendeiner Maßnahme gezwungen, aber der Auftritt der Bundesrepublik in Afghanistan wird ein einheitlicher sein. Dieses zusätzliche Geld, das in meinem Ministerium für Aufbaumaßnahmen zur Verfügung gestellt wird, zahlt der Steuerzahler, und der hat einen Anspruch darauf, dass wir einen kohärenten Auftritt haben, das bedeutet, dass das Geld auch dort ausgegeben wird, wo unsere Soldaten für Sicherheit sorgen. Und wer in den Regionen keine Aufträge durchführen möchte, der muss das nicht, aber er kann dann auch nicht an diesem Geld partizipieren.“[3]

Mit der Umsetzung dieser Drohung hat das BMZ inzwischen begonnen. Gelder aus der eingangs erwähnten „NRO-Fazilität“ erhalten nur jene Organisationen, die sich zum Konzept der „vernetzten Sicherheit“ bekennen. Im Weißbuch der Bundeswehr von 2006 wird sich prominent auf dieses Konzept bezogen und es entspringt somit einem sicherheitspolitischen Denken. Das BMZ hat dieses Konzept allerdings inzwischen übernommen.[4] Der Grundgedanke des Konzepts der vernetzten Sicherheit ist, dass aufgrund der vermeintlich diversen Sicherheitsbedrohungen, denen sich Deutschland ausgesetzt sehe, zivile und militärische Strategien und Akteure gemeinsam diese Bedrohungen bekämpfen müssten. Ganz klar stehen damit für die Entwicklungspolitik nicht die Bedürfnisse der Empfänger der Entwicklungshilfe im Vordergrund, sondern die Sicherheit Deutschlands. „Die Bundesregierung hat zuallererst die Sicherheitsinteressen Deutschlands im Blick zu haben und das mit den Entwicklungsinteressen der Partnerländer zu verbinden. Es wäre verantwortungslos, wenn wir das nicht täten“, so Niebel.[5] Entsprechend wird auch der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU, Christian Ruck, von der Deutschen Welle zitiert: „Entwicklungspolitik werde immer mehr zu einer Frage der eigenen Sicherheit“.[6]

Für die Organisationen, die Gelder über die NRO-Fazilität beantragen wollen, bedeutet dies zunächst, dass in Afghanistan fast ausschließlich Projekte in solchen Regionen gefördert werden, in denen deutsche Soldaten stationiert sind.[7] Hinzu kommt, dass die Organisationen sich mit der Bundeswehr über ihre Arbeit austauschen müssen. „Wenn Hilfsorganisationen künftig von den zusätzlichen Bundesmitteln profitieren wollen, dann müssten sie ab sofort auch mit der Bundeswehr in Kontakt treten und sagen, was sie vorhaben“, so Niebel.

Für die Bundeswehr ist diese Zusammenarbeit vor allem aus zwei Gründen wichtig: zum einen will sie das Vertrauen, das zivile Organisationen bei der lokalen Bevölkerung genießen, zur Informationsgewinnung nutzen, zum anderen soll zivile Aufbauhilfe die Präsenz von Militär gegenüber der Zivilbevölkerung legitimieren: „Da, wo unsere Soldaten für Sicherheit sorgen, sollen auch die Menschen spüren, dass es ihnen persönlich besser geht“, so Niebel.

Ein Oberst a.D. als Abteilungsleiter im BMZ

Der Minister ist sich aber offensichtlich des Problems bewusst, dass nicht alle BMZ-Mitarbeiter diese Verzahnung, die er selber für sinnvoll hält, mittragen. Im Dezember 2009 erklärte er: „Im Gegensatz zu meiner Amtsvorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul habe ich aber auch keine Bundeswehr-Phobie“. Er vertrete eine ganz andere Politik als die der ehemaligen Entwicklungsministerin. Aus diesem Grund hat er wichtige Stellen innerhalb des Ministeriums neu besetzt. In dem Zusammenhang ist es auch falsch, in der Ernennung von Oberst a.D. Friedel H. Eggelmeyer zum Verantwortlichen für die Entwicklungszusammenarbeit mit Nordafrika, Nahost und Afghanistan lediglich einen Freundschaftsdienst ehemaliger Bundeswehrkameraden zu sehen. Eggelmeyers Qualifikation liegt eben gerade in seiner militärischen Karriere. Die Parlamentarische Staatssekretärin beim BMZ Gudrun Kopp erklärte im Bundestag: „[Eggelmeyer] verfügt […] über umfangreiche Erfahrung und Kompetenz im Bereich der vernetzten Sicherheit und trägt somit maßgeblich dazu bei, die Kohärenz zwischen entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitischen Aspekten sicher zu stellen“. Und auch Niebel meint: Eggelmeyer „beherrscht […] die Sprache der Bundeswehr so, dass mein Ministerium vernünftig mit den Streitkräften zusammenarbeiten kann“.[8]

In diesem Punkt bekommt Niebel auch reichlich Unterstützung aus der CDU/CSU-Fraktion. So erklärte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU Ernst-Reinhard Beck im Bundestag: „Dass der neue Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung keinerlei Berührungsängste mit der Bundeswehr hat, lässt mich auch hoffen, dass wir unsere Anstrengungen beim zivilen Aufbau verstärken und den Menschen dort, wo wir Verantwortung tragen, wo auch unsere Soldaten sind, nicht nur das Gefühl vermitteln, dass es besser wird, dass sie jetzt besser leben, dass das, was wir wollen, auch bei den Menschen ankommt, sondern dass wir auch Tatsachen schaffen“.[9]

Entwicklungshilfe für die deutsche Wirtschaft

Entwicklungspolitik soll nicht nur sicherheitspolitischen, sondern auch wirtschaftspolitischen Interessen Deutschlands dienen. Niebel degradiert das Entwicklungshilfeministerium inzwischen zunehmend zu einer Stelle der deutschen Außenhandelsförderung. Verschiedene Branchen sollen in Zukunft verstärkt von der Entwicklungshilfe profitieren: „Ja, ich will sie [die Entwicklungshilfe] mehr als bisher an unseren eigenen Interessen ausrichten. Man darf darauf hinweisen, dass es – zum Beispiel im Klimabereich – sehr gute deutsche Produkte gibt. Es darf der deutschen Wirtschaft nutzen, wenn wir Entwicklungszusammenarbeit betreiben“.[10] Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den deutschen Schiffbau sollen ebenfalls unter anderem mit Entwicklungshilfegeldern abgeschwächt werden: „Um deutschen Werften Aufträge zu verschaffen, soll im Rahmen der Entwicklungshilfe die Lieferung von Schiffen geprüft werden. Der zuständige Bundesminister Dirk Niebel habe ihm [Hans Joachim Otto, Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft] ‚die klare Ansage, dass da was zu machen ist’, gegeben“.[11]

Gelder, die zur Armutsbekämpfung verwendet werden sollten, sollen aber nicht nur der Exportwirtschaft zu Gute kommen, auch die Energieversorgung Deutschlands soll mit diesen Geldern gesichert werden. Reichlich unverhohlen äußerte sich dementsprechend Christian Ruck vor der Bundestagswahl 2009: „Ich finde es legitim, wenn wir bei der Reduzierung der Länderliste im Zuge der entwicklungspolitischen Arbeitsteilung deutsche Interessen berücksichtigen. Zum Beispiel: Welche Länder sind für uns aus Gründen der Energiesicherheit wichtig? Deshalb haben wir dafür gekämpft, dass wir uns stärker um Algerien kümmern.“[12]

Fazit: Energischer deutsche Interessen vertreten

Die Entscheidung, den Posten des Entwicklungsministers ausgerechnet mit Niebel zu besetzten, der zuvor die Abschaffung eben jenes Ministeriums gefordert hatte, hat in der Presse zunächst vor allem zu Erheiterungen geführt. Es sei vor allem das Geifern nach dem Posten ausschlaggebend gewesen. Es wäre aber inzwischen an der Zeit, die Argumente der Regierung und Niebels selbst, es gehe vielmehr um eine kohärente Außenpolitik, ernst zu nehmen. Ein Entwicklungshilfeministerium, das eben deutsche Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen vertritt, dient diesem Anspruch weit mehr als eine Abteilung für Entwicklung im Auswärtigen Amt. Schließlich, so Niebel: „[…] wir [haben] viele Möglichkeiten […], die das Auswärtige Amt nicht hat. Es kann aus politischen Gründen mit vielen Ländern nicht kooperieren. Wir hingegen können Nichtregierungsorganisationen finanziell unterstützen und so inoffiziell Zugang zu einem Land bekommen.“[13]

Anmerkungen:

[1] Bislang standen die Ausgaben für den zivilen Wiederaufbau und die Militärausgaben in einem Verhältnis von circa eins zu vier, seit kurzem etwa im Verhältnis eins zu zwei (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Partei DIE LINKE: Deutsche Entwicklungszusammenarbeit, ziviler Wiederaufbau und zivil-militärische Zusammenarbeit in Afghanistan, Bundestags-Drucksache 17/1708, Mai 2010).

[2] Marit Glad: Knowledge on Fire: Attacks on Education in Afghanistan – Risks and Measures for Successful Mitigation, September 2009, S. 52.

[3] Niebel: Mehr Geld für zivilen Aufbau in Afghanistan, Deutschlandradio Kultur, 13.02.2010.

[4] Die Definition von vernetzter Sicherheit durch das BMZ lautet:„Mit dem sog. Konzept der vernetzten Sicherheit verfolgt die Bundesregierung in Afghanistan den Ansatz einer vernetzten Sicherheitspolitik. Demzufolge ist die Konfliktvorsorge und -bewältigung nur durch ein koordiniertes Vorgehen aller Beteiligten und die Integration aller Instrumente, der zivilen und der militärischen, erfolgreich. Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Bestandteil dieses Ansatzes. Dies schließt neben der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit auch die nicht-staatliche ein. Dabei geht es darum, sicherzustellen, dass zivile und nicht-zivile Akteure ihr Vorgehen aufeinander abstimmen. Das bedeutet keine Unterordnung der EZ unter die militärische Führung. Es bleibt somit bei getrennten Verantwortlichkeiten und einer gemeinsamen Verantwortung für ein gemeinsames Ziel.“ (www.bengo.de).

[5] „Die Hilfe wird nicht militarisiert“, in: Weltsichten 4/2010, S. 50.

[6] Entwicklungspolitik ohne eigenes Ministerium, Deutsche Welle, 07.10.2009.

[7] Ausschreibung zur NRO-Fazilität Afghanistan, in: Bengo Rundbrief – Sonderausgabe Mai 2010, S. 4; URL: www.bengo.de.

[8] Dirk Niebel: „Mir ist das Parteibuch völlig egal“, Hamburger Abendblatt, 06.03.2010.

[9] Ernst-Reinhard Beck: Mit der neuen Strategie gewinnen wir Initiative und Gestaltungskraft zurück. Plenarprotokoll vom 27.01.2010, Bundestags-Drucksache 17/18, S. 1539.

[10] „Ich werde mehr tun als meine Vorgängerin“, Süddeutsche Zeitung, 04.12.2009.

[11] Mehr Staatsaufträge für deutsche Werften in Aussicht, Neue Züricher Zeitung, 19.03.2010.

[12] Deutsche Entwicklungspolitik wohin? Debatte mit den entwicklungspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Bundestagsparteien, in: Welt-Sichten 08-2009.

[13] Niebel will das Entwicklungshilfe-Ministerium umkrempeln, Der Westen, 21.12.2009.