Auf dieser Seite haben wir zahlreiche Informationen rund um das Thema Zivilklausel an der Universität Tübingen zusammengetragenusammengetragen:
1) Interview mit dem Ethnologen Volker Harms im Schwäbischen Tagblatt vom 28.04.2020
http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/hochschule_artikel,-Ethnologe-Volker-Harms-Bundeswehrangehoerige-sollen-nicht-ueber-jedes-Thema-lehren-duerfen-_arid,99223.html
2) IMI-Standpunkt 2010/014: Es lebe der Dialog!
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2109
3) IMI-Standpunkt 2010/013: Krieg ist Frieden, Unwissenheit ist Stärke und die Zivilklausel … eine Farce?
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2108
4) Offener Brief zum Seminar „Angewandte Ethnologie und Militär“
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2105
5) Erklärung des DGB-AK Tübingen zum Bruch der Zivilklausel an der Universität Tübingen
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2110
6) Offener Brief der Marxistischen Aktion Tübingen
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2092
1) Dokumentation – in: Schwäbisches Tagblatt, 28.04.2010
Die Zivilklausel setzt der Universität Grenzen
Ethnologe Volker Harms: Bundeswehrangehörige sollen nicht über jedes Thema lehren dürfen
Tübingen. Im Vorfeld des Hauptseminars „Angewandte Ethnologie und Militär“ entzündete sich heftige Kritik insbesondere auch daran, dass es von einer Angehörigen der Bundeswehr gehalten wird.
Monika Lanik ist Oberstleutnant und promovierte Ethnologin. Mit Hinweis auf die Zivilklausel forderten Mitglieder von Friedensgruppen das Rektorat auf, das Seminar zu verbieten. Das Rektorat indes verwies auf die Lehrfreiheit und darauf, dass eine Verherrlichung von Krieg nicht erkennbar sei. Eine heftige Diskussion bei einer Informationsveranstaltung am Freitag endete mit dem Kompromiss, der unter anderem enthält, dass der pensionierte Tübinger Ethnologe Volker Harms, 68, als Korrektiv am Seminar mitwirkt.
AUDIMAX: Die Deutsche Gesellschaft für Völkerkunde (DGV) beschloss voriges Jahr in Frankfurt eine Ethik-Erklärung. Monika Lanik hat ihr zugestimmt. Sie sind einer der wenigen, die nicht zustimmten. Warum nicht?
Volker Harms: Die Frankfurter Erklärung ist mir zu unverbindlich. Zu oft wird betont, dass jeder Ethnologe seine persönliche Entscheidung treffen muss. Außerdem verengt sie den Blick auf Gesellschaften, in denen, wie bei der unsrigen, das Individuum als schutzwürdig im Vordergrund steht. Es gibt aber auch Gesellschaften, in denen mehr das Kollektiv im Vordergrund steht. Diese Gesellschaften zu diskriminieren ist eigentlich für Ethnologen unzulässig. Die Erklärung wird dadurch sehr ethnozentrisch.
Ist es nicht überhaupt ein Problem von Ethik-Erklärungen, dass sie kaum einklagbar sind?
Im Fall der DGV ist die Erklärung zwar nicht einklagbar. Aber die DGV kann sich im äußersten Fall von Mitgliedern trennen, die eine solche Erklärung nicht teilen können.
Gibt es Beispiele für verbindlichere Ethik-Erklärungen?
Etwa die Erklärung, die von der American Anthropological Association verfasst wurde. Sie hat 1971 unter dem Eindruck des Missbrauchs der Ethnologie im Vietnamkrieg eine entschieden deutlichere Erklärung verfasst, die Vorbild für alle ethnologischen Vereinigungen weltweit sein könnte. Deren erster Absatz könnte den Wortlaut für eine Art Hippokratischen Eid in der Ethnologie abgeben.
Und wie lautet er?
Frei übersetzt: „In der Forschung hat die übergeordnete Verantwortung der Ethnologen denjenigen zu gelten, bei denen sie forschen. Wenn es einen Interessenkonflikt gibt, müssen diese Personen Vorrang haben. Ethnologen haben alles, was in ihrer Macht liegt, zu tun, um das physische, soziale und psychologische Wohlergehen derjenigen zu schützen, bei denen sie forschen, und deren Würde und Privatsphäre zu wahren.“
Was sprach dagegen, diese Erklärung auch für die DGV zu übernehmen?
Es gab drei Tagungen, an denen die Ethik-Frage angesprochen wurde: 2005, 2007 und 2009. An der Tagung im Jahre 2007 konnte ich nicht teilnehmen. Dabei wurde aber nach längeren Diskussionen eine Gruppe bestimmt, die die Frankfurter Erklärung vorbereiten sollte. Sie wurde auf der Tagung 2009 nur noch abgestimmt, war aber im Plenum nicht mehr diskutierbar. Ich habe mit einigen anderen dagegen gestimmt und habe übrigens mit Erstaunen am Freitag bei der Informationsveranstaltung von Shahnaz Nadjmabadi erfahren, dass die Frankfurter Erklärung nur deshalb verabschiedet worden sei, weil man sie für Forschungsanträge im internationalen Kontext benötigte. Ich hatte schon 2005 bei der DGV-Jahresversammlung mit einem Kollegen einen Antrag eingebracht, der aber nicht behandelt werden konnte. Darin sollte das Tätigsein von Ethnologen fürs Militär verurteilen sollte.
Sie können es nicht billigen, dass ein Ethnologe für die Bundeswehr arbeitet?
Zumindest nicht mit solchen Aufgaben wie der, fremde Gesellschaften zu erforschen und dann dieses Wissen dem Militär zur Verfügung zu stellen, das per Definitionem dieses Wissen gegen diese Gesellschaft nutzen will.
Eine andere Ethik-Erklärung ist die Zivilklausel der Universität. Halten sie diese für praktikabel?
Ich bin in dieser Frage hin- und hergerissen. Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen dieser Zivilklausel und der Freiheit von Forschung und Lehre. Als Pazifist bin ich für ihre Anwendung auch in diesem Fall. Aber als Wissenschaftler, der dreieinhalb Jahrzehnte in der Lehre tätig war und es auch jetzt noch gelegentlich ist, bin ich eher für die Freiheit der Lehre.
Was kann man in diesem Dilemma tun?
Nach Auswegen sinnen. Ich bin aber nicht der Meinung, dass das so simpel gemacht werden kann, wie der Prorektor Assmann, der in der Diskussion am Freitag einwarf, dass die Zivilklausel sowieso verfassungswidrig sein könnte. Aber man kann doch nicht einfach sagen: Wenn es Probleme geben sollte, kassieren wir die Zivilklausel wieder.
Ganz konkret: Können Bundeswehrangehörige erstens generell ein Seminar an der Universität halten? Und zweitens auch zum Thema „Angewandte Ethnologie und Militär?“
Ersteres ja. Aber ich würde fragen, was will er oder sie tun? Ich finde es grenzwertig, wenn die problematischen Seiten des Tätigseins für die Bundeswehr vordergründig neutral, faktisch aber positiv dargestellt werden.
Angenommen, Sie hätten zu entscheiden gehabt: Hätten Sie Frau Lanik einen Lehrauftrag über Angewandte Ethnologie und Militär erteilt?
Wahrscheinlich nicht, obwohl wir uns sehr gut kennen. Wir waren ja jahrelang Kollegen. Aber ich hätte ihr gesagt, dass es hier Grenzen gibt. Ich hätte nicht das Thema ausgeschlagen, sondern sie nur für einen Vortrag im Rahmen eines weiter gefassten Ethik-Seminar eingeladen.“
Nun hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt. Halten Sie ihn für tragfähig?
Ja. Aber er ist nur die zweitbeste Lösung.
Zu dem Kompromiss gehört unter anderem, dass Sie das Seminar begleiten sollen. Was heißt das konkret? Sind Sie eine Art Supervisor?
Ich bin immer dabei und bringe weitere alternative, konträre Literatur ein. Und bemühe mich, dass sie von den Seminarteilnehmern auch zur Kenntnis genommen wird. In den Diskussionen werde ich mich dann auch einbringen. Als Supervisor verstehe ich mich jedoch nicht. Eher als Teilnehmer mit verbindlichen Vorschlagsrechten.
Das Interview führte Hans-Joachim Lang
http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/hochschule_artikel,-Ethnologe-Volker-Harms-Bundeswehrangehoerige-sollen-nicht-ueber-jedes-Thema-lehren-duerfen-_arid,99223.html
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2) IMI-Standpunkt 2010/014
Es lebe der Dialog!
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2109
13.4.2010, Andreas Seifert
Bezeichnend an der Berichterstattung(1) über die Proteste für eine friedliche, militärfreie Universität ist der Umstand, dass sie übersieht, dass dieser auf die Unterbindung militärnaher Beiträge fokussiert. Der Protest erscheint also als undemokratisch, da er „verhindere […] Fragestellungen aus dem Militär in der zivilen Gesellschaft zu diskutieren.“ Diese Wiedergabe ist falsch, denn der Protest klagt vielmehr ein, dass es überhaupt zu einer Auseinandersetzung über Krieg und Frieden auch an der Universität kommt – aber er klagt auch ein, dass es die zivile Perspektive sein muss, aus der die Debatte läuft und nicht die militärische, die man mit Referenten erhält, welche von der Bundeswehr finanziert werden.
Zum Hintergrund: Im Dezember letzten Jahres wurde durch den Senat der Universität Tübingen eine neue Präambel zur Grundordnung der Uni beschlossen, in der es heißt: „Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.“ Mit der Einführung dieser Zivilklausel wurde eine Forderung der BesetzerInnen des Kupferbaus im vergangenen Jahr umgesetzt.(2)
Wenn also die Universität Tübingen nun eine Veranstaltung des Reservistenverbandes unterstützt und mit ihrem Logo auf den entsprechenden Einladungsflugblättern vertreten ist, die die Welt vor allem aus der Perspektive des Militärs begreift, das qua Definition gewaltsame Konflikt-„Lösung“ betreibt, so darf und muss dies hinterfragt werden. Referenten ein Forum zu bieten, die Gewalt als die ultima ratio politischen Handelns begreifen, trägt nicht unbedingt dazu bei, „friedliche Zwecke“ zu fördern.
Wenn nun also das ethnologische Institut, in dem Bemühen seinen Studierenden die Breite möglicher (Berufs-)Einsatzgebiete zu offenbaren, einer Dozentin der Bundeswehr ein Hauptseminar überlässt, so muss die Frage erlaubt sein, wie das Institut eigentlich sicher stellen möchte, dass dies nicht zu einer Werbeveranstaltung für die Bundeswehr wird.
Hier greift die von der Sprecherin der Universität geäußerte Ansicht des Rektorats „Die Zivilklausel bedeutet nicht, dass nichts diskutiert oder in eine Lehrveranstaltung eingebracht werden darf, das mit Konfliktfällen oder Krieg zu tun hat“(3) zu kurz!
Der Protest, der Herrn Ischinger entgegengetreten ist, ist eine Reaktion nicht auf die „Friedlichkeit“ möglicher Aussagen in dem „Sicherheitspolitischen Forum“, sondern auf seine durchaus bekannten Positionen zu Krieg und Frieden in der Welt, die Jahr für Jahr über die „Münchner Sicherheitskonferenz“ verbreitet werden: Herr Ischinger ist kein Friedensengel, sondern eher ein Frontkämpfer. Eine kritische Analyse hierzu ist von den Veranstaltern in Tübingen nicht zu erwarten.
Ähnlich – und doch ganz anders – ist es mit Bezug zur Veranstaltung von Frau Lanik bei der Ethnologie. Der Protest möchte nicht, dass „kritische Stimmen“ mit „eingebunden“ werden, sondern hinterfragt den Grundaufbau des Seminars mit dieser Referentin. Auch sie steht für eine(!) Position, die sie ungeachtet ihrer eigenen Reflektiertheit wiedergibt. Dies ist sogar ihre Aufgabe, geht es doch um das Berufsbild Ethnologe beim Militär: ihrem Arbeitgeber.
Oder anders: es geht in diesem Protest nicht darum, die Auseinandersetzung mit dem Thema „Ethnologie beim Militär“ (Lanik) oder gar „Atomare Abrüstung“ (Ischinger) zu unterbinden – es geht darum, wer diese Themen behandelt und in welcher Form. Bundeswehrangehörige sind ungeeignet, die notwendige inhaltliche Debatte zu moderieren.
Die Sprecherin der Uni schiebt aber noch einen Satz nach, der das eigentlich Interessante an diesem Vorgang sein sollte: „Die Zivilklausel bedeutet nur, dass alles, was auf eine Verherrlichung von Krieg und auf Kriegstreiberei hinausläuft, verhindert werden soll.“(4) Dieser Satz macht deutlich, wie notwendig der studentische und breite gesellschaftliche Protest gegen die Veranstaltungen war. Die Zivilklausel, über die schon in den 90er Jahren an der Uni Tübingen gestritten wurde, besagt weitaus mehr, als „Kriegstreiberei“ zu verhindern. Sie fordert alle Mitglieder der Universität auf, sich damit auseinander zu setzen, ob ihre Forschung und ihre Lehre dem Ziel einer friedlichen Welt dienen. Ethnologen, die für das Militär arbeiten, ist diese Wahl bereits genommen – Studierenden, denen man das Berufsbild „Militär“ näher bringt, noch nicht.
Mit der Sichtweise auf die Zivilklausel als einem Lippenbekenntnis gegen Kriegshetze, wie es in den Aussagen der Uni zum Ausdruck kommt, versucht man wohl zu verhindern, dass die tatsächliche Diskussion, wie die Universität Tübingen bereits heute für das Militär und andere unfriedliche Zwecke forscht, öffentlich geführt wird. Die Auslegung der Zivilklausel ist nicht Sache des Rektorats, sondern aller Beteiligter innerhalb und außerhalb der Universität. Die Universität muss in einen Prozess finden, wie sie der Verantwortung, derer sie sich mit der neuen Grundordnung annimmt, gerecht wird – ein Anfang sollte es sein, öffentlich die Forschungsprojekte, die mit Mitteln des Militärs, des Verteidigungsministeriums oder aus dem Bereich der „Sicherheitsforschung“ der EU finanziert werden, auf ihren Beitrag zur Friedlichkeit der Welt hin zu überprüfen. Auf diesen „breiten Dialog“ freuen sich unter anderem all diejenigen Protestierer, die einseitigen Äußerungen von Figuren wie Herrn Ischinger entschieden entgegen getreten sind.
In den oben genannten Fällen ist die Universitätsleitung hinter den Erwartungen zurück geblieben und stempelt damit ihre eigene Zivilklausel zu Makulatur.
Für die Universität Tübingen wäre es angezeigt gewesen, sich von der Veranstaltung des „Bundesverbandes Sicherheitspolitik“ zu distanzieren und nicht Mitveranstalter oder Sponsor zu sein. Es wäre auch angezeigt gewesen, das Institut für Ethnologie aufzufordern, das Seminar zu Ethnologen im Militär mit einem Seminarleiter aus dem Institut zu veranstalten und (wenn sie es für fruchtbar halten) Frau Lanik mit einem Beitrag darin einzubinden.
Demokratie war noch nie eine Stärke der Hochschule – der Frieden wird es wohl auch nicht.
(1) Tagblatt 16. und 21. April 2010.
(2) http://imi-online.de/2010.php?id=2072.
(3) Tagblatt, 21.4.2010.
(4) ebenda.
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3) IMI-Standpunkt 2010/013
Krieg ist Frieden, Unwissenheit ist Stärke und die Zivilklausel … eine Farce?
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2108
13.4.2010, Christoph Marischka
Im Dezember letzten Jahres wurde durch den Senat der Universität Tübingen eine neue Präambel zur Grundordnung der Uni beschlossen, in der es heißt: „Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.“ Mit der Einführung dieser Zivilklausel wurde, so schien es, eine Forderung der Besetzer_innen des Kupferbaus im vergangenen Jahr umgesetzt (http://imi-online.de/2010.php?id=2072).
Bereits zu Beginn des folgenden Semesters waren jedoch zwei Veranstaltungen vorgesehen, die eklatant gegen die oben zitierte Zielsetzung wiedersprechen. Der Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen, Nachfolgeorganisation der Bundesarbeitsgemeinschaft Studierender Reservisten, veranstaltete am 15.4.2010 gemeinsam mit der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik im großen Senat – den wohl repräsentativsten Räumlichkeiten der Universität – sein Sicherheitspolitisches Forum. Als Unterstützer wurden auf den Einladungen und den Programmheften unmittelbar neben dem vom Verteidigungsministerium finanzierten Reservistenverband auch die Universität Tübingen angegeben.
Eine gute Woche später sollte am Institut für Ethnologie derselben Universität ein Seminar mit dem Titel „Angewandte Ethnologie und Militär“ stattfinden. Ebenso wie die einzigen beiden anderen Seminare des Instituts im Hauptstudium, die sich mit Ethnologie in der Medizin und in Museen beschäftigten, sollte hier auch ein Berufsfeld für Ethnolog_innen vorgestellt und ob der außergewöhnlichen Brisanz auch unter ethischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Das Seminar wird jedoch geleitet von Frau Dr. Monika Lanik, die selbst für die Bundeswehr tätig ist und unter anderem Materialien erstellt, mit denen Soldat_innen auf ihren Einsatz in Afghanistan vorbereitet werden und die den deutschen Streitkräften dabei helfen sollen, Stammesloyalitäten, Verwandtschaftsbeziehungen usw. für ihre Zwecke nutzbar zu machen (http://www.jpberlin.de/tueinfo/cms/node/19105).
Dass Frau Lanik also die ethischen Fragen nach dem Einsatz von Ethnolog_innen für die umgangssprachliche Kriegführung bereits beantwortet hat wird auch daran klar, dass sie dieses bereits als „neues Berufsfeld“ für EthnologInnen bewirbt. Wenn Ethnolog_innen nicht die Aufgabe der „interkulturellen Einsatzberatung“ übernähmen, so Lanik, bestünde die Gefahr, „dass das Wissen um kulturelle Gegebenheiten von Fachfremden ohne entsprechende Expertise abgedeckt werde“ (http://www.antropologi.info/blog/ethnologie/2010/bundeswehr-werbung-im-ethnologie-seminar).
Kein Wunder also, dass sich Teile der Student_innenbewegung und der Friedensbewegung provoziert fühlten. Ein offener Brief, den die Gruppe „Marxistische Aktion Tübingen“ an das Rektorat der Uni gerichtet hatte, blieb unbeantwortet und offensichtlich wurde er nicht einmal zur Kenntnis genommen (http://www.jpberlin.de/tueinfo/cms/node/19082). In ihm wurden bereits beide Veranstaltungen und insbesondere die Unterstützung der Universität für das „Sicherheitspolitische Forum“ kritisiert. Am Morgen des 15.4.2010 – noch bevor die Nachricht von vier weiteren gefallenen und zahlreichen verwundeten Soldaten der Bundeswehr öffentlich wurde – veröffentlichte die Informationsstelle Militarisierung einen offenen Brief, der von zahlreichen Mitgliedern des Runden Tischs der Friedensbewegung in Tübingen unterzeichnet wurde und in dem die Verantwortlichen der Universität aufgefordert wurden, „zu intervenieren, damit dieses Seminar [‚Angewandte Ethnologie und Militär‘] nicht stattfindet“. „Sollte dieses Seminar tatsächlich stattfinden“, so heißt es in dem Brief, „würde die Universität jegliche Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer neuen Präambel verspielen. Das wäre eine traurige Konsequenz. Für schlicht unerträglich halten wir die Tatsache, dass das Seminar ganz unabhängig von Zivilklausel, Forschung und Lehre auch deutliche Züge einer Rekrutierungsveranstaltung trägt, mit der EthnologInnen für den Dienst für das ‚umgangssprachlich Krieg‘ führende Verteidigungsministerium gewonnen werden können…“.
Am selben Tag störten Student_innen und Friedensbewegte den Auftritt des Organisators der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, beim Sicherheitspolitischen Forum und zogen, nachdem die Polizei eintraf, weiter zum Rektorat, um die Uni-Leitung zur Rede zu stellen (http://www.jungewelt.de/2010/04-20/038.php). In der Diskussion gab sich Rektor Engler überrascht, dass die Universität das Sicherheitspolitische Forum unterstützt hat und kündigte an, dies zu prüfen. Auch das Ethnologie-Seminar bewertete er als kritisch, konnte jedoch im Vorfeld keine Anhaltspunkte für eine Rekrutierungsveranstaltung erkennen. Eine solche halte er für nicht verienbar mit der Zivilklausel, eine kritische, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle der Ethnologie in Konflikten wie in Afghanistan hingegen schon, auch wenn diese studienrelevant sei und geleitet würde von einer Angestellten der Bundeswehr. Ein anderer Vertreter der Universität gab hierzu noch die etwas unpassende Bemerkung ab, die Student_innen sollten sich doch freuen, dass der Uni für dieses Seminar keine Kosten entstünden.
Rektor Engler berief sich auf den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ und wollte vorerste nicht eingreifen, sich aber weiter über die Dozentin Lanik kundig machen und sicherstellen, dass Vertreter_innen der Universitätsleitung dem Seminar beiwohnen und dieses „gegebenenfalls abbrechen, falls es Züge einer Rekrutierungsveranstaltung annimmt oder unwissenschtlich wird“.
Am folgenden Dienstag jedoch ließ der Rektor bereits über die Sprecherin der Universität mitteilen, das Seminar finde statt. Als Maßstab der Auseinandersetzung verwies sie dabei laut „Schwäbischem Tagblatt“ auf das Grundgesetz, der Arbeitgeber Frau Laniks, das Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr, sei eine demokratisch legitimierte Einrichtung der Bundesrepublik. Eine Zensur finde nicht statt. Zugleich wird Frau Dr. Lanik mit der Auffassung zitiert, wer das Seminar verhindere, verhindere damit auch die „Transparenz, Fragestellungen aus dem Militär in der zivilen Gesellschaft zu diskutieren“. „Die Zivilklausel bedeute nur, dass alles, was auf die Verherrlichung von Krieg und Kriegstreiberei hinausläuft, verhindert werden soll“, so die Sprecherin der Universität.
Damit knüpfte die Uni-Leitung an die Argumentation rechts-konservativer Kreise in Tübingen und auch des Schwäbischen Tagblatts an, welche die Störaktion beim „Sicherheitspolitischen Forum“ und auch den Offenen Brief wiederholt als Zensur und einem „kritischen“ oder „breiten Dialog“ entgegenstehend geißelten. Von „Linksfaschismus“ war auf dem Verteiler der Studierenden der Ethnologie die Rede, von Zensur, dass „die DDR da nicht mehr weit“ sei und davon, dass „man DEUTSCHEN Studenten sicherlich einen kritischen Blick auf die Welt und auch die Inhalte der Lehre bescheinigen kann“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Auch das Schwäbische Tagblatt meinte, Wolfgang Ischingers „Redefreiheit“ wiederherstellen zu müssen. Deshalb protraitierte es ihn in der Ausgabe vom 17.4.2010 ausführlich und wohlwollend als einen, der die Atomwaffen abschaffen wolle und der „[a]uf dem Balkan unter anderem, in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo …zu friedlichen Lösungen beitragen konnte“.
Welche friedliche Lösung er hiermit meinte – das jeweilige NATO-Bombardement, die andauernde militärische Besatzung beider Gebilde mit heute noch insgesamt fast 20.000 Soldaten oder die seither regelmäßigen Eruptionen nationalistischer Gewalt und ungelöster Territorialkonflikte – führte das Tagblatt jedoch nicht aus. Stattdessen diffamierte es kampagnenartig insbesondere das Tübinger Friedensplenum/Antikriegsbündnis mit der mehrmals wiederkehrenden Behauptung, dessen Mitglieder hätten Ischinger „niedergebrüllt“ oder „niedergeschrien“. Eine Behauptung, die entweder belegt, oder aber richtig gestellt werden sollte!
Wenn freilich die Bombardierung und Teilung Jugoslawiens ebenso als „friedliche Lösung“ gilt, wie der gegenwärtige „umgangssprachliche Krieg“ in Afghanistan, die Nutzbarmachung ethnologischer Forschung und Lehre und die Rekrutierung von Student_innen für diesen einem vermeintlichen „friedlichen Zweck“ dienen, dann gerät die Zivilklausel zur Farce, zur inhaltsleeren Beruhigungspille für die protestierende Studierendenschaft. Tatsächlich muss ein offener und pluralistischer Dialog über die „Armee im Einsatz“ gerade jetzt, wo diese Armee immer offener Krieg führt und „Gefallene“ beklagt, geführt werden und die Zivilklausel bietet hierfür einen geeigneten Anlass. Dass dieser „offene Dialog“ jedoch nicht durch von der Bundeswehr bzw. dem so genannten „Verteidigungsministerium“ finanzierte Personen und Organisationen moderiert werden kann entzieht sich in orwellscher Manier nicht nur der Presse und der Universität, sondern auch so genannten Friedens- und Konfliktforschern. Diese stellten sich beim Sicherheitspolitischen Forum offen auf die Seite der Veranstalter und überzogen die Protestierenden mit minutenlangen Tiraden (womit sie sich – unfreiwillig – in die zugegebenermaßen nicht besonders kreativen und niveauvollen aber vielfältigen Versuche der Störung der Veranstaltung einbrachten). Eine Wissenschaft, die sich in den Dienst des Krieges stellt, gehört abgeschafft!
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4) Offener Brief zum Seminar „Angewandte Ethnologie und Militär“
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2105
Folgenden Brief haben wir heute, am 15.4.2010, an die Verantwortlichen der Universität Tübingen und der Fakultät für Kulturwissenschaften versandt.
Weitere Unterzeichner_innen und Unterstützer_innen können sich unter imi@imi-online.de melden.
An Prof. Dr. Bernd Engler, Prof. Dr. Stefanie Gropper, Prof. Dr. Roland Hardenberg, Mitarbeiter_innen der Fakultät für Kulturwissenschaften und die Presse.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in Afghanistan wird de facto Krieg geführt, wie mittlerweile auch die Bundesregierung eingesteht. Dass sie de jure die Definition als Krieg für den Einsatz der Bundeswehr zurückweist hat schlicht damit zu tun, dass ein solcher Kriegseinsatz weder mit dem Grundgesetz, noch mit dem internationalen Recht noch mit dem ISAF-Mandat zu vereinbaren wäre. Darüber hinaus wird das Töten und Töten-Lassen von Menschen, wie es den Krieg und den Alltag in Afghanistan charakterisiert, von einer Mehrheit der Bevölkerung aus ethischen und moralischen Beweggründen abgelehnt.
Kürzlich hat sich die Universität Tübingen in der Präambel ihrer Grundordnung dazu verpflichtet, „Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.“ Wir begrüßen das ausdrücklich!
Dies steht jedoch in eklatantem Widerspruch zu der Tatsache, dass bereits im ersten Semester nach dem Beschluss der neuen Präambel am Institut für Ethnologie ein Seminar mit dem Titel „Angewandte Ethnologie und Militär“ stattfinden soll, gehalten von einer Ethnologin, die selbst für die Bundeswehr, u.a. in Afghanistan, tätig ist und vom Bundesverteidigungsministerium bezahlt wird. Sie wird Methoden darlegen, wie Ethnologen bei Konflikten wie in Afghanistan für die Streitkräfte unterstützend tätig werden können, um solche Kriege führ- und gewinnbar zu machen. Die als Reaktion auf den Protest einiger Studierender eilig in das Seminarprogramm eingefügte ethische Fragestellung ist angesichts der Stellung der Lehrenden unglaubwürdig.
Sollte dieses Seminar tatsächlich stattfinden, so würde die Universität jegliche Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer neuen Präambel verspielen. Das wäre eine traurige Konsequenz. Für schlicht unerträglich halten wir die Tatsache, dass das Seminar ganz unabhängig von Zivilklausel, Forschung und Lehre auch deutliche Züge einer Rekrutierungsveranstaltung trägt, mit der EthnologInnen für den Dienst für das „umgangssprachlich Krieg“ führende Verteidigungsministerium gewonnen werden können und dass diese Veranstaltung aufgrund des bescheidenen Angebots an Lehrveranstaltungen im Hauptstudium darüber hinaus einen gewissen Pflichtcharakter trägt.
Wir bitten Sie deshalb inständig, zu intervenieren, damit dieses Seminar nicht stattfindet. Ansonsten gehen wir davon aus und sollten auch Sie davon ausgehen, dass es im Vorfeld und auch während des Seminars zu Störungen kommen wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Erstunterzeichner_innen:
Carol Bergin (Initiative Colibri), Ilse Braun und Markus Braun (Ohne Rüstung Leben), Hans und Waltraud Bulling (Save-Me Kampagne und AK Asyl), Dr. Anne Frommann (Senioren für den Frieden), Benno Malte Fuchs (DFG-VK Tübingen und Informationsstelle Militarisierung IMI e.V.), Gudrun Kleinhaus (Mahnwache Tübingen), Christoph Marischka (IMI e.V.), Tobias Pflüger (IMI e,V.), Penelope Pinson (Tübingen Progressive Americans), Jens Rüggeberg (Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen), Ingrid Rumpf (AK Palästina), Michael Schwarz (Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen), Jürgen Wagner (IMI e.V.), Walburg Werner (Friedensplenum/Antikriegsbündnis Tübingen)
Unterstützer_innen:
Dr. Karl Th. Kleinknecht (Friedensbeauftragter des Ev. Kirchenbezirks Tübingen), Jürgen Heller (ATTAC Tübingen), Gus Hagelberg, Helen Boeckh, Carolyn Melchers und David Whizen (Tübingen Progressive Americans), Agathe Mulot, Dr. Dietrich Schulze (Initiative gegen Militärforschung an Universitäten), Bärbel Mauch (DGB Region Südwürttemberg, ehem. Ethnologiestudentin), Dr. Emanuel Peter (Stadtrat aus Rottenburg), Gerlinde Strasdeit (Stadträtin, Tübingen), Bernhard Strasdeit (Kreisrat Tübingen), Adelheid Schlott (ehem. Ethnologiestudentin, Mitglied des Instituts für Friedenspädagogik), Birgit Bock-Luna (ehem. Ethnologiestudentin), Heike Hänsel (Die LINKE MdB), Natalie Kuczera (ehem. Ethnologie-Studentin der Uni Tübingen, aktiv bei Attac Reutlingen), Sabine Ergenzinger und Claudia Lenger-Atan (Frauenverband Courage e.V.)
Dokumentation / Runder Tisch der Friedensbewegung in Tübingen
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5) Erklärung des DGB-AK Tübingen zum Bruch der Zivilklausel an der Universität Tübingen
https://www.imi-online.de/2010.php?id=2110
Staatliche Bildungseinrichtungen sind nicht nur hehre, politikfreie Orte der Wissenschaft, sondern immer schon auch Einrichtungen mit denen gesellschaftliche Macht, Herrschaft und Werte gesichert und definiert wurden. Dementsprechend sind sie natürlich politisch umkämpft. Immer wieder hat sich in der deutschen Geschichte beispielsweise auch die Tübinger Universität relativ opportunistisch zu den Machthabenden in Staat, Militär und Wirtschaft verhalten, was man auch leider an der Geschichte der Universität in der Weimarer Republik und im dritten Reich ersehen kann.Um so mehr haben wir Tübinger GewerkschafterInnen uns gefreut, als wir von der Tübinger Zivilklausel lasen, die besagt, dass die Tübinger Universität nur noch friedlichen Zwecken dienen soll. Anscheinend hatte sich die professorale Mehrheit in den Unigremien ein Herz gefasst und sich demokratisch an der Bevölkerungsmehrheit orientiert. Satte Mehrheiten gegen Kriegseinsätze der deutschen Bundeswehr im Ausland finden sich so deutlich bei kaum einem anderen kontrovers diskutierten Thema. Die Zivilklausel ist eine gute Sache – wird die Universität schließlich auch von unser aller Steuergelder finanziert.
Leider müssen wir nun wieder lesen, dass diese Zivilklausel an der Universität als demokratischer Entschluss der universitären Selbstverwaltung wohl nicht viel wert ist. Die Bundeswehr drängt an Hochschulen und Schulen und sucht nach Personal für militärische und zivilmilitärische Einsätze in fremden Ländern. In klarem Widerspruch zum eigentlichen Sinn des Grundgesetzes (von deutschem Boden soll kein Krieg mehr ausgehen) drängelt sich die Bundesrepublik heute wieder in eine „internationale Verantwortung“. Dafür müssen junge Menschen beispielsweise in Afghanistan sterben. Das ist nicht besonders attraktiv und bedarf einer dauernden Werbekampagne vor allem an Bildungseinrichtungen.
Für die finanziell gebeutelte Ethnologie bietet das zivil-militärische Management von Auslandseinsätzen besonders viele neue Berufsmöglichkeiten, gerade auch für (den opportunistisch orientierten Teil des) Nachwuchs. Denn die Ethnologie ist mit praktischen Berufsmöglichkeiten nicht gerade reich gesegnet. Wer diese Profession liebt, hat es nicht einfach, daraus seinen Broterwerb zu basteln. Wenn eine Angestellte der Bundeswehr für Umsonst eines von drei möglichen Hauptseminaren im Fach Ethnologie durchführt, darf man sich schon Sorgen machen. Wenn das Thema: „Angewandte Ethnologie und Militär“ heißt, ist die Sache klar. Natürlich stellt sich heutzutage niemand mehr hin und betreibt eine offene „Verherrlichung des Krieges“, wie es die Unisprecherin Hönig als Bedingung für die Geltung der Zivilklausel formuliert. Mit ernster, staatstragender Miene und atemberaubenden Konstruktionen („Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“) werden heute Militäreinsätze gerechtfertigt. Wenn Frau Lanik „Fragestellungen aus dem Militär in der zivilen Gesellschaft diskutieren möchte“ ist das die universitätsadäquate Verherrlichung von Krieg als Mittel der Außenpolitik heute.
Fragestellungen aus dem Militär sind beispielsweise: Wie töte ich Aufständische in Afghanistan ohne dass die Hinterbliebenen mir deswegen eine Mine an den Panzer hängen und ich einen Guerillakrieg am Hals habe? Zweifel an der militärischen Gewalt bestehen in „militärischen Fragestellungen“ nicht. Es wären sonst Fragestellungen der normalen Ethnologie oder auch Entwicklungshilfe. Militärische Probleme, wie das oben beschriebene muss die universitäre und zivile Gesellschaft nicht diskutieren. Sie bedeuten eindeutig einen Bruch der verabschiedeten Zivilklausel. Ein Seminar, das sich kritisch mit der Militärethnologie auseinandersetzt, kann nicht von Bundeswehrangestellten betrieben werden. Mehrdimensionalität der Betrachtung war von vorneherein in der Seminarchoreographie nicht angelegt. Erst nach aufkommendem Protest machten sich die Verantwortlichen motivationslos Gedanken über die Eindimensionalität der Seminaranordnung – zu spät! Das ist Bevormundung der Studierenden der Ethnologie, die auf das Hauptseminar angewiesen sind.
Wir fordern die Universität und ihre Angehörigen auf sich selbst und ihre Zivilklausel ernst zu nehmen. Die Unterstützung der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu haben sie. Allen EthnologiestudentInnen, die scharf auf angewandte Ethnologie im Dienste der Bundeswehr sind, empfehlen wir das Studium an einer Bundeswehruniversität. Diejenigen, die aus Seminarmangel auf dieses Seminar angewiesen sind, sollten sich noch stärker darüber Gedanken machen, warum ihr Fach in einer zivilen Ausrichtung mehr und mehr abgewickelt wird. Sie sollten für eine zivile Zukunft ihres wichtigen Faches streiten und demonstrieren – Auch indem sie dieses militarisierte Angebot boykottieren.
Militarisierung und die Verwicklung immer größerer Teile der Weltbevölkerung in kriegerische Auseinandersetzungen fanden noch nie von heute auf morgen statt. Es sind schleichende Prozesse, die auf den ersten Blick als gewöhnlich und normal erscheinen. Wir erklären uns solidarisch mit all denjenigen, die über zivilen Ungehorsam die schleichende Militarisierung der Universität aufhalten wollen, weil sie die Zivilklausel ernst nehmen. Wer sich für friedliche Konfliktlösungen weltweit einsetzte, befand sich in der deutschen Geschichte wahrscheinlich schon immer im Bereich der Überschreitung von Normen und Grenzen. Es geht leider nicht ohne Rückaneignung des universitären Raums und zivilen Ungehorsam. Vielleicht können die notwendigen Störungen ja sogar etwas humoristisch gestaltet sein. Vielleicht kann man so auch den Friedenswillen der OpportunistInnen wieder aufbauen und zurückgewinnen.
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6)Offener Brief an das Rektorat der Universität Tübingen
Lieber Herr Engler, Liebe Frau Gropper!
Über den Zeitraum mehrerer Wochen durften wir im vergangenen Semester ihre Strategie gegenüber den legitimen Forderungen der protestierenden Student*innen im Kupferbau der Uni Tübingen kennen lernen: Verbale Zugeständnisse kombiniert mit der Versicherung, wir hätten doch alle dieselben Ziele auf der einen Seite; eine starre Verweigerungshaltung bei der Umsetzung wirklicher Veränderungen auf der anderen. Diese Strategie hat nun – wirft man einen Blick auf die von ihnen zugesicherte ‚Zivilklausel’ und vergleicht diese mit dem Programm an der Uni Tübingen im SoSe 2010- eine neue Dimension erreicht.
Verabschiedet wurde im Senat eine ‚Zivilklausel’, die das Papier nicht wert ist, auf der sie gedruckt ist. Garantiert wird dabei – worauf bereits die Informationsstelle Militarisierung (https://www.imi-online.de/2010.php?id=2072) hingewiesen hat- keineswegs, dass es keine Kooperation von Universität und Rüstungskonzernen oder Bundeswehr geben darf; gefordert wird lediglich, dass die Forschung in irgendeinem Sinne ‚friedlichen’ Zwecken dienen muss. Die Schwammigkeit dieser Forderung wird nur noch von ihrer Naivität übertroffen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die Bundeswehr oder ihre Kumpanen in Politik und Kapital ihre Wehrforschung unter Titeln wie „Hauptseminar: Einführung: Wie bombardiert man ‚versehentlich’ die afghanische Zivilbevölkerung II“ an der Uni anbieten würden. Klarerweise redet man hier lieber über „Friedenssicherung“, über Engagement in Fragen der nationalen oder internationalen „Sicherheit“ oder über „außenpolitische Herausforderungen“ in einer multipolaren Welt. Ihrer Zivilklausel nach könnte man auch die Münchner Sicherheitskonferenz, ein Kriegstreibertreffen gegen welches jedes Jahr tausende Menschen auf die Straße gehen, an der Universität Tübingen stattfinden lassen.
Und tatsächlich, eine ähnliche, wenn auch bedeutend kleinere Veranstaltung haben Sie ja auch vor! Am 15. April 2010 soll, so kann man der Homepage des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH) entnehmen, an Ihrer Hochschule und mit offizieller Unterstützung selbiger das so genannte ‚Sicherheitspolitische Forum’ stattfinden. Abgesehen davon, dass am Programm so ausgewiesene Freunde militärischen Abenteurertums wie Wolfgang Ischinger, der Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz, vertreten sind, spricht schon das Ankündigungsplakat eine eindeutige Sprache: Zu sehen ist ein Mann vor einem Nuklearsprengsatz, auf dem groß „Iran“ zu lesen ist. An die Bombe ist ein kleines Lämpchen angeschlossen, und der Mann beteuert: „Really … it´s for peaceful, domestic uses…“. Säbelrasseln á la Tübinger ‚Zivilklausel’. Man könnte noch einiges über diese Tübinger Sicherheitskonferenz und ihr ‚friedenssicherndes’ Potential anfügen, aber vor unserem geistigen Ohr hören wir sie bereits rufen: „Aber ist nicht auch eine Grüne anwesend, die eine Lanze für die Abrüstung brechen wird? Und müssen wir als Pluralisten nicht auch die Argumente eines Carlo Masala hören?“ Nein, müssen wir nicht! Abgesehen davon, dass Grüne spätestens seit dem Jugoslawienkrieg nur noch sehr lückenhafte Feigenblätter für solche Veranstaltungen abgeben, weil sie selbst längst auf der Neuen Deutschen Welle richtung Platz an der Sonne schwimmen, können wir nicht tolerieren, dass unter dem Deckmäntelchen irgendwelcher ‚Diskussionen’ Studierende und Schüler*innen sukzessive an militaristische und imperialistische Positionen gewöhnt werden.
Ein gutes Beispiel für diese Gewöhnung sind die Jugendoffiziere der Bundeswehr, die Schülern und Schülerinnen durch Planspiele und ähnlichen Müll die ‚Arbeit’ der Bundeswehr näher bringen sollen. Richten Sie ihren Blick etwa auf die Homepage des Amtes für Geoinformationswesen der Bundeswehr, so werden sie dort ein schönes Schulprojekt finden, in dessen Rahmen bereits den Kleinsten ein Ausweg aus der Langweiligkeit des Schulunterrichts geboten wird: „Mathe muss nicht trocken sein“, heißt es dort, schließlich kann man ja auch Karten für die Bundeswehr zeichnen. „Wir tun im Wesentlichen das Gleiche wie jeder zivile Vermessungstrupp auch. Denn im Prinzip ist es egal, ob man den Gefahrenbereich einer Schießbahn auf einem Truppenübungsplatz oder die Grundstücksgrenzen in einem Neubaugebiet vermisst“, so Oberstleutnant Telzer zu den Elftklässlern.
Wir müssen Sie, Herr Engler und Frau Gropper, aber nicht auf diese Homepage hinweisen, denn Sie sitzen ja quasi an der Quelle, können Sie doch mit Frau Dr. Monika Lanik von der Ethnologie Tübingen direkt auf eine Angestellte dieses Amtes zurückgreifen. Diese bietet übrigens im kommenden Semester ein Hauptseminar zum Thema „Angewandte Ethnologie und Militär“ an. Ein Schelm, wer hier Böses denkt. Sie wird doch nicht etwa, wie ihr am rechten Rand agierender Kollege Thomas Bargatzky an der Uni Bayreuth, bei dem sie bereits mehrmals Gastvorträge hielt, Studierende dazu anhalten wollen sich bei der Bundeswehr zu engagieren? Bei dem regelmäßigen Autor der rechtsextremen Zeitschrift „Junge Freiheit“ Thomas Bargatzky kann der/die Interessierte direkt auf seiner Institutshomepage Formulare für Praktika bei der Bundeswehr downloaden. So wenig subtil wird Monika Lanik wohl nicht agieren. Dass Laniks Afghanistan-„Forschungen“ nichts desto trotz im Dienste des militärischen Engagements der Bundeswehr stehen, davon kann sich jedeR leicht in dem Buch „Afghanistan- Land ohne Zukunft?“ (download unter: www.streitkraeftebasis.de) überzeugen.
Sie werden sagen, wir sollen uns doch nicht über solche Kleinigkeiten echauffieren, es geht ja nur um „Diskussionen“. Aber steter Tropfen höhlt den Stein, und jeder dieser „Vorträge“ dient, ob bewusst oder unbewusst, ein und demselben Ziel: Die Menschen daran zu gewöhnen, dass die „Sicherheit“ Deutschlands am Hindukusch, am Horn von Afrika oder sonst wo verteidigt werden muss. Wir verweigern uns dieser deutschen Normalität: Bundeswehroffiziere in Klassenzimmern, Bundeswehrangestellte als Dozent*innen, Kriegslobbykonferenzen in der Neuen Aula sind keineswegs ‚normal’, und wir werden sie nicht stillschweigend hinnehmen. Auch Sie fordern wir auf, dieses Treiben nicht zu tolerieren!
Marxistische Aktion Tübingen, 21.März 2010
Quelle: http://www.jpberlin.de/tueinfo/cms/node/19082
Dokumentation / Marxistische Aktion Tübingen