IMI-Standpunkt 2008/005

Rezension: Feinbild Demonstrant

Polizeigewalt, Militäreinsatz, Medienmanipulation. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein Legal Team

von: Kevin Gurka | Veröffentlicht am: 30. Januar 2008

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Das Buch „Feindbild Demonstrant“ soll, so Wolfgang Kaleck im Vorwort, „neben der Kritik von polizeilicher Arbeit im Einzelfall und der Darstellung juristischer Auseinandersetzungen die Ereignisse von Rostock in einen größeren Zusammenhang herrschender Sicherheitspolitik stel[len].“[1]

Somit thematisiert dieses Buch in achtzehn Aufsätzen genau das, was die landläufige Berichterstattung über den G8-Gipfel so erfolgreich zu umgehen vermochte, nämlich das Versagen eines Rechtsstaats, in dem die klassische Gewaltenteilung aufgehoben und die bürgerlichen Rechte der Kritiker, dem Wohl der Staatsgäste und dem Großmachtsanspruch Deutschlands untergeordnet wurden.

„Auf der Ebene der polizeilichen Großlagenbewältigung ist damit die Entscheidung für ein absolutes Primat der Kontrolle schon politisch gefallen, bevor die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten ihrer Herstellung überhaupt auftritt. In einer demokratischen Gesellschaftsordnung sind die Prioritäten freilich andere: Bürgerlicher Freiheitsgebrauch, insbesondere in seinen staatsfernen Varianten, ist der Ausgangszustand jeder Demokratie und aller bürgerlichen Freiheiten. Die Freiheiten der Versammlung, der Meinungsäußerung und die Freiheit vor Überwachung sind Auftrag, nicht etwa Restposten staatlichen Handelns.“[2]

Die von vielen immer wieder als vierte Gewalt genannte Presse schaffte es nicht, sich der Desinformationspolitik der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Kavala erfolgreich zu entziehen, das Gros saß dieser allzu oft auf und half fleißig mit, deren Falschmeldungen im öffentlichen Gedächtnis zu verankern.

Thematisiert wurde die Gewalt vermummter Steinewerfer, Bilder eines brennenden Autos zogen um die Welt und erreichten selbst die in Afghanistan stationierten deutschen Soldaten, die sich dort in ihren Bundeswehrlagern auf einmal ganz sicher fühlten und froh waren, dass sie nicht wie ihre deutschen Kollegen von der Polizei Zeuge und Akteur solcher gewalttätiger Auseinandersetzungen wurden. Um wie in Deutschland üblich, nicht zu einseitig zu berichten und das Maß der Mitte zu wahren, fand sich auch das brutale Vorgehen der Polizei in manchen Medien wieder. Das erschreckende Ausmaß der deutschen Sicherheitspolitik im Innland, wurde aber von vielen MedienvertreterInnen, entweder nicht erkannt oder bewusst ignoriert. Es ist festzuhalten, dass „die Vorgänge in Heiligendamm das Verhältnis zwischen Staat und BürgerInnen – nicht nur vor Ort – in einen Ausnahmezustand versetzt [haben]. Es war ein Ausnahmezustand, wie er in dieser Form bislang einmalig in der Bundesrepublik gewesen ist. Viele Elemente dieses Ausnahmezustands – lückenlose Überwachung, polizeiliche Sonder- und Greiftrupps, Käfighaltung von Gefangenen, Massenverhaftungen und Demonstrationsverbotszonen – waren nicht neu. Andere hingegen – die Gründung einer mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten Sonderbehörde, der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Kavala, der Einsatz militärischen Geräts ‚in Amtshilfe’, die weitgehende Integration außenpolitischer Vorgaben in das polizeiliche Einsatzkonzept und offensive polizeiliche Medienarbeit – lassen in dieser Form eine neue Qualität erkennen.“[3]

Die in dem Buch veröffentlichten Aufsätze thematisieren diese neue Qualität. Den – verfassungswidrigen – Versuch, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, beschreiben Markus Euskirchen[4] und Gabriele Heinecke[5], in dem sie neben den Tornadoflügen, dem Einsatz von Feldjägern und Panzerspähwagen auch die historischen Beispiele solcher Einsätze, die Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Ausland (ZMZ-A) und die Zivilmilitärische Zusammenarbeit im Innland (ZMZ-I) – wie sie das Weißbuch der Bundeswehr vorsieht[6] – thematisieren. Heinecke beschreibt, wie zur Durchführung der ZMZ überall im Land künftig Kreisverbindungskommandos (KVKs) eingerichtet werden. “Sie bestehen aus jeweils ca. einem Dutzend Reservisten, die einen Trupp bilden, der von einem Oberstleutnant der Reserve geführt wird und direkt der Bundeswehr unterstellt ist. Jedem Landrats- bzw. Kreisamt wird ein derartiger Trupp zugeordnet.“[7] Euskirchen beschreibt wie der Einsatz im Inneren auf dem kurzen Dienstweg durchgeführt wurde und wie die Verpolizeilichung der Bundeswehr mit Hilfe bestimmter Feldjäger, des im Protektorat Kosovo neu aufgestellten „Crowd and Riot Control“ (CRC)-Zuges, nun auch im Innland – zur Aufstandsbekämpfung – Einzug hält.

Wie die Polizei mithilfe staatlicher Gelder zur einer medialen Offensive rüstete, wird in einem Aufsatz von Michael Backmund, Ulrike Donat und Karen Ullmann mit dem Titel „Feindbild Demonstrant“ geschildert. Sie berichten, wie die BAO Kavala erfolgreich Presse, Öffentlichkeit und Justiz desinformierte. „Nach dem Motto: die Polizei wird schon nichts Falsches sagen.“[8] wurden so aus Demonstranten und Demonstrantinnen Feinde, zu deren Bekämpfung die Bürgerrechte gerne mal ausgesetzt werden dürfen (wie dies i.Ü. auch bei Terrorismusverdacht der Fall ist). Weitere Aufsätze thematisieren den Einsatz von Zivilpolizisten und V-Männern, die Schaffung und die Arbeit der BAO Kavala, die durch § 129a legitimierten Razzien im Vorfeld des Gipfels, die anwaltliche Arbeit vor, während und nach dem Gipfel, sowie die Schikanen mit denen DemonstranInnen, Anwältinnen und Anwälte immer wieder zu kämpfen hatten. Neben sechs Gedächtnisprotokollen, in denen polizeiliche Willkür, Schikane und Gewalt in einer personalisierten Darstellung des Erlebten nochmals ihren Ausdruck finden, enthält das Buch ein Interview mit zwei BewegungsaktivistInnen, die ihre Wahrnehmung der Arbeit des Anwaltlichen Notdienstes von außen schildern.

Trotz vieler juristischer Ausführungen, Hinweisen und Fußnoten, die einen weiteren Einblick in die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands und seiner ausführenden Organe geben, scheint das Buch eher zu motivieren sich mit den (Un)tifen der Rechtswissenschaften auseinander zu setzen, als davon abzuschrecken. Zum Inhalt des Buches ist festzuhalten: Gut, dass es Leute gibt, die das Thema (informativ und verständlich) aufgearbeitet haben, traurig, dass dieses Buch geschrieben werden musste.

ISBN 978-3-935936-68-2 | 176 Seiten | erschienen Dezember 2007 | 10.00 € / 19.00 sF

http://www.assoziation-a.de/neu/Feindbild_Demonstrant.htm

Anmerkungen

[1] Wolfgang Kaleck. Vorwort. (2007:7).
[2] Heiner Busch und Sönke Hilbrans: Endprodukt Eventsicherheit. (2007:153).
[3] Heiner Busch und Sönke Hilbrans: Endprodukt Eventsicherheit. (2007:151).
[4] Markus Euskirchen. Bundeswehreinsatz im Inneren. Besichtigung im Hinterland des globalen zivilen Krieges. (2007:137).
[5] Gabriele Heinecke: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Die Verpolizeilichung des Militärischen. (2007:143).
[6] http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/sicherheitspolitik/grundlagen/weissbuch2006
[7] Gabriele Heinecke: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Die Verpolizeilichung des Militärischen. (2007:146).
[8] Michael Backmund, Ulrike Donat und Karen Ullmann: Feindbild Demonstrant. (2007:113).