IMI-Standpunkt 2007/010 - Zeitung Letzebuerger Vollek, 27.1.07

Merkel und ihre Sherpas

Zur Strategie der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, den EU-Verfassungsvertrag oder seine Substanz doch noch durchzusetzen

von: Martin Hantke / Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 7. Februar 2007

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»Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 will die Bundesregierung als ‚ehrlicher Makler’ zur Wiederbelebung des Verfassungsprozesses beitragen«, so Pressemeldungen im Vorfeld der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft. Begleitet wurden diese von Meldungen über die Ergebnisse einer neuen Umfrage der EU-Kommission. Das »Handelsblatt« jubelt unter dem Titel »Vertrauen in EU-Verfassung wächst« am 19. Dezember 2006: »Unmittelbar vor Beginn der deutschen Ratspräsident-schaft wächst in der Europäischen Union die Zustimmung zur EU-Verfassung. Dies belegen die Zahlen der ‚Eurobarometer’-Herbstumfrage, die die EU-Kommission am Montag vorlegte.«

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Die Befürworter des EU-Verfassungsvertrags scheinen wieder in Fahrt zu kommen. Das bestätigt auch die »Financial Times Deutschland«, die am 18. Dezember unter der Überschrift »Initiative für Verfassung spaltet EU« über Pläne für ein Sondertreffen auf spanisch-luxemburgische Initiative berichtete, das die Staaten, in denen die Ratifizierung an der Mehrheit der Bevölkerung gescheitert ist, unter Druck setzen will.

»Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte bei einem Besuch in Kopenhagen das Verfassungsprojekt zu ei-ner zentralen Herausforderung«, heiß es ebenfalls am 18.12. in »Merkur Online«. Das ist ernst zu nehmen. Die deutsche Ratspräsidentschaft wird im ersten Halbjahr 2007 alles versuchen, um die weitere Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrags voranzutreiben.

Wie bei der Auswertung der Eurobarometerumfrage der EU-Kommission wird jedoch von Anfang an ge-trickst, daß sich die Balken biegen. Da wird das, was nicht ins Bild passt, einfach verschweigen. So heißt es etwa in der Vorabveröffentlichung der Umfrage: »Die Zustimmung zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist etwas niedriger als im Frühjahr 2006. Im Durchschnitt glauben jetzt 53% der EU-Bürger, daß die Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union eine gute Sache ist (-2 Punkte). 16% der Befragten finden dagegen, daß dies eine schlechte Sache ist (+3 Punkte).«

Oder auch: »Der Anteil der Bürger, die finden, daß sich die Dinge in der Europäischen Union in die richtige Richtung entwickeln, ist um 6 Punkte gesunken. Ein gleich hoher Anteil von Bürgern meint jetzt, daß sich die Dinge in der Europäischen Union in die falsche Richtung entwickeln (33%; +6 Punkte).«

»Grundsätzlich sind fast drei Viertel der Bevölkerung für eine EU-Verfassung. EU-weit sind 63 Prozent der Befragten für eine Verfassung. Auch in den Niederlanden und Frankreich, die sich in Volksabstimmungen gegen den Verfassungstext ausgesprochen hatten, gibt es Mehrheiten für eine europäische Konstitution. In Deutschland ist aber eine Mehrheit von 51 Prozent für einen neuen Anlauf bei Verhandlungen über den EU-Verfassungsvertrag. In Frankreich und den Niederlanden wünschen sich sogar rund zwei Drittel der Befrag-ten Neuverhandlungen. Im EU-Durchschnitt sind 48 Prozent für einen Neuanfang.« So stellt es »Financial Times Deutschland« am 19.12. dar.

Die Bundesregierung ficht dies nicht an. Ihr Programm für die EU-Ratspräsidentschaft setzt ganz und gar auf einen Fahrplan, um den EU-Verfassungsvertrag doch noch durchsetzen zu können. Grundlage ist dabei das »Achtzehnmonatsprogramm der drei Präsidentschaften Deutschland, Portugal und Slowenien«. Zudem baut man auf den Vorarbeiten des finnischen Ratsvorsitzes und auf dem Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2007 auf. Ein eigener EU-Gipfel am 21. und 22. Juni soll sich mit der »Zukunft des EU-Verfassungsvertrages« befassen.

Im deutschen Präsidentschaftsprogramm erstehen alle Mythen und Legenden der EU-Verfassungsvertragsbefürworter neu. Der EU-Verfassungsvertrag sehe »wichtige Fortschritte für ein wert-orientiertes und sozial gerechtes Europa vor, für mehr Bürgerrechte, für eine Verstärkung der Zusammen-arbeit Justiz und Inneres, für eine bessere Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Union und den Mitgliedstaaten, für eine stärkere Beteiligung der nationalen Parlamente und für eine stärkere Außen- und Sicherheitspolitik.«

Der neue EU-Vertrag mache die EU »demokratischer, handlungsfähiger und transparenter«. Der Ratifizierungsprozeß aber sei »ins Stocken« geraten, deshalb habe man den Auftrag erhalten von den Staats- und Regierungschefs, »mit den EU-Mitgliedstaaten ausführliche Konsultationen zu führen und anschließend dem Europäischen Rat einen Bericht vorzulegen.« Dieser Bericht soll dann »künftige Entwicklungen auf-zeigen und als Grundlage für Beschlüsse dienen«, wie der Verfassungsvertrag doch noch ratifiziert werden kann.

Bis 2009 will Bundeskanzlerin Merkel den EU-Verfassungsvertrag trotz aller Widerstände unter Dach und Fach bringen. Dafür bleibt ihr nicht mehr viel Zeit. Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die Entscheidung zu sehen, eine de facto neue Regierungskonferenz einzuberufen, um zu retten, was zu retten ist.

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 14. und 15. Dezember hat Merkel deshalb die anderen Staats- und Regierungschefs gebeten, persönliche Beauftragte für den Verfassungsvertrag zu benennen. Die »Financial Times Deutschland« berichtet am 18.12.: »Diese Sherpas sollen über Prokura verfügen, im Namen ihrer Chefs zu verhandeln.« Die Beauftragten sollen während der deutschen Ratspräsidentschaft nach Berlin reisen, um mit »Merkels eigenen Sherpas« zu sprechen. Dieses Verfahren wird auch »Beichtstuhlverfahren« genannt und wurde auf EU-Gipfeln schon mehrfach angewandt, um Sackgassen durch die Anbahnung neuer Tauschgeschäfte aufzulösen.

Erstes Ziel ist die Vorbereitung der sogenannten Berliner Erklärung, »die am 25. März den 50. Jahrestag der europäischen Gründungsverträge von Rom würdigt«. Parallel soll ein Bericht erstellt werden, »welche Elemente des gescheiterten Verfassungsentwurfs in den neuen Text übernommen werden können«. Ziel der Bundesregierung ist es, so die »Financial Times Deutschland«, »daß die Europajuristen aus dem Be-richt den neuen Vertrag machen, den die 27 EU-Regierungen dann unter portugiesischem Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2007 formell beschließen würden«. Nur wenn dies gelänge, wäre der Zeitplan der Ratifizierung bis 2009 einzuhalten, so daß alle EU-Mitgliedstaaten per Parlamentsentscheid oder Referendum dem neuen EU-Vertrag zustimmen könnten.

Als Begleitstrategie haben die Befürworter des EU-Verfassungsvertrags eine neue Propagandakampagne aus der Taufe gehoben. Teil dieser Kampagne ist auf der einen Seite, die »positiven Wirkungen der EU-Politik« herauszustellen, auf der anderen Seite soll mit dem Madrider Treffen der 18 Ratifiziererstaaten Druck ausgeübt werden, um die bisherigen Nein-Sager zu beeindrucken.

Begleitet wird dies auch noch durch eine Kommunikationsstrategie, laut der es ohne vorherige Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages keine weiteren Beitritte zur EU geben soll. Damit soll offensichtlich gerade auf »die Position von Erweiterungsanhängern wie Großbritannien« Druck ausgeübt werden, meint die »Financial Times«.

Flankiert wurde diese Strategie durch die Annahme zweier Berichte im Dezemberplenum des EU-Parlaments. Zum einen werden im »Bericht Stubb« vom 13. Dezember 2006, wenn auch verklausuliert, weitere Erweiterungen an eine Verabschiedung eines neuen EU-Vertrags gebunden. Im Bericht heißt, daß das EU-Parlament die Auffassung vertritt, »daß die Union mit Blick auf die Sicherstellung ihrer Integrationsfähigkeit eine Entscheidung bezüglich des Umfangs und des Inhalts der Reformen treffen muß, deren Umsetzung notwendig ist, bevor es zu künftigen Erweiterungen kommt«.

Im »Bericht Brok«, den das EU-Parlament am gleichen Tag mit großer Mehrheit verabschiedete, werden die Staats- und Regierungschefs aufgefordert, »den Verfassungsprozeß bis Ende 2008 abzuschließen, wie auf dem Europäischen Rat von Brüssel im Juni 2006 angegeben, um die Union in die Lage zu versetzen, effizienter, transparenter und demokratischer zu arbeiten, was eine unabdingbare Voraussetzung für künftige Erweiterungen ist«. Der Bericht »erinnert die Staats- und Regierungschefs an ihre Pflicht, diesen Prozeß vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament zum Abschluß zu bringen, um eine Verzögerung der laufenden Beitrittsverhandlungen zu vermeiden«.

Als weitaus wichtigere Waffe, um die EU-Verfassung doch noch durchzubringen, könnten sich jedoch die finanziellen Drohgebärden der Bundesregierung hinter den Kulissen erweisen: »Wer sich gegen die Ver-fassung stelle, lautet die Drohung, stelle die finanzielle Solidarität in Europa infrage«, schreibt »Financial Times Deutschland« am 18.12. Das soll offensichtlich helfen, gerade ärmere EU-Mitgliedstaaten, die zu den Nettoempfängerländern aus dem EU-Haushalt gehören, gefügig machen.

Ziel ist in jedem Fall, mehr als einen »Minivertrag zur Instititutionenmechanik« herauszuholen, heißt es im FTD-Artikel. Dann müsse der neue Text auch nicht mehr mit dem Nimbus einer Verfassung versehen wer-den und könne wie die vormaligen EU-Verträge den Namen der Stadt tragen, in der er unterzeichnet wurde, so wie die Römischen Verträge, der Vertrag von Amsterdam, Maastricht und Nizza. Es gehe Merkel letzt-endlich darum »die Substanz des Entwurfs zu retten«.

Dazu gehören die neue Machtgewichtung im EU-Rat, die sich vor allem zugunsten Deutschlands ver-schiebt, die EU-Grundrechtecharta mit dem Ausschluß eines grenzüberschreitenden oder EU-weiten Streik-rechts, die militärischen Teile des Verfassungsvertrags, in denen sich die vertragliche Absicherung der Aufrüstungsverpflichtung für die EU-Mitgliedstaaten und die EU-Rüstungsagentur finden, wie auch die Festschreibung der neoliberalen Festlegung von Wirtschafts-, Währungs- und Beschäftigungspolitik auf den »Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb«.

Bei dem Spiel, den EU-Verfassungsvertrag oder seine Substanz doch noch durchzubringen, reizt die Bundesregierung ihr Blatt bis zum Anschlag aus, doch das Unternehmen wird auch von Befürwortern des EU-Verfassungsvertrags kritisch gesehen, insbesondere, weil der Einsatz besonders hoch scheint und möglicherweise die Existenz der Europäischen Union selbst gefährden könnte. »Pokerspieler wissen: Verlieren sie im Endspiel bei hohem Einsatz, folgt ihm der Ruin«, so der Kommentar in der »Financial Times Deutschland« zur Strategie der deutschen Bundesregierung.

Deshalb braucht es jetzt gerade während der deutschen Ratspräsidentschaft Druck, damit der EU-Verfassungsvertrag oder seine Substanz nicht doch noch trickreich über die Bühne gebracht werden kann. Kanzlerin Merkel und ihre Sherpas dürfen nicht durchkommen mit ihrer neoliberalen und friedensgefährdenden EU-Verfassung.

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