IMI-Standpunkt 2007/066
Deutschland erwägt einseitige Anerkennung des Kosovo
NATO probt Balkan-Kriegseinsatz
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 25. Oktober 2007
Am 10. Dezember wird die Kosovo-Kontaktgruppe (USA, Russland, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) dem UN-Generalsekretär ihren Bericht vorlegen, der zu einer Lösung der Kosovo-Statusfrage führen soll.
Doch bereits jetzt zeichnet sich das Scheitern der Gespräche ab, denn während vor allem für die USA die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien unverhandelbar ist, wird dies von Belgrad mit Unterstützung Russlands ebenso kategorisch abgelehnt. Vor diesem Hintergrund meldete gestern der Deutschlandfunk unter Berufung auf „zuverlässige Quellen“, sollte bis zum 10. Dezember keine „einvernehmliche“ Lösung gefunden werden, habe die Bundesregierung bereits entschieden, den Kosovo auch gegen den Widerstand Serbiens und Russlands und ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates einseitig anzuerkennen.
Richtschnur für das weitere Vorgehen sind dabei die Vorschläge des von der UNO mit der Lösung der Statusfrage beauftragten Finnen Martti Ahtisaari, die zwar auf die de-facto-Herauslösung des Kosovos aus Serbien nicht aber auf die vollständige Unabhängigkeit der Provinz abzielen. Der Kosovo soll – geht es nach den Vorstellungen Brüssels – unter quasi-koloniale Beaufsichtigung der Europäischen Union gestellt werden. Hierfür soll der künftige EU-Sonderbeauftragte über nahezu uneingeschränkte Vollmachten im Kosovo verfügen, z.B. alle Gesetze des kosovarischen Parlaments und der Regierung annullieren und alle gewählten Vertreter und Beamte entlassen zu können. Darüber hinaus ginge die Kontrolle über die Geld- und Wirtschaftspolitik des Landes auf die Europäische Union über.
Richtigerweise forderte der SPD-Europaabgeordnete Helmut Kuhne deshalb „das Kind beim Namen zu nennen. Die Lösung, die Ahtisaari vorschlägt, hat man früher ein Protektorat genannt. Von einer wirklichen Unabhängigkeit kann keine Rede sein.“
Angesichts dieser Planungen ist gegenwärtig vollkommen unklar, wie Serbien auf die Versuche reagieren wird, ohne seine Zustimmung und – aufgrund eines nahezu sicheren russischen Vetos – ohne die des UN-Sicherheitsrates, seine territoriale Integrität und damit Souveränität derart drastisch einzuschränken – völkerrechtlich ist der Kosovo weiterhin ein integraler Bestandteil Serbiens.
Berichten zufolge kündigte der für den Kosovo zuständige serbische Staatssekretär Dusan Prorokovic an, Belgrad erwäge in diesem Fall die Grenzen zu sperren, eine Handelsblockade zu verhängen und eventuell sogar Truppen in die südliche Provinz zu schicken, um die territoriale Integrität wiederherzustellen.
Zwar wurden diese Aussagen von der serbischen Regierung umgehend dementiert, die NATO scheint sich gegenwärtig jedoch bereits auf einen neuerlichen bewaffneten Konflikt mit Serbien vorzubereiten.
So fand laut BBC in der Adria und in Kroatien zwischen dem 27. September und dem 12. Oktober 2007 das NATO-Manöver „NOBLE MIDAS 07“ statt, an dem etwa 2.000 Soldaten aus zwölf NATO-Staaten, u.a. aus Deutschland, teilnahmen.
„Das Manöver, durchgeführt von der NATO Response Force, basiert auf dem Szenario eines militärischen Konfliktes in einer sich abspaltenden Balkanprovinz. Es scheint eine kaum verhüllte Anspielung auf die gegenwärtigen Ereignisse im nahe gelegenen Kosovo zu sein, dessen mehrheitlich albanische Bevölkerung die Unabhängigkeit von Serbien anstrebt“, so der britische Nachrichtensender.
Parallel hierzu plant die Europäische Union die Entsendung von 70 Beamten, die dem künftigen EU-Prokonsul unterstehen und die Implementierung der EU-Vorgaben überwachen sollen. Darüber hinaus sollen im Rahmen einer eigenen EU-Mission zwischen 1300 und 1500 Richter, Zollbeamte, vor allem aber in „Aufstandsbekämpfung“ geschulte Polizisten entsandt werden, um den Kosovo unter Kontrolle zu halten. In den nächsten drei Jahren werden die Kosten der Mission auf 1.3 bis 1.5 Mrd. Euro veranschlagt.
Eine einseitige Anerkennung des Kosovo und die Errichtung eines de facto Protektorats stellt jedoch nicht nur einen gefährlichen Präzedenzfall für ähnlich gelagerte Konflikte dar – z.B. in Südossetien (Georgien) und Transnistrien (Moldawien), wo sich die EU vehement gegen Unabhängigkeitsbestrebungen ausspricht -, sondern diese Vorgehensweise ist auch gänzlich ungeeignet eine dauerhafte Lösung der Kosovo-Statusfrage zu erreichen.
Denn ohne eine Verhandlungslösung, der sämtliche Konfliktparteien zustimmen, sind weitere Auseinandersetzungen vorprogrammiert.