IMI-Standpunkt 2010/014

Es lebe der Dialog!


von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 13. April 2010

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Bezeichnend an der Berichterstattung(1) über die Proteste für eine friedliche, militärfreie Universität ist der Umstand, dass sie übersieht, dass dieser auf die Unterbindung militärnaher Beiträge fokussiert. Der Protest erscheint also als undemokratisch, da er „verhindere […] Fragestellungen aus dem Militär in der zivilen Gesellschaft zu diskutieren.“ Diese Wiedergabe ist falsch, denn der Protest klagt vielmehr ein, dass es überhaupt zu einer Auseinandersetzung über Krieg und Frieden auch an der Universität kommt – aber er klagt auch ein, dass es die zivile Perspektive sein muss, aus der die Debatte läuft und nicht die militärische, die man mit Referenten erhält, welche von der Bundeswehr finanziert werden.

Zum Hintergrund: Im Dezember letzten Jahres wurde durch den Senat der Universität Tübingen eine neue Präambel zur Grundordnung der Uni beschlossen, in der es heißt: „Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.“ Mit der Einführung dieser Zivilklausel wurde eine Forderung der BesetzerInnen des Kupferbaus im vergangenen Jahr umgesetzt.(2)

Wenn also die Universität Tübingen nun eine Veranstaltung des Reservistenverbandes unterstützt und mit ihrem Logo auf den entsprechenden Einladungsflugblättern vertreten ist, die die Welt vor allem aus der Perspektive des Militärs begreift, das qua Definition gewaltsame Konflikt-„Lösung“ betreibt, so darf und muss dies hinterfragt werden. Referenten ein Forum zu bieten, die Gewalt als die ultima ratio politischen Handelns begreifen, trägt nicht unbedingt dazu bei, „friedliche Zwecke“ zu fördern.

Wenn nun also das ethnologische Institut, in dem Bemühen seinen Studierenden die Breite möglicher (Berufs-)Einsatzgebiete zu offenbaren, einer Dozentin der Bundeswehr ein Hauptseminar überlässt, so muss die Frage erlaubt sein, wie das Institut eigentlich sicher stellen möchte, dass dies nicht zu einer Werbeveranstaltung für die Bundeswehr wird.

Hier greift die von der Sprecherin der Universität geäußerte Ansicht des Rektorats „Die Zivilklausel bedeutet nicht, dass nichts diskutiert oder in eine Lehrveranstaltung eingebracht werden darf, das mit Konfliktfällen oder Krieg zu tun hat“(3) zu kurz!

Der Protest, der Herrn Ischinger entgegengetreten ist, ist eine Reaktion nicht auf die „Friedlichkeit“ möglicher Aussagen in dem „Sicherheitspolitischen Forum“, sondern auf seine durchaus bekannten Positionen zu Krieg und Frieden in der Welt, die Jahr für Jahr über die „Münchner Sicherheitskonferenz“ verbreitet werden: Herr Ischinger ist kein Friedensengel, sondern eher ein Frontkämpfer. Eine kritische Analyse hierzu ist von den Veranstaltern in Tübingen nicht zu erwarten.
Ähnlich – und doch ganz anders – ist es mit Bezug zur Veranstaltung von Frau Lanik bei der Ethnologie. Der Protest möchte nicht, dass „kritische Stimmen“ mit „eingebunden“ werden, sondern hinterfragt den Grundaufbau des Seminars mit dieser Referentin. Auch sie steht für eine(!) Position, die sie ungeachtet ihrer eigenen Reflektiertheit wiedergibt. Dies ist sogar ihre Aufgabe, geht es doch um das Berufsbild Ethnologe beim Militär: ihrem Arbeitgeber.
Oder anders: es geht in diesem Protest nicht darum, die Auseinandersetzung mit dem Thema „Ethnologie beim Militär“ (Lanik) oder gar „Atomare Abrüstung“ (Ischinger) zu unterbinden – es geht darum, wer diese Themen behandelt und in welcher Form. Bundeswehrangehörige sind ungeeignet, die notwendige inhaltliche Debatte zu moderieren.

Die Sprecherin der Uni schiebt aber noch einen Satz nach, der das eigentlich Interessante an diesem Vorgang sein sollte: „Die Zivilklausel bedeutet nur, dass alles, was auf eine Verherrlichung von Krieg und auf Kriegstreiberei hinausläuft, verhindert werden soll.“(4) Dieser Satz macht deutlich, wie notwendig der studentische und breite gesellschaftliche Protest gegen die Veranstaltungen war. Die Zivilklausel, über die schon in den 90er Jahren an der Uni Tübingen gestritten wurde, besagt weitaus mehr, als „Kriegstreiberei“ zu verhindern. Sie fordert alle Mitglieder der Universität auf, sich damit auseinander zu setzen, ob ihre Forschung und ihre Lehre dem Ziel einer friedlichen Welt dienen. Ethnologen, die für das Militär arbeiten, ist diese Wahl bereits genommen – Studierenden, denen man das Berufsbild „Militär“ näher bringt, noch nicht.

Mit der Sichtweise auf die Zivilklausel als einem Lippenbekenntnis gegen Kriegshetze, wie es in den Aussagen der Uni zum Ausdruck kommt, versucht man wohl zu verhindern, dass die tatsächliche Diskussion, wie die Universität Tübingen bereits heute für das Militär und andere unfriedliche Zwecke forscht, öffentlich geführt wird. Die Auslegung der Zivilklausel ist nicht Sache des Rektorats, sondern aller Beteiligter innerhalb und außerhalb der Universität. Die Universität muss in einen Prozess finden, wie sie der Verantwortung, derer sie sich mit der neuen Grundordnung annimmt, gerecht wird – ein Anfang sollte es sein, öffentlich die Forschungsprojekte, die mit Mitteln des Militärs, des Verteidigungsministeriums oder aus dem Bereich der „Sicherheitsforschung“ der EU finanziert werden, auf ihren Beitrag zur Friedlichkeit der Welt hin zu überprüfen. Auf diesen „breiten Dialog“ freuen sich unter anderem all diejenigen Protestierer, die einseitigen Äußerungen von Figuren wie Herrn Ischinger entschieden entgegen getreten sind.

In den oben genannten Fällen ist die Universitätsleitung hinter den Erwartungen zurück geblieben und stempelt damit ihre eigene Zivilklausel zu Makulatur.

Für die Universität Tübingen wäre es angezeigt gewesen, sich von der Veranstaltung des „Bundesverbandes Sicherheitspolitik“ zu distanzieren und nicht Mitveranstalter oder Sponsor zu sein. Es wäre auch angezeigt gewesen, das Institut für Ethnologie aufzufordern, das Seminar zu Ethnologen im Militär mit einem Seminarleiter aus dem Institut zu veranstalten und (wenn sie es für fruchtbar halten) Frau Lanik mit einem Beitrag darin einzubinden.

Demokratie war noch nie eine Stärke der Hochschule – der Frieden wird es wohl auch nicht.

(1) Tagblatt 16. und 21. April 2010.
(2) http://imi-online.de/2010.php?id=2072.
(3) Tagblatt, 21.4.2010.
(4) ebenda.