IMI-Standpunkt 2009/046

Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag: Aushebelung des Parlamentsvorbehalts


von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 10. August 2009

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In seinem Urteil vom 30. Juni hat das Bundesverfassungsgericht das Begleitgesetz zum EU-Vertrag von Lissabon einkassiert. Die Versuche, die Entscheidungsbefugnis des Bundestags über die Entsendung deutscher Soldaten in Kriegseinsätze (Parlamentsvorbehalt) auszuhebeln, seien unvereinbar mit dem Grundgesetz, so die Kernbotschaft des BVG-Urteils. In aller Deutlichkeit wird dort festgehalten: „Der deutsche Vertreter im Rat wäre in diesem Fall (EU-Ratsentscheidung über einen Militäreinsatz, T.P.) von Verfassungs wegen verpflichtet, jeder Beschlussvorlage die Zustimmung zu verweigern, die den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt des Grundgesetzes verletzen oder umgehen würde.“ Nun versucht die Bundesregierung jedoch offenbar mit einer Neufassung „nachzubessern“ – ohne aber die zentralen Kritikpunkte auszuräumen, im Gegenteil.

Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass jetzt bei den Verhandlungen der Fraktionen zum Begleitgesetz ohne jede öffentliche Diskussion Fakten geschaffen werden sollen. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen liegt bereits vor. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in vielen Punkten grob missachtet. Der Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz deutscher Soldaten wie auch das Verbot des Angriffskriegs (Art. 26 GG) wird nicht gesetzlich gegenüber europäischen Rechtsakten abgesichert. Der Bundestag erhält also keinesfalls mehr Rechte und zwar deshalb, weil die Bundesregierung auch künftig Militär- und Kriegseinsätzen im Rat zustimmen können will, ohne an ein hierfür eigentlich erforderliches Bundestagsmandat gebunden zu sein.

Wichtig ist hier festzuhalten, dass der Bundestag nicht nur über die Entsendung deutscher Soldaten entscheiden können sollte. Denn auch wenn sich Deutschland nicht mit Soldaten an einem EU-Einsatz beteiligen, diesem jedoch zustimmen würde, würden hierfür von deutscher Seite mitfinanzierte Institutionen und Strukturen genutzt. Auch in solchen Fällen müsste der Bundestag prüfen, inwieweit ein solcher Einsatz mit dem Verbot der Führung oder Unterstützung eines Angriffskrieges vereinbar wäre. Deshalb bedarf es einer umfassenden Stärkung der Rechte des Bundestages. Der Bundestag muss in allen Belangen die Position der Bundesregierung im EU-Rat frühzeitig festlegen können. Dies muss selbstverständlich auch für alle so genannten Missionen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sprich EU-Polizei- und Militäreinsätze, gelten.

Statt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, betreiben insbesondere CDU und SPD in diesem Zusammenhang ein demokratie- und verfassungsfeindliches Spiel. Es ist zu verurteilen, dass sie sich dabei mitunter auch noch einer deutschnationalen Argumentation bedienen, frei nach dem Motto, eine Stärkung des Bundestages würde die deutschen Interessen in Brüssel gefährden: „Eine Bindung der Regierung an das Parlament, wie sie die österreichische Verfassung vorsieht und von der CSU für das Begleitgesetz als Vorbild genannt wurde, könnte Deutschlands Rolle in der EU ‚marginalisieren‘, sagte Röttgen im Gespräch mit der F.A.Z. [09.08.2009]. ‚Um Europa in unserem Sinne und nach unseren hohen Standards mitgestalten zu können, braucht die deutsche Bundesregierung ein Höchstmaß an Flexibilität‘, sagte Röttgen.“

Doch auch hier ist das BVG-Urteil eindeutig: „Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt kann auch nicht aufgrund von sekundärrechtlich begründeten Handlungspflichten der Mitgliedstaaten umgangen werden.“ Wir brauchen jetzt eine breite öffentliche Diskussion über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Der Parlamentsvorbehalt muss völkerrechtlich abgesichert werden. Dazu muss die Bundesregierung einen völkerrechtlichen Vorbehalt erklären.

Offensichtlich geht es CDU und SPD nur darum, vor dem Referendum am 2. Oktober in Irland über den Vertrag von Lissabon das neue Begleitgesetz schnell über die Bühne zu bringen, um die JA-Stimmen zu unterstützen. Das ist absolut unwürdig und schlicht antidemokratisch. Ich fordere in diesem Zusammenhang dazu auf, das progressive NEIN in Irland zu unterstützen, u.a. durch eine Mitgliedschaft in der „Campaign Against the EU Constitution“ (CAEUC): www.caeuc.org/